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In dem zermürbenden Kampf gegen die Revolution hatte bisher die Königin nur zu einem einzigen Bundesgenossen Zuflucht genommen: zur Zeit. »Nur Nachgiebigkeit und Geduld können uns helfen.« Aber die Zeit ist ein unverläßlicher, opportunistischer Bundesgenosse, sie stellt sich regelmäßig auf die Seite des Starken und läßt verächtlich jeden im Stich, der untätig auf sie vertraut. Die Revolution marschiert weiter, jede Woche wirbt ihr tausend neue Rekruten in der Stadt, bei der Bauernschaft, in der Armee; und der neugegründete Klub der Jakobiner setzt jeden Tag den Hebel fester an, um endlich die Monarchie aus den Angeln zu stemmen. Endlich begreifen die Königin und der König die Gefahr ihrer einsamen Zurückgezogenheit und beginnen nach Bundesgenossen Ausschau zu halten.
Ein wichtiger Bundesgenosse hatte sich wohl – dieses kostbare Geheimnis ist undurchsichtig im engsten Kreise bewahrt – mehrmals dem Hofe mit verschleierten Worten angeboten. Seit den Septembertagen weiß man in den Tuilerien, daß der Führer der Nationalversammlung, der vielgefürchtete, vielbewunderte Graf Mirabeau, dieser Löwe der Revolution, bereit ist, goldenes Futter aus der Hand des Königs zu nehmen. »Sorgen Sie dafür,« hat er damals zu einem Zwischenträger gesagt, »daß man im Schlosse erfahre, ich stände mehr auf ihrer Seite als gegen sie.« Aber solange er sicher in Versailles saß, fühlte der Hof sich zu fest im Sattel, noch hatte die Königin nicht die Wichtigkeit dieses Mannes erkannt, der wie keiner befähigt war, die Revolution zu führen, weil er selbst Genius der Revolte war, leibhaftig gewordene Verkörperung des Freiheitswillens, menschgewordene Umsturzkraft, atmende Anarchie. Die andern in der Nationalversammlung, brave, wohlmeinende Gelehrte, scharfsinnige Juristen, ehrliche Demokraten, sie träumten idealistisch von Ordnung und Neuordnung; nur für diesen einen wird das Chaos im Staate Selbstrettung vor dem eigenen inneren Chaos. Seine vulkanische Kraft, stolz nennt er sie einmal die Kraft von zehn Männern, braucht einen Weltsturm, um sich im richtigen Ausmaß zu entfalten; selber zerrüttet in seinen sittlichen, materiellen und familiären Verhältnissen, braucht er einen zerrütteten Staat, um über den Trümmern emporzusteigen. Alle die bisherigen Ausbrüche seiner elementaren Natur, die kleinen Pamphlete, die Weiberverführungen, die Duelle und Skandale, waren nur unzulängliche Ventile für sein überschüssiges Temperament, das alle Gefängnisse Frankreichs nicht bändigen konnten. Weiteren Raum braucht diese wilde Seele, mächtigere Aufgaben dieser gewaltige Geist: wie ein rasender Stier, allzulange in einem engen Stall verschlossen, stürmt er, von den brennenden Banderillaspitzen der Verachtung zur Tollwut gereizt, in die Arena der Revolution und schmettert gleich mit erstem Stoß die morsche Barriere der Stände nieder. Die Nationalversammlung erschrickt, als diese donnernde Stimme sich zum erstenmal erhebt, aber sie beugt sich unter ihr gebieterisches Joch; starker Geist ebenso wie großer Schriftsteller, schweißt Mirabeau, dieser mächtige Schmied, in wenigen Minuten die schwierigsten Gesetze, die verwegensten Formulierungen in erzene Tafeln. Mit seinem lodernden Pathos reißt er der ganzen Versammlung den Willen weg, und wäre nicht das Mißtrauen gegen seine anrüchige Vergangenheit, nicht die unbewußte Selbstwehr des Ordnungsgedankens gegen diesen Boten des Chaos: die französische Nationalversammlung hätte statt zwölfhundert Köpfen vom ersten Tage an ein einziges Haupt, einen einzigen unumschränkten Gebieter.
