Charitas Bischoff
Bilder aus meinem Leben
Charitas Bischoff

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Bei Madame Hänel

Madame Hänel

Es kam nun eine lange, schöne Zeit für mich, ich hatte die Mutter, und die war liebevoll und zärtlich zu mir. Ostern brachte sie mich zur Schule, das war ein wichtiger Abschnitt in meinem Kindesleben. Nun trat ich auch zu den Kindern des Städtchens in Beziehung. Als mir die Mutter außer der Schiefertafel die gelb und rot gebundene Fibel gab, sagte sie: »Schon' das schöne Buch. Wenn du es gut hältst, kann nächste Ostern noch ein andres Kind das Lesen daraus lernen!«

Ich ging gern zur Schule. Das Lesenlernen machte mir großen Spaß. Ich fand es lustig, wenn wir uns alle an die Lesemaschine stellen mußten. Es war mir wie Rätselraten, wenn der Lehrer geheimnisvoll die Hand über einen Teil der Buchstaben hielt und wir dann freudig im Chor die allmählich sichtbaren Buchstaben dem Lehrer entgegenschmetterten. Mit Übereifer saß ich zu Hause über der bunten Fibel, und es dauerte gar nicht lange, da konnte ich den Inhalt meistern. Damit erschloß sich eine neue Welt für mich, denn nun war ich gierig darauf aus, wo ich Gedrucktes fand. Neben dem Lesen war Singen und biblische Geschichte meine große Freude. Wenn der Lehrer mit der Geige kam, da hätte ich jubeln mögen. Wo ich ging und stand, sang und klang es in mir, und wie oft sang ich der Mutter vor:

»Froh wie die Libell' am Teich,
Froh sein macht leicht und reich,
Braucht nicht zu sorgen,
Braucht nicht zu borgen,
Lebet von Licht und Luft,
Lebet von Blumenduft,
Froh sein, froh sein macht reich.«

Wenn der Lehrer biblische Geschichten erzählte, so war das jedesmal ein Erlebnis für mich. Eine ganz besondere Liebe empfand ich für Joseph, und die ist mir durch meine ganze Kindheit und Jugend treu geblieben. Joseph trug Bennos Züge und Bennos Burnus, auch seine bunt gestickten Babuschen. Ich begleitete ihn zu den Brüdern. O, ich fühlte den Sonnenbrand in der Wüste, hatte ich den doch in der walachischen Tiefebene mit eignen Augen gesehen. Ich schluchzte, als die bösen Brüder ihn verkauften, denn er mußte nun fort aus seinem Heim, zu ganz fremden Leuten, und wie das tat, das wußte ich doch, das hatte ich doch bei Götzes durchgemacht. Ich bangte mich mit ihm nach dem Vater. Wenn ich so heftig weinte, sah mich der Lehrer erstaunt an und sagte: »Nimm dir's doch nicht so zu Herzen! Das ist lange her, daß das passiert ist.« Das mochte ich aber nicht hören. Wie leicht und froh wurde mir zumute, als ich Benno-Joseph endlich mit der goldnen Kette durch die Stadt fahren sah. Die Stadt war Bukarest. Ja, das waren herrliche Stunden, und zu Hause erzählte ich alles wieder. – Aber die Schule hatte auch ihr Schweres, und das waren die Rechenstunden. Zahlen mochte ich nicht, es war mir ganz einerlei, was herauskam. In den Stunden verlor ich, was ich mir in den anderen erworben hatte: den guten Platz und die gute Meinung des Lehrers.

So schwand der Sommer in Frieden für mich dahin. Der Herbst kam, und die Töpfe, Schüsseln und Krüge, die den Sommer über mit allerlei Pflanzen und Blumen aus Wald und Wiesen gefüllt waren, standen nun leer und konnten endlich wieder ihrer eigentlichen Bestimmung überlassen werden, aber dazu kam es nicht.

Die Beschäftigung der Eltern wechselte, sie gingen nicht mehr botanisieren, sie legten keine frischen Pflanzen mehr zwischen graues Löschpapier, sondern sie suchten aus den getrockneten Pflanzen aus, sie pappten Mappen, und sie suchten aus den großen Insektenkästen Käfer und Schmetterlinge, ausgestopfte Raupen, Steine, Eidechsen, Blindschleichen und was wir sonst noch hatten. Sie berieten dabei viel, und ich durfte nicht mehr erzählen, denn mein Geplauder störte die Eltern.

Eines Tages nahm mich die Mutter allein vor und sagte stockend, fast als müßte sie mich um Verzeihung bitten: »Täschen, hör' mal zu, wir reisen wieder weit fort, und du mußt wieder zu fremden Leuten.«

Sie hatte das leise, fast zaghaft gesagt, und sie war wohl ganz vorbereitet, als sie nun sah, wie ich mich einem heftigen Schmerz überließ.

