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Der Bureauchef kann noch ein gewöhnlicher Mensch sein, der Abteilungschef aber ist allzeit ein vornehmer Herr.
Bekommt er aber gar den Titel Direktor, dann ist er – wie wir schon erwähnt haben – ein Politiker.
Die Generaldirektoren aber halten sich alle für Staatsmänner. Das Lebensunglück eines Abteilungschefs ist, einem Bureauchef so ähnlich zu sehen, dass der einzige tatsächliche Unterschied zwischen den beiden die Höhe des Gehaltes und die Titulatur ist; denn der Abteilungschef hat immer viel schöne Titel. Urteilen Sie selbst, welchen Raum so einer im Staatskalender braucht:
M. Buireau-Leschevin, »Personalchef, Offizier der Ehrenlegion, Ritter des St. Ludwigsordens, des belgischen Löwenordens, des spanischen St. Ferdinandkreuzes, des römischen St. Wladimirordens (dritter Klasse), Mitglied der freien Akademie, Steuereinnehmer im ausserordentlichen Dienste, Deputierter eines Departements oder Mitglied des Generalrates von Paris –« und dazu stets das märchenhafte etc.
Der Abteilungschef protegiert seine Beamten. Er gibt ihnen Urlaub für den »jour des Anglais«, das ist nämlich der Tag, an dem die Gläubiger kommen und ihren Schuldnern Szenen machen können. Dieser würdige Herr empfängt dann die Gläubiger selbst, um sie ordentlich anzuschnauzen. Er unterstützt alle nur möglichen Machinationen, um die Pfändung der Gehalte seiner Untergebenen zu hintertreiben und setzt manchmal sogar beim Minister die Bezahlung einer kleinen allzu schreienden Schuld durch. Er bemüht sich, der »Vater« seiner Beamten zu sein.
Die Abteilungschefs sind die Schatzmeister des Ministers; sie sind also die Seelen der Ministerien und beherrschen den Minister.
Der Nerv, die Existenz, der Ruhm des Abteilungschefs ist der »Bericht«.
Als die Könige anfingen, Minister zu haben, was erst in der Zeit Ludwigs XIV. begann, liessen sie sich von ihnen Berichte über die wichtigsten Fragen ausarbeiten. Allmählich haben die Minister diese Gewohnheit der Könige angenommen, denn sieben Minister sind heute der Gegenwert eines Königs. Heute nun, da unsere Minister damit beschäftigt sind, ihre Position nach drei Fronten – vor den beiden Kammern und dem Hofe – zu verteidigen, hängen sie mehr denn je an den Gängelbändern der »Berichte«. Es taucht keine Frage in der Verwaltung auf, für die der Minister, und beträfe es die dringlichste Sache der Welt, nicht die Antwort parat hätte: »Ich habe bereits Bericht eingefordert.«
Für die Staatsgeschäfte und für den Minister bedeutet dieser Bericht dasselbe, was in der Deputiertenkammer der Kommissionsbericht für die Gesetzgebung ist; nämlich ein Aktenstück, in dem die Gründe für und wider eine Sache mehr oder weniger unparteiisch erwogen und erörtert sind; so dass der Minister nach dem Bericht ungefähr so klug ist wie vorher.
Man sollte meinen, dass einer Minister ist, um die Lage der Dinge genau zu kennen und sie mit Entschlossenheit vorwärts zu bringen. Doch nein; der Bericht regiert in Frankreich vom Obersten bis hinauf zum Marschall, vom Polizeikommissar bis zum König, von den Präfekten bis zu den Ministern, von der Kammer bis zum Gesetz. Alles wird lang und breit erörtert, nach rechts und links in Wort und Schrift hin und her erwogen, alles nimmt eine literarische Form an. Frankreich verfasst Berichte, verfasst so viele Berichte, dass es sich mit all seinen schönen Berichten zugrunde richtet. Das Land erschöpft seine Kraft in Abhandlungen, statt in Handlungen. Durchschnittlich werden in Frankreich eine Million solcher schriftlicher Berichte jährlich verfasst; Folge: Die Bureaukraten herrschen.
Der Minister hat Sie mit den schönsten Versprechungen verabschiedet. Sie kommen ins Bureau und erhalten den Bescheid: »Der Bericht an den Minister wird bereits verfasst,« und nun sind Sie – je nach dem Temperament des machthabenden Abteilungschefs – einer feingeschliffenen Klinge oder einer Keule ausgeliefert. Sie begreifen wohl . . . daher dieses Axiom.
Ein Bericht ist ein Bericht, gelegentlich auch ein fades Gericht.
Man meint: ein Augenblick genüge doch, um einen Beschluss zu fassen. Was immer man tut, eine Entscheidung muss sein. Je mehr Gründe für und wider eine Sache man ins Treffen führt, desto unklarer und unsicherer wird aber das Urteil. Die schönsten Dinge sind in Frankreich geschehen, als es noch keine Berichte gab, und alle Entscheidungen spontan getroffen wurden.
Der Abteilungschef geht auf zwei Krücken. Bericht heisst die eine, Denkschrift die andere.
Wir könnten aus Madagaskar unsere Botany-Bay machen. Welche Mittel soll man gebrauchen? Wie fängt man das an? Der Kolonialdirektor verbringt ein Jahr mit der Ausarbeitung einer Denkschrift, in der diese »Möglichkeiten« festgestellt, die Wege angegeben werden. Man steckt diese Denkschrift in einen Karton, wo sie ruht, oder in ganz besonders dringlichen Fällen fängt man jetzt an – zu berichten.
Ein Erfinder unterbreitet dem Marineamt ein Verfahren, um aus dem Meerwasser Salz zu gewinnen: der Minister verlangt einen Bericht. Der Bericht erklärt, dass das doch eine recht schwere Sache sei, also unmöglich; seit hundert Jahren würde die Marine mit Vorschlägen solcher Art belästigt. Man schlägt die Ernennung einer Kommission von Sachverständigen vor. Des Wartens müde, wendet der Erfinder sich nach England und verkauft dort sein Verfahren.
Haben Sie verstanden?
So ist der Abteilungschef. Er kann ebensogut ein berühmter Dummkopf wie ein unbekanntes Genie sein.