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Wie wir nach einem langen Traume wieder zu der Beschäftigung des Lebens erwachen, so kehre ich auch mit neu erwachtem und lebhafteren Gefühle von den Karakteren, die der gewöhnlichen Welt so fern stehen, wie Volktmann Astrologen, ja Kabalisten sind übrigens in diesem neunzehnten Jahrhundert nicht so wunderbar selten, wie man glauben möchte. In den Reeden Europas dürfte man noch viele solcher Schwärmer finden und selbst zu Paris habe ich – und gewiß außer mir noch andere – eifrige und enthusiastische Anhänger des Magnetismus gefunden. Im Jahre 1800 gab Lackington einen Quartband unter dem Titel heraus: Magus, ein vollständiges System der geheimen Philosophie, welches über Alchemie, Cabala, natürliche und himmlische Magie handelt etc. – Es ist ein unverschämtes Werk. Wenn Raphael astrologische Handbücher herausgibt, so beweist das nicht, daß er an die darin aufgestellten Wissenschaften glaubte, daß er aber bei ihrer Herausgabe seinen Vortheil fand, beweist die Hinneigung der Käufer zu diesem Glauben. und seine Tochter, zu der glänzenden Heldin meiner Geschichte zurück.
In der Londoner Gesellschaft herrscht ein gewisser Ton, welcher den Geist ermattet, ohne ihn aufzuregen und dieses erzeugt mehr, als alles andere, Übersättigung. In den Klassen, welche an die höchsten angränzen, tritt diese Wirkung weniger hervor, denn dort ist doch etwas zu erkämpfen. Die Mode gibt ihnen einen Stachel. Sie ringen danach, es dem Ton der Höherstehenden gleichzuthun. Es ist ein Ehrgeiz nach Kleinigkeiten, aber es ist doch Ehrgeiz. Er zehrt, er eifert, aber er hält sie munter. Die Großen allein sind die Opfer der Langeweile. Je fester ihr Rang steht, je anerkannter ihr guter Ton ist, desto mehr steckt ihr Leben in schalem Überdruß. Konstanze hatte den Gipfel ihrer Wünsche erreicht. Niemand wurde so verehrt, so angebetet. Einen nach dem andern, hatte sie alle gebeugt und gedemüthigt, die, vor ihrer Heirat, ihren Stolz verletzt oder nachher ihren Ansprüchen sich widersetzt hatten: ein Blick von ihr wurde wie ein Triumph aufgenommen, ein Lächeln gab dem Glücklichen einen Rang. Aber diese Macht wurde ihr zum Ekel; ihr Geist stand zu hoch, als daß er durch so erbärmliche Freuden, durch so gestaltlose Auszeichnungen hätte befriedigt werden können, und sie fühlte, daß ihr das Wesentliche des Lebens fehle. Sie war nicht mit Kindern gesegnet oder heimgesucht worden und hatte in ihrem Gatten keinen Freund. Es gab wohl Stunden, wo sie ihre Wahl bereute, so blendend sie auch schien, aber sie klagte nicht über Schmerz, sondern über Einförmigkeit.
