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Was nicht Hilfsarbeiter oder wenigstens Souschef ist, ist kurz und bündig: Staatsbeamter. Es gibt unter ihnen nur zwei Klassen: ledige und verheiratete.
Der ledige Staatsbeamte ist in der Regel ein schlechter Beamter; man kann ihn mit dem ersten Blick von dem verheirateten unterscheiden. Der ledige hat Schulden, er ist weder so gut noch so reinlich gekleidet wie der verheiratete Mann.
Der verheiratete Beamte ist fast immer fest entschlossen, seinen Weg im Verwaltungsdienst zu machen und dabei zu bleiben; er nimmt selten seine Entlassung. Von hundert ledigen Beamten verlassen vierzig schliesslich doch diese Laufbahn. Der Junggeselle ist eben mancherlei Einflüssen zugänglich, die ihn zu einer Veränderung bringen, während der verheiratete Staatsbeamte nur einen Einfluss kennt. Der Junggeselle folgt seinen Launen, gibt sein Gehalt in den ersten zehn Tagen des Monats aus, fastet während der zwanzig übrigen oder pumpt. Er denkt nur an sich selbst: sein Ehrgeiz kennt keine Grenzen, er will zuviel, der langsame Trott der Verwaltung passt ihm nicht; immerhin man trifft zuweilen auch eine Abart Junggesellen, die beharrlich und mit zähem Willen auf ein bestimmtes verschwiegenes Ziel hinarbeiten. Und gewöhnlich erreichen sie es; denn sie sind pünktlich, sparsam und leben in geordneten Verhältnissen. Würde man sich um ihr Privatleben kümmern, man fände, dass sie meistens nahezu verheiratet sind.
Nun aber wollen wir von den verschiedenen Nüancen sprechen, welche diese Varietät der Gattung Mensch, die man in Paris Beamter nennt, differenzieren.
Der Beamte, der ein schöner Mann ist. – Dieser Beamte, der in der Regel Expedient bleibt und nie über die Stufe des Konzipisten hinauskommt, blüht in den Bureaus zwischen zwanzig und vierzig Jahren. Während dieser ganzen Zeit sieht er aus wie ein junger Mann zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreissig. Er ist immer gut gewachsen, hält auf seine Taille, posiert mit einem eleganten, romantisch zugestutzten Gesicht; Haare, Bart und Schnurrbart sind wohlgepflegt wie die Locken einer ausgehaltenen Frau. Er lacht gerne, um seine schönen Zähne zu zeigen. Sein Frühstück besteht aus einem trockenen Brötchen und einem Glase Wasser, er wohnt in einer möblierten Mansarde (Miete zwölf Franken den Monat) und speist um zwanzig Sous in der Taverne von Lucas zu Mittag. Er opfert alles seiner äusseren Erscheinung. Seine fünfzehnhundert Franken Gehalt fliessen in die Tasche des Schneiders. Seine Hosen bringen stets seine »Formen« zur Geltung; er trägt ganz anliegende oder halbanliegende mit Bauschen oder Stickereien. Er hat feine Schuhe, üppige, von einem Ringe gehaltene Krawatten, frischgebügelte Hüte. Er trägt den Ring à la chevalière über den gelben Handschuhen. Alle seine Anzüge und Gehröcke sind eng auf Taille geschnitten. Er spart an Socken und Hemden, aber er lässt sich täglich die Haare brennen. Der höchste Spass in den Bureaus ist es, zu wetten, dass er ein Korsett trägt.
Die wichtige Betätigung dieses Beamten ist: den Zahnstocher im Munde die grosse Allee der Tuilerien auf und ab zu spazieren. Er mimt den reichen, jungen Mann und kopiert dessen Allüren. Er lebt von der Hoffnung, dass eine junge Engländerin, eine Witwe, eine Fremde von Distinktion, irgendeine Frau in Liebe für ihn entbrennen wird. Das Programm seines Lebens ist, Gelegenheiten zu suchen. Er zeigt sich, er stellt sich zur Schau, er erwartet einen günstigen Zufall. Ein Märtyrer seiner Existenz, geht er abends in zwei oder drei Kaffeehäuser, die von den Frauen reicher Wirte geführt werden und macht ihnen den Hof, für den Fall, dass sie Witwen werden sollten.
