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14. Wegen eines Mannes und eines Weibes

Als eines Tages der Sohn einer Königin der Jagd huldigte, vernahm er plötzlich den Gesang einer herrlichen Frauenstimme. Begierig, die unbekannte Sängerin zu schauen, ging er den Tönen nach. Allein statt einer Prinzessin, die er zu finden gehofft hatte, erblickte er bloß ein Landmädchen, das auf dem Felde arbeitete. Da sie aber sehr schön war, sprach er davon, sie zu heiraten. Nur, um sie erst kennen zu lernen, sollte sie warten sechs Monate, sechs Tage und sechs Stunden.

Die schöne Margarita, so hieß die ländliche Sängerin, war es zufrieden und wurde vom Prinzen in den nahen Wald geführt. Unter einem großen hohlen Baume, der ganz allein ihr Unterkunft gewähren sollte, verließ er sie.

Hier wartete sie nun geduldig, obgleich ihre Nahrung nur aus den Kräutern und Früchten des Waldes bestand und sie allen Unbilden des Wetters ausgesetzt war. Bald verlor sie all ihre Schönheit und wurde mager, elend und blaß. Die vom Prinzen bestimmte Wartezeit war längst schon zu Ende. Margarita lauerte noch immer und ertrug ihr grausames Los in stiller Ergebung.

Endlich erschien der Prinz. Aber anstatt ihre Treue und Ausdauer zu belohnen, verspottete er nur ihre Einfalt. Und als er gewahrte, wie häßlich sie geworden, spie er ihr ins Gesicht und rief höhnisch: »Welche Torheit! Wie kann bloß ein Weib sich so weit erniedrigen, all ihren Stolz, ihre Gesundheit und Schönheit zu opfern – eines Mannes wegen. Mach, daß du fortkommst, und such dir den Narren, der dich jetzt noch begehrt!« Dann kehrte er ihr hochmütig den Rücken und überließ sie ihrem Schicksal. –

Die Arme, die sich vor Hunger und Schwäche kaum zu schleppen vermochte, schlich weinend von dannen.

Da begegnete ihr ein steinaltes Mütterchen. »Warum weinst du, mein Kind?« fragte freundlich die Alte und gab ihr, nachdem sie ihre traurige Geschichte vernommen, einen Apfel, den sie in der Stadt, wo der Prinz wohnte, in drei Stücke teilen sollte. Auf ihren Wunsch würde daraus ein Palast mit allem, was dazu gehört, hervorgehen: Aus dem ersten Stück das Bauwerk, aus dem zweiten die Einrichtung und aus dem dritten die Dienerschaft. »Wirbt der Hochmütige dann wieder um dich,« beschloß sie ihre Rede, »so laß ihn erst, ehe du einwilligst, gehörig büßen!«

Margarita bedankte sich herzlich und erreichte spät am Abend die Stadt. Gegenüber der Hofburg wurde dann der Apfel geteilt, und im Nu erhob sich ein stattlicher sechsstöckiger Bau mit Säulen und Fliesen aus vergoldetem Marmor, der mit Edelsteinen besetzt war. In den farbenprächtigen Spiegelsälen prunkten die kostbarsten Möbel und Ziergeräte der Welt: vergoldete Stühle und Betten mit Seidenbezügen; polierte Tische aus feinstem Holze mit kunstvoll eingelegter Arbeit; hohe Kamine mit herrlichen Vasen aus Porzellan und Alabaster; geschnitzte Schränke und Truhen voll von gestickten Gewändern aus Samt und Seide, Kästchen mit herrlichstem Goldschmuck und Edelgestein, darunter Diamanten wie Walnüsse groß. Und ein Dutzend Lakaien nebst Zofen, Köchinnen und Waschfrauen standen des Winkes ihrer wunderschönen Herrin gewärtig.

Als der Prinz am Morgen den über Nacht entstandenen Prachtbau erblickte und vernahm, daß eine Fremde von unbeschreiblicher Schönheit und unvergleichlichem Reichtum hier Einzug gehalten, erstaunte er gewaltig. Er glaubte zu träumen und stand wie geblendet von all dem Schimmer und Glanz, der ihm hier entgegenstrahlte. Ihn quälte die Neugier, zu erfahren, wer die neue Nachbarin war und ob ihre Schönheit wirklich so wunderbar wäre. Er schaute und forschte. Lange vergebens. Endlich erschien die Schöne, in die er sich sofort sterblich verliebte, am Fenster. Aber es war unmöglich, sie zu grüßen oder gar mit ihr zu sprechen; denn sie schien sich gar nicht um ihn zu kümmern, ihn wohl nicht einmal zu bemerken.

Da lief der Enttäuschte zu seiner Mutter und beschwor sie: »Mutter, Mutter, hilf mir die schöne Unbekannte gewinnen; denn mein muß sie werden!«

»Goldsohn, Goldsohn,« erwiderte die Königin, »ich werde sie einfach zum Tee einladen.« Sie tat es sogleich, aber die Fremde ließ danken.

»Mutter, Mutter, was sollen wir tun?« fragte der Prinz.