Noch immer behielt sie jedoch das eine große Ziel ihrer Existenz im Auge, und noch immer arbeitete sie heimlich an dessen Ausführung, an dem Sturze jener mächtigen Gesellschaft, deren leuchtende Zierde sie selbst war. Durch den frühern und kaum gerechtfertigten Haß, den sie der Klasse der Großen geschworen hatte, gegen alles eingenommen, was sie bei ihnen sah, fällte sie über die Gewohnheiten und Gefühle ihrer Umgebungen ein scharfes, feindliches Urtheil. Ihre Anmaßung, ihre Sucht nach dem Scheine, ihr ewiges Konventionsleben widerte sie an, und ihre systematische Herzlosigkeit stieß sie zurück. Sie sah allerdings Talent bei ihnen, aber nur ein flimmerndes, flitterhaftes Talent; ihre Geschicklichkeit schmeckte, wie ihr Liberalismus, nach einer Partei; sie war engherzig in ihrem Streben und schien nur künstlich angenommen. Auf Genie machte Niemand Anspruch, auch wurde es Niemandem zugeschrieben. Vor Allem – und dies ist der karakteristische Zug der Englischen Aristokratie – empört sich Konstanzens Phantasie über den Mangel jedes erhabenen Schwunges, jeder edlen Gesinnung. Oft rief sie mit den Worten eines großen Staatsmannes – und sie haben durch die Zeit noch nichts an ihrer Wahrheit verloren –: »Bei uns ist Alles niedrig, kriechend und gemein.« Dieselbe Kälte des Benehmens, die Verehrung der Hergebrachten, der gemeine Abscheu vor allem Fremdartigen, der höhnische Unglaube an alles Edele, diese Kennzeichen unserer feinsten Zirkel erregten beständig ihre unwillige Verachtung. Sie rühmten sich zuvor ihrer Mildtätigkeit, aber wie Herr Bulwer in seiner Satyre, Paul Clifford, irgendwo bemerkt, Mildthätigkeit ist die Lieblingstugend des Hochmuths. Sie liebten den Prunk einer Subscription, und während sie mit der einen Hand dem Bauer ein Korngesetz auflegten, reichten sie ihm mit der andern einmal des Jahres ein Laib Brod hin. Die Religion wird in ihren Formen von einigen in Ehren gehalten: eine Bibel und eine Gräfin stecken häufig zusammen: aber das kommt daher, daß die Bibel ein aristokratisches Buch sey, daß sie Subordinaton und Abhängigkeit lehre; sie sehen zwar, daß Gott für die nächste Welt keinen Unterschied des Ranges verspricht, aber sie glauben, daß er deshalb auf den Unterschied in dieser dringt. Torys lesen daher die heilige Schrift mehr, als die Whigs. Die erstern sind religiös-, die letztern philosophisch-aristokratisch.
Lady Erpingham, die hinter dem dunklen Schirm der Politik stand, sah mit tiefer Geringschätzung die persönlichen und eigensüchtigen Motive, aus welchen die vornehmen Unterstützer freier Ansichten gewöhnlich jene Maßregeln anregten, welchen die gedankenlose Menge ihren stürmischen Beifall zollte: dies Mißverhältnis zwischen den Grundsätzen und den Handlungen ist zwar allen gesellschaftlichen Verbindungen eigen, Konstanze aber, die nur auf Einen Kreis beschränkt war, glaubte, daß diese Falschheit und Unredlichkeit kein allgemeiner, sondern nur ein eigenthümlicher Zug sey.
Früh an Verstellung gewöhnt, verbarg die schöne Gräfin noch immer ihre Verachtung, wie ihre Hoffnungen. In weiter Ferne glaubte sie bereits das Thule ihrer Wünsche zu sehen. Mitten in dem tiefen Frieden Europa's erspähte sie die Prinzipe, die, bisher vom Kriege zurückgehalten, in die Knospen traten und Früchte verkündeten. Eifersüchtige, forschende Augen blickten auf die bevorrechtigten Stände, welche sie bis jetzt nur verehrt hatten. Das Volk beobachtete die Spaltungen zwischen den beiden großen Parteien, welche um die Herrschaft kämpften, und erblickte durch die Risse der Parteien, das ferne, aber heitere Licht der Wahrheit. Mit froher Genugtuung erstaunte sie, daß jede Partei, blind gegen die endlichen Folgen des Kampfes, durch jede Maßregel den Sturz des Körpers beförderte, dem sie angehörte. Widerstand gegen volksthümliche Forderungen hieß das Geschrei verstärken und allgemeiner machen; Nachgeben hieß die Masse dem Siege über das Interesse der Wenigen einen Schritt näher bringen.
