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Das große Kaufhaus hat eine Rosenausstellung veranstaltet; diese Rosenausstellung findet in dem Marmorsaal statt, wo die Säulen sind und die Nischen mit den römischen Figuren darin.
Dort hat man lange Tische aufgestellt, in Stufen übereinander, und auf diesen Tischen stehen nun die Rosen in Gläsern, eine neben der anderen, reihenweise. Ganz dunkelrote, die fast schwarz scheinen; gelbe mit einem Geruch wie Himbeeren; und jene schlanken, blassen, die Phryne im Haar getragen hat, als sie vor den Geschworenen Athens ihre Brust entblößte.
Einige Ladenfräulein bewachen das Arrangement, und passenderweise hat man für diesen Dienst die schönsten Ladenfräulein des Kaufhauses ausgesucht. Wir aber, das Publikum, gehen die Reihe der Blumen entlang, sehen jede Blume an und riechen dann an ihr. Die Ladenfräulein sehen wir auch an, aber an denen riechen wir nicht, weil sich das nicht schicken würde.
Boutons d'Or, Perles des jardins, Eblouissant, so heißen die Rosen in der Mehrzahl. Sehr patriotisch scheinen die Rosen in der Mehrzahl also nicht zu sein, und der Allgemeine Deutsche Sprachverein sollte einmal da nach dem Rechten sehen. Eine Rosenreinigung täte not.
Überhaupt dürften zielbewußte Männer an Rosen keinen besonderen Gefallen finden. Diese Blumen sind so träumerisch und versonnen, sie wissen offenbar gar nicht, was sie wollen, und fast alle haben den Kopf gesenkt. Rosen haben keine Haltung.
Nur eine führt einen Namen, der in die moderne Gegenwart mehr paßt, sie heißt nämlich Oberbürgermeister. Und sie sieht wirklich so aus wie ein Oberbürgermeister, aufrecht und repräsentabel. Ob sie auch so riecht wie ein Oberbürgermeister, habe ich nicht feststellen können, diese Rose stand zu hoch auf dem oberen Tische.
Es ist sehr still in der Rosenausstellung, denn nur Menschen der inneren Sammlung verweilen hier. Wir sprechen leise, wie man vor großen Kunstwerken leiser spricht, und wir glauben einen Augenblick außerhalb der Zeit zu sein unter diesen Säulen.
Allerdings hat mir einer der Menschen der inneren Sammlung, während ich da stand, mein Taschenmesser aus der rechten Jackettasche gestohlen; aber daran ist nichts Verwunderliches. Ach, die Welt wurde ja jetzt so beschaffen, daß nicht einmal wir Rosenfreunde ganz frei von Fehlern sind.