Honore de Balzac
Physiologie des Alltagslebens
Honore de Balzac

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V. Der Militär

An dieser seltsamen Varietät fällt dem Liebhaber origineller Typen vor allem die Art, den Spazierstock zu tragen, auf, dessen Schnur aus Leder geflochten ist und den er am Knopf seines Gehrocks anhängt. Bemerkenswert ist dieser Rentier noch durch seine Vorliebe für hohe Stiefel, die Art, seine Schultern einzuziehen, und die Höhlungen seines Brustkastens kühn vorzustrecken, endlich durch die Redeweise, die unvergleichlich dreister ist, als bei irgendeiner andern Varietät. Dieser Rentier, der sich mit der Behendigkeit einer Wetterfahne um seine eigene Achse dreht, macht allvierteljährlich nicht uninteressante Wandlungen durch. Zu Beginn jeder Saison ist er grossartig üppig. Er raucht Zigarren, traktiert seine Kneipgenossen und delektiert sich an Fischspeise à la Râpé oder an ausgebackenen Gründlingen: er hat nämlich seinen Besuch bei einem reichen Winkelwucherer gemacht, der die Chancen seines Lebens sozusagen vorteilhaft ihm eskomptiert hat. Solange diese Phase dauert, konsumiert er eine grosse Quantität Likör täglich, sein rotes Gesicht strahlt. Doch bald verfällt er wieder in den sorgenvollen Zustand des von Schulden bedrängten Mannes und begnügt sich mit Kaporaltabak. Dieser Rentier, der Meteor der Gattung, hat kein festes Domizil. Er erklärt, der Elende bestehle ihn, der ihm seine Soldatenpension bringt. Nachdem er aber von ihm eine nicht unbedeutende Summe bezogen hat, spielt er ihm den Possen, sich in irgendeinem gottverlassenen Nest anzusiedeln, wo er sich selbst zum bürgerlichen Tode verurteilt, und spart auf diese Weise ein paar Quartale seine Pension. Dort, so erzählt man sich, verkauft dieser glorreiche Überrest unserer grossen Armee mitunter dem Wirt, der ihn eine Zeitlang ernährt, seinen Pensionsschein, den er dem »Schurken« schuldet. Diese Varietät tanzt in den Lokalen an der Peripherie der Stadt herum, erzählt von Austerlitz und biwakiert während seines Quartalsrausches an der äusseren Peripherie von Paris.

Man begegnet mitunter Individuen mit aufgedunsenen, roten Vollmondgesichtern, mit schmieriger Wäsche, zerbeultem Hut, mit fettigem Sammetkragen und dem roten Bändchen im Knopfloch des pferdemistfarbigen Schlussrockes, die schattengleich durch die Champs-Elysées schleichen, unfähig, auch nur zu betteln, trüben Blickes, ohne Handschuhe im Winter und in Alpakaröcken im Sommer. Messieurs Chodrucs, in der Literatur noch nicht verwendet, die über tausend Franken Rente verfügen und für neun Sous an der Maut zu Mittag speisen, nachdem sie einst Batterien erstürmt und den Kaiser vom Tode gerettet haben. Die kriegerische Blague leiht ihrer Rede einen gewissen geistreichen Glanz. Dieser Rentier liebt die Kinder und die Soldaten. In einem strengen Winter findet der von Nachbarn herbeigerufene Polizeikommissar die Überreste unserer glorreichen Armee auf dem Stroh einer erbärmlichen Mansardenstube. Mit Hilfe einer Anweisung auf seine Pension von der Légion d'honneur und seinem Militärdienst verschafft man ihm dann im Asyl eine letzte Unterkunft.

Ein paar andere sind vernünftig, führen ein ordentliches Leben. Sie hausen mit einer Frau, deren Vorleben und soziale Position nicht gerade einwandfrei sind, die aber einen einträglichen Tabakladen oder ein Lesekabinett führt oder mit Sattelzeug handelt. Wenn auch ihre Existenz nicht frei von ausserordentlichen Extravaganzen ist, so bewahrt ihre Freundin sie zumindest doch vor dem Ende im Asyl. Diese Varietät ist übrigens die sonderbarste von allen; in ihrem Kostüm herrscht ein so buntes Durcheinander, dass es schwer hält, sie nach dem Charakter der Bekleidung festzustellen. Eine Eigenart ist indessen allen Individuen gemein, das ist ihr tiefer Abscheu vor der Krawatte. Sie tragen einen Kragen, allein der Kragen ist schmutzig, ausgefranst, fettig, aber er ist ein Kragen und keine bürgerliche Krawatte. Und dann, sie haben den militärischen Gang.


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