Diese in der Geschichte eines Volkes so schnellen Staatsveränderungen sind in dem Leben des Einzelnen doch nur gedehnte Episoden. Politische Intriguen konnten die Leere nicht ausfüllen, über welche Konstanze täglich klagte, und Privat-Intriguen – der gewöhnliche Trost der Damen ihres Tones, wenn nicht ihres Ranges – gewährten ihr gar keinen Reiz. Wenn Leute nichts zu thun haben, so werden sie nicht selten krank; und so erblich nach und nach die blühende Farbe auf Lady Erpingham's Wangen. Sie wurde mager, die Ärzte spielten auf eine Auszehrung an, und empfahlen ein warmes Klima. Lord Erpingham ergriff diesen Vorschlag mit Freuden, denn er liebte Italien und langweilte sich in England.
Einfältige Leute sind oft sehr musikalisch; es ist eine Art Geistesanrecht, das für ihre Fähigkeiten paßt. Plutarch führt irgendwo an, die besten musikalischen Instrumente würden aus den Kinnladen der Esel gemacht. Plutarch hat nie eine gescheutere Bemerkung gemacht. Lord Erpingham hatte in der letzten Zeit sich viel mit Opern abgegeben, und sogar davon gesprochen, selbst eine zu komponiren: und da er nicht selbst Virtuos war, so fand er seinen Trost darin, ein Mäcen zu seyn. Italien bot ihm in dieser Hinsicht tausend Reize; er sprach nur von der Gesundheit seiner Gattin, dachte aber mehr an den Genuß eines guten Orchesters. Unter dem Bedauern der Londoner Welt trafen sie ihre Anstalten, gegen Ende der Saison nach dem Vaterlande Paganinis und Julius Cäsars abzugehen.
Zwei Tage vor ihrer Abreise gab Lady Erpingham ihren genauern Bekannten eine Abschieds-Gesellschaft. Saville, der immer danach strebte, mit jedem, der ihm der ausgelegten Mühe werth schien, auf guten Fuße zu stehen, gehörte natürlich zu der Zahl der Gäste. Die Zeit hatte ihn in den letzten Jahren, während deren er aus unsern Augen verschwunden war, etwas mitgenommen. Die Frauen hatten keinen Reiz mehr für seine matter gewordenen Augen. Spiel- und Spekulationssucht hatten alle anderen Wünsche verdrängt. Seine Lebhaftigkeit hatte, da Alter und Kränklichkeit den Strom seines Blutes anhielt und zügelte, bedeutend abgenommen, aber die Unterhaltung hatte für ihn und erlangte durch ihn noch immer ihren gewohnten Reiz. Nur war der sprühende, spielende Witz in ruhiger Ironie verkehrt, und wenn sein Geist nicht aus der Heiterkeit der Gegenwart Blüthen zog, so wurde er doch noch geschärfter durch die Erfahrung der Vergangenheit: Weltkenntnis ist die wahre Quelle des gesellschaftlichen Witzes.
– Aber – sagte Saville, indem er sich neben Lady Erpingham setzte – aber wie werden wir es in London aushalten, wenn Sie nicht mehr hier ist? Wenn die Gesellschaft – dieser ewige Trank – uns zu schaal wurde, so warfen Sie Ihre Perlen in den Becher, und jetzt sind wir so verwöhnt, daß wir den Wein nicht mehr werden ohne die Perlen vertragen können.
– Aber die Perlen geben dem Weine keinen Geschmack: sie lösen sich nur auf, ohne Zweck, ohne Erfolg.
– Ach, meine liebe Lady Erpingham, der Stumpfeste von uns, der einmal die Perlen gesehen hatte, konnte sich doch wenigstens einbilden, daß wir fähig wären, ihren zartern Einfluß zu würdigen. Aber wie sollen wir in dieser kleinen Welt leerer, lästiger Wirklichkeiten, wenn Sie uns verlassen haben, etwas finden, wo wir uns etwas einbilden können?