Aber dieser Stentor der Freiheit ist selber nicht frei: Schulden beugen ihm den Rücken, ein Netz schmutziger Prozesse bindet ihm die Hände. Ein Mirabeau kann nur leben, nur wirken, wenn er sich verschwendet. Er braucht Sorglosigkeit, Prunk, gefüllte Taschen, klirrendes Gold, offene Tafel, Sekretäre, Frauen, Helfer und Diener: nur aus dem vollen kann er seine Fülle entfalten. Um in diesem, seinem einzigen Sinn frei zu sein, bietet sich der von allen Gläubigerhunden Gehetzte jedem an: Necker, dem Herzog von Orléans, dem Bruder des Königs und schließlich dem Hofe selbst. Doch Marie Antoinette, die niemanden mehr haßt als Überläufer des Adels, meint sich in Versailles noch stark genug, um auf die käufliche Gunst dieses »monstre« zu verzichten. »Ich hoffe,« antwortet sie dem Vermittler, dem Grafen de La Marck, »wir werden nie so unglücklich sein, um auf diese letzte Peinlichkeit zurückgreifen zu müssen, bei einem Mirabeau Hilfe zu suchen.«
Nun sind sie so weit. Fünf Monate später – unendlicher Zeitraum innerhalb einer Revolution – erhält der Graf de La Marck durch den Botschafter Mercy Nachricht, die Königin sei bereit, mit Mirabeau zu verhandeln, das heißt: ihn zu kaufen. Glücklicherweise ist es noch nicht zu spät: auf das erste Angebot hin schnappt Mirabeau nach dem goldenen Köder. Gierig hört er, daß Ludwig XVI. vier eigenhändig unterschriebene Schuldscheine zu je zweihundertfünfzigtausend Livres, zusammen eine Million, bereithalte, die ihm nach beendigter Tagung der Nationalversammlung ausgezahlt werden soll, – »vorausgesetzt, daß er mir gute Dienste leistet«, wie der sparsame König vorsichtig beifügt. Und kaum sieht der Tribun, daß seine Schulden mit einem einzigen Federstrich getilgt werden und er sechstausend Livres im Monat zu erwarten hat, so bricht der jahrelang von Gerichtsvollziehern und Bütteln gehetzte Mann in einen »trunkenen Jubel aus, dessen Übermaß mich zuerst überraschte«. (Graf de La Marck.) Mit der gleichen bewährten Leidenschaft, mit der er immer alle andern überredet, redet er sich selber ein, er allein könne und wolle den König und die Revolution und das Land zugleich retten. Mit einem Mal, seit das Geld in seinen Taschen rollt, erinnert sich Mirabeau, daß er, der brüllende Löwe der Revolution, eigentlich immer glühender Royalist gewesen sei. Am 10. Mai unterschreibt er die Quittung für den Selbstverkauf mit den Worten: er verpflichte sich, dem König »mit Loyalität, Eifer und Mut« zu dienen ... »Ich habe meine monarchischen Grundsätze bereits bekannt, selbst als ich beim Hofe nur Schwäche sah und in Unkenntnis der Seele und der Gedanken der Tochter Maria Theresias war und als ich noch nicht auf eine so hohe Verbündete rechnen konnte. Ich habe sogar dem Monarchen gedient, als ich glaubte, von einem zwar gerechten, aber irregeführten König weder Recht noch Belohnung erfahren zu können. Was aber werde ich erst leisten können, da die Zuversicht meinen Mut stärkt und die Dankbarkeit für die Annahme meiner Grundsätze mich mit Kraft erfüllt. Ich werde immer sein, der ich gewesen bin: Verteidiger der monarchischen Gewalt in dem Sinne, wie sie vom Gesetz bestimmt ist, und der Apostel der Freiheit, soweit sie von der königlichen Gewalt bestätigt ist. Mein Herz wird der Bahn folgen, die schon die Vernunft ihm vorgezeichnet hat.«
