Charitas Bischoff
Bilder aus meinem Leben
Charitas Bischoff

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»Haus Forsteck«

Haus Forsteck

Wie erregt war ich, als der Wagen durch die Einfahrt bog. »Haus Forsteck« stand an den Eingangspfeilern, und als der Wagen hielt, eilte der gute Johann an den Wagenschlag und sagte zutraulich: »Na, Fräulein, is man gut, daß Sie wieder im deutschen Vaterland sind. Freuen Sie sich nicht, daß wir unterdessen die Franzosen besiegt haben?«

Von Doktors wurde ich aufs herzlichste begrüßt. Ich hatte die größte Eile, mich zurechtzumachen. Als ich kurz danach im Eßsaal erschien, standen außer Doktors noch mehrere Herren und eine ältliche Dame da. Der junge Offizier mit dem Arm in der Binde, wurde mir als Herr Slevogt, der blonde Herr als Kandidat Bischoff, und die Dame als Fräulein Roquette vorgestellt.

»Roquette?« sagte ich fragend, »hängt der nicht mit ›Waldmeisters Brautfahrt‹ zusammen?«

»Ja,« sagte Frau Doktor, »der hängt noch mit vielem anderen zusammen, auch mit einer Literaturgeschichte, die du mal in nächster Zeit als Privatstudium vornehmen kannst! Meine Freundin und Stütze ist die Schwester von Otto Roquette. Wer aber ist dieser junge Mann?«

Der junge Mensch, dem Frau Doktor jetzt freundlich zunickte, kam lachend auf mich zu und sagte, während er mir herzlich die Hand schüttelte: »Na, hast du nun deine Freiheitsgelüste befriedigt? Weißt du noch, wie dir unser Hamburger Garten zu klein war, und wie wir beide Herrn Krus durchbrannten?«

»Hans!?« sagte ich erstaunt, »dich hätte ich nicht wiedererkannt!«

»Nach Tisch,« sagte er, »werde ich dich mal hier durch den Park führen, da kannst du dich aber müde laufen, ehe du die Grenze erreichst; wir finden aber Ruhepunkte im Schweizerhäuschen und in der Fischerhütte.«

Der Herr »Kandidat« war Hans' Hauslehrer und war jetzt, ebenso wie der verwundete Offizier, Gast auf diesem schönen Besitz.

Schon am nächsten Morgen wanderte ich mit Frau Doktor durch das Düsternbrooker Gehölz nach den »Akademischen Heilanstalten«. Frau Doktor machte mich unterwegs mit meinen neuen Pflichten bekannt. Sie sagte: »Wir führen hier ein sehr geselliges Leben, davon wirst du dich bald selbst überzeugen. Auch die Professoren der Krankenhäuser verkehren bei uns. Nun kam mir vor einiger Zeit der Gedanke, ich möchte wohl einmal ein Krankenhaus sehen. Unsere Freunde, Professor Esmarch und Professor Bartels erboten sich, mich herumzuführen. Soviel Leid zu sehen, hat mich tief ergriffen, und ich dachte darüber nach, wie man diesen Armen wohl Erleichterung verschaffen könnte. Ich habe viel mit den Professoren überlegt, ich meinte, ob man nicht versuchen sollte, die Kranken zu unterrichten. Da liegen Nordschleswiger, die nur Dänisch sprechen, die lernen gewiß gern Deutsch. Es liegen junge Leute da, denen wäre mit fremdsprachlichem Unterricht geholfen. Es laufen aber auch immer Kinder herum, die den gebrochenen Arm in der Binde tragen, oder die sonst ein Leiden haben, das sie zwingt, im Krankenhause zu sein. Die hängen gelangweilt herum; versammle sie und unterrichte sie. Mit Hilfe unserer Freunde habe ich eine recht umfangreiche Bibliothek angelegt, da sollst du wöchentlich zweimal die Bücher wechseln. Du kannst dir selbst sagen, wie wichtig es ist, daß die rechten Bücher in die rechten Hände kommen. Das kannst du ja nicht gleich übersehen, aber mit der Zeit wirst du es lernen. Du mußt die Schriftsteller kennen lernen, aber auch die Leser mußt du zu verstehen suchen. Unterhalte dich mit ihnen, aber nicht über ihre Krankheit, davon wollen wir sie ja gerade abbringen, sondern laß dir erzählen, was sie gelesen haben, dadurch gewöhnen sie sich an ein genaues Lesen; und durch das Wiedererzählen üben sie sich im Sprechen. Fange früh um acht Uhr an, du wirst bald sehen, wo du am besten ankommen kannst. Um zwei Uhr bist du zum Essen wieder draußen, die übrige Zeit darfst du für dich haben. – Hier sind wir! Du wirst manches zu überwinden haben, geh tapfer gegen unangenehme Eindrücke an, und sage dir, daß es dir vergönnt ist andern zu dienen.«

