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Einem Mann von Stil und Geist, der seinen Namen hinter der Konstellation * * * verbirgt, verdanken wir die folgenden bemerkenswerten Ausführungen:
»Man behauptet, Bauern hätten keine Nerven; dennoch sind sie unbewusst für Eindrücke empfänglich und unterliegen, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, der Einwirkung der atmosphärischen Verhältnisse und der äusseren Ereignisse. Sie sind gewissermassen eins mit der sie umgebenden Natur, und die Ideen und Empfindungen, welche die Natur in ihnen weckt, erfüllen allmählich und unmerklich ihr Wesen. Jeder einzelne bringt sie dann je nach seiner persönlichen Organisation und seinem individuellen Charakter wieder zur Geltung. Da sie so von den sie stetig umgebenden Dingen geformt und entwickelt werden, sind sie gleichsam eines der aufschlussreichsten und wahrsten Bücher für jeden, der sich von jener so wenig gekannten und doch so fruchtbaren Seite der Physiologie angezogen fühlt, die die Beziehungen des sittlichen Wesens zu den äusseren Wirkungen der Natur erklärt. Wer diese Mysterien enthüllen kann, wird eine Welt entdeckt haben!«
Diese Physiologie hat zwar nicht die Welt, aber den folgenden Satz entdeckt, der für seinen Teil wiederum verschiedentliche Mysterien enthüllt: Die Natur des Beamten ist das Bureau. Auf allen Seiten ist sein Horizont von grünen Pappkartons umgrenzt. Für ihn sind die atmosphärischen Verhältnisse die Luft der Korridore, die männlichen Ausdünstungen, die sich in schlecht ventilierten Räumen ansammeln, der Geruch von Papier, Feder und Tinte. Sein Grund und Boden ist eine mit sonderlichen Abfällen bunt bestreute Diele, betaut von der Giesskanne des Bureaudieners. Sein Himmel ist der Plafond, zu dem er hinaufgähnt, sein Element der Staub. Hat der Autor des oben zitierten Paragraphen recht in bezug auf die Landbewohner, so treffen seine Betrachtungen beim Beamten gerade den Nagel auf den Kopf: sie werden eins mit der sie umgebenden Natur. Viele hervorragende Ärzte fürchten die Einwirkung dieser zugleich barbarischen und zivilisierten Natur auf die Wesen, welche in den elenden Räumen hausen, die man Bureaus nennt, in die selten ein Sonnenstrahl dringt und wo der Geist auf eine Tätigkeit verwandt wird, ähnlich jener von Zirkuspferden, die in einer Manege im Kreise herumrennen. (Man weiss, dass diese Pferde fürchterlich gähnen und rasch sterben.)
Der Philosoph mag hier einwenden, dass die Portiers von Paris es fertig bringen, samt ihren Frauen in Räumen von zehn Quadratfuss Ausmass zu leben; daselbst Kinder, Essen und Stiefel zu machen, Hunde, Katzen oder Papageien zu halten, kleine Gärten anzulegen und »Gesellschaften zu geben«; dass die Krämer ebenfalls in grauenhaften Hängeböden einquartiert sind, in Löchern, die das Wort »Lokale« gar nicht mehr verdienen, und gegen die Menschenfreunde protestieren würden, wenn man Verbrecher in ihnen einsperren würde. Allein diese Bemerkung kann nur das Bedürfnis des Beamten, sein Bureau rasch wieder zu verlassen, erklären, und man muss bedenken, dass er dort nur sieben Stunden bleibt, die Portiers und Krämer in diesen schrecklichen Löchern aber wohnen. Eine Statistik der moralischen und physischen Gebrechen dieser zwei Gruppen von Staatsbürgern ergäbe aber auch ein entsetzliches Resultat! Wer will staunen über den ewigen Krieg der Portiers gegen Mieter und Hausbesitzer? Ein Portier muss notwendigerweise eine revolutionäre Gesinnung haben.
Ein Philosoph, der ein bisschen Arzt, ein bisschen Physiologe, ein bisschen Schriftsteller, ein bisschen Beobachter, ein bisschen Phrenologe, ein bisschen Philantrop ist, also alle Steckenpferde unserer Zeit reitet, kann nicht bestreiten, dass es recht viel Gründe gibt, die Intelligenz der Beamten anzuzweifeln. Der Ausdruck verblödet im dritten Kapitel mag manchem etwas zu heftig vorgekommen sein. Trotz allem, er passt auf die Unglücklichen, die immer im selben Bureau sitzen, eine lange Reihe von Jahren immer die gleichen Dinge machen müssen. Nur ist es schwer zu entscheiden, ob diese schreibenden Säugetiere durch ihr Metier verblöden, oder ob sie dieses Metier gewählt haben, weil sie von Geburt schon ein bisschen verblödet waren. U. A. w. g.
Will man jedoch wie der Verfasser des oben zitierten Paragraphen den Dingen auf den Grund gehen und damit eine neue Welt entdecken: so wird man das Mysterium der administrativen Welt enthüllen.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich zunächst die Notwendigkeit einer exakten Beschreibung der von der französischen Verwaltung erfundenen Idioten-Kasernen.