Trotz dieser Emphase wissen beide Teile genau: dieser Vertrag ist keine sehr ehrenwerte, vielmehr eine lichtscheue Angelegenheit. Darum wird vereinbart, daß Mirabeau niemals persönlich im Schlosse erscheinen dürfe, sondern nur auf schriftlichem Wege seine Ratschläge dem König zu übermitteln habe. Für die Straße hat Mirabeau Revolutionär zu sein, in der Nationalversammlung für die Sache des Königs zu arbeiten, – ein trübes Geschäft, bei dem keiner gewinnt und keiner dem andern traut. Mirabeau setzt sofort ein, schreibt Brief auf Brief mit Ratschlägen an den Monarchen: der wahre Adressat aber ist die Königin. Seine Hoffnung ist – der König zählt nicht, das weiß er bald –, von Marie Antoinette verstanden zu werden. »Der König«, schreibt er gleich in seiner zweiten Note, »verfügt nur über einen Mann, und der ist seine Frau. Für sie gibt es keine Sicherheit, solange nicht die königliche Autorität wiederhergestellt ist. Ich vermute, daß sie ohne die Krone nicht leben möchte, aber ich bin ganz sicher, daß sie ihr Leben nicht bewahren kann, wenn sie nicht auch den Thron bewahrt. Der Augenblick wird kommen, und wahrscheinlich bald, da man wird zeigen müssen, was eine Frau und ein Kind zu Pferde vermögen. Dies ist in ihrer Familie erprobt, aber bis dahin muß man alles vorbereiten und nicht glauben, daß man, sei es mit Hilfe des Zufalls oder mit kleinen Kombinationen, aus einer ungewöhnlichen Krise mit gewöhnlichen Männern und Mitteln herauskommt.« Als diesen ungewöhnlichen, als diesen außergewöhnlichen Mann bietet sich Mirabeau äußerst durchsichtig selber an. Mit dem Dreizack des Wortes hofft er die aufgepeitschten Wogen ebenso leicht beschwichtigen zu können, wie er sie aufgewühlt hat; in seinem Selbstüberschwang, in seinem überhitzten Selbstgefühl sieht er sich einerseits bereits als Präsidenten der Nationalversammlung und anderseits als ersten Minister des Königs und der Königin. Aber Mirabeau täuscht sich. Nicht einen Augenblick denkt Marie Antoinette daran, diesem »mauvais sujet« wirkliche Macht zu geben. Immer ist der dämonische Mensch dem mittleren Menschen instinktiv verdächtig, und Marie Antoinette begreift keineswegs die großartige Amoralität dieses Genies, des ersten und letzten, dem sie in ihrem Leben begegnet. Sie spürt nur Unbehagen vor den verwegenen Wendungen seines Charakters, dieser titanisch Leidenschaftliche erschreckt sie mehr, als er sie gewinnt. Ihr allergeheimster Gedanke ist darum, diesen wilden, gewalttätigen, übermäßigen, unberechenbaren Menschen, sobald man ihn nicht mehr braucht, rasch auszubezahlen und wegzuschicken. Man hat ihn gekauft, zunächst soll er noch tüchtig arbeiten für das teure Geld, soll Ratschläge geben, denn er ist ja klug und geschickt. Man wird sie lesen, sich davon aneignen, was nicht zu exzentrisch und zu kühn gedacht ist, und damit Schluß. Man wird diesen guten Agitator bei der Abstimmung, als Auskundschafter, als Friedensvermittler für die »gute Sache« in der Nationalversammlung brauchen, man wird ihn, den Bestochenen, allenfalls auch benutzen, um andere zu bestechen. Der Löwe soll in der Nationalversammlung brüllen und sich gleichzeitig vom Hof am Gängelbande führen lassen. So denkt Marie Antoinette von diesem überdimensionalen Geist, aber nicht ein Gran wirklichen Vertrauens gibt sie dem Menschen, dessen Brauchbarkeit sie zuweilen achtet, dessen »Moralität« sie immer verachtet und dessen Genialität sie von der ersten bis zur letzten Stunde völlig verkennt.
