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Es war einmal ein Prinz. Der sollte eine Prinzessin heiraten, die er nicht mochte.
Als er eines Tages vom Erker des Königspalastes auf die Straße herabschaute, ging eine arme Frau am Palaste vorüber. Die trug in jedem Arme ein Kind und auf dem Kopfe einen großen Wasserkrug. Darüber mußte er lachen und warf aus Übermut ein Steinchen in den Krug. Die Frau bemerkte es wohl. Da sie aber den Kopf nicht bewegen durfte, schritt sie ruhig weiter, bis sie schräg aufzublicken vermochte, um den Übeltäter zu entdecken. Schon schickte sie sich an, wacker zu schelten, als sie bemerkte, daß es der Prinz war. Da rief sie lachend: »O welche Gnade, königliche Hoheit, so gütig mit einer armen Wasserträgerin zu scherzen! Ich wünsche Euer Gnaden dafür viel Glück bei der schönen Innocenza!«
Da stieg der Prinz zu ihr hernieder, beschenkte sie reichlich und fragte huldvoll: »Wer ist die schöne Innocenza?«
»Oh! ihre Schönheit ist ohne Gleichen. Sie ist eine Weltreise wert.« –
Eine große Weltreise war dem Prinzen gerade ganz recht; da brauchte er nicht gleich zu heiraten.
Reich ausgestattet ritt er auf schmuckem Rosse hinaus in die Welt.
Noch nicht allzuweit war er gekommen, als ihm ein seltsames Abenteuer zustieß. Mitten auf der Straße lag eine tote Kuh, um deren Besitz ein Löwe, ein Adler und eine Ameise in Streit geraten waren. – Da teilte der zum Schiedsrichter angerufene Prinz die Kuh mit dem Schwerte und gewährte jedem den ihm zusagenden Anteil: dem Löwen die großen Fleischknochen, dem Adler Herz, Lunge und Eingeweide und der Ameise den Kopf zum Benagen. Alle drei waren damit zufrieden und überreichten ihm dankbar wertvolle Andenken: der Löwe ein Haar seiner Mähne, der Adler eine Feder und die Ameise ihre große Zehe. »Bewahre diese Gaben sorgfältig!« sagten sie, »und rufe, das betreffende Pfand ergreifend, mit Namen, wessen Beistand du wünschest!« – Der Prinz verbarg die kostbaren Kleinodien in seiner Brieftasche und ritt weiter ...
Als er nach einigen Tagen in einen großen Wald kam, wurde er von Räubern überfallen. Die waren so zahlreich, daß er nichts gegen sie ausrichten konnte. Sie rissen ihn vom Pferde, auf dem einer der Wegelagerer schnell davon ritt. Da zog er seine Brieftasche hervor, die sie begehrten. »Wartet ein wenig!« sprach er. »Erlaubt mir nur, noch ein Haar daraus zu nehmen, das ich zum Andenken erhalten und das wohl für euch keinen Wert hat!« Sie ließen es geschehen. Kaum hatte er aber das Löwenhaar in die Hand genommen und »Hilf, Löwe!« gerufen, als ein mächtiger Leu brüllend aus dem Dickicht herbeisprang, so daß die Räuber, von Angst ergriffen, eiligst davon liefen. Der Prinz streichelte dankbar seinen Retter und zog weiter. –
Wie er nun im unbequemen Wams und in den großen Reitstiefeln schwerfällig dahinschritt, kam fröhlich singend und leichten Schrittes ein Wandergesell des Weges daher. »Glücklicher Bursch!« dachte er bei sich, »wie beneidenswert bist du, so sorgenfrei deine Straße zu ziehen! Guten Tag, lieber Freund«, rief er ihm zu. »Sag, wohin willst du?« – »In die Welt hinaus, mein Glück zu versuchen!« – »Genau so wie ich,« dachte der Prinz, »aber dem wird es leichter.« – »Hör, Freund,« rief er, »ich mache dir einen Vorschlag: Gib mir deine Kleider, und ich schenke dir meine Rittertracht!« – »Was in aller Welt sollte ich damit?« meinte der Geselle. »Ich bin ja doch kein Ritter und käme womöglich in Verdacht, einen Rittersmann umgebracht und beraubt zu haben. Nein, Herr, lieber nicht!« – »Sei kein Narr!« rief der Prinz. »Du kannst doch alles verkaufen«, und sie tauschten die Kleider.
