Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Fünf und Zwanzigstes Kapitel.

Das Vergnügen, eine Demüthigung zu vergelten. – Konstanzens Vertheidigung der Mode. – Bemerkungen über dieselbe. – Godolphin's Existenz. – Fanny Millinger's Schilderung. – Mangel an Muth bei den Moralischen.

Es war ein stolzer Augenblick für Konstanze, als die Herzogin von Winstoun und Lady Margarethe an sie schrieben, sich an sie drängten und sich um sie rissen für ein Lächeln, eine Verbeugung, eine Einladung oder eine Karte zu den Almacks.

Anfangs hatten sie sich vorgenommen, sie danieder zu reden; überall zu erklären, sie sey eine Plebejerin, verrückt, bizarr, und eine Schriftstellerin. Umsonst. Konstanze stieg täglich höher. Sie kämpfte gegen diese Überzeugung, aber es half nichts. Die erste Person, welche ihnen ihren Fehlgriff klar machte, war der verstorbene König, der damalige Regent; bei einem von ihm veranstalteten Balle hatte er sich den ganzen Abend mit Lady Erpingham beschäftigt. Von dieser Stunde an waren sie von ihrem Unrecht überzeugt, und machten ihr demnach am folgenden Morgen einen Besuch. Konstanze empfing sie mit der Kälte, die sie immer für sie empfunden hatte; trotzdem sagten sie im Fortgehen, sie hätten nie jemand gesehen, dessen Benehmen so fein sey. Sie schickten ihr darauf eine Einladung: sie schlug sie aus; eine zweite – sie schlug wieder aus; eine dritte, in der sie sie baten, sie möchte selbst den Tag bestimmen!!! Sie bestimmte den Tag und ließ sie doch sitzen. Gott weiß, wie unglücklich, wie bestürzt, wie entsetzt sie waren! Ihre liebe Lady Erpingham mußte krank seyn! Sie schickten noch die Woche darauf jeden Tag zu ihr, um sich nach ihrem Befinden erkundigen zu lassen.

– Warum, sagte Mistreß Trevor zu Lady Erpingham, warum hören Sie nicht auf, so grausam gegen diese armen Leute zu seyn? Ich weiß, sie waren einmal impertinent, aber jetzt, denke ich, ist es klüger und würdiger, zu verzeihen, und zu thun, als ob man nicht an das Vergangene dächte: Weltleute sollten nicht mit einander hadern.

– Sie haben Recht, antwortete Konstanze, und doch irren Sie sich; ich verzeihe und hadere nicht, aber meine Meinung, meine Verachtung bleibt dieselbe, oder ist vielmehr noch gründlicher geworden. Dies Volk verdient nicht, daß man das Vergnügen aufgebe, welches wir alle empfinden, wenn wir unsere Verachtung ausüben. Ich überlasse mich daher, aber ruhig und ohne Affektation, diesem Vergnügen. Überdies gestehe ich Ihnen, meine liebe Mistreß Trevor, daß ich der Meinung bin, daß die bloße Anmaßung auf Titel vollständig zu Boden getreten werden muß, wenn wir aufrichtig die Gesellschaft angenehm machen wollen, und wo finden wir einen bessern Gegenstand für Bestrafung, als in der Herzogin von Winstoun?

– Aber, meine theure Lady Erpingham, auch Sie hält man für anmaßend, eben so wie Ihre Freundin, Lady C.....; sind Sie auch sicher, daß der Vorwurf nicht verdient ist?

– Ich räume die Gerechtigkeit des Vorwurfs ein; aber Sie müssen bemerken, daß unsere Anmaßung nicht auf den Rang begründet ist; wir haben es uns zum Gewissen gemacht, die Armen, und von allen Zirkeln Ausgeschlossenen, zu beschützen. Sind wir je zurückstoßend gegen Erzieherinnen und Gesellschafterinnen, oder arme Schriftsteller und Musiker? Wenn ein Mann unter seinem Stande heirathet, drehen wir seiner Gattin den Rücken zu? Verschwenden wir nicht im Gegentheil alle mögliche Aufmerksamkeit an sie, und werfen wir nicht über ihre zweideutige und freudenlose Stellung den Schutz der Mode? Nein, nein, unsere Anmaßung ist Gerechtigkeit. Es ist der Wermuthskelch, der zu den Lippen zurückkehrt, die ihn gestillt haben; es ist Anmaßung gegen die Anmaßenden. Überlege Sie es und Sie werden uns Recht geben.

– Ich muß wohl; Sie sind das weibliche Ritterthum.

