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27. Der großmütige Kater

Ein alter Vater hinterließ seinen drei Söhnen nichts weiter als eine Kuh, einen Esel und einen Kater: Dem ältesten die Kuh, dem nächsten den Esel und dem jüngsten den Kater.

Dieser aber war mit seiner Erbschaft gar wenig zufrieden und sprach zur Katze: »Welch ein Pechvogel ich bin, dich als Erbteil erhalten zu haben! Wie glücklich dagegen sind meine Brüder! Kuh und Esel sind nützliche Tiere und bringen was ein. Was aber hab' ich von dir? Und soll dich auch noch füttern, wo ich selbst kaum zu essen habe? Mach, daß du fortkommst, abscheuliches Vieh! Da, nimm das noch mit auf den Weg!« rief er erbost und prügelte die Katze so unbarmherzig, daß sie ganz jämmerlich schrie: »Miau, miau! Was hab' ich dir denn getan? Wie ungerecht und unverständig ihr Menschen doch seid, indem ihr das größte Glück oft schnöde verscherzt! Zur Strafe sollte ich wohl fortlaufen. Doch ich will großmütig sein und dir aus Dankbarkeit gegen deinen Vater verzeihen; denn wir Katzen sind anständige Geschöpfe. Na, und ein gutes Herz hast du am Ende doch auch. Und« – schnurrte sie noch leise für sich – »für seine Dummheit kann schließlich kein Mensch –

»Was brummst du da in den Bart?«

»Ich sagte nur leise: Ich will dir in meiner Dummheit verzeihen und noch obendrein meine besondere Freundschaft beweisen, wenn du mich als Diener behältst.«

»Das ist wirklich zum Lachen. Was kann deine Freundschaft mir helfen? Und welche Dienste kannst du mir leisten?«

»Wie gering du mich schätzest! Und doch kann ich, wenn ich will, weit mehr vollbringen als jene großen Tiere, die wohl viel Arbeit verrichten, aber auch viel teures Futter verlangen, während ich mir meine Mäuse selbst fange, so daß du keinen Heller für mich auszugeben brauchst. Auch kann ich dir Reichtum und Ehren verschaffen, ohne daß du eine Hand dabei rührst.«

»Du? Mir?« rief ungläubig der Jüngling. »Da wäre ich doch wahrhaftig begierig.«

»Du wirst es ja sehen«, sprach der Kater verschmitzt. »Binde mir jetzt bloß zwei recht geräumige Beutel um, rechts einen und links einen, und ich versorge dich mit allem, was du begehrst!«

»Nun, so schaffe mir vor allem etwas zu essen! Denn ich habe Hunger.«

»Sogleich, Euer Gnaden!«

Und da es spät war und die Leute schon schliefen, verschwand Hinz eiligst durchs Fenster und brachte bald aus den Speisekammern der Nachbarschaft beide Beutel voll Brot, Fleisch, Gemüse, Makkaroni, Obst, Käse und Wein, kurz alles, was zu einem vergnüglichen Abendschmaus nur erwünscht war. Der Jüngling sah es erstaunt und streichelte Hinz freundlich, worauf beide aßen, bis sie genug hatten.

So ging Freund Kater nun allnächtlich brav einholen und ließ es seinem Herrn an nichts mehr gebrechen, zumal auch nicht am nötigen Gelde. – Eines Tages aber sprach er zu ihm: »Du hast jetzt genug, eine Zeitlang sorglos zu leben. Ich muß auf einen Monat verreisen. Wenn ich wiederkomme, überlaß mir das Weitere.«

Darauf entfernte er sich und begab sich zum Strande des Meeres, wo die Fischer gerade ihre vollen Netze herauszogen. Unbemerkt füllte er seine Beutel mit den schönsten Fischen und Langusten und trug sie zum König, weil er wußte, daß dieser sie sehr gern aß. Natürlich freute er sich über die Maßen und fragte: »Wer sendet mir diese köstlichen Gaben des Meeres?«

»Miau, miau, Majestät! Mein gnädigster Herr und Gebieter sendet Eurer Majestät diese Gabe als Zeichen untertänigster Verehrung.«

Nach einigen Tagen überreichte Hinz dem Landesfürsten die herrlichsten Korallen und Perlen für die Prinzessin, die vor Freuden gleich tanzte. »Doch sage, wer schickt uns diesen königlichen Schmuck?« wandte der erstaunte König sich an den sonderbaren Boten.