»Ich will aber nicht wieder zu Götzes,« rief ich erregt, »und du hast mir doch ganz gewiß versprochen, du würdest mich nicht wieder dahin bringen!«

»Das halte ich auch,« sagte die Mutter gedrückt, »dahin bringe ich dich nicht wieder.«

»Wohin soll ich denn?« fragte ich weinend.

»Du kommst zu Madame Hänel am Markt. Die kennst du ja ganz gut.«

»Ach,« sagte ich, »gut?«

»Na, du gehst doch so oft zu ihr.«

»Ja, aber – kennen tu' ich sie doch nicht recht. Ich würde mich doch nicht getrauen, ihr alles zu erzählen.«

Erneuter Schmerzensausbruch.

»Mutter, ich bin dann wieder so allein, ich kann mit gar niemand sprechen.«

Die Mutter sah mich bekümmert an und sagte: »O doch, du kannst sprechen. Immer wenn du allein bist, kannst du dir vorstellen, daß ich bei dir bin, und siehst du, in Gedanken bin ich auch immer bei dir. Erzähl' mir nur immer alles, mein Herz hört es. Kannst du dir das nicht denken?«

Ich schüttelte traurig den Kopf.

Die Mutter überlegte, dann sagte sie: »Du bist doch mit Joseph aufs Feld zu den Brüdern gegangen, du hast mit ihm gesprochen, nicht wahr? Der war doch auch nicht mit seinem Körper bei dir. Glaub' mir doch, ich bin doch viel mehr bei dir als Joseph! Siehst du das ein?«

Ich nickte langsam.

»Der Lehrer und auch ich haben dir doch vom lieben Gott erzählt, und du weißt doch, daß du jederzeit auch mit ihm sprechen kannst, daß sein Auge dich immer sieht, und daß sein Ohr dich immer hört! Das weißt du doch. – Nun, siehst du, was du nun erzählen willst, das erzähle nur ruhig, der liebe Gott und ich sehen und hören alles, was du tust und sagst.«

»Darf ich es Euch denn laut erzählen?«

»Wenn du allein bist, darfst du's uns laut erzählen. Nun sei bei Madame Hänel nur immer recht gehorsam und freundlich, tu alles, was sie dir sagt, und hör' mal, Madame Hänel hat so viel Schönes. Laß es dir nur nie einfallen, dir etwas davon zu nehmen. Denke, daß Gottes Auge dich immer und überall sieht. Versprich mir, daß du ein folgsames, braves Kind sein willst, damit ich nur Gutes von dir höre, wenn wir wiederkommen.«

Ich versprach schluchzend alles, was die Mutter verlangte.

Einige Tage nach diesem Gespräch packte meine Mutter meine Sachen in ein Bündel und verließ mit mir den Forsthof. Ich hatte ein billiges Wägelchen, aus Holz geschnitzt, was mir die Mutter einst beim Schachtelmann zum Jahrmarkt gekauft hatte, das zog ich an einem Bindfaden hinter mir her. Ich hatte ein dumpfes Angstgefühl, ach, ich hätte noch so viel fragen mögen, aber die Mutter wich meinen Fragen aus. Ganz besonders wollte ich wissen, wann die Eltern wieder kämen, aber eine bestimmte Antwort hätte auch nichts genützt, denn ich hatte noch keine Vorstellung von Zeitdauer. Ich sah, daß das Laub von den Bäumen fiel, und fragte: »Kommt bald der Winter? Kommt dann Weihnachten, und seid Ihr Weihnachten wieder hier?«

Die Mutter zuckte die Achseln, sah mich traurig an und sagte: »Ich weiß es nicht.«

Nun betraten wir den Laden von Madame Hänel.

Hinter dem Ladentisch stand sie selbst, eine kleine, korpulente Frau mit einem runden, rotbackigen Gesicht, das von glänzend schwarzen Scheiteln eingerahmt war. Die dunklen Augen schauten prüfend auf mich und mein Wägelchen. Trotzdem ich oft in ihrem Laden gewesen war, sah ich sie heute mit ganz anderen Augen an. Sie hatte eine dunkelgrüne Sammetjacke an, deren Schöße ihr lang über die Hüften herabhingen. Ich hatte grenzenlosen Respekt vor ihr, sie war so unnahbar und in meiner Vorstellung unermeßlich reich. Waren in ihrem Laden nicht alle Schätze der Welt zu finden? Bei ihr konnte man doch alles haben: Heringe, tonnenweise! Sirup, tonnenweise! Guten und ordinären. Säcke voll Rosinen und Zucker, und Bonbons in allen Farben und Formen. O, wie ihr zumute sein mußte! Welch glückliches Dasein mußte sie führen! Aber reiche Leute waren stolz. Sie sah stolz und streng aus, und ich hatte Angst vor ihr. Sie war ja ganz anders als die Götzen, deren Gestalt und Wesen war in meiner Vorstellung ganz blaß und farblos, Madame Hänel dagegen machte starken Eindruck auf mich. –