Ein wenig bekannter Autor behauptet irgendwo: in Paris sähen fast alle Bureaus gleich aus. In welches Ministerium man auch gehe, um die geringfügigste Korrektur eines Irrtums, die unbedeutendste Vergünstigung zu erwirken, man durchmisst düstere Korridore, spärlich beleuchtete Seitengänge. Man findet Türen, die wie jene der Theaterlogen eine kleine ovale Scheibe durchbricht, einem Auge gleich, durch das man Phantasien erblickt, die eines Th. A. Hoffmann würdig wären. Und an diesen Türen liest der Besucher sonderliche, ihm unverständliche Aufschriften.
Hat man endlich das Ziel seiner Wünsche erreicht, dann betritt man zuerst einen Raum, in dem der Bureaudiener sich aufhält. Es folgt ein zweiter Raum für die Subalternbeamten und entweder rechts oder links von diesen das Kabinett des Sous-Chefs; endlich in einer gewissen Entfernung oder etwas höher gelegen, das Kabinett des Bureauchefs.
Jene hervorragende Persönlichkeit aber, die unter Napoleon den Titel Sektionschef führte, unter der Restauration Direktor genannt wurde, neuerdings Quasi-Direktor und Quasi-Sektionschef, nicht das und nicht das andere, manchmal eins und das andere ist – sie haust entweder ober- oder unterhalb dieser zwei bis drei Bureaus, zuweilen erst am Ende einer Galerie, in wohlabgemessener Ferne.
Das Appartement eines Abteilungsdirektors, eines Sektionschefs (heutzutage nennt der Staatsmann in der Knospe sich Politiker, und die Direktoren sind immer Politiker) zeichnet sich stets durch eine gewisse Geräumigkeit aus, und das ist ein Vorzug, der mitten unter den seltsamen Zellen des ein Ministerium vorstellenden Bienenstockes sehr gewürdigt werden muss. Nun, es gibt jetzt sehr wenige Direktionsräume, die abgetrennt, selbständig sind. Jeder Minister bemüht sich heutzutage die Zentralisation zu zentralisieren und hat darum alle seine Direktionen sich assimiliert, aufgefressen. Durch diese fatale Vereinigung haben diese Herren ihren einstigen Glanz verloren, da sie ihre Hotels, ihre Lakaien, ihre Salons, ihre Empfänge, ihre Soireen, ihren kleinen Hofstaat nicht mehr haben.
Wer wollte heute in dem bescheiden zu Fusse beim Schatzamt ankommenden Herrn, der in sein zwei Treppen hoch gelegenes Bureau hinaufsteigt, jenen Generaldirektor des Forst- oder Steuerdepartements wiedererkennen, der einstmals in einem prächtigen Hotel in der Rue Sainte Avoie oder Saint-Augustin residierte, oft Staatsminister war oder Pair von Frankreich? M. M. Pasquier Molé u. a. begnügten sich damals mit Generaldirektionen, nachdem sie Minister gewesen waren. Hätte nun der Direktor als Ersatz für die Einbusse an äusserem Glanze an Einfluss auf die Verwaltung gewonnen, dann wäre das Übel nicht schlimm. Aber die hochmögende Persönlichkeit von Anno dazumal erreicht heute mit Mühe und Not den Rang eines Staatsrates mit lumpigen zwanzigtausend Franken Einkommen. Gleichsam als Symbol seiner entschwundenen Pracht bewilligt man dem Generaldirektor noch einen Türsteher in Kniehosen, Seidenstrümpfen und »habit à la française«, wenn nicht, was auch entsetzlicherweise vorkommt, sogar der Türhüter reformiert worden ist. Als »die Könige Abschied nahmen«, haben sie noch manche Majestät mit der eigenen zu Fall gebracht.
Im Bureaustil gesprochen: ein Bureau setzt sich zusammen aus einem Diener, mehreren Hilfsarbeitern, Expedienten, Konzipisten, festangestellten oder »wirklichen« Räten, einem Sous-Chef und einem Chef.
Die Abteilung umfasst ein, zwei oder drei Bureaus, mitunter noch mehr.
Die Titel variieren je nach den Administrationen: es gibt einen Rechnungsrat statt eines vortragenden Rates, einen Buchführer usw.
Das Mobiliar des mit einer schäbigen Tapete – der gleichen wie in den Gängen – beklebten Raumes, in welchem der Bureaudiener sich aufhält, besteht in der Regel aus einem Ofen, einem grossen schwarzen Tisch, Federn, Tintenfass. Manchmal gibt es sogar ein Waschbecken mit Wasserleitung! Schliesslich eine Bank ohne Polster natürlich für das liebe Publikum. Auch ohne Teppich für die Füsse, die beim Warten kalt werden. Der Diener sitzt in einem bequemen Fauteuil und kann seine Füsse wenigstens auf eine Strohmatte strecken.
