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Mein Verlobter wünschte endlich ein eigenes Heim zu gründen. Da aber der kranke Pastor das Pastorat noch bewohnte, so mietete er in Handewitt ein kleines Haus; dahinein zogen wir nach der Hochzeit, die in aller Stille auf Forsteck gefeiert war. Als wir bei unserer Ankunft durchs Dorf fuhren, sahen wir, daß die Leute illuminiert hatten. Vor der Tür unseres bescheidenen Heims hatte man eine Ehrenpforte errichtet, die mit bunten Herbstblumen umwunden war. Der Lehrer hielt eine Rede, in der er die Hoffnung aussprach, wir möchten recht lange bei ihnen bleiben. Nach der Rede wurden wir zu einem Festessen eingeladen, welches die Gemeinde uns im Dorfkrug bestellt hatte.
Das war alles so freundlich. Daß eine Gemeinde ihren Pastor in dieser Weise aufnahm, hatte ich gehofft. Wir waren beide sehr gerührt und dankbar. Soweit es meine Person betraf, so hoffte ich mit der Gemeinde, wir möchten recht lange beieinander bleiben.
Die Bauern sprachen hier Plattdeutsch. Es gehörten aber auch zwei Dörfer zur Gemeinde, in denen Dänisch gesprochen wurde, das hatte aber für mich keine Bedeutung.
Die Bauern erwiesen sich auch weiterhin von sehr freundlicher Gesinnung, und wo sie uns einen Gefallen tun konnten, da waren sie bei der Hand. Sie fuhren mit ihren beladenen Torfwagen an unserem Häuschen vorüber, und fast täglich hielt der eine oder andere und fragte treuherzig: »Na, Fru Pastern, schall ik Se ok wat ut Flensborg mitbring'n?« Die schlechte Verbindung mit der Stadt wurde mir auf die Weise wenig fühlbar, und ich wurde je länger desto sicherer, dies als mein dauerndes Heim zu betrachten.
Aber nach sieben Monaten wurde ich aus diesem Traum geweckt. Mein Mann kam eines Tages sehr aufgeregt aus Flensburg zurück. Er erzählte: »Ich habe auf dem Bahnhof den Generalsuperintendenten getroffen. Ich soll mich um eine feste Stelle bewerben, hier soll die Pfarre anderweitig besetzt werden.«
»Hast du ihm denn nicht gesagt, daß uns die Leute hier gern behalten wollen?«
»Wie oft habe ich dir gesagt, daß das nicht geht! Du bist so sicher geworden, aber ganz ohne Grund. Die Stelle ist viel zu groß für einen so jungen Pastor.«
»Kannst du dir denn aussuchen, wohin du möchtest?«
»Nein, was denkst du? Ich bin doch für Nordschleswig ausgebildet, dahin muß ich nun, auf wenigstens fünf Jahre.«
Ich seufzte, und mein Mann fuhr fort: »Es war so: Als ich den Generalsuperintendenten begrüßte, sagte er: ›Na, nächstens schicken Sie Ihre Bewerbung ein. Kennen Sie Roagger?
»›Ja, da ist die Kirche mit den zwei Türmen.‹
»›Sie meinen Broakker! Ich meine aber Roagger. Sie wissen, wie es scheint, nicht wo es liegt.‹
»›Nein, Magnifizenz.‹
»›Na, dann reisen Sie nach Ihrer Bewerbung nur mal hinauf. Es liegt so dicht an der Grenze, daß Sie den Grenzpfahl in der Gemeinde haben. Dicht bei der dänischen Stadt Riepen.‹« Mein Mann tat beides. Er bewarb sich und reiste in unsere künftige Gemeinde. Mit Spannung sah ich seinem Kommen entgegen, aber ich fand ihn nicht sehr gesprächig, ich mußte ihm alles abfragen.
»Wie ist es denn da?«
»Kahl!« sagte er.