Meine Mutter wartete geduldig, bis Madame Hänel ihre Kunden bedient hatte. Sobald die fort waren, schlug Madame Hänel die Tischklappe zurück und hieß uns näher treten. »Tritt dir die Füße gut ab, bring mir keinen Schmutz ins Haus!« Nun wandte sie sich an die Mutter und sagte: »Bringen Sie nur gleich das bißchen Kram hinauf in Christels Kammer, sie kann mitgehen und Ihnen zeigen, wo sie schläft. Ich hab' das Kinderbett vom Huldinchen rein setzen lassen.« Sie rief Christel, ihre Magd, und wir folgten ihr hinauf. Die Mutter sah sich seufzend um, warf einen Blick aus dem Fenster auf den Hof mit den Hintergebäuden, dann packte sie die paar Sachen aus, sah sich sinnend das Bett an, dann nahm sie mich in die Arme und sagte eindringlich: »Nicht wahr, Täschen, du vergißt nicht, was ich dir vom Auge Gottes gesagt habe?« Nein, ich wollte es nicht vergessen. Nun nahm sie mich mit hinunter ins Wohnzimmer, küßte und herzte mich ein letztes Mal und ging eilig davon. Am Mittelfenster war ein Tritt, darauf stellte ich mich und sah, wie die Mutter eilig den Marktplatz überschritt. Sah sie sich denn gar nicht um? Da, – jetzt bog sie um die Ecke! Konnte ich ihr denn nicht nachlaufen? Ich sah mich um, wie ich entweichen könnte, ich hätte ja durch den Laden gemußt, und da war ja Madame Hänel mit ihren Kunden, und hier, am Eckfenster, saß die alte Christel und flickte Säcke. Sie sah so gleichgültig aus; wie konnte nur jemand gleichgültig sein, wenn doch die Mutter fortging! Ihr pockennarbiges Gesicht, von strohgelben Scheiteln eingerahmt, war aufmerksam über die langweiligen Säcke gebeugt, trotz ihrer grellroten Backen konnte ich sie nicht schön finden, nur ihre Ohrbummeln bewunderte ich. Ich setzte mich auf den Tritt, bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte eine Weile still vor mich hin, dann stand ich zögernd auf und sah mich in der großen, fremden Stube um.

Wie anders war hier alles als auf dem Forsthof, auch anders als bei Götzes. Was für schöne Sachen hier standen, ein hoher Glasschrank mit goldberänderten Tassen. Bilder hingen an den Wänden, und hier stand ein sonderbares Stück, es hatte vier dünne Beine, die auf Glasfüßen standen, und auf diesen Beinen war ein großer, flacher Kasten, noch größer als unsere Arbeitstische daheim, er hatte denselben matten Glanz wie die übrigen Möbel. Ich befühlte das Ding mit der Hand, und endlich faßte ich mir ein Herz und fragte Christel: »Was ist das?«

»Ein Klavier.«

»Was ist ein Klavier?«

Christel schwieg, ich überlegte ein wenig, dann fragte ich: »Was tut man mit einem Klavier?«

»Man macht Musik.«

»Mu–sik? – Wer macht Musik?«

»Huldinchen.«

»Huldinchen? Ist Huldinchen Madame Hänels Kind?«

»Ja.«

»Ist die schon groß?«

»Ja.«

»Wo ist sie denn?«

»In Dresden.«

»Kommt sie nicht wieder?«

»Weihnachten.«

Ich hätte so gern viel mehr gefragt. Meine Phantasie schuf im Handumdrehen eine wunderbare Lichtgestalt an Schönheit und Güte. O, wenn doch nur Huldinchen bald käme, sie würde Musik machen, und sie würde mir freundlicher antworten als die brummige Christel. Ach, ich wollte Huldinchen so lieb haben, ich wollte ihr im Sommer Blumen suchen, und ich wollte ihr vorlesen und erzählen, soviel wie sie nur wollte.

Auf meiner Entdeckungsreise kam ich wieder an ein unbekanntes Möbel, ich fragte: »Ist das ein Schrank?«

»Ein Sekretär.«

Das war ein schweres Wort! Auf dem Sekretär stand eine ausgestopfte Taube, darüber freute ich mich.

»Wir haben auf dem Forsthof auch viele Tiere,« sagte ich, »auch ausgestopfte, aber auch welche in Gläsern, in Spiritus.« »Ach Ihr!« sagte Christel wegwerfend, »was Ihr wohl habt! Lauter nichtsnutzigen Kram! Unkraut und lauter eklige Tiere.«

Christel sagte das so unfreundlich, daß ich mich tief gekränkt fühlte. Ich gab mein Herumwandern auf und setzte mich traurig wieder auf den Tritt. Jetzt kam Madame Hänel herein, sie stemmte die Arme in die Seiten, sah auf mich herab und fragte dann: »Kannst du stricken?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nimm die Hände vom Gesicht und antworte ordentlich. Kannst du nähen?«

»Nein,« sagte ich leise.