Das Bureau der Beamten ist ein grosser, mehr oder weniger heller Raum, selten mit Holzparkett belegt. Parkett und Kamin sind ganz besonders dem Bureau- oder Sektionschef vorbehalten, desgleichen Schränke, Sekretäre und Tische aus Mahagoni, Fauteuils mit rotem oder grünem Maroquinlederbezug, Spiegel, seidene Vorhänge und andere Gegenstände des höheren administrativen Luxus. Das Bureau der Beamten besitzt einen Ofen, dessen Rohr in einen Kamin führt, wenn ein Kamin vorhanden ist. Die Tapeten sind einfarbig, grün oder braun. Die Tische sind aus schwarzem Holz.
Der Erfindungsgeist der Beamten dokumentiert sich nun in der Art, wie sich einrichten. Der ewig Fröstelnde stützt seine Füsse auf eine Art von hölzernem Pult, während der sanguinisch-gallige Herr sich mit einer Matte begnügt. Der Lymphatische, der die Zugluft scheut, das Öffnen der Türen und andere Anlässe zu Temperaturveränderungen, baut sich einen kleinen Paravent aus Pappschachteln.
In allen Bureaus findet man Schränke und dunkle Winkel, in welchen die Herren ihre Arbeitsröcke, die Schreibärmel, Augenschirme, Kappen, Schirmmützen und andere Requisiten des Metiers bewahren, wo sie Überschuhe, Galoschen, Regenschirme deponieren.
Der Kamin ist fast immer mit Wasserkaraffen, Gläsern und Frühstücksüberresten geschmückt. In gar zu finsteren Lokalen existieren sogar Lampen.
Die Türe, welche zum Kabinett des Sous-Chefs führt, ist stets offen, so dass er seine Beamten überwachen kann und sie so hindern, zuviel zu schwätzen, oder damit er bei besonderen Anlässen sich gnädig mit ihnen unterhalten mag.
Ein einziges Bureau in Paris macht eine Ausnahme von diesen Raumgesetzen. Das Passbureau ist die kurioseste Monstrosität seiner Art. Es ist in einer Art von Galerie. Zwanzig Beamte sitzen hinter einem einzigen langen Tische; und vor jedes Augen auf drei Reihen von Bänken die vulgären Leute, die eine Reise tun wollen. Die, ehe sie nach dem Worte der Schrift dazu kommen »wie Räder zu sein«, diesen zwanzig Federfuchsern gegenüber in schönster Ruhe stillzuhalten haben. Die Reihen der Behandelten sind von den Reihen der Behandelnden durch einen schmalen Weg getrennt, der von der Eingangstür zu einem Säulengange am Ende der Galerie führt. Dort thront der Chef, der illustre Porte, der von seinem Tische aus diese ganze Versammlung Regierter und Regierender, Verwaltender und Verwalteter beherrscht. Hinter ihm sitzen noch einige Beamte. Man mag viele Pass-Bureaus in vielen Ländern sehen, doch wird man nicht eines finden, das sich mit dem riesigen Bureau auf dem Quai des Orfèvres messen könnte. Zu allen Jahreszeiten, selbst im Winter sind Ventilatoren tätig. Dieses Arsenal schmücken Gendarmen und Myriaden grüner Kartons, eine Milliarde von Formularen und Kopien der Reisepässe. Hier kann man erfahren, ob, wie behauptet wird, Napoleon im Jahre 1788 einen Reisepass nach Indien genommen hat, und ob er zu dieser Zeit »besondere Kennzeichen« hatte.
Aus der Art des Mobiliars eines Bureaus könnte der bittstellende Beobachter, oder der beobachtende Bittsteller, zur Not den Rang seiner Insassen bestimmen. Die Vorhänge sind meist aus farbigem Stoff, aus Cretonne oder Seide; die Stühle sind aus Kirschbaum oder Mahagoni, mit Stroh, Maroqinleder oder Stoff gepolstert; die Tapeten sind mehr oder weniger frisch. Doch einerlei welchem Zweige der Administration alle diese öffentlichen Besitztümer angehören, – sobald sie die Bureauräume verlassen, kann man sich keinen seltsameren Anblick denken, als diese Welt von Möbeln, die so viele Herren und so viele wechselnde Regierungsformen an sich vorüberziehen sah, so viel Unheil überlebt hat. Darum sind von allen Übersiedelungen, die man in Paris sehen kann, die der Ministerien die groteskesten. Nie hat das Genie E. T. A. Hoffmanns, dieses Barden des Unmöglichen, etwas Phantastischeres ersonnen. Man kann sich kaum ausdenken, was auf den Karren sich dann abspielt. Die Kartons gähnen und senden dicke Staubwolken auf die Strasse; diese Tische, die alle Viere von sich strecken, die schäbigen Fauteuils, alle die unglaublichen Geräte, mit denen Frankreich regiert wird, bieten einen erschreckenden Anblick; sie haben gleichzeitig etwas von Theaterrequisiten und vom Hausrat herumziehender Seiltänzer. Man erspäht wie auf dem Obelisken Schriftzeichen, Intelligenzspuren; die Phantasie gerät in Verwirrung wie allem gegenüber, was man sieht und nicht völlig begreift. Kurz, all das Zeug ist so alt, so abgenützt, so fadenscheinig, dass die schmutzigsten Küchentöpfe einen erfreulicheren Anblick bieten als diese Geräte der administrativen Küche.