Ob die Kranken bei mir etwas lernten, weiß ich nicht, daß aber ich vieles bei ihnen lernte, das merkte ich bald. Wieviel heldenhafte Geduld im Leiden und welche zähe Energie lernte ich hier kennen.

Da war – um nur einen herauszugreifen – der arme, junge Neelsen. Er hatte Knochenfraß, das kranke Bein hing durch eine besondere Vorrichtung in der Schwebe. Ich stellte mir vor, wie unerträglich diese beständig gezwungene Stellung des Körpers sein müßte, abgesehen von den Schmerzen, die die Wunde verursachte. Er lag so bleich und abgezehrt in seinen Kissen, daß ich zuerst kaum wagte, ihn geistig anzustrengen. Er lernte Englisch bei mir, und er lernte gern. Wie leuchtete sein Gesicht, wenn ich mich an sein Bett setzte. Ich habe es nie verstanden, wie er es fertig brachte, die Aufgaben so sauber und schön zu schreiben in dieser gezwungenen Lage. Was ich auch mit ihm durchnahm, er meisterte es. Das lange Leiden – er lag schon über ein Jahr – hatte ihn so gereift, daß es eine Erbauung für mich war, mich mit ihm zu unterhalten. Er war mir der liebste Schüler. Wie erschrocken war ich daher, als mir eines Tages der Oberwärter auf dem Korridor sagte, ich dürfe nicht mehr zu Neelsen, er sei sterbend, die Ärzte hätten jede Arbeit verboten.

Tief bewegt erzählte ich bei Tisch von meinem Kranken. Ich fand bei Doktors die weitgehendste Teilnahme.

»Wie tut mir das leid! Ein so energischer, fleißiger Mensch soll sterben, und so losgelöst von den Seinen! Wenn man dem doch wenigstens noch eine Freude machen könnte! Was meinst du, Adolf, wir haben ja drüben im Wirtschaftsgebäude das Fremdenzimmer, sollen wir ihn dahin nehmen? Der Professor kann ihn ja hier besuchen, wir schicken ihm den Wagen und nehmen eine Wärterin an. Bist du damit einverstanden?«

Sobald es an die Ausführung einer guten Tat ging, waren die beiden sich immer einig, kannte doch der Doktor kein größeres Glück, als Freude um sich zu verbreiten. Verlangte der Augenblick eine große Tat, er war bereit; aber auch für die kleinen Freuden des täglichen Lebens hatte er immer eine offene, willige Hand. In seiner Bibliothek stand ein Geschenkschrank, da lagen in den Schubfächern die mannigfaltigsten Dinge, die er von seinen schönen Reisen mitgebracht hatte, um seinen Gästen oder Hausgenossen eine Freude zu machen. Auch jetzt blickten seine großen, blauen Augen freudig glänzend zu mir herüber, als er sagte: »Ja, ja, geh zu ihm, und erzähl' ihm, daß wir ihn zu uns nehmen wollen, es ist vielleicht noch ein Fünkchen Freude, was wir bei ihm entzünden.«

Ich war tief gerührt.

Tatsächlich flog über Neelsens leidendes Gesicht ein verklärender Freudenschimmer bei meiner Nachricht.

Der Oberwärter schüttelte den Kopf und meinte: »Ich will es dem Professor sagen. Na, wenn er doch sterben soll, dann stirbt es sich vielleicht noch leichter da draußen, als hier im Krankensaal. Ob er aber den Umzug überlebt?!«

Er überlebte ihn. –

Frau Doktor hatte das Zimmer mit Blattpflanzen und schönen Bildern geschmückt, und als der Kranke gut gebettet dalag, sagte sie zu ihm: »Lieber Neelsen, wenn Sie nun Wünsche haben in bezug auf Essen und Trinken, dann sagen Sie es nur Johann, er wird Ihnen bringen, was Sie gern möchten.«