»Ein so großes Mädchen! Hat dir denn deine Mutter das nicht gezeigt?«

»Nein,« sagte ich ebenso.

»Du gehst doch in die Nachmittagsschule bei Größern, was hast du denn sonst getan?«

»Raupenfutter geholt, – Pflanzen aus der Presse gelegt, Käfer auf Kartenpapier geklebt, – – und in der Dämmerung auf der Gasse gespielt.«

»Auf der Gasse gespielt! Deine Mutter hätte dir lieber das Stricken beibringen sollen. Christel, richt' ihr mal 'nen Waschlappen ein. Ist das 'ne Erziehung! Jetzt muß das Kind auch schon an den Blümchenkram! Bei mir kommst du nicht auf die Gasse. Jugend hat keine Tugend. In der Dämmerung kannst du manchmal zum Nachbar Jakob gehen, da kannst du dich nützlich machen.«

O, ich hatte großen Respekt vor Madame Hänel!

Als ich sie am nächsten Morgen begrüßte, küßte ich ihr die Hand. Sie machte ein sehr erstauntes Gesicht und besah sich kopfschüttelnd die Stelle. Ich fühlte, diese Art der Höflichkeit war nicht angebracht und unterließ es in Zukunft. Ich wollte ihr die biblischen Geschichten erzählen, aber sie lehnte ab: »Das hab' ich mir ja längst an den Schuhsohlen abgelaufen!«

Manchmal verstand ich gar nicht, was sie meinte, aber je mehr ich von meiner Umgebung mit meinem Liebebedürfnis zurückgewiesen wurde, desto lebhafter und phantasievoller gestaltete sich mein Innenleben. Mir war das Herz so voll, ich war so lebhaft, ich war es von meiner Mutter her so sehr gewohnt, viel, alles zu erzählen, was mich bewegte, aber ich hörte auch gern, und niemand konnte so gut erzählen wie Vater und Mutter. And nun wurde ich zur Erholung zum Menden-Jakob geschickt.

Jakob war seines Zeichens ein Lohgerber. Er war ein hagerer, baumlanger, etwa 50-jähriger Junggeselle, der außer seiner Lohgerberei noch eine kleine Ackerwirtschaft betrieb. In seinem Hauswesen arbeitete er wie eine Magd; er molk die Kühe, butterte, kochte und wusch, und als wir uns erst aneinander gewöhnt hatten, konnte ich ihm manche Handreichung tun, die ihm lieb war. Ich wurde, besonders nachdem er mir das »Du« angeboten hatte, ganz zutraulich zu ihm. Aus seinem luftigen Schuppen schleppte ich ihm die getrockneten Lohkuchen heran für den großen Kachelofen. Besonders lieb war es ihm, wenn ich mit ihm in den Keller ging und beim Abrahmen der Milchschüsseln leuchtete. Mit welcher Teilnahme beobachtete ich sein faltiges, bartloses Gesicht mit den kleinen, blauen Augen. Mit seinem großen, von der Gerberlohe dunkel gefärbten Zeigefinger machte er eine kühne Rundung in der Milchschüssel und schöpfte dann mit sichtlicher Befriedigung den gelblichen Rahm von der bläulichen Milch.

»Wenn du aber butterst, wartest du, bis ich komme, ich will dir helfen,« sagte ich.

»Da soll ich mich wohl gerade nach dir richten?« fuhr er mich barsch an.

»Wenn du mich nicht buttern läßt, leuchte ich dir auch nicht.«

Er gab dann klein bei und sagte: »Na, meinetwegen, da buttern wir eben zusammen.«

Er selbst und alles, was mit ihm zusammenhing, machte den Eindruck von etwas Riesenhaftem. Sein langes, dünnes Messer, an dem auch der Griff von Stahl war, kam mir immer vor, als müsse es das Messer des Menschenfressers aus dem Märchen vom kleinen Däumling sein. Die Bewegungen seiner langen, nackten braunen Arme waren wunderlich immer aufs Große gerichtet. Mit einem Hieb durchschnitt er einen Schwarzbrotlaib, mit einem Strich schmierte er das weiche Schmalz darüber. Ich bekam eine ebenso große Bemme, wie er sie sich selber nahm, und dann standen wir, fürwahr ein ungleiches Pärchen, am Ofen und schmausten.

Eines Tages kam er zu uns, ganz feierlich, in einem kaffeebraunen altfränkischen Tuchrock und drehte verlegen an seiner Sonntagsmütze. Endlich kam er ziemlich ungelenk mit einer Einladung heraus. Am nächsten Tage sei sein Geburtstag, wir sollten ihn mitfeiern, er habe Kuchen gebacken. Wir sollten nur alle drei morgen in der Dämmerung kommen. Als er fort war, lachte Madame Hänel und sagte zu Christel und mir: »Jetzt hört zu: ich sehe mich zwischen Euch und reiche Euch abwechselnd meinen Kuchen unter den Tisch! Laßt Euch nichts merken, und eßt ihn auf! Ich mag seinen schnuddeligen Kram nicht!«

»Hm, da würd' ich lieber gar nicht hingehen,« brummte Christel.