Der »schöne Mann« unter den Beamten hat feste Preise; bei einer Rente von sechstausend Franken nimmt er eine Bucklige, bei achttausend Franken Rente darf es eine Frau von vierzig Jahren sein, bei dreitausend eine Engländerin. Er spioniert den Bureaufräuleins nach sowie den reichen Krämerfrauen. Manchmal kann man ihn ertappen, wie er spiessbürgerliche Gesellschaften durch den Vortrag sentimentaler Romanzen erfreut. Dieser Beamte hungert zuweilen, um sich irgendwelchen modischen Tand kaufen zu können.
In den Bureaus amüsiert man sich über diese Amadis mit leeren Taschen. Aber man hat unrecht. Sie haben ihre Pläne, sie schaden Niemandem, sie glauben an etwas und geben sich diesem Glauben hin. Im Karneval sind sie treue Habitués der Maskenbälle; selbst da glauben sie ihr Glück zu finden, das ihnen doch überall entflieht. Viele von ihnen nehmen schliesslich irgendeine Modistin, weil sie des Kampfes müde geworden sind oder irgendein altes Weib; manchmal ist es auch eine junge Person, auf die ihr »Physisches« Eindruck gemacht hat, und bei der ein mit albernen Liebesbriefen durchwobener Roman endlich zum Ziel geführt hat. Diese Beamten sind manchmal sogar kühn: sie sehen in den Champs Elysées eine elegante Frau in ihrer Equipage vorbeifahren, verschaffen sich ihre Adresse und senden ihr auf gut Glück leidenschaftliche Episteln.
Der schöne Mann unter den Beamten hat seinen Posten, um zu leben und seine Erscheinung, um sein Glück zu machen.
Die Gamasche
Die Gamasche wird manchmal Konzipist oder Rechnungsrat. Um die fünfundvierzig herum ist seines Lebens Höhe. Er ist immer verheiratet, fast immer Sergeant-Major a. D. seiner Kompagnie, er wohnt in einem Vorort, wo er ein Häuschen mit Garten gemietet hat. Er ist mittelgross und dick, macht langsame und viele bedächtige Schritte. Er bildet sich was darauf ein, »bei der Regierung« zu sein, ist stets bestrebt, für Ruhe und Ordnung im Verlauf aller Dinge zu sorgen, stolz, keine politische Meinung zu haben. Die Ansichten des »Journal des Débats«, der einzigen Zeitung, die er liest, macht er zu seinen eigenen; er ist für die Regierung, die eben am Ruder ist, welche es auch sei. Von ehrlichem Eifer beseelt, – einem Eifer ohne alle Hintergedanken, – arbeitet er bereitwillig eine Stunde über seine Zeit hinaus, um irgendeine Arbeit zu beenden, die der Chef haben will.
Seine Frau gibt Klavierstunden in Mädchenpensionaten. Er empfängt einen Abend in der Woche, da gibt's dann Bier und Kuchen, und man darf Lotto um Sousstücke spielen oder Manille, und trotzdem der Einsatz so mässig ist, ereignet es sich an hitzigen Abenden, dass der Kollege von der Mairie des XII. Arrondissements seine sechs Franken wohl oder übel verliert.
Die Gamasche ist voll Anteilnahme für jeden; aber nur mit Worten. Seine Frau hält ihn kurz und gibt ihm höchstens zwölf Franken monatlich Taschengeld. Übrigens bindet ihn an sie eine wirkliche Neigung.