– O, glauben Sie, ich kenne das Gezirpe der Gesellschaft zu gut, als daß ich mir träumen ließe, ich werde nicht leicht ersetzt werden. König folgt auf König ohne Rücksicht auf Beider Verdienste, so folgt in London Idol auf Idol, mag auch das Eine von Diamant, und das andere von Kupfer seyn. Vielleicht finde ich Sie bei meiner Rückkehr zu den Füßen der albernen Lady S. oder in Anbetung vor der gräßlichen Lady Y. Nur der Zufall bestimmt, wer die Herrschaft über Sie erhält: das Gewieher eines Pferdes kann es entscheiden!
Le temps assez souvent a rendu legitime
Ce qui sembloit d'abord ne se pouvoir sans crime
– antwortete Saville, mit einer affektirten, heroischen Miene; die Wahrheit ist, daß wir ein trauriges Volk sind, und daß, wer es bei uns am weitesten bringen will, sich nur am meisten vorzudrängen braucht. Sie wissen, wie Mistreß *** trotz ihrer rothen Arme, ihres rothen Rockes und ihrer City-Aussprache und ihrer City-Verbindungen es bloß durch Ausdauer dahin brachte, eine Person von Wichtigkeit für eben die Gräfinnen zu werden, die sie Anfangs trotz aller Schmeicheleien kaum zu einem Kopfnicken bringen konnte. Wer der Lächerlichkeit und rauhen Begegnung die Stirne bieten kann, braucht es nur zu wünschen, und früher oder später wird er oder sie Mode werden.
– Bei allen Veränderungen, die ich bei meiner Rückkehr finden dürfte, bin ich doch von der Unveränderlichkeit Eines Dinges überzeugt: auch dann noch wird niemand für sich selbst zu denken wagen. Der große Mangel in jedem Individuum ist ein Mangel an einer Meinung. Wer z.B. beurtheilt ein Bild nach seiner eigenen Kenntnis von der Malerei? Wer wartet nicht, bis Herr *** oder Lord *** (einer von den sechs oder sieben privilegirten Kennern) sich darüber ausgesprochen hat? Ja nicht allein das Schicksal eines einzigen Bildes, sondern das einer ganzen Malerschule hängt von der Laune irgend eines dieser eigenmächtigen Diktatoren ab. Der König oder der Herzog von *** braucht nur die Holländische Schule zu lieben und sich über die Italienische lustig zu machen, und alsbald wird ein Raphael keinen Käufer finden und ein Teniers übermäßig im Preise steigen. Niederländische Bilder von Leuchtern und Bauern werden mit begierigem Entzücken gesucht; die unangenehmsten Gegenstände der Natur werden die beliebtesten Schätze der Kunst, und wir wetteifern mit einander, die Erhebung unsers Geschmacks dadurch zu bezeugen, daß wir uns um die gemalten Gemeinheiten reißen, durch welche der Geschmack selbst so durchaus herabgewürdigt wird. Es ist jetzt fest bei uns: je niedriger der Gegenstand, desto sicherer sein Glück. Im Theater drängen wir uns nach der Posse, in der Malerei verehren wir die Niederländische Schule; in –
– In der Literatur? – sagte Saville.
– Nein! Unsere Literatur athmet noch immer etwas Edles. Aber warum? Weil die Wenigen, welche über Bücher, bei ihrem ersten Erscheinen, urtheilen, keine Aristokraten sind. Ein Buch fragt, um Glück zu machen, nicht so sehr, wie ein Gemälde oder ein Ballet, nach der Meinung des Herrn Saville oder der Lady Erpingham.
