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Spanische Anekdote

Madrid. Wir frühstücken im Freundeskreise bei Botin, wo es die berühmten Spanferkel gibt. Alle sind lustig; nur ich habe meine Sorgen und verhalte mich still.

»Was ist Ihnen denn?« fragt mich das schlanke Fräulein, das neben mir sitzt. »Sie sind ja heute ganz anders und haben mir noch kein einziges gutes Wort gesagt.«

Sie ist eine Balearin aus Mallorca, und ich beschließe, diesem Inselwesen mein Herz auszuschütten. »Sehen Sie, liebes Kind«, sage ich, »die Sache ist die: Ich habe der Chefredaktion in Berlin geschrieben und gefragt, ob ich nicht noch ein bißchen hierbleiben dürfe. Nun ist aber hier jetzt so wenig zu tun; ich fürchte, daß ich fort muß; ach, und ich bliebe doch noch so gern bei euch.«

Sie überlegt einen Augenblick und sagt dann: »Wir werden nach dem Essen in die Kirche in der Atocha-Straße fahren. Unterwegs erzähle ich Ihnen, was ich mir denke ...«

Es ist heute seit langer Zeit ein trüber Tag in Madrid; das große glatte Automobil faucht durch die dämmernden Straßen der Stadt, in der die ersten Lichter der Nacht angezündet werden. Auf der Fahrt setzt mir meine Freundin ihren Plan auseinander. »In der Kirche der Atocha-Straße steht eine Nachbildung der Heiligen Jungfrau vom Pfeiler aus Zaragoza. Die werden wir jetzt bitten, daß man Sie noch hierläßt, und werden ihr zwei Kerzen geloben für den Fall, daß sie unsere Bitte erfüllt. Außerdem werde ich jeden Abend vor dem Einschlafen für Sie beten.«

Dieses Mädchen heißt mit Vornamen Milagros, die Wunder, gehört also in die Sammlung merkwürdiger Frauennamen, die ich hier in Spanien zusammenstelle. Ich habe schon: Encarnación, Purificación, Sacramento, Visitación, Monserrat, Consuelo, Africa, Guadalupe.

In der Kirche ist es finster, einsam und schauerlich. Gemarterte Heilige winden sich in den Ecken, und aus der Tiefe der Kapellen starren gläserne Augen. Milagros faßt mich an der Hand und führt mich durch alle die Stühle bis an den Altar. Dort knien wir nebeneinander hin und beten.

Das heißt, mit meinem Beten ist es nicht weit her. Aber ich verhalte mich still, luge nach links und starre in das wunderbare Profil dieses Mädchens. In ihrem Auge steht ein Stern als Widerschein der Ewigen Lampe, und ihre Lippen bewegen sich ganz langsam. Diese Lippen bitten die Heilige Jungfrau, sie möge das Herz der Chefredaktion in Berlin gnädig stimmen.

Das war am 15. Januar.

Am 16. Januar ging von Berlin ein Brief ab, in dem mir mitgeteilt wurde, ich könne noch hierbleiben. Mit diesem Brief bin ich zu Milagros gerannt; dann sind wir beide wieder in die Kirche gefahren, haben unterwegs zwei Kerzen gekauft, das Stück zu 3 Peseten 50, und diese Kerzen mit großer Umständlichkeit auf dem Altar der Heiligen Jungfrau aufgestellt und angezündet.

Aber wenn die Chefredaktion in Berlin gewußt hätte, welch geheimnisvolle und gütige Macht damals ihren Ratschluß lenkte!


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