In seinem Salon (er hat einen Salon) leuchtet von der grüntapezierten Wand mit dem roten Fries das Bild der »Regierung«, wie Madame Grassini von der Büste Napoleons sagte. Aber Louis Philipps Porträt nur neben dem der Königin. Ausserdem hängen da noch »Das Leichenbegängnis des Bettlers« nach Vigueron, »Der Landmann als Soldat« und die Totenmaske des Kaisers.
Sonntag unternimmt die Familie, wenn schönes Wetter ist, Landpartien in die Umgebung von Paris, deren Karte man sich geleistet hat. Die Gamasche, die von seinen Kindern ehrfürchtig respektiert wird, hat ihnen bereits Antony, Arcueil, Bièvre, Fontenay-aux Roses, Aulnay, gezeigt; wenn der Osten gründlich erforscht ist, wird man sich nach Westen wenden und so weiter. Der älteste Sohn soll wie der Vater in den Staatsdienst treten; der zweite bereitet sich zum Eintritt in die technische Hochschule vor.
Dieser Beamte sagt zu seinem Ältesten: »Wenn Du die Ehre haben wirst, der Regierung zu dienen, dann . . .«
Er hält seinen Abteilungschef für ein Genie und stellt ihn vor seinen Sohn als leuchtendes Beispiel, indem er oft und oft sagt: »Wie glücklich wäre ich, wenn Du werden könntest wie M. Bouvard!«
Fährt zufällig der Wagen des Ministers an ihm vorbei, wenn er im Begriffe ist, sein Bureau zu verlassen, dann nimmt die Gamasche den Hut ab, einerlei, ob der Wagen leer oder besetzt ist. Und wenn der Bureauchef ihm eine Arbeit zuweist und erklärt, dann lauscht die Gamasche mit Hingebung, er strengt seine Intelligenz an, lässt sich alles explizieren, lauscht mit Inbrunst den weisen Worten.
Dieser musterhafte Beamte ist schweigsam im Amte, ein exakter Arbeiter, der die Füsse auf einen Schemel gestützt, sich gewissenhaft in seine Akten vertieft. Sorgsam legt er die Feder am Rande des Tisches nieder, ehe er sein Schnupftuch zieht, feierlich nimmt er sie sodann wieder auf. In seiner amtlichen Korrespondenz ist er gemessen, nimmt alles ungemein ernst, legt Nachdruck auf die gleichgültigsten Dinge. Er tut nichts im Bureau ausser der Arbeit für seine Regierung. Und wenn er auch keinen seiner Kollegen, die während der Amtsstunden anderes als ihre Bureauarbeit machen, tadelt, – Ihm würde sein Gewissen so etwas nicht gestatten.
Zu Hause kopiert er abends und morgens Aktenstücke aller Art für Rechtsanwälte und Notare, denn Gott hat ihm eine schöne Handschrift geschenkt. Die Früchte des rastlosen Fleisses seiner Frau und seines eigenen, dazu das bisschen Vermögen, das sie hat, und sein Gehalt machen etwa tausend Ecus aus. Dank der strengsten Sparsamkeit gelingt es ihnen denn auch, alljährlich tausend Franken auf die hohe Kante zu legen, um der kleinen Tochter eine Mitgift zu schaffen.
Die Gamasche trägt tadellose Wäsche und eine brillantenbesetzte Busennadel, die ihm die Schwiegermutter am Hochzeitstage geschenkt hat. Seine Tochter stickt ihm Hosenträger. Er favorisiert noch den schwarzen Rock, weisses Gilet und blaue Beinkleider. Es hat lange gedauert, ehe er sich zu Stiefeln bekehren liess.
In dieser Familie feiert man Jahres-, Geburts- und Namenstage; und für diese festlichen Gelegenheiten dichtet er Verschen. Er fehlt bei keinem Leichenbegängnis, bei keiner Hochzeit; er geht sogar bis zum Père-Lachaise mit. Er macht seinen Vorgesetzten am Neujahrstage seine Reverenz. Seit zwölf Jahren knapst er sich von seinen zwölf Franken monatlich etwas ab und nascht an der Börse, um seine Sehnsucht zu erfüllen, deren Heftigkeit von Jahr zu Jahr wächst, nämlich seine einzige Leidenschaft: er will die Schweiz sehen!