»Was aber wolltet Ihr nun beginnen? Ihr habt ja wohl kein Handwerk gelernt?« – »Freilich nicht. Ich möchte aber ganz gern eins ergreifen.« – »Hättet Ihr Lust, Schuhmacher zu werden?« – »Warum nicht?« – »Nun, Herr, so geht zu meinem Lehrmeister! Der sucht jetzt gerade einen braven Gehilfen. Da werdet Ihr's gut haben. Haltet Euch nur hübsch an die Meisterin, die für ihre Tochter, die sich für eine Prinzeß Tausendschön hält, einen Mann sucht.« Damit setzte er lachend, wenn auch etwas mühsamer als vorher, seine Wanderschaft fort. –
Der Prinz aber erreichte noch vor Sonnenuntergang die nicht allzuferne Stadt und fand Unterkunft bei dem trefflichen Meister, dessen Gunst er sich durch fleißige Arbeit und feines Verhalten bald erwarb. Mit besonderem Wohlwollen kam ihm die freundliche Meisterin mit ihrer altjüngferlichen Tochter entgegen.
Einmal wurde auch die schöne Innocenza erwähnt. »Die Arme ist zu bedauern«, bemerkte die Meisterin mit erheucheltem Mitleid. »Was nützt ihr Schönheit und Reichtum? Kein Freier kann zu ihr gelangen im siebenten Stock des Zauberpalastes, wo hinter sieben verschlossenen Türen ihre Unschuld bewacht wird.« –
Nicht lange darnach nahm der Prinz Abschied von der Schuhmacherei, kaufte sich wieder ein reicheres Gewand und begab sich zum Zauberschloß, um sein Glück zu versuchen.
Aber alle Türen und Fenster waren verschlossen, nirgends ein Lebenszeichen zu gewahren! Nur ganz oben im siebenten Stock schien sich etwas zu regen. »Das ist die schöne Innocenza!« dachte er freudig bewegt. »Hilf mir, Adler!« rief er, die Feder ergreifend. Und siehe, da trugen ihn gewaltige Schwingen zum Altan empor, von wo er die Schöne erblickte. »Habe Dank, Adler! Nun hilf mir, Ameise!« Da vermochte er durch eine Spalte ins Zimmer zu kriechen.
Wie er dann plötzlich der Prinzessin in seiner wahren Gestalt erschien, erhob sie ein furchtbares Zetergeschrei: »Mutter, Mutter, komm geschwind! Mutter, ein Mann ist im Zimmer.«
Da rasselten auch schon die Schlüssel in den sieben starken Schlössern der sieben eisernen Türen. Aber im Zimmer war niemand zu sehen, obgleich man alles durchsuchte. Der Prinz ging inzwischen ruhig unter dem Bette als Ameise spazieren. Scheltend verließ die Mutter das Gemach der furchtsamen Tochter, die wohl nur von einem männlichen Eindringling geträumt hatte.
Kaum aber waren die sieben Türen rasselnd von außen wieder verschlossen und die Mutter nicht mehr zu hören, stand auch der Prinz wieder vor dem Lager der Schönen, die aufs neue zu rasen begann: »Mutter, Mutter, ein Mann ist im Zimmer!«
Nochmals eilte diese herbei. Da sie jedoch abermals keinen Mann zu entdecken vermochte, erboste sie sich noch mehr. »Rufst du mich noch einmal vergeblich«, schrie sie, »kannst du toben, so viel du willst. Dann weiß ich, du siehst nur Gespenster und komme nicht wieder.«
Und zum dritten Male erblickte sie den Fremden und rief: »Mutter, ein Mann ist im Zimmer!«
Die Mutter erschien zum dritten Male vergebens und überließ nun die Erschrockene ihrem Schicksal. –
Nun schwieg Innocenza, als der Gefürchtete ehrerbietig vor sie hintrat: »Fürchtet Euch nicht, holde Unschuld! Ich bin nicht gekommen, Eure Ehre zu kränken. Ich bin nur gekommen, Euer Antlitz zu schauen. Nur Euretwegen habe ich meine gefährliche Weltreise unternommen und wollte Euch bitten, meine königliche Gemahlin zu werden!«
»Das will ich«, antwortete sie freudig; »doch müßt Ihr erst die Zustimmung meiner Mutter einholen!«
Als er tags darauf seine Werbung anbrachte, stellte ihm die listige Mutter vier Aufgaben, von deren Lösung ihre Zusage abhing: Zuerst sollte er einen Tisch decken, der bei jeder Berührung zu tanzen begann. Dann galt es, ein Bett zu machen, dessen Kissen und Decken beim Legen immer von unsichtbarer Hand weggezogen wurden. Ferner sollte er die Brokatvorhänge des Palastes »auf neu« waschen und schließlich die goldene Kugel vom Flaggenmast herabholen.