Eine Wartefrau war angenommen. Frau Doktor beaufsichtigte selbst die Pflege, und täglich wurde der Professor geholt, der sagte nach einiger Zeit: »Halt! Er darf nicht mehr haben, was er will! Der erholt sich ja hier! Wer weiß – wir sind nur Menschen und können uns irren, der erholt sich vielleicht noch ganz?!«

Das war für alle Bewohner von Forsteck eine Überraschung und Freude! Neelsen erholte sich. Die vorzügliche Pflege und die gute Luft machten es möglich, daß er nach Wochen draußen liegen konnte. Dann kam ein Tag, da konnte er uns allen auf Krücken etwas vorgehen, und endlich erklärte ihn der Professor für geheilt. Bis hierher hatte Frau Doktor das meiste getan, nun kam der Doktor und setzte das angefangene Werk fort. Er nahm den Genesenen in sein Geschäft nach Hamburg, wo er im Lauf der Jahre sich bis zum zweiten Buchhalter heraufarbeitete. Er hat sich noch zwanzig Jahre seines Lebens freuen können. Durch hingebende Treue hat er zu vergelten gesucht, was Doktors an ihm getan hatten.

Dieser Sommer auf dem herrlich gelegenen Forsteck war ungewöhnlich reich und schön. Neben der ernsten Arbeit im Krankenhaus lernte ich zum erstenmal in meinem Leben eine heitere Geselligkeit kennen.

»Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen!«

Gab es doch kaum ein Gebiet, wofür Doktors sich nicht interessiert hätten. Es wurden pädagogische und soziale Fragen erörtert. Aus Hamburg kam Frau Emilie Wüstenfeld und entwickelte ihre Pläne für eine Mädchen-Gewerbeschule. Frau Johanna Goldschmidt holte sich Rat über Volkskindergärten. Beide waren begeisterte Vorkämpferinnen auf dem Gebiet der Frauenfrage. Mit welchem Eifer suchte das Ehepaar die Fröbelschen Ideen weiter auszubauen und für spätere Altersstufen dienstbar zu machen. Da wurde eine Mühle konstruiert. Im Anschluß an das Flechtblatt hatte Herr Doktor einen Webstuhl für Kinder erfunden, Ziegel wurden geformt und gebrannt, und ein Haus im kleinen hergestellt. Das ging so nebenher, eigentlich arbeitete Herr Doktor an einem naturwissenschaftlichen Werk. Er machte mit namhaften Naturforschern Reisen mit der »Pomerania«, um die Fauna der Ostsee zu erforschen. Die Professoren an der Kieler Universität verkehrten wohl alle auf Forsteck, aber auch Künstler und Schriftsteller brachten durch ihre Gaben Anregung ins Haus und belebten das Interesse. Auch die zufälligen Badegäste fanden freundliche Aufnahme. Da kam der bekannte Physiker Helmholtz mit seiner Familie, Hans Hopfen mit seiner jungen, pikanten Frau, und im Hause selbst logierten monatelang Schurzens aus Amerika und der Sänger Julius Stockhausen, der mit der Schwester von Frau Doktor verheiratet war. Von ihm habe ich die Müllerlieder singen hören, so schön, daß ich sie danach von niemand anders mehr hören mochte.

Wer die offenen Abende auf Forsteck mit erlebt hat, der wird sie nicht vergessen. Welch buntbelebtes Bild bot an solchen Sommernachmittagen der Park. Durch das grüne Laub der schattigen Gänge schimmerten die Marmorbüsten der griechischen Weisen, an ihnen vorüber wandelten in ernstem Gespräch die älteren Herren an der Seite der festlich geschmückten Damen, während gleichzeitig auf den sanft abfallenden Rasenplätzen sich die Jugend mit allerhand munteren Spielen vergnügte. Welch heiteres Bild, wenn die mit bunten Bändern umwundenen Reifen unter munteren Zurufen über den grünen Rasen flogen. Weiterhin hörte man die Hämmer der Krocketspieler, und dicht beim Hause schlugen die Kugeln des Bocciaspiels auf den Kies. Drüben im Wirtschaftsgebäude war ein Theater, wenn das Wetter für den Park nicht heiter genug war, dann wurde Theater gespielt oder lebende Bilder gestellt. Im geschmückten Eßsaal, unter dem blitzenden Kronleuchter vereinigte sich schließlich jung und alt in lebhafter Unterhaltung.

Doktors hatten ein kleines Dampfschiff, die »Marie«, damit wurden oft schöne Touren auf der Ostsee unternommen. Mir ist besonders ein schöner Sommertag in der Erinnerung geblieben.