Lebte jetzt ein Philosoph für die Welt, ein Helvetius, ein La Bruyere, ein Voltaire, so würde ich ihm nicht eher Ruhe lassen, als bis er ein Buch über die Philosophie der Mode schriebe. Die albernen Romane, die man darüber herausgegeben, haben uns Verdruß, Langeweile gemacht, und uns nichts gelehrt. Der Modeton ist ein leichtes Wort, aber eine große Sache. Es ist die öffentliche Meinung der Herren des gesellschaftlichen Systems. Ist es Mode, das Große nachzuahmen, wie es einst in Rom war, so liegt etwas Hohes, Kräftiges in dem Mark des Staates. Ist es Mode, oberflächlich, gemein, kalt zu seyn, so ist es eine Schmach für die Nation, welche die Meinung solchen Herrschern Preis gibt – ihr Herz ist moralisch erkrankt. Die Mode, welche Konstanze aufbrachte, war edler, paßte aber nicht für die Mehrheit, und wurde von ihren Nachfolgern daher zu tausend Gemeinheiten herabgezogen. Umsonst machen wir Gesetze, wenn ihnen der allgemeine Geist widerstrebt. Konstanze konnte die Großen demüthigen, die Macht der Titel untergraben, aber das war auch Alles. Sie konnte die Stolzen erniedrigen, aber nicht den allgemeinen Standpunkt erheben: an die Stelle der Sklaverei setzte sie nur eine andere – das Volk zog an den Ketten der Mode, wie früher an den Ketten des Titelstolzes.

Trotzdem war Konstanze, so getäuscht sie sich auch zuweilen sah, im Ganzen doch zufrieden. Sie sah, daß sie eine Saat gesäet hatte, welche aufgehen, und durch ihren Schatten manche falsche Meinung erfüllen mußte. Durch die Pflege eines Baumes hatte sie vielem Unkraut die Nahrung benommen, und die Zeit mußte kommen, wo auch der Baum niedergehauen, eine freie Luft wehen und an seine Stelle bessere Frucht gepflanzt werden würde. Sie blickte dieser Stunde mit Geduld entgegen.

Sie hörte in Gesellschaft viel von Godolphin reden, und alle sprachen mit Theilnahme von ihm, selbst die, welche seine eigentliche, innere Natur nicht begreifen konnten. Durch Meere und Länder von ihm getrennt, schien es ihr nicht gefährlich, sich dem süßen Vergnügen hinzugeben, seine Handlungen erwähnt, und seinen Geist und sein Herz besprechen zu hören. Sie erlaubte sich nicht, ihn zu lieben, denn sie war zu rein, um nicht vor einem solchen Gedanken zurückzuschrecken, oder ihr Sinn war doch nicht so geregelt, so fest nach heiligen Prinzipien gebildet, daß sie sich die Wonne der Erinnerung versagen konnte. Von seiner jetzigen Lebensweise hörte sie weniger. Gelegentliche Nachrichten meldeten seine Wanderschaft von Stadt zu Stadt, von Küste zu Küste, aus den stolzen Kreisen des Wiener Adels zu den düstern Tempeln von Memphis, aber er schien sich nirgends aufzuhalten. Der Gedanke an dies umherschweifende, rastlose Leben – welches sie im Stillen von ihrer Macht überzeugte – gab seinem Bilde einen zärtlicheren, vorwurfsvolleren Ausdruck. Ach, gibt es, wenn wir in die Herzen blicken könnten, wohl Einen beneidenswerthen Menschen?

Die Schauspielerin hatte zufällig von Saville Godolphin's Neigung zur schönen Gräfin vernommen. Sie sehnte sich danach, diese einmal zu sehen, und als sie eines Abends im Theater erfuhr, daß Lady Erpingham in der Loge des Lord Kammerherrn sey, so behielt sie kaum die nöthige Ruhe, um mit ihrer gewohnten Vollendung weiter spielen zu können.

Sie war höchst betroffen von dem hohen Adel, der auf Lady Erpingham's Gesicht und Gestalt ruhte, und Godolphin stieg in ihrer Achtung, als sie sah, daß er seine Verehrung einer so schönen Göttin gewidmet hatte. Es ist ein sonderbarer Zug der Frauen, daß sie auffallend begierig sind, eine Person zu sehen, welche der Mann geliebt hat, an dem sie selbst Interesse genommen haben, und daß eben dieser Mann in ihrer Achtung steigt oder fällt, je nachdem sie den Gegenstand seiner Liebe bewundern oder sich in ihm getäuscht sehen. Nichts hat mit größerem Erfolg das romantische Interesse geschwächt, welches die weibliche Welt an Lord Byron genommen hatte, als der Anblick der Personen, deren Liebe er sich rühmte. Byron hätte in ihren Augen für tausend Sünden eher Entschuldigung gefunden, als für den Fehler des schlechten Geschmacks.

– Und so, sagte Saville, als er eines Abends mit der Schauspielerin speiste, und so glauben Sie, die Welt überschätze Lady Erpingham nicht?

– Nein; so würde Medea, wäre sie unschuldig geblieben, ausgesehen haben – voller Majestät, und doch voller Sanftmuth. Es ist das Antlitz einer Königin aus einem frühern Jahrtausend. Ich könnte sie angebetet haben.

– Meine kleine Fanny, Sie sind ein sonderbares Geschöpf. Ich glaube, Sie haben einen Anflug von Poesie an sich.