Randbemerkung für die hochwohlgeborenen Damen, die diese Physiologie lesen:
Der Haushalt dieses Beamten ist tadellos geführt. Die Mädchen sind gut gekleidet, wenn sie ausgehen, Mutter und Vater haben Haltung und Ansehen wohlhabender Bürgersleute. Der Vater, die Mutter, die Kinder haben stets weisse Wäsche, und an der Erziehung der Kinder wird nicht gespart. Gibt man ein Diner, so werden vor allem vier kleine Gerichte serviert, dann ein blutiges Roastbeef im Kreise schön mit Gemüsen garniert: es folgen Geflügel, zwei Entremets, zweierlei süsse Speisen; das Dessert ist fabelhaft (vierundzwanzig Schüsselchen). In diesem Hause liegen stets fünfundzwanzig Louisd'ors im Geheimfach des Sekretärs. Alles in allem, diese weise organisierte Wohlanständigkeit, diese Wachs und Honig zeugende Bienenexistenz ruht auf der Basis von tausend Ecus. Der Teufel hole diese Physiologie, wenn das nicht so ist . . . Und die Frau muss tugendhaft sein, Gott helfe ihr!
Der Sammler
Die Bureauarbeiten sind für die Subalternbeamten so langweilig, dass jene, deren Geist noch nicht völlig erloschen ist, die Öde dieser Tätigkeit durch irgendeine Passion ausgleichen müssen. Darum fehlt selten in einem Bureau der Beamte, der Sammler und Kunstfreund ist.
Dieser stets solide, genaue, krittelige Beamte schert sich wenig um sein Avancement; er hat seine Stellung, von der er leben und seiner Passion fröhnen kann. Übrigens ist er meist kränklich, hasst also die Cafés, die Zigarren, das Leben »hoch zu Ross«. Er geht um zehn Uhr zu Bett und steht um sieben auf. Ins Theater kommt er selten. Er bläst das Flageolet oder die Flöte und hat sich bei der Nationalgarde als Pfeifer einschreiben lassen, um nicht etwa Nächte im Dienste verbringen zu müssen. Er sammelt: Er abonniert auf alle Werke, die in Lieferungen zu haben sind, z. B. auf »Die Szenen aus dem häuslichen Leben der Tiere«, illustriert von GrandvilleBalzac macht hier wie öfter noch Reklame für seine Publikationen. F. auf den »Don Quichotte«, den »Florian«, die »Français peints par eux-mêmes« (siehe die Buchhändlerkataloge); für alles, was man in Fortsetzungen bekommt, ist er sicherer Abonnent. Aber er sammelt die Werke in Lieferungen und denkt nicht daran, sie einbinden zu lassen. Er kauft die Lithographien des Verlags Aubert und überhaupt alle Kunstgegenstände – bis zum Preise von fünfzig Centimes. Er stapelt in seiner Wohnung Kuriositäten auf, die man ihm schenkt, oder die er bei Auktionen »erwirbt«, aber er geht bei seinen Erwerbungen nie über hundert Sous hinaus. Sein Heim ist auch voll von »seltsamen Mineralien«, billigen Terrakotten, Petrifikationen aus der Quelle von Saint-Allyre de Clermont. Er hat ein Regiment kleiner Fläschchen, in denen er Baryt, Sulfate, Salze usw. aufbewahrt. Er darf von sich sagen: »Mein eigen sind Korallen, Schmetterlinge, chinesische Schirme, getrocknete Fische, Münzen . . .«
Der Sammler verheiratet sich nicht. Er fürchtet die Ehe. Er will seine Unabhängigkeit wahren. Er hat immer eine Mutter, deren Aufgabe es ist, ihm tausend Franken Rente zu hinterlassen, die seine Pension ergänzen sollen. Oder er hat eine Schwester, die Modistin, Klavierlehrerin, Gesellschafterin ist, und mit der er sich früher oder später aufs Land zurückziehen wird. Er wird von den Müttern unverheirateter Töchter gesucht – allein dieser magere schwächliche Jüngling mit den zärtlichen, leichtumschatteten Augen, der in allen Jahreszeiten weisse Strümpfe, grünliche Beinkleider, Schnürschuhe, grüne oder nussbraune Glockenröcke trägt, lässt sich nicht verführen.