Bald ist der Honigmond der ersten Begeisterung vorüber. Mirabeau merkt, daß seine Briefe nur den königlichen Papierkorb füttern, statt ein geistiges Feuer zu entfachen. Aber sei es Eitelkeit, sei es Gier nach der versprochenen Million, Mirabeau läßt nicht ab, den Hof zu bestürmen. Und da er sieht, daß seine schriftlichen Vorschläge nichts fruchten, versucht er die letzte Anstrengung. Er weiß, aus Erfahrung in der Politik, aus zahllosen Abenteuern mit Frauen, daß seine stärkste, seine eigentlichste Kraft nicht im Schreiben, sondern im Reden liegt, daß seine elektrisierende Macht am gewaltigsten und unmittelbarsten von seiner Person ausgeht. So bestürmt er unaufhörlich den Vermittler, den Grafen de La Marck, er solle ihm endlich Gelegenheit zu einer Aussprache mit der Königin geben. Eine Stunde Gespräch, und ihr Mißtrauen wird, wie bei hundert andern Frauen, sich sofort in Bewunderung verwandeln. Eine Audienz nur, eine einzige! Denn sein Selbstgefühl berauscht sich bei dem Gedanken, es werde nicht die letzte sein. Wer ihn einmal gekannt, der kann sich ihm nicht mehr entziehen.
Marie Antoinette wehrt sich lange, schließlich gibt sie nach und erklärt sich bereit, Mirabeau am 3. Juli im Schlosse Saint-Cloud zu empfangen.
Selbstverständlich muß diese Begegnung eine vollkommen verschwiegene sein; in einer seltsamen Ironie des Schicksals wird Mirabeau zuteil, was der Kardinal von Rohan als betrogener Narr geträumt – eine Gartenszene im Schutz eines Boskettes. Der Park von Saint-Cloud, dies erfährt auch Hans Axel von Fersen im nämlichen Sommer, hat allerlei heimliche Verstecke. »Ich habe eines ausfindig gemacht,« schreibt die Königin an Mercy, »das zwar nicht bequem, aber hinlänglich geeignet ist, ihn dort zu treffen und alles Unerwünschte von Haus und Garten fernzuhalten.«
Als Zeitpunkt wird der Sonntagmorgen acht Uhr bestimmt, eine Stunde, da der Hof noch schläft und die Garden Besuche nicht vermuten. Mirabeau verbringt, zweifellos erregt, die Nacht im Hause seiner Schwester in Passy. Ein Wagen fährt ihn frühmorgens nach Saint-Cloud, als Kutscher dient ihm sein Neffe, der sich verkleidet hat. An einer versteckten Stelle läßt er den Wagen warten, dann drückt Mirabeau den Hut tief ins Gesicht, schlägt den Mantel hoch wie ein Verschwörer und betritt durch eine vorher bezeichnete und mit Absicht nicht verschlossene Seitentür den königlichen Park.
Bald hört er leichte Schritte auf dem Kies. Die Königin erscheint ohne jede Begleitung. Mirabeau will sich verbeugen, aber im Augenblick, da sie das von Leidenschaften zerstörte, von Pocken zerfressene, von wirrem Haar umflatterte, gewalttätige und doch gewaltige Gesicht dieses plebejischen Aristokraten sieht, überläuft ihre Gestalt unwillkürlich ein Schauer. Mirabeau bemerkt dieses Erschrecken, er kennt es seit langem. Immer waren alle Frauen, er weiß es, auch die sanfte Sophie Voland, so zurückgeschreckt, wenn sie ihn zum erstenmal erblickten. Aber die medusische Kraft seiner Häßlichkeit, die Entsetzen erweckt, sie vermag auch festzuhalten; immer war es ihm gelungen, dieses erste Erschrecken in Staunen, in Bewunderung und, wie oft sogar! in hingerissene Leidenschaft zu verwandeln.