– Niemand, als wer gedichtet hat, kann je meinen Karakter verstehen, antwortete Fanny naiv, aber wahr.

– Und doch, meine Schöne, haben Sie wenig Ideales an sich.

– Nein; aber das rührt daher, daß ich so früh auf mich selbst zurückgeworfen und gezwungen wurde, die Unabhängigkeit als ein Hauptgut zu betrachten. Ich sah bald, daß, wenn ich meinem Herzen hier- und dorthin folgte, wohin es mich führen mochte, ich der Spielball jedes Hauches, das Opfer jedes Zufalls seyn würde: ich wäre der Narr der Romantik geworden, hätte von einem Lächeln gelebt, und wäre zuletzt vielleicht in einem Graben gestorben. Ich machte mich daher an meine Gefühle, und putzte sie aus und verschnitt sie bis zu einer geziemenden Höhe. Und ein Glück, daß ich es that. Was wäre aus mir geworden, wenn ich damals, als ich Godolphin liebte, die ganze Welt meines Herzens auf ihn geladen hätte?

– O, er ist edelmütig, und hätte Sie nicht verlassen.

– Aber ich würde ihn ermüdet haben, und das wäre genug für mich gewesen. Aber ich liebte ihn sehr, und es war eine reine – ah, lächeln Sie nur – eine reine, uneigennützige Liebe. Ich wurde in meinem Entschlusse, niemand zu sehr zu lieben, nur bestärkt durch die Bemerkung, daß er wohl Neigung, aber keine Sympathie für mich habe. Seine Natur war verschieden von der meinen. Ich bin in allem ein Weib, und Godolphin seufzt unaufhörlich nach einer Göttin.

– Ich möchte wohl Ihren Karakter skizziren, Fanny. Er ist originell, obgleich nicht scharf bezeichnet. Ich habe ihn nie in Büchern gefunden, und doch ist er in Beziehung zu Ihrem Geschlecht, wie zur Welt, ganz wahr.

– Nur Wenige könnten mich richtig schildern. Die Gefahr dabei ist, daß sie zu viel oder zu wenig aus mir machen würden.

Arme Fanny! Du wirst diese Seiten lesen. Werden sie Dich befriedigen? Ich bin überzeugt, daß das Bild treu ist. Du gehörst zu denen, welchen die Welt nie viel Gutes zutraut, aber in Dir liegt doch gar manches Gute. Wenn die Spröden sagen, ich hätte Dich nicht malen sollen, so sage ich ihnen, sie haben Unrecht: denn eben weil die Schriftsteller zu feige gewesen sind, die Wahrheit auszusprechen, wenn gleich sie wußten, daß in ihren Herzen nichts Unreines ist, wenn gleich sie wußten, daß sie nicht verlocken, nur bekehren wollten – weil die Schriftsteller so feige gewesen sind, ihren hohen Beruf so verdreht haben: sind die armen Frauen der ächten Warnung der Moral beraubt worden, schlagen so viele warme Herzen in einer unglücklichen Brust, sind so viele gute Anlagen auf üble Wege gerathen. Shakespeare, Fielding, Göthe, Le Sage! ihr belehrt, weil ihr den Muth habt, die Wahrheit zu lehren!

Ehe ich diesen Band schließe, noch eine Bemerkung.

Es gibt eine Heerde thörichter Leser, die ihre Stimme gegen ein Buch erheben und rufen: »Ich hasse den Helden« oder »Ich kann die Heldin nicht ausstehen.« War es denn die Absicht des Künstlers (ein Autor ist ein Künstler), daß Sie die Helden lieben sollten? Oder war es seine Absicht, daß sein Held natürlich seyn sollte? Haben der Held und die Heldin Fleisch und Blut? Schwanken sie zuweilen? Kämpfen sie mit entgegenstrebenden Leidenschaften? Sind sie bald gut, bald schlecht? Blenden sie jetzt, und empören sie später? Thun sie dies, so sind sie recht, wirklich; aber eben wegen dieser Inkonsequenzen fesseln sie nicht immer die oberflächlichen Bewunderer. Entschiedene, in Einem Gedanken lebende Helden regen das gewöhnliche Interesse freilich mit größerer Kraft an, denn die Millionen seiner Schattirungen, Verwicklungen und Spielarten, welche die menschlichen Karaktere bilden, die allein eine Analyse verdienen, sind nicht für den Leser, der sich unaufhaltsam vom Anfang bis zum Ende durchliest, und nur nach einer rohen Aufregung mittelst alltäglicher Materialien verlangt. Aber für ihn schreibe ich nicht. Ich kann mein Vorhaben verfehlen – ich werde es sogar wahrscheinlich – aber unter zehn tausend wird nicht Einer wissen, ob ich gefehlt, oder nicht, denn niemand wird sich die Mühe geben und untersuchen, was mein Vorhaben ist.

Und nun, schöne Konstanze, für jetzt lebe wohl! Ich verlasse Dich, umgeben von Prunk, Pracht und Verehrung. Genieße, wenn Du kannst, das, wofür Du die Liebe geopfert hast!


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