»Miau, miau, Majestät, mein gnädigster Herr und Gebieter bittet Eure Majestät, diese Kleinigkeiten huldvoll entgegenzunehmen.« – – Und ein paar Wochen darauf nahte sich Hinz katzbuckelnd dem Throne ein drittes Mal und holte aus seinen Beuteln die kostbarsten Juwelen: Goldspangen, Rubinen, Diamanten hervor, wie schöner sie der König in seiner Schatzkammer nicht hatte.

»Wahrhaftig, so herrliche Schmucksachen haben meine Augen noch niemals gesehen. Nun sage mir aber endlich, welcher Krösus uns diese kostspieligen Aufmerksamkeiten erweist?«

»Miau, miau, Majestät, mein gnädigster Herr und Gebieter legt Eurer Majestät durch mich diese bescheidenen Darbietungen als Beweis seiner alleruntertänigsten Huldigung zu Füßen.«

»Wir wünschen ihn kennen zu lernen. Er soll mit uns frühstücken!« rief der leutselige König.

»Ich werde nicht ermangeln, meinem gnädigen Herrn und Gebieter Eurer Majestät huldvolle Einladung zu überbringen«, entgegnete Hinz mit ehrfurchtsvollem Katzenbückling und lief eiligst zu seinem Herrn, den er zum Glück zu Hause antraf, wenn auch nicht gerade in der rosigsten Laune. »Warum schaust du so trübselig drein, als hättest du Leibweh?« scherzte der Kater. »Hast du nicht alles, was du nur brauchst? Und jetzt hast du bald noch weit mehr zu erwarten. Der König wünscht deine Bekanntschaft zu machen. Du sollst mit ihm frühstücken in seinem Palaste.«

»O weh!« schrie der Arme. »Das kann ich unmöglich. Ich habe ja nicht einmal eine Hofuniform oder sonstwie anständige Kleider, um würdig bei Hofe zu erscheinen.«

»Ei, laß das nur meine Sorge sein! Komme nur schnell!« mauzte der Kater vergnügt und strich sich den Bart. Alsdann brachen sie auf und erblickten bald den Palast, der malerisch auf einen See herabschaute. An einer seichten Stelle mußte nun der Jüngling ins Wasser springen und dann im Ufergebüsch versteckt warten. Inzwischen rannte Hinz spornstreichs wie ein Unglücksbote zum König, der ihn ganz erschrocken fragte: »Warum kommst du allein? Ist etwa deinem Herrn ein Unfall zugestoßen?«

»O miau, Majestät, mein gnädiger Herr und Gebieter ist ins Wasser gefallen und kann sich in seinen nassen Kleidern unmöglich vor Eurer Majestät zeigen.«

»Wenn's weiter nichts ist!« rief der gütige König und ließ dem triefenden Gaste augenblicklich ein nagelneues Hofgewand bringen, worin er so schmuck aussah wie ein Prinz, oder wenigstens wie ein Baron.

Trotzdem fühlte er sich bei Tafel, wo er gegenüber dem König und der Königin an der Seite ihrer holdseligen Tochter saß, durchaus nicht behaglich, denn er wußte weder wie er Löffel, Messer und Gabel richtig handhaben, noch wie er sich sonst schicklich benehmen und noch weniger, wie er sich an der Unterhaltung beteiligen sollte. Um seiner Verlegenheit und seinem Ingrimm gegen den hinter ihm stehenden Hinz, der ihn in diese mißliche Lage gebracht hatte, Luft zu machen, raunte er ihm, ihn heimlich ins Ohr zwickend, zu: »Abscheuliches Vieh, warum hast du mich hierher gebracht? Ich weiß ja nicht einmal, wie ich mit Messer und Gabel von Porzellantellern essen soll.«