Was die Königin mit Mirabeau in dieser Stunde besprochen, bleibt Geheimnis. Da sie ohne Zeugen waren, sind alle Berichte wie jener der allwissend sein wollenden Kammerfrau Madame Campan, bloß Fabel und Vermutung. Nur dies weiß man, daß Mirabeau nicht die Königin, sondern die Königin Mirabeau ihrem Willen unterwarf. Ihre ererbte Hoheit, verstärkt durch den ewig wirksamen Nimbus des Königtums, die natürliche Würde und der jähe Verstand, der Marie Antoinette im ersten Gespräch immer klüger, energischer und entschlossener erscheinen ließ, als die Unbeständige in Wirklichkeit war, wirken mit unbezwinglichem Zauber auf Mirabeaus rasch entzündbare und großartige Natur. Wo er Mut fühlt, fühlt er Sympathie. Noch ganz erregt faßt er, als er den Park verläßt, den Arm seines Neffen und sagt mit der ihm eigenen Leidenschaftlichkeit: »Sie ist schon eine wunderbare Frau, sehr vornehm und sehr unglücklich. Aber ich werde sie retten.« In einer einzigen Stunde hat Marie Antoinette aus dem bestechlich Schwankenden einen Entschlossenen gemacht. »Nichts wird mich aufhalten, ich werde eher sterben, als mein Versprechen nicht halten«, schreibt Mirabeau an den Unterhändler de La Marck.
Von der Königin hat man keinen Bericht über diese Begegnung. Kein Wort der Dankbarkeit oder des Vertrauens ist je über ihre Habsburger Lippe gekommen. Nie hat sie Mirabeau wiedersehen wollen, nie eine Zeile an ihn gerichtet. Auch bei jener Begegnung hat sie keinen Bund mit ihm geschlossen, nur die Versicherung seiner Ergebenheit entgegengenommen. Sie hat ihm nur erlaubt, sich für sie aufzuopfern.
Mirabeau hat ein Versprechen gegeben, oder vielmehr: er hat zwei gegeben. Er hat dem König Treue geschworen und der Nation; mitten im Kampf ist er gleichzeitig Generalstabschef der einen und der anderen Partei. Nie hat ein Politiker eine gefährlichere Aufgabe übernommen als solche Doppelrolle, nie hat sie jemand genialer (Wallenstein war ein Stümper dagegen) bis zu Ende gespielt. Schon rein körperlich ist Mirabeaus Leistung in jenen dramatischen Wochen und Monaten unvergleichlich. Er hält Reden in der Versammlung und in den Klubs, er agitiert, er parlamentiert, empfängt Besuche, liest, arbeitet, verfaßt mittags die Berichte und Anträge für die Versammlung und abends die Geheimberichte für den König. Drei, vier Sekretäre arbeiten gleichzeitig und kommen kaum der fliegenden Hast seiner Rede nach, aber seiner unerschöpflichen Kraft ist alles dies noch nicht genug. Noch mehr Arbeit will er, noch mehr Gefahr, noch mehr Verantwortung, und gleichzeitig außerdem leben und genießen. Wie ein Seiltänzer sucht er das Gleichgewicht zu erhalten, bald nach rechts und bald nach links, beide Grundkräfte seiner außerordentlichen Natur stellt er ganz in den Dienst beider Sachen, seinen hellsichtigen politischen Geist, seine heißblütige unwiderstehliche Leidenschaft, und so blitzschnell wechseln bei ihm Hieb und Parade, so rasch läßt er die Klinge kreisen, daß niemand weiß, gegen wen er zielt, gegen den König oder gegen das Volk, gegen die neue Macht oder gegen die alte, und vielleicht weiß er es selber nicht in den Augenblicken der Selbstbegeisterung. Aber auf die Dauer kann sich ein solcher Widerspruch nicht halten. Schon rührt sich der Verdacht. Marat nennt ihn gekauft, Fréron droht ihm mit der Laterne. »Mehr Tugend und weniger Talent«, ruft man ihm in der Nationalversammlung zu, aber er, ein wahrhaft Berauschter, kennt keine Angst, keine Furcht, sorglos streut er, dessen Schulden ganz Paris kennt, seinen neuen Reichtum aus. Was kümmert es ihn, daß alle Leute staunen, raunen und fragen, aus welchen Mitteln er sich plötzlich ein fürstliches Haus halten, großartige Gastmähler geben, die Bibliothek Buffons kaufen, Opernsängerinnen und Dirnen mit Diamanten behängen kann; er schreitet furchtlos wie Zeus durch das Gewitter, weil er sich Herr aller Stürme weiß. Greift jemand Ihn an, so schlägt er mit der Keule seines Zorns, mit dem Blitz seines Spottworts, ein anderer Simson, die Philister zusammen. Unter sich den Abgrund, rings um sich Argwohn, hinter sich tödliche Gefahr, fühlt sich seine Riesenkraft endlich im wahren und ihm gemäßen Element; eine einzige ungeheure Flamme, knapp vor dem Erlöschen riesenhaft emporschlagend, brennt sich seine unvergleichbare Zehnmännerkraft in diesen Tagen der Entscheidung aus. Endlich ist diesem unwahrscheinlichen Mann ein Maß gegeben, das seinem Genie entspricht: das Unvermeidliche aufzuhalten, dem Schicksal Halt zu gebieten; mit der ganzen Wucht seines Wesens wirft er sich in die Ereignisse hinein und versucht, ein Einzelner gegen Millionen, das ungeheure Rad der Revolution zurückzudrehen, das er selber ins Rollen gebracht hat.
