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1931
Daß Rainer Maria Rilke diesen Dichter unter allen Romanschriftstellern Frankreichs besonders geliebt und mit seiner Freundschaft geehrt hat, wäre schon Grund genug, um ihn in Deutschland respektvoll zu empfangen. Dieser Bindung danken wir eines der zartesten und eindringlichsten Erinnerungsbücher über unseren deutschen Lyriker, ein Denkmal geistiger Brüderlichkeit, das das Denkmal eines großen Deutschen dauerhaft in die französische Kultur stellt. Wenn man jenseits des Rheins, jenseits der Sprache heute die Größe Rainer Maria Rilkes ahnt, ohne seine Verse in ihrer ursprünglichen Farbigkeit und Fülle zu kennen, so schulden wir dies Edmond Jaloux.
Diese Fähigkeit des Verstehens, dies Durchdringen der geheimnisvollsten Schwingungen des Herzens ist auch der wesentliche Vorzug des Künstlers Edmond Jaloux. Die Verstrickungen seiner Romane geschehen niemals grob, sie reißen nicht gleichsam an festen Stricken den Leser in eine fast unerträgliche Spannung, sie fesseln nicht roh und gewaltsam. Ganz langsam, unmerklich vordrängend tastet seine Psychologie sich an den Geheimnisraum der innern Geschehnisse, und selten kann man an einem Romanschriftsteller so deutlich den wesentlichsten Vorzug der französischen Kultur fühlen: Takt, einen die Maße musikalisch beherrschenden, die Gewichte leicht meisternden Takt. Ein weites Weltwissen weitet sich aus, ohne breit zu werden, ganz diskret, nur in funkelnder Probe läßt der Künstler ahnen, um wieviel mehr er von den Dingen und Gegenständen beherrscht, als er hier anvertraut, um nicht das Gleichmaß des Künstlerischen zu belasten. Diese Wohlausgewogenheit, dies Nicht-zu-viel und Nicht-zu-wenig verleiht seinen Romanen besondere Anmut. Sie kommen, man fühlt es, aus einer Jahrzehnte lang geübten Tradition des Erzählens, die neben der monumentalen Kunst Balzacs und der brutalen Zolas in Frankreich unablässig geübt wurde und die vielleicht in Théophile Gautier einen Ahnherrn, in Henri de Régnier und Marcel Proust ihre vornehmsten Fortsetzer hat.
Edmond Jaloux hat viele Romane geschrieben. Die meisten haben schmales Format: So wenig wie das Aquarell die ausgreifenden Dimensionen des Fresco verträgt, würde seine zarte Kunst dem Rahmen des mehrbändigen, weltbauenden Epos entsprechen. Er zieht seinen Rahmen eng, aber er füllt ihn ganz. Immer bringt er nur einige Menschen, ein knappes Geschehnis, aber diese Menschen sind gleichsam selber weit, weil erfüllt mit dem Wissen um alle Werte, Menschen der oberen wissenden Welt, niemals grobe, dumpfe Gestalten. Sie haben von allen Kulturen getrunken, die edelsten Bücher gelesen, ohne darum Literaten und esoterische Naturen zu sein; nur ihr Seelenleben ist reich geworden an dieser unendlichen Nahrung und sie sind fähig, wie ihr Dichter die feinste Schwingung, die er an sie heranbringt, aufzufangen und davon ihr ganzes Leben erschüttern zu lassen. Es ist eine Welt in den Romanen Jaloux's, in der man leben möchte, Menschen, denen man nahekommt, keine wüsten Verbrecher, keine grobsinnlichen, keine snobistischen Ästheten, sondern Menschen – ganz das, was man in Deutschland kultiviert heißt, ein Wort, das man in Frankreich im Sprachgebrauch nicht kennt, wohl aber im lebendigen Dasein. Sie sind kultiviert in ihrem Denken, ihrem Reden, in ihrem Wissen und selbst in ihrem Erlebnis.
Diese besondere Fähigkeit im Verstehen hat Edmond Jaloux auch zu einem der führenden Kritiker Frankreichs gemacht. In der «Nouvelles Littéraires« übt er mit vielbewunderter Intensität das Amt, das einstmals Sainte-Beuve in Frankreich gemeistert: das des verantwortungsvollen Kritikers und Betrachters der Weltliteratur. Eine ganze Reihe seiner Aufsätze hat dort der deutschen Literatur gegolten und auch bei uns ist wenig Wesentlicheres und Liebevolleres über Jean Paul, E. T. A. Hoffmann und manche der Neueren gesagt worden als in seinen dichterischen Analysen, die gerade das heimliche Deutschland, unsere »Stillen im Land« den Franzosen nähergebracht haben. So ist selbst in einer Zeit, da unberechtigt viel Gleichgültiges über die Grenzen gebracht und geschmuggelt wird, die Einführung eines gleichzeitig für die französische Wesenheit und für den europäischen Geist gleich repräsentativen Künstlers nur eine Pflicht der Gerechtigkeit, und gerade an den reinen Maßen der selbstgewollten Beschränkung und der besonderen Art seiner Zartheit vermag man das, was wir französische Kultur nennen, beispielhaft zu begreifen.
Daß dieser Dichter die deutsche Romantik so sehr liebt, daß er deutsche Geistigkeit so beredt zu würdigen weiß, mag uns Gewähr sein, daß unsere dankbare Schätzung für sein Werk und Wirken und die Vermittlung seiner Romane in deutscher Sprache das Band werktätiger Freundschaft noch fester knüpfen wird.