»Was sagt dein Herr? Und warum will er nicht essen?« erkundigte sich leise der unseren Hinz heranwinkende König, der alles bemerkt, aber nicht recht verstanden hatte. – »Miau, miau, Majestät«, wimmerte Hinz leise: »Er sagt, er habe abscheulichen Hunger, wäre aber nur gewohnt, mit silbernen Messern und Gabeln von chinesischem Porzellan zu speisen.«

Nach dem Frühstück bekam die Prinzessin einen Weinkrampf und fiel schließlich in Ohnmacht. »Um Gottes willen, was fehlt dir?« jammerten die königlichen Eltern, als ihre Tochter endlich die Augen wieder aufschlug. Aber sie schwieg und begann von neuem zu schluchzen. Endlich, nach langem Bitten und Zureden gestand sie der Mutter: »Weh mir, ich liebe den jungen Baron, und er will nichts von mir wissen; er hat bei Tisch nicht ein einziges Wort mit mir gesprochen. O wehe, wehe mir Unglücklichen! Er liebt mich nicht. Er will nichts von mir wissen.«

»Verwünschtes Tier!« rief der »Baron« außer sich vor Zorn. »Ich wollte, ich hätte dir nie Folge geleistet! Wie könnte ich wohl der Prinzessin einen Heiratsantrag machen?«

»Was sagt dein Herr?« forschte der König. »Er sagt, er wünschte, die Prinzessin als Gemahlin heimzuführen. Man sollte den Heiratsvertrag aufsetzen!«

»Das soll geschehen!« befahl der König. Die glückliche Prinzessin wandte errötend dem verblüfften Bräutigam noch einen vielsagenden Abschiedsblick zu, und am nächsten Tage wurde auch schon der Vertrag unterzeichnet. Sogleich begann ein reges Leben am Hofe. Da wurde gescheuert, geschlachtet, gebacken, gekocht und gebraten; denn in einem Monat sollte die Hochzeitsfeier stattfinden, weil der König von langem Warten kein Freund war.

Das Fest konnte pünktlich zur bestimmten Stunde beginnen. Der stattlich aussehende Bräutigam erschien in prinzlicher Hoftracht, wofür der an alles denkende Hinz heimlich gesorgt hatte. Die schöne Prinzessin strahlte vor Glückseligkeit. Die reichbesetzte Tafel prangte mit silbernen und goldenen Bestecken und kostbaren chinesischen Vasen, Schüsseln und Tellern. Aber während des fröhlichen Mahles dachte der Jüngling an seine ärmliche Wohnung und murmelte grimmig: »Falsche, boshafte Katze, du bringst mich nur noch in Unglück und Schande. Wohin soll ich meine Frau und ihre königlichen Eltern nun bringen?«

»Was sagt dein Herr, der Prinz?«

»O miau, Majestät! Er meinte nur, er wäre nicht böse, wäre er nur bald glücklich imstande, seine hohe Gemahlin in sein Schloß heimzuführen, das größer und schöner ist als der Königspalast.«

Eine halbe Stunde aber, ehe das Fest zu Ende sein sollte, stahl sich Hinz leise davon und eilte zum Palaste eines mächtigen Zauberers. »Großer Meister, versteckt Euch!« rief er diesem und seiner Frau ganz außer Atem entgegen. »Der König, der von Eurem unheiligen Treiben gehört hat, ist schon unterwegs, Euren Palast mit all seinen Soldaten und Häschern zu umzingeln. Ihr könnt ihm kaum noch entrinnen.«

»Himmel Element!« rief erschrocken der Alte. »Wie sollen wir uns retten? Wohin uns verbergen?«

»Kriecht schnell in den Backofen dort!« riet Hinz. »Da sucht Euch ganz gewiß niemand. Und zur Sicherheit lege ich dann einige Reisigbündel mit Stroh in das Loch, daß man denkt, es soll soeben Brot gebacken werden.«

»Dein Rat ist gut«, sprach der Zauberer und kroch mühsam mit seiner Alten hinein in den Ofen. Kaum aber waren sie drin, so verstopfte Hinz die Öffnung mit Holz und Stroh, und hielt einen Feuerbrand daran, so daß das Hexenpaar zu Asche verbrannte.