Klaus Groth und Frau waren zu einer Tour nach Laboe eingeladen.

Frau Doktor fragte mich auf dem Weg zum Schiff, ob ich schon von Klaus Groth gehört hätte, und ob ich Plattdeutsch verstände. Ich mußte beides verneinen.

»Nun,« sagte Frau Doktor, »heute wirst du einen plattdeutschen Dichter kennen lernen.«

Drüben in Laboe wurde auf einer geschützten Waldwiese ein Tischtuch ausgebreitet und die mitgebrachten Vorräte wurden verzehrt.

Nach dem Essen nahm Groth seinen Quickborn hervor und las vor. Ich saß ihm gegenüber und hatte so die beste Gelegenheit, mir seine äußere Erscheinung einzuprägen. Er hatte eine lange, hagere Gestalt mit schmalen, herabfallenden Schultern. Sein Gesicht war lang und schmal. Die Stirn war hoch und frei, die Nase lang und regelmäßig. Der kurz gehaltene Vollbart war leicht ergraut, ebenso das dünne, lang herabfallende Haar. In die verträumten, blauen Augen kam erst der belebende Ausdruck beim Vorlesen. Er las: »De ole Harfenistin« und: »Min Jehann.«

Seine Art des Vorlesens hat einen unvergeßlichen Eindruck auf mich gemacht. Seine langen, schlanken Finger hielten das Buch, er brauchte aber nicht hineinzusehen. Während er in langsamer Weise mit gedämpfter Stimme die Worte sprach, war der Blick seiner blauen Augen schwermütig in die Ferne gerichtet, ich hatte das Gefühl, er suchte mit der Seele diese Jugendzeit, die er in so schlichten Worten malte.

»Ik wull, wi werrn noch kleen, Jehann,
Do weer de Welt so grot!
Wi seten op den Steen, Jehann,
Weest noch! Bi Nawers Sot.
An Heben seil de stille Maan,
Wi segen, wa he leep,
Un snacken, wa de Himmel hoch,
Un wa de Sot wull deep.
Weeßt noch, wa still dat weer, Jehann?
Dar röhr keen Blatt an Bom.
So is dat nu ni mehr, Jehann,
As höchstens noch in Drom.
Och ne, wenn do de Scheper sung,
Alleen, in't wide Feld:
Ni wahr, Jehann? Dat weer en Ton!
De eenzige op de Welt.
Mitünner inne Schummerntid,
Denn ward mi so to Mod,
Denn löppt mi't langs den Rüg so hitt,
As damals bi den Sot.
Denn dreih ik mi so hasti um,
As weer ik nich alleen:
Doch allens, wat ik sinn, Jehann,
Dat is: – ik stah un ween.«

 

Frau Groth hatte bemerkt, daß das Vorlesen ihres Mannes großen Eindruck auf mich gemacht hatte. Bei der Rückfahrt setzte sie sich zu mir und sprach erst über Dichtung im allgemeinen, dann über die Dichtungen ihres Mannes, dann sagte sie: »Da Sie meines Mannes Sachen noch nicht kennen, so kommen Sie doch in nächster Zelt einmal zu uns, ich will Ihnen gern einige von den Büchern leihen.«

Wie groß war meine Freude und mein Stolz! Aber merkwürdig, ich erlebte zunächst eine Enttäuschung.

Der Dialekt machte mir, da er mir nicht durch gutes Vorlesen vermittelt wurde, doch rechte Schwierigkeiten. Das Buch »Trina« schien mir nicht die Mühe zu lohnen, ich kam nicht weit damit, denn ich fand es langweilig; die Gegend, die er beschrieb, interessierte mich nicht; ich fand sie reizlos und öde.

Ich brachte die Bücher zurück, und Frau Groth merkte mir bald an, daß ich den Büchern gegenüber merklich kühler war. Ich schützte die Schwierigkeit des Dialektes vor, aber sie sagte gekränkt: »Englisch haben Sie lernen können, und bei Plattdeutsch, das doch eine ›deutsche‹ Sprache ist, da versagen Sie! Die Frau Kronprinzessin, die doch Engländerin ist, hat Plattdeutsch gelernt, um die Dichtungen meines Mannes genießen zu können.«

Ich war verlegen und schämte mich. Ich fühlte so deutlich, daß sie unzufrieden mit mir war, das quälte mich, ich schalt mich selbst oberflächlich, und ich bat Frau Groth mir die Bücher noch wieder mitzugeben.