Im Bureau hat er einen Rohrfauteuil, dessen Sitz entweder in der Mitte durchlöchert oder mit einem kreisrunden Lederkissen gepolstert ist; denn er hat Hämorrhoiden. Er klagt über schlechte Verdauung. Sonntag macht er in einem Eselwagen Ausflüge nach Montmorency, und hält diners sur l'herbe, zu denen er mitgebrachte Milch trinkt. Manchmal schleppt er das ganze Bureau nach dem Boulevard du Mont-Parnasse, wo es angeblich die besten Milchspeisen gibt.
Dieser Beamte wird oft Souschef.
Der Beamte mit literarischen Ambitionen
Dieser Beamte ist ein Schlaumeier, der im Amte wenig tut und die Ausführung seiner Arbeiten den Hilfsarbeitern überlässt. Er gewinnt die Protektion des Abteilungschefs, dem er eine Loge zu allen seinen Premièren schickt; denn er ist ein unerschrockener Vaudeville-Fabrikant. Die Beziehungen zu seinen Mitarbeitern, zu den Theatern machen es ihm möglich, seinen Kollegen Freikarten, dem Bureauchef Logen zu schenken. Er leistet so ungefähr das Allernotwendigste, damit er seinen Gehalt beziehen kann; in Wirklichkeit arbeitet er nur an seinen Stücken. In den dramatischen Kompagnie-Gesellschaften ist er der tätige Teilhaber, er feilt den Dialog, macht die Couplets, flickt Szenen und arrangiert Striche. Seine Mitarbeiter kommen erst zu den Proben und verbessern, was er aufgeschrieben hat.
Der beamtete Vaudevillist wird manchmal Abteilungschef. Es gibt Beispiele dafür, das berühmteste ist Sewrin. In der Mitte seiner administrativen Laufbahn ist er, wenn alles nach der Regel geht, zumindest Souschef, er leistet seinen Vorgesetzten ja wertvolle Dienste. Er versöhnt mit diplomatischem Geschick den Minister mit seiner Maitresse, er verhindert das Erscheinen von Artikeln gegen Deputierte oder gegen seinen Generaldirektor. Er hat immer das Kreuz der Ehrenlegion. Seine Haltung ist ein wenig überlegen, hochmütig, er sieht aus wie ein hervorragender Funktionär. Im übrigen hat er sein Auskommen, ein Landgut und gönnt sich den Luxus eines Wagens. Er sagt einfach »Scribe«, er sagt »Hugo«, Dumas, Delavigue, Auber, Berlioz, er sagt sogar ganz einfach Ancelot. Er kennt alle Schriftsteller, speist fast immer im Restaurant, gibt seinen Freunden kleine Diners im Rocher de Cancale. Vom Ministerium bekommt er tausend Ecus und macht ungefähr sieben- bis achttausend Franken jährlich beim Theater mit seinen Drittel- oder Viertelstücken.
Dieser Beamte ist nicht verheiratet, aber er hat sein »Verhältnis« beim Theater. Geist hat er nur auf der Bühne und in seinen Stücken; im gewöhnlichen Leben hat er nicht mehr davon als jeder andere Beamte. Seine Kollegen finden, er ist ein guter Kerl. Er kommt ins Amt, wenn es ihm gerade einfällt, und niemand sagt ihm etwas. Er bringt sich Romane mit, liest sie, um »neue« Stoffe oder geistreiche Einfälle zu »finden«.