– Sehr wahr! Selbst in unserer Religion entdecke ich diesen Hang zum Kleinlichen. Durch welche Mittel sucht der beliebteste Prediger mit dem größten Erfolge auf seine Zuhörer zu wirken? Spricht er von dem Genusse, den wir in seiner guten Handlung finden, von dem Ruhme einer Selbstaufopferung? Mit einem Worte – setzte Saville hinzu, nicht ohne selbst leicht zu erröthen, daß man ihn bei einer solchen Äußerung ertappe, mit einem Worte, hält er sich an die schönen, Römischen Motive, welche bei den schönen, Römischen Karakteren von solchem Gewicht sind? Beim Himmel, nein! Er erhebt nicht, er schüchtert ein; er muntert nicht auf, er droht uns mit dem höllischen Feuer; er droht uns in die Tugend, er schreckt uns in den Himmel hinein. Genau in dem Verhältnisse, wie ein Prediger diese Mittel braucht, wird er beliebt bei uns. Nun glaube ich aber, daß wir allein niedrige Naturen hauptsächlich durch Furcht regiert werden. Und wenn ich sehe, wie gerne sie sich ängstigen lassen, so glaube ich nicht, daß wir gerechte Ansprüche auf Hoheit machen können.
– Eben so – fügte Konstanze hinzu – ist bei unserer Erziehung Furcht die Hauptmethode, nach welcher wir leben.
– Ja, bald heißt es: Miß, das werde ich Ihrer Mama sagen; bald: Wenn Du das wieder thust, Bursche, so peitsche ich Dich, daß Du liegen bleiben sollst.
– Wie kann es daher fehlen, daß wir, eine so große Nation wir auch sind, doch nur kleine Menschen sind?
– Freilich! Wie kanns fehlen? – wiederholte Saville, indem er sich unmittelbar darauf nach einem Spieltische wendete, um an der beabsichtigten Plünderung eines jungen Bankiers Theil zu nehmen, der stolz darauf war, daß ihm Personen von Rang die Ehre anthaten, ihn zu betrügen.
In einem andern Zimmer fand Konstanze einen gewissen alten Philosophen, den ich David Mandeville nennen will. In diesem Manne lag etwas, was immer alle die bezauberte, welche Geist genug hatten, mit den gewöhnlichen Bewohnern der mikrokosmischen Gesellschaft unzufrieden zu seyn. Der Ausdruck seines Gesichtes unterschied sich ganz von dem Anderer: aus seinem Antlitze athmete Güte, auf seiner Stirne der Schwung des Geistes. Man sah auf der Stelle, daß er nicht mit nichtigen Leuten lebte, noch sich mit nichtigen Dingen abgab. Aus seinem Blicke strahlte Heiterkeit, aber es war die Heiterkeit des Gedankens. Konstanze setzte sich neben ihn.
– Thut es Ihnen nicht leid – sagte Mandeville – daß Sie England verlassen? Sie, die sich zum Mittelpunkte eines Kreises gemacht haben, der in seiner kurzen, blendenden Mannigfaltigkeit vielleicht nie seines Gleichen in diesem Lande gehabt hat? Reichthum – Rang – selbst Witz können Andere um sich versammeln; noch niemand aber hat zuvor Alles, was hoch in der Kunst steht, sich berühmt um die Wissenschaft gemacht hat, weise in Politik und (denn wer außer Ihnen scheute je keine Nebenbuhlerschaft?) selbst durch Schönheit reizend ist, in ein einziges Sternenmeer vereinigt. Ich hätte es leichter für uns gehalten, Armida zu fliehen, als für Armida, diesem Schauplatze ihrer Zauberherrschaft zu entsagen, dem Schauplatze, in welchem Frau von Staël den Reizen ihrer Unterhaltung gehuldigt und Lord Byron die ihrer Persönlichkeit gefeiert hat.
Wir können uns denken, welchen Zauber Konstanze um sich verbreitete, wenn selbst Philosophen (und Mandeville vor allen andern) schmeicheln gelernt hatten: aber seine Schmeichelei war Aufrichtigkeit.
– Ach – sagte Konstanze seufzend, – selbst wenn Ihr Kompliment ganz wahr wäre, so haben Sie doch nichts genannt, was mir ein Opfer kosten würde. Eitelkeit ist Ein Quell des Glücks, aber er genügt nicht, mich für den Mangel aller übrigen zu entschuldigen. Mit England verlasse ich den Schauplatz einiger Ermüdung; ich unterliege dem Druck des Einerleis und blicke mit Sehnsucht auf die Aussicht einer Veränderung.