»Nicht hingehen? Ach warum nicht? ›Gute Freunde und getreue Nachbarn‹ bezeichnet schon Luther als zum täglichen Brot gehörig.«

»Jakob denkt aber an was anderes.«

»Das ist seine Sache. Du weißt, wie ich darüber denke, er hat kein Benehmen, und wenn er noch so reich wäre. Ich bleibe dabei: Gleich und gleich gesellt sich gern.«

»Freilich, so e feiner wie der Porzellanmaler is er nich – aber –!«

»So geht's, wenn man mit dir und deinesgleichen zu gut ist. Ihr könnt das nicht vertragen, nehmt Euch gleich zu viel heraus, wie darfst du dich unterstehen! –«

Madame Hänel ging in den Laden und schlug die Tür hart hinter sich zu.

»Christel,« sagte ich besorgt, »ist Madame Hänel böse? Gehen wir nun nicht zum Menden-Jakob? Was muß ich morgen tun?«

»Kuchen mußte essen,« sagte sie kurz.

In der Dämmerung lief ich zu Jakob. Ich fand ihn inmitten großer Vorbereitungen. In der Wohnung roch es nach frisch gebackenem Kuchen, und in der Stube stand Jakob mit den nackten, braunen Armen und scheuerte auf seine geniale Weise die Mitte des Fußbodens. Die Ecken und Winkel ließ er unbeachtet. Ich stand erst schweigend und sah mir die Sache an, dann sagte ich belehrend: »Du mußt doch die Ecken mitnehmen! Unterm Kanapee fliegen ja die Wolken. O, und morgen kommt doch Madame Hänel zu dir, und die sieht das gleich!«

Jakob schob sich die schmutzige Mütze aufs andere Ohr, strich sich mit der Hand das glatte Kinn und sah mich hilflos an.

Ich war bei Madame Hänel in einer guten Schule und fühlte mich in diesen Dingen Jakob sehr überlegen.

»Warte,« sagte ich gönnerhaft und lief eilig zu uns hinüber.

Neugierig guckte Jakob in das von mir geholte Holzgefäß.

»Was haste denn da?« fragte er endlich.

»Ja, sieh mal,« sagte ich belehrend, »das sind nasse Sägespäne, die drücken wir aus und werfen sie in die Ecken, ich verreibe sie mit dem Rutenbesen, dann kommt gar kein Staub, und dann feg' ich alles mit dem Haarbesen weg.«

Und nun wurden wir beide sehr heiter, als wir die ausgedrückten Bälle nach allen Richtungen schleuderten.

»Wollen wir mal David und Goliath spielen?« rief ich übermütig und zielte mit einem Ball nach Jakobs Rücken. Er lachte, daß er sich krümmte, schüttelte die Sägespäne ab und meinte, nun würde es wohl Zeit, daß wir ernsthaft an die Arbeit gingen. Da rutschte ich eilfertig unter den Möbeln und in den Ecken herum und hatte bald die Genugtuung, daß die Stube frisch und nett aussah. Ich freute mich, als Menden-Jakob zu mir trat und mir mit seiner rauhen Hand sanft über das Haar strich.

Ich sah mich prüfend um und sagte: »Wir haben drüben so schöne Bilder an den Wänden, warum hast du denn gar keine?«

»Hm!« sagte er zögernd, »eingerahmte hab' ich nicht, aber ich hab' welche, hier in der Schieblade liegen sie.«

»Ach ja,« sagte ich eifrig, »Du machst es gerade so wie ich. Zu Hause hab' ich auch ein Päckchen Bilder, manche bunt mit Gold, wunderhübsch! Hast du auch solche, dann zeig' sie mir doch mal!«

Jakob lachte, griff in die Tasche und holte einen Schlüssel, schloß auf und langte ein Päckchen Papierzettel von verschiedener Farbe heraus. Ich sah in der Ecke einen nackten Engel, der ein Band mit Zahlen hielt.

Jakob hielt mir einen von den Zetteln hin und sagte hastig: »Da, ich schenk' ihn dir, du bist ein kleines, gutes Mädel! Heb' ihn gut auf!«

Ich aber schaute sehr enttäuscht auf das Papier, schob Jakobs Hand zurück und sagte vorwurfsvoll: »Das ist doch kein Bild? Das sind Kassenscheine, mein Vater bekommt solche Zettel, wenn er Sammlungen weggeschickt hat, er hat mir gesagt, das sei kein Spielzeug. Hast du denn gar kein ordentliches Bild für mich, von dem man eine Geschichte erzählen kann?«

»Na, denn nicht!« sagte Jakob ärgerlich und legte den Zettel zu den anderen, »aber das merk' dir, ein zweites Mal biete ich dir das nicht wieder. Bist du dumm! Egal nur Geschichten erzählen! Ja, erzähl' du nur, du wirst mal sehen, wie weit du's damit bringst! Nun geh nur heim! Nimm deine Geite mit, und kommt morgen nicht so spät.«

