Sagen aus Schleswig-Holstein
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Der Dollart

Vor vielen hundert Jahren dehnten sich grüne Wiesen und gelbe Kornfelder, wo jetzt der Dollart seine blauen Fluten wälzt. Dort lag der reichste und größte Teil des Reiderlandes, und hier wohnte ein stolzes und hoffärtiges Volk auf fruchtbarem Boden. Ein Flecken namens Torum war so wohlhabend, daß dort acht Goldschmiede ihre Nahrung fanden. In Reiderwolde wohnten gar neun Stiege Frauen, und jede trug vor ihrer Brust eine goldene Schildspange so groß, daß sie ein Groninger Kröseken (Hohlmaß) faßte.

Auf eine Zeit kam der Krieg ins Land, und die Dörfer gerieten in große Feindschaft gegeneinander; Vetkoper hießen die einen, und Schieringer nannten sich die anderen. Sie schädigten sich wie zwei feindliche Brüder, wo sie nur konnten, und verbrannten die Siele. Da strömte das Wasser ein und überschwemmte das Reiderland. Es wohnte dort ein Häuptling Tidde Winnengha, der sehr reich an Gütern war, den forderten die Hausleute und Gemeinden zum Deichbauen auf. Aber er gab nur zur Antwort: »Ich will nicht eher deichen, als bis die Fluten einen Speer hoch über mein Land laufen.« Da er sich also weigerte, wurde sein Land ausgedeicht, und er mußte sein Gnadenbrot im Kloster Palmar essen. Die Hausleute aber vermochten auf die Dauer doch nicht den Deich zu halten, dieweil sie einander befehdeten und niemals einig waren. Immer ungestümer brachen die Wogen herein und vernichteten zuletzt alles Land. Zweiunddreißig Flecken und Dörfer ertranken in den Fluten, und dabei waren reiche Klöster.

Mancher Schiffer, der bei ruhigem Wellengang mit seinem Kahn über den Dollart fährt, hat schon auf dem Meeresgrunde Häuser und Türme erkennen können, und andere haben bei stillem Abendwetter ein Glockenklingen aus der Tiefe gehört.

 


 


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