Dann kehrte Hinz eiligst zur Hochzeitsgesellschaft zurück, die er nun einlud, ihm zum Palast des jungen Paares zu folgen. »Hier, meine allerhöchsten Herrschaften!« rief er mit seiner tiefsten Katzenverbeugung, wobei er seinem ganz verdutzt dreinschauenden Herrn vergnügt von der Seite zublinzte, »hier ist das Besitztum meines gnädigsten Herrn und Gebieters. Soweit das Auge schaut, reicht seine Herrschaft.«

»Ah!« riefen alle erstaunt und schauten voll Bewunderung die Größe und Pracht des Marmorpalastes, die unvergleichliche Schönheit des unabsehbar sich erstreckenden Parkes mit seinen uralten Bäumen, seinen kunstvollen Anlagen, Teichen, Springbrunnen und Bildsäulen. Als die Besichtigung glücklich überstanden war, zogen sich die Gäste zurück und ließen das junge Paar endlich allein. –

Nach einigen Tagen klagte Hinz, der nunmehr überflüssig schien und sich bereits ziemlich vernachlässigt fand: »Miau, miau, ich glaube, ich werde bald sterben. Vergeßt nicht all das Gute, was Ihr mir verdankt! Werft mich nicht auf den Misthaufen oder verscharrt mich nicht abseits unter einem Baum, sondern vergönnt mir ein würdiges Grab unter der Marmortreppe im Palast!«

Drei Tage darauf starb Hinz, und man warf die »tote Katze« in den Garten, wo man sie als Dünger an den Wurzeln eines Baumes einscharrte. Aber zum Schrecken ihrer Herrschaft kehrte sie alsbald zu ihr zurück und sprach: »Miau, miau! Ich bin wieder da! Ich war noch gar nicht gestorben. Ich hatte mich nur tot gestellt, um zu sehen, ob ihr dankbar wäret und darauf bedacht, meinen letzten Wunsch zu erfüllen. Denkt daran, wenn ich einmal richtig tot bin! Und nach sechs Monaten öffnet alsdann meine Gruft und nehmt, was ihr findet!«

Von jetzt ab wurde der »Erbkater« mit liebevollster Zärtlichkeit behandelt, aber es dauerte nicht lange, so starb er nun wirklich. Diesmal wurde er mit höchsten Ehren bestattet und ihm ein Marmordenkmal errichtet. Auch vergaß das junge Paar nicht, nach sechs Monaten die Gruft zu öffnen. Und siehe, da erblickten sie staunend statt der Katze ein wertvolles Kästchen voll von Goldschmuck, kostbaren Steinen, Diamanten und Perlen.

Erklärlich und bezeichnend ist es, daß der Kater ungestiefelt erscheint, da Stiefel bei der größtenteils armen Bevölkerung der Stiefelhalbinsel ein unbekannter Luxus sind. Sein ritterliches Auftreten und seine literarische Berühmtheit verdankt der Gestiefelte erst Charles Perreault und Ludw. Tieck. Vgl. Bolte, I, 33 a, S. 325 ff. Auch F. Avenarius hat ihn verherrlicht, und schließlich hat das bekannte Weihnachtsmärchen ihm Bühnenbeliebtheit verschafft. Das Grundmot. des M. hat Spielarten in ganz Europa gezeitigt, wovon Köhler zahlreiche Belege in seinen Anm. zu Gonzenbach, Nr. 65, »Vom Conte Piro« (Graf Birnbaum) zusammengestellt hat. An Stelle des Katers tritt im siz., finnischen, russ. und sibir. M. ein Fuchs, in einer norweg. und in zwei schwedischen Überlieferungen ein Hund und bei den von Arabern abstammenden Küstenbewohnern von Suaheli, vormals Deutsch-Afrika, eine Gazelle.


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