Ich erzählte die Sache mit dem Bilde Christel, die sah mich sehr ungläubig an und sagte: »Der hat nur seinen Spaß mit dir gehabt. Der reiche Geizhals wird Kassenscheine verschenken!«

Am nächsten Tage war ich von uns dreien gewiß das dankbarste Publikum. Ich war ganz ausgelassen vor dem Glücksgefühl, daß Madame Hänel an dem Abend gar nichts an mir auszusetzen fand, und daß sie mir immer Kuchen unterm Tisch zuschob. Ich blinzelte Christel fragend zu, ob sie auch welchen bekäme. Die nickte so energisch, daß ihre großen Ohrbummeln schwerfällig baumelten.

 

Eines Tages rief mich Madame Hänel in ein Vorratsstübchen, das sonst immer unter Schloß und Riegel gehalten wurde, hier stand ein Tisch und ein Stuhl, und auf dem Tische lag ein mächtiger Haufen Rosinen.

»Hier setz' dich her, und verlies die Rosinen,« sagte sie.

Sie ging, und ich machte mich an die Arbeit. Es dauerte lange, aber endlich war ich fertig, und da die Stube hinter mir abgeschlossen war, mußte ich wohl oder Übel warten, bis es Madame Hänel gefiel, mich wieder zu befreien. Ich kletterte von meinem Stuhl herunter und besah mir das Zimmer. Welche Schätze! Daß es so etwas in der Welt gab! Ach, diese Säcke voll Kaffee! Und meine Mutter sagte an besonderen Tagen: »Heute gibt's auch ein paar Bohnen im Kaffee.« Ich sah dann, wie sie sorgfältig einige wenige von einer kleiner Portion abzählte. – Hier war gebrannter und ungebrannter, ach so viel! Und Zucker, gelber und weißer, ganze Kisten voll, und so schön gefärbte und geformte Bonbons, in Stangen, in Kügelchen, glatt und rauh, es war wie im Märchen.

Ich ging ans Fenster und sah auf den Hof, aber das langweilte mich. Da gewahrte ich beim Umherschauen oben in der Tür ein kleines Guckfensterchen, gerade groß genug für ein Auge. Ich schob meinen Stuhl an die Tür und legte mein Auge an das winzige Glasfensterchen. Aber was war das?! Fest gebannt hing mein Blick an dem Guckloch. Ich zitterte heftig. Ich hatte einen Blick in den Nebenraum werfen wollen, da war, wie ich wußte, das Essiggewölbe. Aber kein Raum war sichtbar, aber was war denn das nur?! – Mein Auge schaute in ein anderes Auge! Das wirkte so unheimlich! Ich trat ein wenig zurück, – das Auge blieb, schwarz und unbeweglich füllte es das Loch in der Tür. Gruselnd kletterte ich hinunter, immer den entsetzten Blick auf das dunkle Auge gerichtet.

Dann kehrte ich zitternd der Tür den Rücken und grübelte, bis ich zu einem erlösenden Selbstgespräch kam. Was war denn das da über mir? Ein Mensch war es ja nicht, – es war nur ein Auge! Aber wessen Auge? Ach! – jetzt hatte ich es! Hatte meine Mutter nicht oft von dem Auge Gottes gesprochen, das uns allen überallhin folgte. Ja, das war es natürlich, das nur konnte es sein! So redete ich mich selber zur Ruhe und war schließlich ganz getröstet und fühlte mich in geweihter Stimmung. – Endlich kam Madame Hänel, sie sah mich scharf an und sagte kurz: »Du denkst: ›Ehrlich währt am längsten.‹ Nun geh hinaus.«

Von da an mußte ich oft im Laden aufpassen, wenn Madame Hänel anderweitig beschäftigt war, und als Christel brummend fragte, ob das auch ginge, antwortete sie nur: »Es geht.«

 

Überall, zumal in den Schulpausen, hörte ich, daß bald Weihnachten sei, und daß dann artige Kinder ihre Wünsche erfüllt bekommen. Da wünschte ich sehnsüchtig, meine Eltern mochten kommen, damit ich mit ihnen das Fest feiern könnte. In Madame Hänels Haus wurde alles auf den Kopf gestellt, es wurde gewaschen, gescheuert und viele schöne Christstollen gebacken. Ich mußte tüchtig helfen, Mandeln hacken, Succade schneiden und die Stollen mit zum Bäcker tragen. Madame Hänel befand sich in ganz ungewohnter Aufregung, sie erwartete ihre Weihnachtsfreude. Mein Kinderherz wurde von der erhöhten Stimmung angesteckt, ich freute mich mit, ich wartete mit auf eine ungewöhnliche Freude.

