Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Sechszehntes Kapitel.

Godolphin's Rückkehr nach Hause. – Selbstgespräch. – Lord Erpingham's Ankunft in Wendover-Castle. – Beschreibung des Earls. – Seine Erzählung von Godolphin's Leben in Rom.

Mit verdrossenem Fuße schritt Godolphin wieder über die Schwelle seines Häuschens. Er trat in ein kleines Zimmer, das aber das größte der Wohnung war. Die wenigen ärmlichen Meubel standen in Unordnung umher; ein altes, zerbrochenes, unbesaitetes Klavier, ein abgenutzter, zerrissener Teppich, in jener Fensterbiegung ein leerer Vogelkäfig, dort ein Bücherbrett mit einigen Dutzend werthlosen Bänden, ein Sopha aus dem vorigen Jahrhundert (wo man, wenn man auch Behaglichkeit kannte, sie doch nicht in Faulheit setzte), kurz, schmal, hochlehnig und hart, das alles, gerade wie sein Vater es zurückgelassen, wie sein Knabenalter es gesehen hatte, begrüßte ihn jetzt mit einem unfreundlichen, frostigen, obwohl bekannten Willkommen. Es war Abend; er verlangte nach Feuer und Licht, und setzte sich, um, während er mit dem Kopfe in der Hand zusah, wie die Flamme düster durch das Gitter des schmutzigen, verbogenen Rostes brach, sich mit seinem eigenen Herzen zu berathen.

– So liebe ich also dieses Mädchen, sagte er. Ist es auch wahr? Täusche ich mich nicht? Sie ist arm, hat keine Verbindungen, nichts, den Glanz meines Hauses herzustellen, diese Wohnung wieder aufzubauen, oder jene Güter zurückzukaufen. Ich liebe sie! Ich, der ich den Werth ihres Geschlechts so gut kennen gelernt habe, daß ich hundert- und tausendmal gesagt habe, ich würde mein Leben nicht an eine Fürstin ketten! Die Liebe mag dem Besitze wiederstehen – das ist möglich – aber nicht der Zeit. In drei Jahren würde der Glanz von Konstanzens Antlitz erblichen seyn, und dann wäre ich – was? Mein zerrüttetes Vermögen kann mich, allein, mit meinen geringen Bedürfnissen nicht erhalten. Und wäre ich erst verheirathet! Die stolze Konstanze meine Frau! Nein, nein, nein! Ich darf nicht daran denken. Ich, der Held von Paris! Der Geliebte der La**! Der Zögling Saville's! Ich soll mich so bethören lassen, daß ich von einem solchen Wahnsinn nur träume! Und doch glüht ein Funke in mir, der in der Welt leuchten könnte – ich könnte mich aufschwingen. Es stehen mir Wege offen: die Diplomatie – das Haus der Gemeinen! Wie! Percy Godolphin begeht die Einfalt und wird ehrgeizig! Will sich abmühen, sich quälen, Narren wegen eines Elementar-Prinzips Rede stehen, und am Ende am gebrochenen Herzen oder an einer verlorenen Stelle sterben! Pfui, pfui! Ich verachte die Premiereminister, und kann mich nicht zu ihrem Lehrling hergeben. Das Leben ist zu kurz zur Arbeit. Und nach was streben denn die Leute? Nach Genuß? Aber warum nicht genießen, ohne zu arbeiten? Und Konstanze aufgeben? Pah, da ist nur Ein Weib verloren!

So endete das Selbstgespräch eines kaum herangewachsenen Mannes. Die Welt gibt uns bei Zeiten ihren letzten Unterricht, aber aus Furcht, wir möchten nichts mehr von ihrer Weisheit zu entnehmen haben, verwendet sie den Rest unseres Lebens dazu, uns alles, was sie zuerst uns gelehrt hat, wieder aus dem Gedächtnis zu löschen.

Währenddes war die Zeit herangekommen, wo Earl Erpingham auf Wendover-Castle eintreffen sollte. Lady Erpingham wünschte natürlich, Anfangs die Gesellschaft ihres Sohnes so ungestört, wie möglich, zu genießen, und hatte am ersten Tage seiner Ankunft nach einer so langen Abwesenheit alle Fremden fern gehalten. Die schwere Reisekutsche war endlich in den Hof gerasselt, und wenige Minuten darauf war ein hoher Mann in der Blüthe des Lebens, in einem weiten, mit Pelz und Sammt besetzten Mantel gehüllt, der seiner Gestalt ein vorteilhaftes Ansehen verlieh, in das Zimmer, und Lady Erpingham umarmte ihren Sohn. Die herzliche und kindliche Weise, mit welcher er ihre Fragen und Glückwünsche erwiederte, änderte sich etwas, als er plötzlich Konstanze bemerkte. Lord Erpingham war kalt, und schämte sich, wie die meisten kalten Männer, eine Neigung zu zeigen. Er grüßte Konstanze ruhig, und, wie er glaubte, nachlässig; seine Blicke wendeten sich jedoch viel öfter zu ihr, als irgend ein Freund Lord Erpingham's diese großen, runden, lichtbraunen Augen je sich zu einer Person hatte wenden sehen.