– Sie Arme! – sagte der alte Philosoph,, indem er schmerzlich zu ihr aufsah – die, im vollen Gange des Glücks, doch mehr Empfindlichkeit für das vertrocknete Rosenblatt, als für die Bequemlichkeit des Lagers hat. – Wohin Sie gehen, wird die feine Gesellschaft Ihnen dieselbe Eintönigkeit darbieten. Alle Höfe sind sich gleich: die Männer haben einen Wechsel in ihrem Thun; aber für Frauen Ihres Ranges ist jeder Schauplatz derselbe. Sie müssen das Ziel nicht außerhalb suchen, sondern sich eins in Ihnen schaffen. Um glücklich zu seyn, müssen wir uns von Andern unabhängig machen.
– Sie rathen, wie alle andere Philosophen, das Unmögliche an.
– Wie so? Haben nicht die Meisten Ihres Geschlechtes ihren Zweck? Die Einen das Wohl ihrer Kinder, die Andern das Interesse ihrer Gatten, eine Dritte setzt ihre Leidenschaft in Ökonomie, eine Vierte in Verschwendung, eine Fünfte in Modeleben, eine Sechste in Einsamkeit. Ihre Freundin dort ist stets damit beschäftigt, ihre Gesundheit zu pflegen; ihr giebt die Hypochondrie einen Zweck an die Hand. Sie ist wirklich glücklich, daß sie sich für krank hält. Jeder hat seinen Lebenszweck, der ihm die Langeweile vertreibt, nur Sie nicht.
– Auch ich habe einen – sagte Konstanze lächelnd – aber er füllt nicht meine ganze Zeit aus. Die Zwischenakte sind länger, als die Akte selbst.
– Ist Ihr Ziel Religion? – fragte Mandeville gelassen.
Konstanze war betroffen, die Frage war neu. – Ich fürchte, nein – antwortete sie nach einigem Zögern, indem sie den Kopf sinken ließ.
– Ich dachte es. Aber hören Sie mich. Der Grund, warum Sie sich mehr ermüdet fühlen, als Ihre Umgebung, ist, daß Ihr Geist mehr Spielraum verlangt. Kleine Seelen finden leicht Beschäftigung; jede Frivolität unterhält sie. Aber ein höheres Gemüth strebt nach Dingen, die außer dem täglichen Bereiche sind; Frivolitäten geben ihm nur eine mechanische Beschäftigung, die Gedanken schreiten rastlos vorwärts. Dies ist der Fall mit Ihnen. Ihr Geist verzehrt Sie. Sie wären glücklich gewesen, ständen Sie nicht so hoch – (Konstanze zuckte zusammen, sie dachte an Godolphin) denn Sie wären dann ehrgeizig gewesen und hätten nach dem Range gestrebt, der Sie jetzt anekelt. Ich halte diese großen Absonderungen der Gesellschaft für so unglücklich, als unnatürlich. Während die Großen eine Schranke gegen das Glück der niedern Klassen bilden, befinden sie sich doch selbst nicht glücklich. Die Dichter haben Recht, wenn sie über das Elend der Könige oder der Adeligen deklamiren, obwohl nicht, wenn sie eben so die Herrlichkeit des Landmannes preisen. Die beiden Extreme berühren sich. Die Welt würde bei weitem glücklicher seyn, bestände sie nur aus Einer großen Mittelklasse. Auf dieses Ziel hin haben wir Philosophen gearbeitet, und dieses Ziel dürfte am Ende erreicht werden.
Konstanze fühlte sich durch eine Gesinnung angeregt, welche ihre gekränkten Wünsche rechtfertigte, sprach aber nicht. Mandeville fuhr fort.