Das wunderbar Verwegene dieses Kampfes nach zwei Seiten, das Grandiose dieser Doppelstellung zu begreifen, geht über die politische Fassungskraft einer so geradlinigen Natur wie derjenigen Marie Antoinettes. Je kühner die Denkschriften werden, die er vorlegt, je diabolischer die Ratschläge, die er erteilt, um so heftiger erschrickt ihr im Grunde nüchterner Verstand. Mirabeaus Gedanke ist: er will den Teufel durch Beelzebub austreiben, die Revolution vernichten durch ihr Übermaß, die Anarchie. Da man die Verhältnisse nicht bessern kann, so muß man sie – seine berüchtigte »politique du pire« – möglichst rasch verschlechtern, im Sinn eines Arztes, der durch Reizmittel die Krise herausfordert, um damit die Genesung zu beschleunigen. Nicht die Volksbewegung zurückstoßen, sondern sich ihrer bemächtigen, nicht von oben her die Nationalversammlung bekämpfen, sondern das Volk auf geheime Weise aufreizen, daß es selber die Nationalversammlung zum Teufel schicke, nicht auf Ruhe hoffen und auf Frieden, sondern im Gegenteil: das Unrecht und den Unfrieden im Lande bis zur höchsten Erhitzung steigern und damit ein starkes Bedürfnis nach Ordnung, nach der alten Ordnung herausfordern, vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor dem Bürgerkrieg – das sind die amoralischen, aber politisch hellsichtigen Vorschläge Mirabeaus. Aber bei solcher Kühnheit, die schmetternd wie eine Fanfare verkündet: »Vier Feinde rücken im Eilschritt heran, die Steuern, der Bankerott, die Armee und der Winter; man muß einen Entschluß fassen und sich auf die Ereignisse vorbereiten, indem man sie in die Hand nimmt. Kurzum, der Bürgerkrieg ist sicher und vielleicht notwendig«, – bei solchen verwegenen Ankündigungen zittert der Königin das Herz. »Wie kann Mirabeau oder irgendein denkendes Wesen glauben, daß jemals und schon gar jetzt der Augenblick gekommen sei, einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören«, erwidert sie erschreckt und nennt diesen Plan »toll von einem Ende bis zum andern«. Ihr Mißtrauen gegen den Immoralisten, der zu jedem und auch dem fürchterlichsten Mittel zu greifen bereit ist, wird allmählich unüberwindbar. Vergeblich sucht Mirabeau »mit Donnerschlägen diese schreckliche Lethargie aufzurütteln«, man hört nicht auf ihn, und allmählich mengt sich in seinen Zorn über diese seelische Lässigkeit der königlichen Familie eine gewisse Verachtung für das »royal bétail«, für diese königliche Schafsnatur, die geduldig wartet, bis der Schlächter kommt. Längst weiß er, daß er für diesen zum Guten nur lässig bereiten, zur wirklichen Tat aber unfähigen Hof vergeblich kämpft. Aber Kampf ist sein Element. Selbst ein verlorener Mann, kämpft er für eine verlorene Sache, und schon herabgerissen von der schwarzen Woge, ruft er noch einmal den beiden die verzweifelte Prophezeiung zu: »Guter, aber schwacher König! Unglückliche Königin! Seht doch den furchtbaren Abgrund, dem das Schwanken zwischen einem zu blinden Vertrauen und einem zu übertriebenen Mißtrauen euch zutreibt! Eine Kraftanstrengung bleibt noch beiden Teilen vorbehalten, aber es wird die letzte sein. Verzichtet man auf sie, oder mißlingt sie, dann wird ein Trauerschleier dieses Reich bedecken. Was wird mit ihm geschehen? Wohin wird das Schiff treiben, vom Blitz getroffen und vom Sturm herumgeschleudert? Ich weiß es nicht. Aber wenn ich selbst dem öffentlichen Schiffbruch entrinne, so werde ich immer mit Stolz in meiner Zurückgezogenheit mir sagen: ich habe mich meinem eigenen Untergang ausgesetzt, um sie alle zu retten. Aber sie haben es nicht gewollt.«
