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Peter Rosegger

1918

 

Er hat begonnen vor mehr als fünfzig Jahren als unbeholfener klobiger Bauernbub aus einem steirischen Älplerdorf, kaum der Rechtschreibung kundig, tumb und unbelehrt, ein kleiner Parsifal in Lederhosen, der mitten in der Zeit der Eisenbahnen und Telegraphen nach Wien aus seinem Dörfel fuhr, um den Kaiser Josef zu suchen (wie schön, wie rührend hat er diese Torheit seiner Kindheit erzählt). Und jetzt, da sein Atem innehielt, war er ein milder gütiger Greis, Welt und Zeit mit stiller Weisheit von eben demselben steirischen Heimatswinkel umfassend, der »alte Heimgärtner«, der wie Lynkeus der Türmer von seiner einsamen Höhe nach den Stunden und Sternen spähte. Dazwischen liegen unzählige arbeitsvolle, hilfstätige Tage, eine Bücherreihe, die mühelos eine Wand füllt, eine reiche Lebenswanderschaft und ein großer Ruhm.

Aber Ruhm, wie vielfältig vermag dieses Wort zu sein! Ruhm, das ist Neugier, Unruhe, ist Wirkung und Menschengewalt, ist ein Denkmal und ein Sarg, ist zugleich Lärm und Vergessenheit. Und durch alle diese Phasen ist dieser alte Mann langsam durchgeschritten. Zuerst war er eine Kuriosität: irgendein Winkelredakteur hatte ein paar Gedichte von dem kleinen Schneidergesellen abgedruckt, sie machten Aufsehen, und er hatte seinen ersten Ruhm, freilich dem einer Zirkusnummer nicht allzu unähnlich: er war der dichtende Bauernbub aus der Steiermark. Aber dann begann man allmählich ihn mehr zu achten. Die Zeit war ihm günstig; Bertold Auerbach, die Birch-Pfeiffer hatten die Bauernwelt für die Literatur entdeckt, und man spürte, dieser Neue, dieser Peter Rosegger war echter als sie alle. Er hatte Wurzel und Saft, war ein gerader kerniger Erzähler, und sein Weltwinkel, wieviel Liebe strömte er aus! Damals vor vierzig Jahren begann Rosegger der Liebling des deutschen Volkes zu werden und wirklich: des Volkes! Wo sonst der Name eines Dichters nie eindringt, in die kleinen Stuben, darin noch unter brennendem Kienspan und schwelendem Petroleumlämpchen Bücher mehr durchbuchstabiert werden als gelesen, sprach man seinen Namen mit Ehrfurcht aus, seine Zeitschrift »Der Heimgarten« (die vielleicht kaum in zehn Exemplaren in die Großstädte dringt) war dort Hauspostille und Unzähligen seit vierzig Jahren darin sein Wort Meinung und Gesetz. Immer weiter wuchs des Steiermärkers Ruhm, Tolstoi, der Unerbittliche, rühmte seine Romane als »gute Bücher«, in Frankreich schrieben zwei Professoren dicke Bücher über sein Werk, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich sage, daß von keinem lebenden deutschen Autor mehr Bücher verkauft und verbreitet waren. Unermeßlich wurde allmählich sein Ruhm: mehr als Hauptmanns, als Hebbels, als Kleistens, als Gottfried Kellers war dieser Name Rosegger längst ein Begriff geworden, eine Selbstverständlichkeit. Aber eben in diesem Erstarren zum Begriff war ein stilles Sterben in seinem Ruhm: die Literatur kümmerte sich um seine Bücher nicht mehr, wertete sie kaum. Ein neuer Roseggerband zu Frühling und zu Herbst, das wurde allgemach selbstverständlich, wie die grünen Blätter am Baum im April und die gelben im September, man staunte nicht darüber und wußte, wie sie waren – eben: Rosegger –, ohne sie aufzuschlagen. Die junge Generation und die jüngste zog flüchtig den Hut vor seinem Namen und ging vorüber, ohne nur seinem Werk ins Antlitz zu sehen. Er war vergessen, eingesargt in seinem Ruhm. Und als ich im vergangenen Jahr aus dem Gefühl, einmal um ihn zu wissen, sein jüngstes Buch aufschlug und dann öffentlich sagte, eine wie hohe, wie ehrfurchtswürdige Menschlichkeit hinter diesem großen Namen sei, da kam ein Brief von ihm, zitternder Altershand, unendlichen ungläubigen Staunens voll, daß man drüben in der andern Welt, in der Stadt, bei der Jugend noch etwas an ihm müden alten Mann finden könne. Es ist mir heute ein liebes kostbares Blatt, weil darin Freude eines Menschen blinkt, der andern viel, unendlich viel Freude getan.

