Charitas Bischoff
Bilder aus meinem Leben
Charitas Bischoff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Ausblick

»Und Sommer wird kommen, und Winter wird gehn!« Aber war der Winter erst da, dann war er hier »kernfest und auf die Dauer«. Kurze, stürmische Tage und lange, lange Abende brachte er.

Die Kinder wurden, da sie noch klein waren, früh zu Bett gebracht. Das Mädchen packte auch bald das Strickzeug zusammen, und dann waren wir allein.

Mein Mann rauchte die lange Pfeife, er hatte Bücher vor sich und studierte. Nur spärlich fiel ab und zu eine Bemerkung zwischen ihm und mir. Ich war mit einer Handarbeit beschäftigt, die mich gähnen machte. Ich dachte dabei über allerlei nach. Mir fiel ein, daß ich einmal ein Märchen gelesen hatte: Rübezahls Frau zog täglich Rüben aus dem Garten, die verwandelte sie in Menschen, mit denen sie in der Einsamkeit verkehrte. Ihr Wille war allmächtig, sie konnte aus den Rüben hervorzaubern, wen sie gerade haben wollte. Das wäre noch etwas! Ich wußte Menschen genug, die ich mir für die vielen langen Winterabende hergewünscht hätte.

Ich holte Papier, Feder und Tinte. Mein Blick blieb nachdenklich an der Feder haften.

›Wollen wir mal Menschen schaffen?‹ fragte ich in Gedanken. Wenn es gelang! Wen wollte ich mal haben? Ich war weder an Zeit noch Ort, weder an Lebende noch an Tote gebunden. Sollte die muntere Rosa Lagoni mal wieder einen Gang mit mir durch meine Heimat machen?

Da war sie mit ihrem lockenumrahmten Gesicht, ich hörte ihre Stimme, ihr munteres Lachen. Es steckte an, ganz leise lachte ich mit. Wir unterhielten uns beim Wandern wundervoll. »Redest du noch immer mit dir selber, und denkst dir eine Freundin aus, die dir antwortet?« fragt sie. »Ja,« sag' ich, »immer wenn ich allein bin und Sehnsucht habe.«

Beim gegenseitigen Plaudern vergingen die Abendstunden wie im Fluge. Nun war's Zeit zu Bett zu gehen, ich verabschiedete Rosa, schloß mein Heft und wollte die Tinte weg tragen. Mein Mann sah auf, da setzte ich mich wieder. Er sah nach der Uhr und sagte: »Schon elf!? Es ist ja Bettgehzeit. Was hast du denn den ganzen Abend getan?« mit einem flüchtigen Blick aufs Tintenfaß: »So, du hast geschrieben. An wen denn?«

Ich preßte das Heft gegen die Brust und sagte ausweichend, möglichst gleichgültig: »An niemanden.«

Ich stand auf und kramte Tinte und Heft auf den Nebentisch. Dann nahm ich das Licht, zündete es an und blieb stehen: »Wir wollten wohl zu Bett!« sagte ich.

Mein Mann zeigte eine ungewöhnliche Hartnäckigkeit im Fragen.

»Briefe hast du nicht geschrieben, was aber hast du denn geschrieben?«

»Ach, – nur so, – ein bißchen für mich, – zum Zeitvertreib.«

»Zum Zeitvertreib? Lies mir das doch mal vor!«

Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Ach laß doch! – Komm, – das Licht brennt schon so lange.«

Mein Mann stand auf und pustete es aus.

»So, jetzt lies! Ich werde doch wohl hören können, was du geschrieben hast!«

Zögernd gehorchte ich. Stockend fange ich an, mein Mann sitzt mir gegenüber, sein Gesicht ist undurchdringlich. Bald vergesse ich ihn und mich. Ich lebe ganz in der Vergangenheit, mein Gesicht glüht, mein Körper zittert, ich lese ganz dramatisch, und endlich bin ich fertig. – Ich wage meinen Mann nicht anzusehen. Wir schweigen eine Weile, da sehe ich, wie er den Arm ausstreckt, ich lege unwillkürlich die Hand aufs Heft. Das ist meine Rosa! Die hab' ich mir aus meiner Kindheit hervorgesucht, die gehört mir!

Da sagt mein Mann, – er hat noch immer die Hand nach mir ausgestreckt: »Das mußt du tun!«

Ich springe auf. Habe ich recht gehört?

»Ja, das mußt du tun!«

Ich hänge schluchzend an seinem Halse.

So glücklich hat er mich noch nie gemacht. – Ich weine und jubele, ich küsse und streichele ihn. Er zieht mich aufs Sofa, sieht mich an und sagt mit leisem Staunen: »Aber, – was ist denn mit dir? Was hast du denn, daß dich das so aufregt?«

»O, ich bin ja so glücklich!« sage ich und lege meinen Kopf an seine Schulter.