Eine andere Nuance dieses Genres ist der Beamte mit literarischen Ambitionen, der statt der Stücke Bücher schreibt. Seine Existenz ist bei weitem nicht so glanzvoll wie die seines »Kollegen«. Mit Müh und Not bringt er in zwei Jahren einen Roman zustande, und das bedeutet für ihn alles in allem, wenn's gut geht, einen Zuschuss von sieben- bis achthundert Franken im Jahre. Aber er schreibt auch kritische Artikel für die Zeitung, die er nicht signiert. Er plagt sich um den Prix Montyon. Seine Existenz ist stiller, farbloser als die des Vaudevillisten, aber immerhin: er hat das Kreuz der Ehrenlegion. Er ist eifriger im Amte wie der andere, denn ihm stehen die Logen und Freibillets nicht zur Verfügung, mit denen er seine Unabhängigkeit erkaufen könnte. Er plagt sich mit der französischen Sprache und liest in freien Augenblicken Korrekturen. Aber er selbst glaubt so wenig an sein Talent, dass er sein Avancement nicht aufs Spiel setzen will. Manchmal gibt er das Schreiben schliesslich auf.
Der Betriebsame
Dieser Beamte fällt durch seine Geschäftigkeit auf. Er spielt die Klarinette oder die Oboe in der Opéra Comique, ist also abends Musiker, und früh von sieben bis neun Uhr führt er irgendeinem Krämer die Geschäftsbücher.
Indem er abends in sein Stück Holz hineinbläst und des morgens Blut und Wasser schwitzt, bringt er es auf ein Einkommen von neuntausend Franken. Er hat eine charmante Frau und liebe Kinder. Der Betriebsame gibt sich auch mit der Kunst und den Künstlern ab. Seine Passion ist, Konzerte zu veranstalten, für die Beamte seiner Abteilung Freibillets bekommen, denn er ist der Proben wegen auf ihre rücksichtsvolle Aushilfe angewiesen. Er ist sehr musikalisch, deshalb geht er nur zu den Generalproben. Und die gefällige Verwaltung duldet das im Ministerium so gut wie im Theater. Daneben erzieht er sich immer einen Jüngling zur Musik und zur amtlichen Tätigkeit, der ihn vertritt und auch im Orchester sein Nachfolger werden soll.
Seine Frau, die sehr hübsch ist und einiges Vermögen besitzt, geniesst die vollste Unabhängigkeit. Sie bekommt ihren Mann nur beim Mittagessen zu sehen und ist stets mit seinem Abteilungschef intim befreundet; und so wird der Betriebsame auch immer befördert. Seine Frau empfängt jeden Mittwoch und spielt die Frau comme il faut. Sie gibt viel für ihre Toilette aus, aber der Haushalt leidet nicht darunter. Seine Kinder bekommen Freiplätze, Stipendien. Der Betriebsame hat Geist genug, um sich dumm zu stellen, er rühmt sein häusliches Glück. Er ist ein guter, dicker Mann, ein bisschen täppisch, wie alle Künstler, aber gesunder Menschenverstand fehlt ihm nicht. Der Bureauchef, der spürt, dass er ihm gefährlich werden kann, erklärt: das ist ein durchtriebener Kerl. Der Betriebsame ist ein guter Arbeiter, hat Geist, macht witzige Wortspiele, erledigt flott seinen Teil Arbeit.
Der Wucherer
Dieser Beamte sieht schrecklich aus. Er hat stets das gleiche Gesicht: entweder bleich, lang, grünlich, kahlköpfig mit scheelen Augen oder rot, erhitzt, voll von Pusteln. Er hat zu wenig Blut oder zu viel.