Als der Graf sich zurückzog, um Toilette zum Mittagessen zu machen, konnte Lady Erpingham nicht umhin, indem sie sich die Augen trocknete, gegen Konstanze gewendet auszurufen: Ist es nicht sein schöner Mann? Welche Gestalt!

Konstanze schmeichelte nicht ungern, wo sie jemanden gern schmeichelt wissen wollte, und stimmte daher bereitwillig genug in diese mütterliche Ansicht ein. Bis jetzt hatte sie jedoch nichts von Lord Erpingham bemerkt, als seine Größe und seinen Mantel, und als er wieder hereintrat, und sie in das Speisezimmer führte, warf sie einen forschenden, obgleich nur gelegentlichen Blick auf ihn.

Lord Erpingham gehörte zu der Klasse von Menschen, von denen die Männer gewöhnlich sagen: Was für ein verdammt hübscher Bursche! Er war über sechs Fuß hoch, was verhältnismäßiger Stämmigkeit, obschon nicht sehr regelmäßig geformt, auch nicht besonders anmuthig in seiner Haltung, aber doch gerade soviel man von einem sechs Fuß hohen Mann verlangen kann. Er hatte eine männliche Gesichtsfarbe, eine Mischung von braun, gelb und roth. Sein Backenbart war sehr stark, schwarz und gut zugeschnitten. Seine Augen waren, wie ich bereits gesagt habe, rund, groß und lichtbraun, also nichtssagend. Seine Zähne waren gut, und seine Nase war zwar weder Griechisch, noch nach dem Adlerschnitt, konnte sich aber doch sehen lassen. Alle Dienerinnen bewunderten ihn, und wenn man ihn ansah, überkam einen das Gefühl, wie schade es sey, daß ein so tüchtiges Subjekt den Grenadieren entgehen sollte.

Lord Erpingham war ein Whig von der alten Schule: er haßte die Handelsfreiheit, glaubte aber, daß man Hand an die Tory-Flecken legen müsse. Man hielt ihn allgemein für einen verständigen Mann. Er hatte Blackstone, Montesquieu, Cowper's Gedichte, und den »Rambler« gelesen, und erregte, wenn er sprach, immer große Aufmerksamkeit im Oberhaus. Er war ein Bonvivant, was den Wein betraf; nach einem ausgewählten Essen fragte er nichts. Er war gutmüthig, aber verschlossen, tapfer genug, immer im Nothfall einen Zweikampf anzunehmen, und religiös genug, jede Woche einmal in die Kirche zu gehen – wenn er auf dem Lande war.

So weit schien Lord Erpingham nach einem der Helden Sir Walther's geformt, wir müssen aber das Blatt umwenden, und auf die Punkte zeigen, in welchen er von jenen Musterbildern abwich.

Gleich der Masse der adligen Whigs, hatte er sehr lockere Ansichten von den Frauen, obwohl er ihnen nicht sehr nachging. Seine Liebschaften hatten sich auf Operntänzerinnen beschränkt, weil man, wie er zu sagen pflegte, bei ihnen nicht so viel Zeit verlöre. Und doch hatte er zu viel von seiner eigenen Welt gesehen, als daß er nicht hätte wissen sollen, daß sich die großen Damen selten viel auf eine abstoßende Sprödigkeit zu gute thun; auch war sein eigenes Ehrgefühl eben nicht der Art, daß er die gefallene Tugend einer Schwester, oder, wäre er verheirathet gewesen, einer Frau sich ausnehmend zu Gemüth gezogen hätte. Trotzdem galt er überall für einen hochherzigen Mann. Man wählte sich ihn zum Schiedsrichter in Streitigkeiten, und erzählte sich, obgleich es nicht wahr war, daß er ein Jahr lang ein Staatsamt bekleidet und darauf bestanden hatte, kein Gehalt anzunehmen.

Das war Robert Lord Erpingham. Beim Mittagessen, bei welchem er, zur großen Wonne seiner Mutter, einen höchst bemerkenswerthen Appetit offenbarte, hörte er, so gut als es bei seiner Rücksicht auf die zweckdienlichere Beschäftigung anging, auf Lady Erpingham's Erzählung von den Verhältnissen der Grafschaft, auf ihre langen Antworten auf seine kurzen Fragen, ob alte Freunde todt, oder junge verheirathet wären, und erwachte erst zu einer wärmeren Theilnahme, als er hörte, daß es einen Überfluß an wildem Geflügel gäbe.

Nachdem die Diener das Zimmer verlassen und Lord Erpingham sein erstes Glas Bordeaux genommen hatte, kam das Gespräch auf Percy Godolphin.