»Und das Pastorat?«
»Das ist alt und baufällig. In den letzten drei Jahren hat kein Pastor da gewohnt, das Amt ist von dem Nachbarpastor mit verwaltet worden. Einige Stuben und die sehr geräumige Küche werden von jungen Pächtersleuten bewohnt, dadurch wird unser Platz sehr beschränkt. Die Räume, die uns bleiben, sind in einem sehr verkommenen Zustand, die Tapeten hängen in großen Fetzen von den Wänden, nirgends ist ein Ofen oder Herd, das müssen wir alles selbst anschaffen.«
Als ich meine Verwunderung darüber äußerte, sagte mein Mann: »Nach dem Törninglehnschen Gesetz hat der jeweilige Pastor die Pastoratsgebäude einzulösen. Es findet also bei jedem Amtswechsel ein gezwungener Handel statt.«
»Aber wenn es so aussieht, können wir doch gar nicht einziehen? Hast du denn die Pächterfrau nicht gebeten, vorher rein zu machen, oder auf unsere Kosten jemand anzunehmen, damit wir doch die Sachen an ihren Ort stellen können?«
»Ich habe sie danach gefragt, sie sagte, mit unsern Räumlichkeiten habe sie nichts zu tun.«
Kurz danach packten wir unsere Sachen, ließen den Möbelwagen abfahren und blieben noch einen Tag im Pastorat bei dem erkrankten Pastor. An dem Tage machten wir noch einige Abschiedsbesuche. Dann reisten wir. – An der nordschleswigschen Weiche trafen wir mit unserer Freundin, Fräulein Roquette, zusammen, die uns Frau Doktor Meyer freundlicherweise auf einige Tage zur Hilfe überließ. Bis Tondern ging's flott mit der Eisenbahn. Von hier aus benutzten wir die Post bis Scherrebeck, das dauerte vier Stunden. Hier zweigte sich unser Weg nach östlicher Richtung ab, während die Post auf der schnurgeraden Chaussee ihren Weg weiter bis Riepen verfolgte. Wir mieteten einen offenen Wagen, wo wir uns mit unserm kleinen Dienstmädchen unterbrachten.
In etwa zwei Stunden, so sagte man uns, könnten wir in Roagger sein.
Dicht in unsere Pelze gehüllt – wir waren im Wonnemonat Mai – fuhren wir auf sandigem Wege langsam unserm Ziele entgegen. In weichen, wellenförmigen Linien dehnt sich die unermeßliche Ebene vor uns aus und gewährt dem prüfenden Blick die denkbar freieste Umschau nach allen Richtungen. Wahrlich, ein eigenartiges Stück Land ist es, was wir da vor uns sehen. Der Landweg vor uns hebt sich wie ein helles Band von dem weichen, dunkel gefärbten Teppich ab. Hie und da hat man Löcher in die dunkle Decke gerissen, da tritt grell der gelbe Sand zutage. Über dem Ganzen liegt ein schwermütiger Ernst. Unser suchender Blick fällt auf schwarze Moorerde, da wo man Torf gegraben hat, haben sich in der flachen Vertiefung Wassertümpel gebildet, in denen sich aber nicht der Himmel spiegelt, da ihre Wasserfläche mit einem lila stumpf metallglänzenden Hauch überzogen ist. Wie erblindete Augen liegen diese Wasserlachen da, eingerahmt von mageren, starren Binsenhalmen, die sich verdrossen aber standhaft gegen den Wind behaupten. Über dem Ganzen liegt eine schwere Wolkendecke. »Und die Erde war wüste und leer!« seufzte es in mir. Da wendet sich mein Mann zu mir und deutet schweigend, als hätte er meinen Gedanken erraten, zurück nach Westen. Ah, welch ein Anblick! – Staunend sieht das Auge, wie sich zwischen die schwarze Wolkenwand und die düstere Erdoberfläche ein strahlender, goldener Streifen schiebt. Diese Fülle purpurnen Sonnenglanzes senkt sich ins Meer, so daß der Saum des düsteren Erdkreises im Westen hell verklärt und vergoldet wird.
Meines Mannes Blick ruht mit stummer Frage auf mir, ich nickte ihm zu, vertrauensvoll will ich in die Zukunft schauen, denn auch von diesem fremdartigen Lande gilt das Wort: »Der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.«