»Sohn, Sohn, man schickt ihr Geschenke!« entgegnete die Königin. »Was können wir ihr schenken,« fuhr der Königsohn fort, »da sie so reich ist? Was haben wir zu bieten, das wertvoll genug ist?«

Darauf sandte die Königin ihren allerschönsten Haarpfeil. »Ich lasse der Königin danken!« rief Margarita und befahl der herbeigerufenen Köchin geringschätzig: »Kathrine, Kathrine, nimm diesen Spieß mit in die Küche, um den Braten damit anzustechen!« Und der Bote versäumte nicht, alles, was er geschaut und gehört, genau zu berichten.

Am nächsten Tage bat der Prinz um eine größere Spende. Und die Königin sandte ihre kostbarsten Perlen, die Millionen wert waren. »Ich lasse der Königin danken!« sprach lächelnd Margarita, und zur Köchin gewandt: »Kathrina, Kathrina, gib den Hühnern, Puten und Tauben diese Maiskörner zu fressen!« Und die Perlen wanderten augenblicklich in den Magen der gefräßigen Tiere.

Am dritten Tage hatte die Königin nur noch ihre Krone zu senden. »Ich lasse der Königin danken!« versetzte die Fremde und rief: »Kathrina, Kathrina, trage diesen Herdring in die Küche, um die kleinen Kochtöpfe darauf zu setzen!«

Die Königin war außer sich vor Zorn, als der Bote, der vor Angst kaum zu reden wagte, ihr das meldete. Aber der Prinz ließ ihr keine Ruhe und bestürmte sie weiter: »Was sollen wir nun tun?«

Sie antwortete:

»Goldsohn, Goldsohn, pflanz' einen Garten
mit Rosenmalven, Besuch zu erwarten!
Alle Frauen kommen wohl da,
kommt auch die schöne Margarita!«

Kaum war der Blumengarten fertig, eilten auch die neugierigen Frauen und Mädchen der Stadt herbei und bewunderten die herrlichen Anlagen. Auch Margarita erschien und musterte alles mit geringschätziger Miene. Und wie der Prinz sie begrüßen wollte, kehrte sie ihm den Rücken und lief eilig davon.

»Mutter, Mutter, was sollen wir tun?«

»Goldsohn, erbau ein Gartenhaus!
Gehen die Leute drin ein und aus.
Alle Frauen kommen wohl da,
kommt auch die schöne Margarita!«

Wieder erschienen die neugierigen Schönen, denen sich Margarita anschloß, doch so, daß der Prinz ihr nicht nahen konnte.

»Mutter, Mutter, was sollen wir tun?« drängte er aufs neue.

»Goldsohn, Goldsohn, bau' ein Kastell!
Ringsum leuchte Jasmin gar hell!
Alle Frauen kommen wohl da,
kommt auch die holde Margarita.«

Freilich kamen sie und in ihrer Mitte die so sehnlich Erwartete, liebenswürdig hold gegen alle, nur nicht gegen den Prinzen. – Da jammerte er in heller Verzweiflung: »Mutter, Mutter, es ist alles umsonst. Sie ist kalt und gefühllos wie Stein. Das bricht mir das Herz. Ich sterbe.«

»Nicht doch, mein Sohn! Aber ich rate dir, dich tot zu stellen. Das ist ein guter Gedanke. Vielleicht fühlt sie dann Mitleid.«

Der Sohn gehorchte, und die Königin befahl, ihn im Sarg über die Straße zu tragen. Wie aber die Träger mit der lebendigen Leiche am Nachbarpalast vorbeischritten, schaute Margarita zum Fenster heraus, klatschte in die Hände, spuckte verächtlich auf den Sarg und rief hohnlachend: »Welche Narrheit! wie kann sich ein Mann so weit erniedrigen, seinen Stolz und seine Würde preiszugeben – um eines Weibes willen.«

Da erkannte der Prinz ihre Stimme und merkte, daß sie ihm alle die Kränkungen nur angetan hatte, um ihn für seinen grausamen Hochmut zu strafen. Beschämt begab er sich zu ihr, bat sie um Verzeihung, die sie ihm, da sie ihn liebte, auch gern gewährte. Und nun wurde sie seine Braut und bald darauf Königin des Landes.

Der wunderbare Palast aber, den sie bewohnt hatte, war auf einmal verschwunden, und nur die Geschenke der Königin, Haarpfeil, Perlen und Krone, lagen noch da.

» Per un uomo ed una donna.« Diesem Beispiel rührender Anhänglichkeit und Selbsterniedrigung wüßte ich kein deutsches M. an die Seite zu stellen, wohl aber wird man lebhaft an Kätchen von Heilbronn erinnert. Doch begegnet man bei L. Gonzenbach im »Grünen Vogel« einem entsprechenden M., dessen zweite Hälfte ähnlich verläuft, während man in Nr. 60 »vom verschwenderischen Giovanninu« im Gegensatz eine gedemütigte Prinzessin erblickt. Vgl. R. Köhlers Anm. zu Gonzenbach, II, S. 222. – Die Caprifassung, die dem Pentamerone am meisten zu entsprechen scheint, ist aber einheitlicher und zeigt größere dichterische Anmut, besonders auch durch die eingestreuten Verse. – Majoran wird bei uns nur als Gewürzkraut verwandt.


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