Am Nachmittag standen Madame Hänel, Christel, Meisel, der Hund, und ich trotz der Winterkälte an der offnen Ladentür und horchten gespannt auf das Schmettern des Posthorns. In Madame Hänels Zügen lag eine milde Freundlichkeit, als sie ihre dunklen Augen auf die gelbe Postkutsche richtete, die schwerfällig über den verschneiten Marktplatz rummelte. »Nun lauft!« sagte sie erregt.

Ich drückte eilig mein Gesicht an die weiche Sammetjacke, ich sehnte mich – wonach? Wenn?! Wenn nun meine Eltern mit in der Postkutsche säßen? –

Mein Hoffen war vergeblich, und doch zog Freude in mein Herz, als die hübsche, schlanke Mädchengestalt lachend und uns lebhaft begrüßend, dem Innern des Postwagens entstieg. Wie freundlich gab sie Christel und mir die Hand! Während ich half, die Schachteln und Pakete nach Hause zu schleppen, eilte sie leichtfüßig in die Arme ihrer Mutter. Sie war größer als die Mutter, mußte sie sich doch herabbeugen, als sie sie umarmte und küßte. Nie vorher hatte ich Madame Hänels Stimme so weich gefunden. Mit feuchtem Glanz ruhten die dunklen Augen auf der schlanken Gestalt. Mit sanfter Hand strich sie der Tochter das krause, dunkle Haar aus dem Gesicht, und wie behutsam nahm sie das rosa seidene Hütchen und den Mantel ab.

Ja, Huldinchen brachte den Sonnenschein ins Haus. Immer war sie hinter der Mutter her, sie ging mit in den Laden, und ich lauschte auf ihr fröhliches Lachen und Geplauder, wenn sie mit den Kunden sprach.

Und eines Tages trat sie an das merkwürdige Dings heran, das Christel »Klavier« genannt hatte. Mit der größten Spannung stellte ich mich neben sie, sie drehte den Schlüssel um und öffnete den Deckel. Was ich nun sah, erstaunte mich, aber ganz außer mir vor Entzücken geriet ich, als Huldinchen sich davor setzte und mit ihren feinen, schlanken Fingern dem Ding die schönste Musik entlockte, sie sang dazu, es regte mich so auf, daß ich heftig weinte, denn die Worte griffen mir ans Herz, sie sang:

»Wenn in die Ferne vom Felsen ich seh',
Zieht's mich zur Heimat, so lieblich und weh,
Weckt der Erinnerung entflohenes Glück,
Drängt mir die Tränen zum Herzen zurück.
Ach, es entschwanden mir Heimat und Glück
Und zu dem Grab ist gewendet der Blick.«

Huldinchen selbst überstrahlte noch bei weitem das Bild, das meine Phantasie sich von ihr geschaffen hatte, mir war, seit sie im Hause war, als sei immer Festtag. Wenn sie auf dem Tritt vorm Nähtisch saß, dann saß ich zu ihren Füßen und blickte bewundernd in ihre schönen, dunklen Augen, und wenn Madame Hänel im Laden war, dann überschüttete ich sie mit meinem Geplauder, und wie zärtlich küßte ich ihre Hände, die dem blanken Kasten so herrliche Töne entlocken konnten. Sie ließ mich gewähren, ihr Blick ruhte oft teilnehmend und warm auf mir.

Dann kam der Weihnachtsabend. Ich wurde ins Essiggewölbe geschickt, und als ich endlich gerufen wurde, stand ich überrascht still. Auf dem Tische brannten zwei Wachskerzen, und viele schöne Dinge standen und lagen umher. Vor dem Klavier aber saß Huldinchen und spielte und sang: »Stille Nacht, heilige Nacht.« Sie erschien mir wie ein Engel, und ich stand mit gefalteten Händen ganz versunken in ihren Anblick. Dann zog sie mich an den Tisch, da lag ein Wickelkind, ein Schokoladenmännchen, eine Schürze und ein kariertes Schnupftuch, und das alles gehörte mir! Das Spielzeug hatte mir Huldinchen aus Dresden mitgebracht.

Aber auch, was ich sonst sah, nahm mein Interesse lebhaft in Anspruch. Sehr verwundert war ich, daß Christel außer einem bunten Flanellrock auch eine Puppe bekam. Huldinchen lachte und neckte sich mit Christel, und da kam es endlich heraus: die Puppe barg in ihrem Unterrocke fünf Taler.

Was aber ganz besonders prächtig war, das war der Blumenstrauß! Madame Hänel bekam ihn vom Huldinchen.

»Das hast du aber hübsch gemacht!« sagte mit überglücklichem Lächeln die Mutter.

Ja, was war denn das? Konnte Huldinchen denn Blumen machen? Das konnte doch nur Gott! Aber wirklich, diesen schönen, bunten Strauß hatte Huldinchen in Dresden gemacht! Und als ich mich bewundernd näher drängte, da hielt sie ihn mir lachend vor die Nase und sagte: »Ja, riech nur! Er riecht auch, und das hab' ich auch selbst gemacht.«

Meine Verehrung wuchs zu schwärmerischer Ehrfurcht. Huldinchen war auf Jahre hinaus mein Ideal; sie kann später von ihren eigenen Kindern nicht zärtlicher geliebt worden sein als damals von dem einsamen Kinde.