Sie haben es nicht gewollt; schon die Bibel verbietet, den Ochsen und das Pferd vor den gleichen Pflug zu spannen. Die schwerfällige, konservative Denkform des Hofes kann nicht Schritt halten mit dem feurig fortstürmenden, ingrimmig an Zaum und Zügel rüttelnden Temperament des großen Tribunen. Eine Frau der alten Welt, versteht Marie Antoinette nicht die revolutionäre Natur in Mirabeau, sie begreift nur das Geradlinige, nicht das verwegene Va-Banque dieses genialen Glücksritters der Politik. Bis zur letzten Stunde aber kämpft Mirabeau weiter aus Freude an der Kampflust, aus Stolz über seine maßlose Verwegenheit. Einer gegen alle, verdächtig dem Volk, verdächtig dem Hof, verdächtig der Nationalversammlung, spielt er mit allen und gegen alle zugleich. Mit verwüstetem Leib, mit fieberndem Blut schleppt er sich immer wieder in die Arena, um noch einmal den Zwölfhundert den Willen aufzuzwingen, dann im März 1791 – acht Monate hat er gleichzeitig dem König und der Revolution gedient – wirft sich der Tod über ihn. Noch hält er eine Rede, noch diktiert er bis zum letzten Augenblick seinen Sekretären, noch schläft er mit zwei Opernsängerinnen die letzte Nacht, dann erst bricht diesem Übergewaltigen die Kraft. In Scharen stehen die Menschen vor seinem Haus, um zu horchen, ob das Herz der Revolution noch schlage, und dem Sarge des Toten folgen dreihunderttausend Menschen. Zum erstenmal öffnet das Pantheon seine Tore, damit der Sarg dort in Ewigkeit ruhe.
Aber wie kläglich ist das Wort »Ewigkeit« in solcher fortstürmenden Zeit! Zwei Jahre später, nachdem Mirabeaus Verbindung mit dem König aufgedeckt ist, reißt ein anderes Dekret den noch nicht zerfallenen Leib aus der Gruft und wirft ihn auf den Schindanger.
Einzig der Hof schweigt bei Mirabeaus Tode und weiß, warum er schweigt. Getrost darf man die törichte Anekdote der Madame Campan beiseite schieben, man hätte eine Träne bei der Nachricht im Auge Marie Antoinettes blinken gesehen. Nichts ist unglaubhafter, denn mit einem Seufzer der Erleichterung hat wahrscheinlich die Königin die Lösung solcher Partnerschaft begrüßt: dieser Mann war zu groß, um zu dienen, zu kühn, um gehorsam zu sein; der Hof hat den Lebendigen gefürchtet, er fürchtet sogar den Toten. Noch während Mirabeau röchelnd in seinem Bette ringt, schickt man aus dem Schlosse einen vertrauten Agenten ins Haus, damit er rasch die verdächtigen Briefe aus dem Schreibtisch räume und so jenes Bündnis geheim bleibe, dessen beide sich schämten, Mirabeau, weil er dem Hofe diente, und die Königin, weil sie sich seiner bediente. Mit ihm aber fällt der letzte Mann, der vielleicht hätte vermitteln können zwischen der Monarchie und dem Volk. Nun stehen sie Stirn an Stirn einander gegenüber, Marie Antoinette und die Revolution.