»Versuchen Sie's nur noch einmal,« sagte sie und überließ mir das Paket.

Sehr beschämt und gedrückt verließ ich das Haus im Schwanenweg. Ich schlug langsam den Weg nach dem Düsternbrooker Gehölz ein, da sagte jemand hinter mir: »Aber was ist Ihnen denn passiert? Sie gehen ja daher, als lasteten Berge auf Ihnen!«

Es war der »Herr Kandidat«. Ich lachte verlegen und erzählte ihm, was mich bedrückte.

»›Trina‹ mögen Sie nicht?« sagte er tadelnd, »das liegt doch an Ihnen, nicht an der Erzählung. Solche Gegenden und solche stille Menschen gibt es; sie zu schildern, dazu bedarf es einer besonderen Kunst, Groth hat sie. Sie aber müssen erst in das Verständnis solcher stillen Kunst hineinwachsen. Sie kennen unsern Norden nicht, er hat heimliche Reize, wollen Sie sie gar nicht kennen lernen? Sie wissen wohl kaum, was Geest und Marsch ist?«

Ich schüttelte den Kopf, und der Kandidat fuhr fort: »Soll ich Ihnen helfen? Soll ich Ihnen gelegentlich das eine und andere vorlesen? Ich denke, ich kann Ihnen das Verständnis vermitteln, denn Plattdeutsch ist meine Muttersprache.« Als ich ihn darauf etwas erstaunt ansah, sagte er: »Sie sind wohl der Ansicht, Plattdeutsch sei eigentlich die Sprache der Ungebildeten. Da lesen Sie doch mal Groths Abhandlung über die Mundarten, platt wird auf dem platten Lande gesprochen.«

»Ich will mich gern belehren lassen,« sagte ich nachdenklich.

Wie verabredet las mir der Herr Kandidat nun öfters aus Groth vor; und wenn er las, konnte ich's verstehen.

 

Eines Nachmittags setzte ich mich mit Longfellows Gedichten in die Fischerhütte, die im Park, dicht am Strande lag. Als ich eine Weile gelesen hatte, wurde plötzlich der Eingang verdunkelt, der Herr Kandidat trat ein.

»Störe ich?« fragte er, »oder haben Sie den Groth da, und soll ich Ihnen helfen?«

Ich zeigte ihm mein Buch, er nickte, setzte sich auf die gegenüberstehende Bank und schlug auch ein Buch auf, in dessen Inhalt er sich eifrig vertiefte.

Nach einer Weile schlug er das Buch zu und fragte: »Sie lernen Ihren Longfellow wohl auswendig?«

»Na, das gerade nicht,« sagte ich lachend, »aber ich mag seine Gedichte sehr gern. Was haben denn Sie für ein interessantes Buch gelesen?«

Mit einem eigentümlichen Lächeln reichte er mir den dünnen Band. Ich schlug irgendwo auf, mein Blick fiel auf deutsche Buchstaben, aber – ich konnte die Worte nicht verstehen. Was war das nur? Ich versuchte auf einer andern Seite, es half nichts! War ich denn verhext?

»Aber was ist denn das?« rief ich erstaunt und gab das Buch zurück.

»Das? Das ist der Katechismus!«

»Na, den müßte ich doch lesen können?«

»Es ist der dänische.«

»Der dä–nische?!« fragte ich, »lernen Sie denn Dänisch?«

»Ja,« sagte er, »ich lerne Dänisch, in vierzehn Tagen gehe ich nach Hadersleben aufs dänische Seminar, um es gründlich zu lernen.«

»Wie sonderbar,« sagte ich, »daß Sie Dänisch lernen, wozu wollen Sie das denn?«

»Ich werde, wenn ich erst die Sprache kann, mich in Nordschleswig anstellen lassen. Haben Sie nicht Lust, es auch zu lernen?«

»Dä–nisch? Nein, nie–mals! Wozu sollte ich das denn lernen? Ich habe gerade genug mit Französisch und Englisch. Ich würde das nie lernen können!«

»Wollen wir wetten, daß Sie's doch lernen?«

Es ist schrecklich, daß die Männer immer recht behalten. Als er mir später Heimat und Liebe bot, – nun – da habe ich doch Dänisch gelernt, wenn auch nicht so schnell, wie er es erwartete.


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