– Er hat vierzehn Tage bei uns zugebracht, sagte Lady Erpingham, und erzählte uns, daß er Dich in Italien getroffen hat, und ließ Dir volle Gerechtigkeit widerfahren.

– Wirklich! Hat er sich wirklich herabgelassen, mich zu loben? fiel Lord Erpingham hastig ein, denn Godolphin's Wesen und seine Schwierigkeit gaben seinem Lobe, wenigstens in den Ohren eines Earls, einen seltenen Werth. Ach! Es ist ein wunderlicher Gesell! In Italien hat er ein gar sonderbares Leben geführt.

– Das habe ich oft gehört, bemerkte Lady Erpingham. Aber weißt Du, in wie fern? War er sehr ausgelassen?

– Das nicht; es lag etwas Geheimnisvolles in seinem Verkehr; er ging wenig mit Engländern um, und nur mit solchen, die hoch spielten. Man sagte, er besitze große Kenntnisse und dergleichen.

– Oh, sagte Lady Erpingham, die mit den Rednern und Schönheiten der Zeit gelebt und von ihnen mechanisch die Manier angenommen hatte, eine Periode zu ründen, oh! so ging er vermuthlich mit den Münzkennern, Bilderhändlern, und andern Betrügern um, die auf Unkosten jener Engländer leben, welche sich mit Geschmack begabt oder von Genie heimgesucht wähnen.

– Weit gefehlt, entgegnete der Earl, Godolphin ist viel zu gewitzt dazu, und läßt, ich versichere Dich, sich so leicht nicht hintergehen, und ich gestehe, daß er dadurch nichts bei mir verloren hat. Aber nein, er lebte mit Italienischen Doktoren und Gelehrten, und nahm sich insbesondere eines sonderbaren Menschen an, der sich, glaube ich, mit Zaubereien oder so etwas abgab. Godolphin wohnte in einer einsamen Gegend von Rom, und dort waren – wenigstens hieß es so – das Laboratorium, die Tiegel und alle das andere teuflische Zeug in steter Bewegung.

– Und doch, sagte Konstanze, halten Sie ihn für zu klug, sich betrügen zu lassen.

– Und mit Recht, Miß Vernon; ein Beweis dafür ist, daß niemand geringeres Vermögen hat, und doch höher angeschrieben ist. Er spielt allerdings, aber nur gelegentlich, obgleich ihm in den Spielen, wo es auf Geschick ankömmt, außer Saville niemand gleich steht. Aber auf Saville ruht, unter uns gesagt, doch mehr als bloßer Verdacht, daß er unredlich spiele.

– Und Du bist überzeugt, sagte Lady Erpingham ruhig, daß Herr Godolphin sein Glück nur seiner Geschicklichkeit zu danken hat?

Konstanzens Augen schossen Blicke auf den Earl.

– Gewiß glaube ich das. Niemand hat ihm noch einen einzigen schmutzigen oder gar verdächtigen Streich vorgeworfen, und wie ich bereits gesagt habe, niemand wird mehr in Gesellschaften gesucht, obgleich er ihnen ausweicht; und er hat verdammt Recht, denn sie machen einem verteufelte Langeweile.

– Mein lieber Robert, in Deinem Alter!

– Aber, fügte der Earl, zu Konstanze gewendet, hinzu, aber, Miß Vernon, jedermann hat seine schwache Seite, und der verschmitzte Italiener mag die seinige getroffen haben, so ein tüchtiger Mann er auch sonst ist, obgleich ich, offenherzig gestanden, glaube, daß er ihn nur unterstützt haben mag, um die Welt zu mystifiziren und sich in das Gerede zu bringen, kurz – aus Eitelkeit. Er ist ein hübscher Mensch, dieser Godolphin – wie? fuhr der Earl mit einem Tone fort, als ob er eine Widerlegung seiner Behauptung erwarte.

– Sehr schön, antwortete Lady Erpingham. Welch herrlicher Kopf!

– Aber verzweifelt blaß, wie? Und auch nicht die beste Figur; mager, schmalschultrig, wie?

Godolphin's Wuchs war untadelhaft, aber unsere ungeschlachten Helden beurtheilen einen Mann von mittlerer Statur, wie Mathematiker einen Punkt definiren, sie sagen, es fehle ihm ganz an Breite und Länge.

– Und was meinst Du, Konstanze? sagte Lady Erpingham mit Betonung.

Konstanze errieth den Sinn und erwiederte ruhig, daß Herr Godolphin ihr schöner, als alle Männer scheine, die sie kürzlich gesehen habe.

Lord Erpingham spielte mit seiner Halsbinde, und Lady Erpingham erhob sich, um das Zimmer zu verlassen. – Ein verdammt hübsches Mädchen! sagte Erpingham, als er die Thüre hinter Konstanze wieder zumachte; aber auch verdammt spitzig, fügte er hinzu, indem er sich wieder auf seinen Stuhl setzte.


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