Er ist Beamter aus Berechnung, um leben zu können, ohne sein Kapital oder seine Zinsen angreifen zu müssen. Er ist schweigsam, schenkt seine ganze Zeit, seinen ganzen Verstand dem Dienste. Schliesslich macht er auch so seinen Weg. Er lacht nie, seine Lippen sind schmal, er gibt zwar gute Ratschläge, aber eingewickelt in stachelige Sentenzen. Kein Mensch im Bureau weiss, was er eigentlich treibt; er schweigt gut über sein Tun. Seine Klienten treffen ihn, ausgenommen am Fünfzehnten und Letzten des Monats, von sieben bis neun Uhr früh oder zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags zu Hause. Seine Abende sind das grosse Mysterium. Er ist der Beamte, zu dem im Hause am meisten Besucher kommen, dann geht er in den Hof hinunter und gibt Audienzen, bei denen er mehr schweigt als spricht; Unbekannte präsentieren ihm dann Papiere, die er mit kalter, unbeweglicher Miene prüft; worauf er kühl wieder hinaufgeht, zurück zu seiner Arbeit. Er ist im glücklichen Besitze einer goldenen Tabaksdose.
Der Schmeichler
Dieser stets sehr mittelmässige Beamte hält sich durch die Dienste, die er erweist, und die Angst, welche er erregt. Er plaudert mit dem Bureauchef, mit dem Abteilungschef; er beobachtet sie und schleicht sich in ihr Vertrauen ein. Schliesslich kennt er ihren Geschmack und ihre Launen; seine Gefälligkeiten sind aller Art. Er berichtet ihnen, was in den Bureaus gesagt und getan wird. Er ist unersetzlich, denn er ist auf dunkle Geheimnisse gekommen; und wenn er zu solcher Niedertracht noch etwas Begabung oder Ehrgeiz hat, dann macht er sogar manchmal Karriere. Man sagt dann von ihm: er opfert sich auf. Und in der Tat, er lässt sich sogar von Zeit zu Zeit opfern und erträgt die üblen Folgen seiner Frechheit mit kühlem Blute; niemand kann sich seine Macht, niemand seine Demut erklären. Man weiss, dass er infam ist und gibt ihm die Hand. Man nennt ihn den »Jesuiten«. Er denunziert ein bisschen, spioniert viel; und beides geschickt: man ist immer in seiner Hand.
Der Krämer
Diese Sorte Beamter ist sehr häufig. Die meisten haben Frauen, die grosse Schneiderinnen sind, einen Modesalon haben, Wäsche, Spitzen, Kaschmire, Modistenkram verkaufen. Die Behörde schätzt diese Leute sehr; sie sind mit ihrem Schicksal zufrieden, ihr Gehalt genügt ihnen. Und die Frauen dieser Beamten sind ebenso zufrieden wie die Behörde: der Mann sitzt ihnen nicht den ganzen Tag im Genick, sie sind Herrinnen in ihrem Haus. Das gibt dann vortreffliche Beamte, vortreffliche Gatten, als Resultat: vortreffliche Ehen.
Diese Beamten haben jene phantastischen Familien geschaffen, wo der Gatte nur an Sonn- und Feiertagen zu sehen ist. Wenn sie aus dem Bureau heimkommen, verschwinden sie von fünf bis sieben in einem Kabinett, um die Bücher ihrer Frauen in Ordnung zu halten, die Kasse zu führen. Bei den schicksalsschweren Geschäften erscheinen sie; ein Kaufmann ist dann erstaunt, einen schlauen Beamten zu entdecken, der die Interessen des Hauses zu wahren versteht. Diese Beamten sind auch häufig Teilhaber grosser Handelshäuser im Drogengeschäft, im besseren Kolonialwarenhandel und im Verlagsgeschäft. Es gab einmal einen Beamten im Schatzamt mit Namen Pollet, der die Stücke Scribes ankaufte, er handelte auch mit Romanen. Aber wenn der Handel blüht, kommt die Behörde zu kurz, und der Beamte verlässt diese magere Futterkrippe. Es ereignet sich aber auch, dass ein schlechtes Geschäft seine Kapitalien aufzehrt; dann bleibt ein unglücklicher Beamter im Dienst übrig, und die seriösen Leute im Amte erklären: es sei eben töricht, zwei Sachen zu gleicher Zeit machen zu wollen. Das Sprichwort: »Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen« läuft dann durch die Bureaus.