Und da, da ist sein Wert in der Zeit. Kein Schriftsteller, kein Dichter der letzten Generationen in Deutschland hat in so ernster sittlicher ehrlicher Weise schlichten Menschen von kleiner Welt erzählt und in ihnen die milden Lichter der Liebe zur Natur, zur Einfachheit, zur Andacht entzündet. Wie Jeremias Gotthelf, sein Schweizer Bruder, hat er ihnen immer wieder gesagt, daß an der Erde der beste Halt für den Menschen sei, und sie gewarnt vor der Verführung der Städte, hat prophetisch im Handel und der Geldsucht den künftigen Untergang gesehn – »Mehr Pflüge, weniger Schiffe!« war sein schlagkräftiges Wort – und in vielen, vielen Legenden aus seiner Waldheimat (von denen manche dauern wird), in seinem »Jacob dem Letzten«, im »Erdsegen«, den tiefen Sinn des Zusammenhanges des einzelnen mit der Erde als Evangelium der Welt gekündet. Er war fromm, nicht ganz im katholischen Glauben, und sein Christusbuch I.N.R.I. ist bis nach Rom und auf den Index gekommen, aber in seinem gottseligen Pantheismus war etwas, was er »Heimweh nach dem Christentum« nannte. Wie er überhaupt voll Heimweh war nach vergangener Zeit: nach der ländlichen Einfachheit, nach den alten guten Sitten, nach der stilleren Welt.

Ein Heimwehmensch war er, nach rückwärts gewandt mit seiner Sehnsucht, ohne viel Hoffnung auf die künftige Zeit: darum hat die neue Jugend mit ihm so wenig anzufangen gewußt und darum lieben ihn die Alternden so sehr. Seine Bücher werden vielleicht einmal Lederstrumpfgeschichten aus unserm verlorenen Europa sein, und dann wird man von diesen steirischen Bauern lesen wie von den Rothäuten der großen Prärien. Aber dieser Heimwehmensch, dieser rückwärts gewandte, war zugleich ein wunderbar klarer und kluger Kopf: man mußte nur in dem holzschnittharten Gesicht die scharfen Augen unter der Brille sehen. Die blickten sicher in die Welt. In seinem »Heimgärtners Tagebuch« steht soviel Grundgescheites und Treffliches zum Tage in einem so kristallklaren knappen saftigen Deutsch, so erstaunlich das Geschaute in Anekdote verwandelt, daß man sich nicht wundert, wie dieses Buch Tausenden und Tausenden ein Lebensevangelium war. Wie zu Tolstoi, kamen sie in seiner Heimat zum Rosegger, wenn sie Rat brauchten, sie schrieben ihm Briefe aus Sorge und Not und er antwortete ihnen: man kann es kaum sagen, was er diesen Menschen war. Und sie werden es drüben in Österreich erst jetzt wissen, da er gegangen ist. Seine Stelle ist leer. Wir haben gute Dichter, wir haben viele Bücherschreiber. Aber wo ist der in Deutschland, der Führer und Wächter wäre für die stillen Seelen der kleinen Leute, ihnen nah und verständlich und gütig in seinem Ruhm? Ich weiß viele, für die man Verehrung hat. Aber Vertrauen des Volkes: das hat nur dieser besessen, der Petri Kettenfeier Rosegger, der jetzt in seinem Dörfel in der Steiermark still gestorben ist.

War er groß als Dichter, war er klein? Die Frage geht vorbei an einem solchen Menschen. Ich mag da nicht werten und richten. Ich weiß nur, daß ich ein Gedicht von ihm sehr liebe, das mir so schön dünkt wie manches des berühmtesten deutschen Dichters und dessen weise Wehmut mir es noch lieber macht in der Stunde seines Todes. Man fühlt, daß es seinem Alter entstammt, und ich will es hierhersetzen, weil sein Sterben darin so sanft verklingt.

Was die Erde mir geliehen,
Fordert sie schon jetzt zurück,
Naht sich, mir vom Leib zu ziehen
Sanft entwindend, Stück für Stück.
Um so mehr, als ich gelitten,
Um so schöner ward die Welt.

Seltsam, daß, was ich erstritten,
Sachte aus der Hand mir fällt. –
Um so leichter, als ich werde,
Um so schwerer trag ich mich.
»Kannst Du mich, Du reiche Erde,
Nicht entbehren?« frag ich Dich. –
– »Nein, ich kann Dich nicht entbehren
Muß aus Dir ein' andern bauen,
Muß mit Dir ein' andern nähren,
Soll sich auch die Welt anschauen.
Doch getröste Dich in Ruh!
Auch der andere, der bist Du.«

So wollte er sterben. Still. Verklärt. Die Welt hat es nicht gewollt. Er mußte noch den Krieg erleben, seine eigene Verkündigung, den Krieg, für den er, weiser als die »großen« deutschen Dichter und Gelehrten, keine Begeisterung fand. Einige Monate vor seinem Tode besuchte ihn ein Freund, er traf ihn müde, verzweifelt. »Sie sollen mit dem Morden aufhören, sie sollen mit dem Morden aufhören« – das war sein einziges Wort. Denn wie alles hat dieser einfache Mensch und Dichter auch dieser Zeit nur menschlich gefühlt. Und dies ist noch ein Ruhm zu seinem großen Ruhm.


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