»Nur weil ich sage: Das mußt du tun?«

»Ja,« sage ich leise, »ich war ja so bange, du könntest es mir verleiden.«

»Ist es möglich!« – sagt er nach einer Pause, und ein trauriges Verwundern liegt im Ton seiner Stimme, »daß du aus meiner Abwehr nicht meine Liebe herausgefühlt hast? Ich fand, Spinnrad, Butterfaß, ja sogar die Musik, waren Irrwege, da liegt nicht deine Begabung. Warum wolltest du die Bauerfrau in ihrem äußeren Tun kopieren? Du legtest Zeit und Kraft in Dinge, die dich nicht weiter brachten. Gewiß kannst du von einer nordschleswigschen Bauerfrau allerlei lernen, aber das betrifft mehr ihre Charaktereigenschaften.«

»Ach,« seufzte ich, »du ließest mich wohl merken, daß dir alles nicht gefiel, was ich anfing, aber du ließest mich immer im Dunkeln tappen. Warum halfst du mir nicht auf den rechten Weg?«

»Ich hätte ihn dir nicht zeigen können, den mußtest du selbst finden! Was denkst du denn? Ich bin doch selbst nur ein Suchender, kein Fertiger.«

»Du machst dir keine Vorstellung davon, wie sehr mich die Einsamkeit der langen Winterabende niederdrückt, und wie es in mir aussieht. Es ist eine Qual und Unruhe in mir, wenn die langen Abende kommen. Ach, daß man so ganz ohne Menschen auskommen soll! Der Mensch entwickelt sich doch am Menschen. Du kannst dir von meinen Gefühlen keine Vorstellung machen, du hast täglich den Verkehr in und mit der Gemeinde. Zwischen dir und den Leuten besteht ein Verhältnis. Alle Erfahrungen, die du durch die Seelsorge am einzelnen machst, die verallgemeinerst du, du benutzest sie für die sonntägliche Predigt als Erziehungsmittel für die Gemeinde. Was für Arbeit und was für Ziele hast du bei deinem Streben! Woran man arbeitet, das gewinnt man lieb, und jede Arbeit, in die man seine Seele legt, die entwickelt und trägt empor. Nun, siehst du, ich möchte auch in irgend etwas mein Interesse, meine Seele legen. Daß du mir das nahmst, wofür ich mich ins Geschirr legte, das lähmte mich, noch mehr, es machte mich bitter. Und ich kam in ein solches Labyrinth von anklagenden und entschuldigenden Gedanken, daß ich mich gar nicht wieder herausfinden konnte. Mir schien, wir verloren einander. Ich hatte gar keine Freudigkeit mehr zum Leben. Aber nun! Wenn du mir das Schreiben läßt, wenn du sogar Teilnahme dafür hast, dann, – du sollst mal sehen, – werde ich ein ganz anderer Mensch. Ich will nur am Abend schreiben, wenn die Kinder zu Bett sind. Und ich darf es dir vorlesen? Und du willst mir helfen?«

»Das kann ich wohl nicht, solche Arbeit kann wohl nur einer tun. Aber daran freuen will ich mich!«

»Du kannst mir doch helfen durch dein Urteil, du kannst mir allerlei technische Ratschläge geben, damit ich womöglich soweit komme, daß eine Zeitung solche kleine Sache annimmt.«

»Ach, denk doch daran nicht! Schreib für mich, später nehmen die Kinder daran teil, das ist das einfachste, natürlichste und dankbarste Publikum. Denk mal, nun bist du gerade innerlich zur Ruhe gekommen. Wenn nun aber ein Redakteur kommt, und sagt: ›Das taugt nichts, niemand will solches Zeug lesen,‹ dann ist dir ja auch das Letzte genommen, woran du dein Herz hängen wolltest.«

»Wenn nun aber der Redakteur sagt: ›Sie haben noch sehr viel zu lernen, aber ein kleines Pfund ist da, wuchern Sie damit!‹ Könnte denn nicht dieser Fall auch eintreten?«

»Deine Seele macht Fahrten auf der Luftschaukel! Eben noch warst du ganz unten, und wupps! nimmst du den Flug in die Wolken! Darüber sprechen wir noch. Nun ist's aber wirklich Zeit zu Bett zu gehen. Komm, zünd' das Licht wieder an!«

»O, ich bin so froh! Du hast mich heute abend so glücklich gemacht!«

»Du mich auch!« Er streicht sanft über mein Haar und gibt mir einen Kuß.

Ich freue mich am nächsten Tag auf den Abend. Bei meiner Arbeit überlege ich, ob ich wohl wagen kann, die kleine Sache an den Redakteur der Kieler Zeitung zu schicken. Er kennt mich von Forsteck her. Darf ich es wagen? So frage ich mich wieder und wieder. Am Abend lesen wir die Skizze noch einmal zusammen durch, dann adressiere ich herzklopfend:

»Herrn Alexander Niepa.
Chef-Redakteur der Kieler Zeitung.
Kiel.«

In dem beifolgenden Brief bitte ich um ein Urteil.

Von nun an sehe ich mit Spannung dem Kommen des Postboten entgegen.

Dann: ein Brief aus Kiel! Ein einfacher Brief, kein Manuskript! Den Brief wollen wir zusammen lesen. Eilig komme ich in der Studierstube an.

»Ein Brief aus Kiel!« rufe ich aufgeregt.

»Nur ein Brief?«

»Ja, ohne Manuskript!« Und wir lesen: »Ihre Skizze bringe ich in den nächsten Tagen. Wollen Sie uns nicht gelegentlich Skizzen aus dem nordschleswigschen Bauernleben vorführen? Ich würde sie gern nehmen.«

Und dann brachte mir der Postbote mein erstes Honorar: Dreißig Mark!

Ich sah nicht mehr sehnsüchtig nach Menschen aus, ich schuf mir selbst, wen ich haben wollte. Die Einsamkeit segnete ich. Mir war so leicht und froh zumute, als wären mir Schwingen gewachsen.


 << zurück weiter >>