Zur Erfüllung der ersten drei Aufgaben verhalf ihm die Tochter, der die Mutter sieben Kräfte verliehen hatte, während sie selbst noch eine halbe Kraft mehr besaß. Die Ausführung aber der vierten Aufgabe war unmöglich, weil der glatte Mast mit Seife bestrichen war. –
So beschloß das Brautpaar, zu fliehen.
»O weh!« jammerte plötzlich die Schöne. »Ich habe nur Schuhe von Atlas und Seide, keine feste Fußbekleidung zum Wandern!« – »Die sollst du morgen früh haben!« versicherte er lachend. Und am Morgen brachte er ihr das in der Nacht von ihm hergestellte Schuhwerk. Dann entfernten sie sich heimlich, während die Mutter noch im tiefsten Morgenschlaf lag und nicht bemerkte, daß die Tochter die Türschlüssel leise unter ihrem Kopfkissen hervorzog.
Schon waren sie ein gut Stück vorwärts gekommen, als sie das Nahen der Mutter verspürten. Augenblicklich verwandelte Innocenza sich in einen Gemüsegarten und den Prinzen in einen Gärtner, der seine Waren anbieten mußte, keine Frage aber der Mutter beantworten durfte.
»Hast du nicht eine schöne Jungfrau mit einem jungen Manne hier vorbeikommen sehen?« fragte sie den eifrigen Gärtner.
»Was wünschen Sie, meine Gnädige?« entgegnete er höflich. »Wollen Sie Möhren, Kohl, Knoblauch, Tomaten; – Artischocken, Fenchel, Salat, Zwiebeln oder Kartoffeln?«
»Hast du nicht ein vornehmes Fräulein mit einem jungen Mann hier vorbeigehen sehen?« wiederholte sie lauter, weil sie meinte, er hörte nicht gut. – »Wünschen Sie Möhren, Kohl, Knoblauch, Tomaten; Artischocken, Fenchel, Salat, Zwiebeln oder Kartoffeln?« versetzte er mit noch stärkerer Stimme. – »Ob Sie ein junges Paar hier auf der Straße vorbeilaufen sahen, möchte ich wissen«, rief sie, so laut sie konnte. – Und er desgleichen: »Brauchen Sie Möhren, Kohl oder Knoblauch? Tomaten, Artischocken oder Fenchel? Salat, Zwiebeln oder Kartoffeln?« – Da merkte sie, daß hier nichts zu erfahren war und lief weiter. –
Kaum hatte sie sich entfernt, war Garten und Gärtner verschwunden, und die Verfolgten schlugen eiligst eine andere Richtung ein. Nach einer Weile bemerkte Innocenza abermals die Nähe der Unholdin. Im Nu verwandelte sie sich und den Prinzen in eine Kapelle mit Kaplan. –
»Herr Kaplan,« grüßte die Alte, »ist hier nicht ein schönes junges Paar vorübergelaufen?«
»Ich lese hier Messe,« antwortete er, »und bitte, mich nicht zu stören! Dominus Christus! Sancta Maria, Spiritus sanctus!«
»Verzeiht, Herr Kaplan, habt Ihr nicht ...« – »Gottlose Frau, wie könnt Ihr mich unterbrechen? Dominus Christus, Spiritus sanctus!« Und zum dritten Male wiederholte sie ihre Frage. Doch der Geistliche fuhr nur um so eifriger fort, Messe zu lesen. –
Verzweifelt raste sie vorwärts, bis sie an einen Fluß kam, in den sich die Tochter bei ihrem Nahen verwandelt hatte, während ihr Begleiter die durstige Verfolgerin als ungeheuerlicher Fisch vom Trinken abhalten mußte. Wäre es ihr gelungen, aus dem Flusse zu trinken, so hätte die Tochter ihre Kraft verloren. Sobald sich nun die Verzweifelnde zum Wasser hinabbückte, schreckte das Ungeheuer sie zurück, bis sie ganz erschöpft die wachsende Überlegenheit der Tochter erkannte und die weitere Verfolgung aufgab.