– Vor Allem unglücklich und falsch aber ist jetzt die Stellung der Frauen. Sie influenzieren die Welt und sind doch aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sie sind die Gefangenen und doch die Despotinnen der Gesellschaft. Haben Sie Talente? Es ist ein Unrecht, sie öffentlich zu zeigen. Und da das Talent nicht erdrückt werden kann, so wird es im Privatleben irregeleitet; sie streben nach der Herrschaft in ihren eigenen beschränkten Zirkeln und das Genie artet in Verschlagenheit aus. Von der Wiege auf zur Verstellung erzogen, sind die schönsten Bewegungen, die herrlichsten Grundsätze mit Falschheit verbrämt. Wie ihre Talente, der Schwingen beraubt, auf der Erde krochen und deren Staub und Schlamm annehmen müssen, so werden auch ihre Neigungen unaufhörlich gehemmt und in konventionelle Pfade gezwängt, und ein selbstständiges Gefühl wird wie ein entschiedenes Verbrechen bestraft. Man lehrt ihnen nicht die gesunden, tüchtigen Lebensprinzipien; Alles, was sie von der Moral erfahren, beschränkt sich auf Formen und Anständigkeit. So werden sie außer Stand gesetzt, die öffentlichen Tugenden und öffentlichen Mängel eines Bruders oder Sohnes zu würdigen, und Ein Grund, warum wir keinen Brutus mehr haben, ist, daß Sie keine Portia haben.
– Sie sind streng.
– Gegen wen? Die Männer machen die Frauen zu dem, was sie sind. Guter Himmel, wenn ich in ihnen so manchen edlen Keim, so manche schlummernde Liebe, so manchen reinen Enthusiasmus, so manche göttliche Selbsthingebung sehe, und wenn ich dann sehe, wie durch die Verderbtheit der Gesellschaft eben diese Eigenschaften oft so gefahrbringend für ihre Besitzerin werden, so kann ich es nicht tief genug beklagen, daß die Frauen, statt ihren Fesseln zu schmeicheln, sich nicht selbst zu einer Emanzipation vereinigen; so schmerzt es mich, daß sie nicht, statt von Tugend und einfacher Zurückgezogenheit zu winseln, kühnlich fragen, warum man es bei ihnen für gefährlich halte, wenn sie ihren Verstand bilden und ihre Talente ausüben; warum sie nur im Verhältnis, wie sie ihren Geist verschließen, sicher vor Lächerlichkeit oder frei von Schmähungen sind. Die Türkei hat ihr Serail für den Körper, aber die Sitte in Europa hat auch ihr Serail für die Seele.
Konstanze lächelte über den Eifer des Philosophen, aber sie war ein Weib, und fühlte sich bewegt.
– Vielleicht – sagte sie – dürfte doch noch wie mit dem Fortschreiten der Zeit und der Ereignisse, der Zustand der Frauen, so gut wie der der Männer, verbessert werden.
– In der Zukunft ohne Zweifel. Und glauben Sie mir, Lady Erpingham, als Kennerin der Politik: keine legislative Reform allein wird die Menschen verbessern. Der gesellschaftliche Zustand bedarf einer Revolution.
Wer darf es wagen, diese zu predigen?
– Der erste, tiefe Denker, der, ohne Parteizweck im Auge, den Muth haben wird, die ganze Wahrheit auszusprechen.
– Aber Sie fragten mich vor einigen Minuten, ob das Ziel meines Strebens Religion sey. Meine Antwort täuschte Ihre Hoffnung, obgleich sie Sie nicht überraschte.
