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Am 8. März 1826, vormittags elf Uhr, dichtete Goethe folgenden Vers:
Wirke, Jüngling, ziele, schaffe,
Hoher Mannestätigkeit;
Nur im Palmenbaum der Affe
Spielt und tändelt alle Zeit.
Der Olympier diktierte dieses Verschen dem Dr. Eckermann und sandte es dann an Cotta, damit es noch in die Ausgabe letzter Hand hineingebracht werden könne.
Am 30. Oktober kamen die Korrekturbogen von Cotta zurück, in denen der Vers drinstand. Goethe hatte gerade keine Zeit, denn er hatte einen fossilen Rhinozerosschädel vor, an dem er die Knochennähte des Os sphenoideum zu studieren gedachte. Er schob also die Bogen Eckermann hinüber, damit der die Korrektur besorge. Aber Eckermann schrieb eben einen Liebesbrief an seine Braut aus dem unreinen ins reine ab. Er hatte also ebenfalls keine Zeit und las die Korrekturen auch nicht. So blieb unbemerkt ein Druckfehler in dem Verse stehen, und zwar folgendermaßen:
Wirke, Jüngling, ziele, schaffe,
Hoher Mannestätigkeit;
Nur im Palmenbaum das Affe
Spielt und tändelt alle Zeit.
Die ungelesenen Korrekturbogen gingen an Cotta zurück, und auf diese Weise kam die berühmte Lesart »das Affe« in die Ausgabe letzter Hand und in die deutsche Nationalliteratur.
Dreißig Jahre später wurde die Goethephilologie erfunden. Und wenn nun mehrere Goethephilologen beisammen sind und wenn zufällig einer von ihnen den Vers »Wirke, Jüngling« zitiert, so passen die anderen scharf auf, ob er ja auch richtig »das Affe« sagt, wie es der Meister geschrieben hat. Wenn er aber aus Versehen zitiert »Nur im Palmenbaum der Affe«, so schreit alles durcheinander: »Falsch; es muß heißen: Nur im Palmenbaum das Affe.«
In der Zeitschrift für deutsche Philologie, Jahrgang XXXVIII, aber schrieb Professor Horitza folgendes: »Die Lesart ›das Affe‹, die dem banausischen Verstand auffallen könnte, ist von dem Meister mit sichtlichem Vorbedacht und mit feinstem Sprachgefühl gewählt worden. Der Affe ... das wäre nur ein individueller Affe in einem individuellen Palmenbaum ohne jede Allgemeinbedeutung. Das Affe aber umfaßt die ganze Affenschaft der Welt. Man glaubt es tausendfach kribbeln und wimmeln zu sehen, wenn man diese Wendung ›das Affe‹ liest, in der wahrhaft ein echter weimarischer Hauch von Ewigkeit und Unendlichkeit zu wehen scheint.«
So ist das Affe ein Palladium und Feldgeschrei der Goethephilologen geworden. Sie erkennen sich daran und gebrauchen es oft und gern, um zu zeigen, wie tief sie in des Meisters Art und Geist eingedrungen sind. Wenn jemand beispielsweise dem Professor Erich Schmidt sagt, es sei doch gleichgültig, ob Goethe den »Erlkönig« im Jahre 1780 oder 1781 gedichtet habe, so wird der berühmte Literaturhistoriker geringschätzig vor sich hin murmeln: »Solches Affe.«