Nun begann sie die Fliehende zu warnen: »Du weißt nicht, was dir bevorsteht. Beim ersten Kuß, den der Treulose von den Seinen in der Heimat erhält, vergißt er dich und heiratet die auf ihn wartende Braut. Und du stehst beschimpft und verlassen allein in der Fremde.«
»Du wirst an mich denken«, rief sie zum Abschied. »Sind alsdann ein Jahr, drei Monate und drei Tage verflossen, wirst du zuschauen, wie er eine andere als Braut heimführt.«
Als nun der Prinz nach jahrelanger Abwesenheit mit seiner wunderschönen Begleiterin in der heimatlichen Hauptstadt eintraf, herrschte endloser Jubel, besonders am Hofe, wo ihn die königlichen Eltern mit den zahllosen Onkeln und Tanten, Vettern und Basen samt der ihm noch immer zugedachten Braut freudig umringten und küssen wollten. Er aber wußte sich allen ihren Liebkosungen zu entziehen. Da küßte ihn die Amme, während er schlief. –
Als am anderen Morgen die ahnungslose Innocenza den Prinzen freundlich umarmen wollte, schien er sie nicht mehr zu kennen. »Wer bist du?« fragte er barsch, »daß du es wagst, mich küssen zu wollen? Ich verbitte mir solche Zudringlichkeiten!«
Da merkte die Erschrockene, was vorgefallen sein mußte. Weinend entgegnete sie nur: »So ist es nun gekommen, wie die Mutter es warnend voraussagte.«
Tief gekränkt verließ sie den Hof und mietete ein Landhaus in der Nähe des Prinzenpalastes, wo sie unbeachtet lebte, doch alles, was am Hofe vorging, beobachten und bei Gelegenheit schnell zur Stelle sein konnte; denn im stillen hoffte sie noch immer, die Liebe des Ungetreuen wiederzugewinnen.
Und als ein Jahr, drei Monate und drei Tage vergangen waren, wurde die Hochzeit gefeiert, zu der auch Innocenza eingeladen war. Sieben Tage dauerte die Vorfeier, wobei allerlei Spiele, Turniere, Musik-, Vortrags- und Tanzabende veranstaltet wurden. Am Abend vor der Trauung sollten mit allerlei Verkleidungen heitere Geschichten und Schwänke erzählt werden. Innocenza erschien als Zigeunerin.
Der Prinz betrachtete die anmutige Erscheinung mit Wohlgefallen und hielt ihr seine Hand hin, damit sie ihm aus ihren Linien die Zukunft verkünde: »Hoher Herr, Euch steht eine große Überraschung bevor. Darf ich Euch ein kleines Reiseabenteuer erzählen?«
»Gern!« erwiderte der Prinz. »Ich liebe Reiseabenteuer.« Und nun hob sie an mit süßer Märchenstimme zu erzählen, und alle Zuhörer begannen zu lauschen: »Es war einmal ein Prinz. Der sollte eine Prinzessin heiraten, die er nicht mochte. Eine Frau mit einem Wasserkruge rühmte ihm die schöne Innocenza. Er unternahm eine Weltreise, sie zu gewinnen.« –
»Das wird eine langweilige Sache«, bemerkte halblaut der König und gähnte. »Ein dummes, altmodisches Ammenmärchen!« beeilte sich die Königin beizupflichten. »Eine höchst unpassende Erzählung«, fügte die neben dem Prinzen sitzende Braut hinzu. »Schatz, untersage ihr doch, weiter zu reden!« »Im Gegenteil!« rief der Prinz lustig. »Der Anfang gefällt mir. Sprich weiter!«
Und die Wahrsagerin fuhr fort: »Die erste Tat, die ihm Glück brachte in fremdem Lande, war die kluge Entscheidung eines Streites, den eine auf der Straße liegende tote Kuh zwischen einem Löwen, einem Adler und einer Ameise veranlaßt hatte. Er teilte die Kuh mit dem Schwerte und erhielt nach gerechter Verteilung der Beute zur Belohnung vom Löwen ein Mähnenhaar, vom Adler eine Feder und von der Ameise die große Zehe, um unter Umständen ihren Beistand anzurufen. Als ihn einst Räuber überfielen, rettete ihn der zu Hilfe gerufene Löwe. Adler und Ameise verschafften ihm Zutritt zur sonst unerreichbaren, hinter sieben Türen im siebenten Stock eingeschlossenen Innocenza – –«