Der Grübler
Der Mann nimmt seinen Beruf ernst: er studiert die Dinge, die Menschen, die Geschäfte. Er kennt alle Ressorts der Verwaltung; er liebt sein Vaterland, er weiss wie die Verhältnisse gerade liegen, verfasst Denkschriften über schwierige Angelegenheiten. Sein Gesicht ist oft düster und bekümmert, wie eben das eines Mannes, der nicht sicher ist, ob er recht behalten wird; aber zu guter Letzt wird er erkannt und geschätzt. Man sagt: das ist ein Arbeitstier. Er nimmt sich noch Arbeit nach Hause mit. Er durchforscht alles im Ministerium. Ihn interessiert nichts ausser dem Dienst. Er entwickelt sich zu einem ganz besonderen Wesen, wie der Mann, der es vom Piloten zum Kontreadmiral, vom Unteroffizier zum General bringt. Er hat einen eisernen Willen und stellt ihn in den Dienst der Behörde. Nichts schreckt ihn ab, nichts entmutigt ihn. Und seltsam! dieser Mann wird beneidet, ihm macht jeder Schwierigkeiten. Der Minister, der Abteilungschef stellt an ihn die höchsten Anforderungen. Es ist gerade wie in einem Gespann, das gute Pferd bekommt bei jedem schlechten Schritt des Genossen die Peitsche zu spüren. Manchmal droht er die »Baracke«, die »Bude« zu verlassen. Dann hält man ihn zurück, gibt ihm einen Orden. Mit fünfzig Jahren wird er dann Obersteuereinnehmer, Direktor einer Abteilung, hat die Ehre, in der Kammer einen Gesetzentwurf zu begründen – – –. Er macht eine glänzende Partie, das Publikum sieht in ihm den Vertreter der Amtsgewalt, die Geissel der Steuerzahler.
Der arme Beamte
Und das ist die rührendste Gestalt. Der Mann, der weder Glück noch Stern hat, auch keinen Nebenberuf, kurz, der nichts hat als seinen Posten und der die Frau heiratet, die er liebt. Für Augustine spart er sich alles vom Munde ab. Er mag pünktlich sein, alle Tugenden der Welt haben, er zählt nie mit. Seine Frau, die sich kaum den Luxus eines »Mädchen für alles« gönnt, stillt ihr Kind selbst, näht alles im Hause, geht selbst auf den Markt. Diese Leute leben von achtzehnhundert Franken im Jahre, und zwanzig Jahre schlagen sie sich so durch, ohne einen Sous sparen zu können. Diese zwei interessanten Wesen bringen es zustande: im Laufe ihres Lebens bescheidene Möbel aus Ahorn zu bezahlen, jedes Jahr vier Kleider, zwei Hüte, und Schuhe für die Frau und dazu die Stiefel und den Anzug des Mannes. In dem aufreibenden Kampfe dieses Lebens von der Hand in den Mund ist die Intelligenz des Mannes entweder völlig erloschen oder – sehr gewachsen. Er erfindet mechanische Korsetts oder Saugfläschchen, Feuerspritzen oder Spritzleder, Kamine, die kein Holz verbrauchen, Herde, auf denen man Koteletten mit drei Blättchen Papier braten kann. Und dann lässt er sich von dem Mann ausbeuten, der ihm das Geld für sein Patent leiht, und fällt wieder ins Elend zurück. Oder er bringt es so weit, seine Pension zu bekommen und sucht dann einen Posten als Privatbeamter.
Wenn er stirbt, ehe er pensionsberechtigt ist, weiss niemand, was aus seiner Frau, seinem Kind wird. Die Minister haben dieser armen Opfer wegen keine unruhigen Nächte.