 

Huldinchen hatte uns verlassen, und das Leben in dem einsamen Hause ging wieder seinen einförmigen Gang. Da kam für mich eine Abwechslung, – ich wurde krank. Oben lag ich in Christels Kammer. Als die schlimmen Tage vorüber waren, achtete ich darauf, ob ein Schritt die Treppe hinaufkäme. Am Vormittag kam Madame Hänel selbst, und später brachte mir Christel meinen Napf Wassersuppe.

Einmal brachte Christel ein Kind mit, ein kleines Mädchen, sie hieß Ernestine. Christel setzte die Kleine auf eine Hitsche vor mein Bett und sagte, sie solle mir die Zeit vertreiben. Die Kleine schien von ihrer Aufgabe sehr durchdrungen zu sein und dieselbe auch durchaus begriffen zu haben. Als Christel weg war fing sie ohne weiteres an zu singen: »Cha–ka–kas, mei gutes Kind, Cha–ka–kas, mei liebes Mensch, ach schlaf doch ein!«

Darüber mußte ich lachen, ich suchte ihren Eifer zu dämpfen, ich wollte viel lieber mit ihr sprechen, als mir vorsingen zu lassen. Ich hielt ihr endlich die Hand auf den Mund und sagte: »Paß mal auf, du! Ich will dir mal was zeigen.«

Sie verstummte und sah mich erwartungsvoll an. Ich zeigte ihr eine runde Pappschachtel, öffnete sie und ließ sie hineinsehen.

»Weißt du, was das ist?« fragte ich.

Sie sah starr auf den Inhalt und schüttelte den Kopf.

»Das ist Pulver,« sagte ich geheimnisvoll, »und wenn das alle ist, dann bin ich wieder gesund.« Ihr Blick ruhte erwartungsvoll auf mir, und ich fuhr eindringlich fort: »Wenn du jetzt mit von dem Pulver ißt, wird es eher alle, und ich werde bald gesund. Willst du mitessen? Eine große Messerspitze voll soll ich jedes, mal nehmen. Man muß Wasser danach trinken. Komm, iß mal, hier ist auch das Wasser.«

Das gute Kind ließ sich überreden, sie schloß die Augen, aber sie schluckte mit Todesverachtung, sie schüttelte sich vor Unbehagen, aber durch meine Überredungskunst nahm sie auch eine noch zweite Messerspitze voll Pulver. Mir half das Opfer nicht, ihr scheint es aber auch nicht geschadet zu haben, denn ich habe später, als die kleine Ernestine die Stieftochter von Madame Hänel geworden war, noch oft mit ihr gespielt.

 

Eines Tages hörte ich wieder Schritte auf der Treppe. Ich blickte erwartungsvoll auf die Tür, ich sah, wie sie leise und vorsichtig geöffnet wurde, ein Kopf mit dunklem Kraushaar wurde sichtbar. – Ich schrie vor Freude laut auf. Meine Mutter schloß mich lachend und weinend in die Arme.

»Und du bist krank? Aber wie kommst du denn zu dem Ausschlag?«

»Es wird bald besser,« sagte ich tröstend, »ich und die Richter-Ernestine haben fast alles Pulver aufgegessen, was hier in der Schachtel ist.«

»Da wollen wir nur lieber den Vater zu Rate ziehen,« sagte sie, packte mich gut ein und trug mich auf den Forsthof.

Ach, war das ein schöner Tag! Erst freilich besah mich der Vater sehr genau, dann fragte er, was wir denn bei Madame Hänel gegessen hätten, und als ich sagte, wir hätten viel Hering gegessen, beruhigte er die Mutter und sagte: »Erst mal nichts scharf Gesalzenes mehr. Mit dem Pulver kann sie fortfahren. Du siehst schön aus! Kannst ja nicht aus den Augen sehen!«

»O doch!« rief ich glücklich, »ich kann doch sehen, was ihr mir hier aufgebaut habt!«

Den Inhalt einer Spielzeugschachtel hatte mir die Mutter hingestellt, und vor dem Häuschen lag ein vergoldeter Pfefferkuchenstern. Ich durfte spielen und erzählen und die Mutter kam oft zu mir, streichelte mich und sagte sanft: »Du armes Ding! Wie du aussiehst!«

 

Madame Hänel besuchte ich später noch oft, auch nachdem sie den hübschen Porzellanmaler geheiratet hatte. Auch zum Menden-Jakob ging ich gelegentlich. Geholfen hab' ich ihm aber nicht mehr, ich mochte lieber auf der Straße mit Kindern zusammenkommen. Menden-Jakob war auch anders geworden, er war mürrisch und finster, und als er bald danach starb, hörte ich, daß die Leute sagten: »Der Menden-Jacob, – ja, der ist doch nur an gebrochenem Herzen gestorben!«


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