– Allerdings: es tat mir weh, weil in Ihrer Lage Religion allein die traurige Leere Ihrer Zeit ausgefüllt haben würde. Denn mit Ihrem gebildeten, umfassenden Geiste würden Sie die größte der irdischen Fragen nicht aus einem engherzigen, sektirenden Gesichtspunkte betrachtet haben. Sie würden die Religion nicht in dem Gemurmel hergebrachter Worte in einer Kirch oder Kapelle, in einem scheinheiligen Wesen, in einer prahlerischen Wohltätigkeit, einem schroffen Urtheil gegen alles, was außer dem Bereiche Ihrer Meinung ist, gesucht haben. Sie würden in ihr ein wohlthuendes, harmonisches Moralsystem gesehen haben, welches vom Gemurmel nur so viel nimmt, daß es nicht ermüdet, sondern tieferen Eindruck macht. Doch kann eine ächte und reine Religion die Formen ganz entbehren, denn die Formen lehrten zuerst die Menschen, über die Religion zu spotten. Die Wahrheit bedarf zur Verherrlichung ihrer Schönheit keines priesterlichen Zierrathes. Das Ceremoniel, das die Religion unterstützen wollte, hat sie betrogen; es ist der Judas, der den Heiland mit einem Kusse verrathen hat. Aber werfen Sie dies nichtige Ritual weg, das nur menschliche List geschaffen hat, und wie glorreich strahlt uns die Religion entgegen! Wir erblicken die Moral, gekräftigt in ihren irdischen Motiven, und mit einer himmlischen Hoffnung gekrönt. Hier haben wir einen Gegenstand, der unserer edelsten Kräfte würdig ist. Literatur, Wissenschaft, Künste, sind nur die Dienerinnen des Himmels. Was unsere Kräfte erweitert, macht uns geschickter, der Menschheit zu nützen: in jeder Handlung für die Menschen erblicken Sie das wahre Ceremoniel, welches Gott gefällig ist. Hier haben wir keine Zeit für Eintönigkeit. Was ist so mannigfach, als Wohlthun, was so thätig als Barmherzigkeit? Hier erschlafft selbst der Gedanke nicht; denn eine verborgene Energie regt ihn an. Zwei Gefühle genügen, selbst das trägste Temperament gegen Stockung zu bewahren: ein Verlangen und eine Hoffnung. Was sollen wir erst von dem Verlangen, nützlich zu seyn, was von der Hoffnung sagen, unsterblich zu seyn?
Eine solche Sprache hatte Konstanze nicht oft gehört, und auch in dem Munde dessen, der sie gehalten, war sie selten. Aber ein Interesse an dem Schicksale und dem Glück eines Wesens, in dem er so viel Bewundernswerthes sah, hatte in Mandeville die Sehnsucht erweckt, daß sie irgend ein Prinzip annehmen möge, was auch er achten könne. Und in seiner Stimme lag eine Wärme, eine Aufrichtigkeit, die Lady Erpingham bis in das Herz drang. Sie drückte ihm schweigend die Hand. Sie dachte noch später über seine Worte nach; aber das aristokratische Leben ist einem dauernden Eindruck, mit Ausnahme dem der Eitelkeit und der Liebe, nicht sehr zugänglich. Die Religion hat zwei Quellen: die Gewohnheit der Jugend, oder den Gedanke an die Zukunft. Aber der Vortheil der erstern war Konstanze nicht beschieden, und wie konnte sich das intrigirende Weib dieser Welt gerne mit tiefen Gedanken an eine andere Welt abgeben?
Dies ist das einzige Mal, daß Mandeville in diesem Werke zum Vorschein kommt: ein Bild von der Seltenheit, mit welcher religiöse Weisheit mit dem Schauplatz des wirklichen Lebens verkehrt.
– Apropos – sagte Saville, der im Fortgehen Konstanzen an der Thür begegnete, und ihr sein letztes Lebewohl sagte – Sie werden irgendwo in Italien vielleicht meinem alten jungen Freunde, Percy Godolphin, begegnen. Es hat ihm nicht gefallen, mir seinen Aufenthaltsort anzugeben, aber ich höre, daß man ihn kürzlich in Neapel gesehen hat.
Konstanze erröthete, ihr Herz schlug heftig, aber sie antwortete mit Gleichgültigkeit und wendete sich ab.
Am nächsten Morgen reisten sie nach Italien ab. Aber welche Veränderungen erwarteten Konstanzen binnen einer Woche!