Sagen aus Schleswig-Holstein
Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Wode

Den Wode haben viele Leute in den »Zwölften« (die Nächte von Weihnachten bis zum Dreikönigsfest) und namentlich am Weihnachtsabend ziehen sehen. Er reitet einen großen Schimmel; ein Jäger zu Fuß und vierundzwanzig wilde Hunde folgen ihm. Wo er durchzieht, da stürzen die Zäune krachend zusammen, und der Weg ebnet sich vor ihm; gegen Morgen aber richten sich die Gehege wieder auf. Manche Leute behaupten, sein Pferd habe nur drei Beine. Er reitet stets die gleichen Wege an den Türen der Häuser vorbei, und zwar so schnell, daß seine Hunde ihm nicht immer zu folgen vermögen; man hört sie keuchen und heulen. Schon manchmal ist einer von ihnen liegengeblieben. So fand man einmal einen von Wodes Hunden in einem Hof in Wulfsdorf, einen anderen in Fuhlenhagen auf dem Feuerherde, wo er sich hingestreckt hatte, ständig heulend und schnaufend, bis ihn am folgenden Weihnachtsabend der Wode wieder mitnahm.

In dieser Nacht darf man keine Wäsche im Freien hängen lassen. Die Hunde würden sie zerreißen. Auch soll man nicht backen. Alle Bewohner müssen still zu Hause bleiben. Läßt man die Türen offen, so zieht der Wode durch, und seine Hunde verzehren alles, was sich im Hause Genießbares vorfindet.

Einst war der Wode auch in das Haus eines armen Bauern geraten, und die Hunde hatten alles aufgezehrt. Der Arme jammerte und fragte den Wode, wer ihm den Schaden ersetze, den die Hunde angerichtet hätten. Wode antwortete, er werde alles bezahlen. Bald nachher erschien er mit einem toten Hunde und befahl dem Bauern, den Kadaver in den Schornstein zu werfen. Das tat der Bauer, da platzte der Balg, und lauter blanke Goldstücke fielen heraus.

Der Wode hat einen bestimmten Weg, den er alle Jahre in den »Zwölften« reitet. Dieser führt rings um Krumesse herum über das Moor nach Beidendorf zu. Wenn er angebraust kommt, müssen die Unterirdischen flüchten, denn er will sie von der Erde vertilgen. Ein alter Bauer brach einmal spät von Beidendorf aufund wollte noch nach Krumesse gehen, plötzlich bemerkte er, wie die Unterirdischen dahergelaufen kamen. Sie waren aber gar nicht ängstlich und riefen ganz munter: »Heute kann er uns nichts anhaben, er soll uns nur in Ruhe lassen; er hat sich heute morgen noch nicht gewaschen.«

Als der Bauer ein Stück weiter gewandert war, begegnete ihm der Wode und fragte ihn, was die Kleinen gerufen hätten. Der Bauer erwiderte, sie hätten gesagt, er habe sich heute morgen nicht gewaschen und könne ihnen daher nichts Übles antun. Da hielt der Wode sein Pferd an, stieg ab und wusch sich. Dann sprang er wieder auf sein Roß und jagte den Unterirdischen nach. Nicht lange nachher sah der Bauer den Wode wieder zurückkommen; er hatte die armen Kleinen an ihren langen Haaren zusammengebunden und an jeder Seite des Pferdes mehrere von ihnen hängen. So grausam hat Wode die Unterirdischen verfolgt. Heute sind sie alle verschwunden. Deshalb jagt der Wode nun nicht mehr auf der Erde, sondern oben in der Luft.

Der Wode ist in Schleswig-Holstein immer noch weithin bekannt; deshalb schließen viele Leute in der Weihnachtszeit die Türen vor ihm zu.

 


 


 << zurück weiter >>