Da plötzlich erhob sich der Prinz, der mit wachsender Aufmerksamkeit gelauscht hatte: »Sei mir gegrüßt, holde Unschuld! Denn du bist meine herrliche Innocenza. Dich zu finden, hatte ich meine gefahrvolle Weltreise unternommen. Wie lange habe ich dir nicht in die Augen geschaut! Wo warst du so lange? Nun kommst du doch zur glücklichen Stunde, und morgen feiern wir Hochzeit!«
Da warf sie die armselige Hülle von sich und stand vor ihm in strahlender Schönheit. Ein lautes: »Ah, welche Anmut!« wurde vernommen, und selbst die bisher widerstrebenden Eltern waren gerührt und umarmten sie herzlich als Tochter. –
Das anscheinend etwas mangelhaft überl. und daher von mir zum Teil frei ausgeführte Lieblingsm. der 60jährigen »Zia« Loise de Stefano » la bella infinita« ist wahrscheinlich aus mehreren, ursprünglich nicht zusammengehörigen Bestandteilen durch poetische Bearbeiter oder dichterisch begabte Erzähler ineinandergewirkt worden. Die Bearbeitung machte mir daher etwas zu schaffen, besonders die ziemlich unverständliche, kaum übersetzbare Üb. Um sie mit dem Inhalt möglichst in Einklang zu bringen, kam ich schließlich darauf, die unvergleichlich Schöne, die an »die Schöne der Erde oder der Welt« und unser »Tausendschön« erinnert, »Innocenza« zu nennen. Zu meiner Freude fand ich dann bei L. Gonzenbach den Namen »Nzentola« (Diminutiv von Innocenzia) als Üb. des wohl einzig in Betracht kommenden Seitenstückes. – Nach Hahns wissenschaftlicher Einteilung entspricht unser M. im allgemeinen der sogenannten Jasonsformel: Glückliche Entführung mit folgender Heirat. Der Held verlobt sich heimlich, erhält von der Mutter scheinbar unerfüllbare Aufgaben, die er z. T. mit Hilfe der Geliebten löst. Hierauf Flucht, Verfolgung, Ankunft, Vergessen der Braut durch einen Kuß, schließlich Wiedervereinigung und Hochzeit. Zu vergleichen sind die hellenische Sage von Jason und Medea und die germ. Amelungensage. Zur wesentlich eingreifenden Verwendung des Mot. von den dankbaren Tieren (Löwe, Adler, Ameise), vgl. Köhler an vielen Stellen und Gonzenbach, I, Nr. 12, wo Ameisenbein, Adlerfeder und Löwenhaar noch wichtiger erscheinen. – Die Rettung durch Verwandlungen auf der Flucht ist ein beliebtes Mot., dem wir auch bei Grimm (»Fundevogel«, vgl. Bolte, I, S. 442 ff.) und in zahlreichen anderen M. antreffen. Auch die nach einem Kuß vergessene Braut trifft man vielfach in M. Vgl. Köhler u. a. – Das Mot. von sieben Schlössern kommt auch bei Kretschmer, Nr. 63, vor. – Beachtenswert ist auch die eigentümliche Wartezeit bis zur Verheiratung in einem Jahre, drei Monaten und drei Tagen, wie auch in Nr. 16, bzw. in einem Jahre, drei Monaten in Nr. 21.
– Vgl. hierzu Köhler: Über die märchenhaften Zeitbestimmungen in Sarnellis Posilecheata ed Imbriani, 1885, p. 168: ein Tag, eine Woche, ein Monat, ein Jahr, sowie bei Finamore, Carnoy, Sébillot, Gonzenbach auch sieben Jahre, sieben Monate, sieben Tage, sieben Stunden oder neun Monate, neun Tage, neun Stunden und neun Minuten; natürlich meist ungerade Zahlen. – Bei Nr. 14 sind es sechs Monate, sechs Tage, sechs Stunden. Überhaupt spielen die heiligen Zahlen 3, 4, 7 und 12 eine wichtige Rolle in den M. –