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Es war einmal eine Mutter. Die hatte einen Sohn, der sehr dumm war. – Eines Tages ging die Mutter auf Arbeit und befahl dem Sohn, Fleisch ohne Knochen zu kaufen und zu kochen. Der Sohn kaufte Bauchlappen und stellte sie im großen Kochtopf ans Feuer; aber sie wurden nicht gar. »Dummlack!« rief die Mutter, als sie heimkam. »Was hast du da wieder gemacht? Nur immer umsonst viel Holz verfeuern!« – »Aha!« dachte der Dumme. »Nur viel Holz ist nötig dazu.« – Er ging in den Wald und sammelte ein großes Bündel Reisig. Auf dem Heimwege begegnete er zwei Feen, die ihn freundlich allerlei fragten und ihm versprachen, jederzeit seine Wünsche zu erfüllen. –
»Nun, dann wünsche ich, auf diesem Reisigbündel nach Hause zu reiten!« Und im Nu trug ihn sein Holzgaul über Stock und Stein und durch die Straßen der Stadt unter dem lauten Gelächter der Zuschauer. Und als er am Residenzschlosse vorbeiritt, lachte auch die schöne Königstochter.
»Ich wünsch dir ein Kind!« murmelte er boshaft. Und in der Nacht glaubte sie wohl von ihm zu träumen und sah ihn als Prinz stolz herangaloppieren und ihr huldigen. Und ehe ein Jahr um war, bescherte die Königstochter ihrem Vater ein Söhnchen. Da sie aber den Vater des Kindes nicht zu nennen wußte, meinte sie: »Sobald das Wunderkind reden kann, werden wir ihn schon kennen lernen.«
Mit zwei Jahren sprach der Knabe schon ganz geläufig. Da lud der König alle Fürsten, Herzöge, Grafen und Ritter seines Reiches zu einem großen Festessen ein; der Kleine aber sagte kein Wort. – Darauf veranstaltete der König ein Gastmahl für alle seine höheren Beamten und Hofleute. Doch ohne den erhofften Erfolg. – Alsdann wurden die Bürger und Bauern bewirtet. Auch das war umsonst. –
Schließlich wurden alle Bettler und Narren gespeist. Auch Dummlack erschien. Beim Essen ließ er ein Stück Makkaroni unter den Tisch fallen. – Als er es aber aufheben wollte, rief auf einmal der Knabe, der mit einem Gummiball spielte: »Liegen lassen, lieber Papa, es ist schmutzig!« –
»Ah!« schrie der König außer sich vor Zorn. »Soweit hast du dich also erniedrigt, schamlose Tochter!« Vergeblich beteuerte sie ihre Unschuld. Sie wurde mit Mann und Kind zum Tode verurteilt und in einer großen Tonne mit einem Abteil für Mutter und Kind und einem anderen für Dummlack aufs Meer ausgesetzt, wo sie, vor Angst fast vergehend, von den Wellen beständig hin und her geschleudert wurden.
Da weinte die arme Königstochter und sprach: »Hast du ein Zauberwerk vollbracht, mich zu verderben, warum vollbringst du jetzt keins, mich zu retten?«
»Gib mir eine Rosine!« antwortete er. – Kaum hatte er diese durch eine Spalte in der Scheidewand erfaßt, so verwandelte sich auf seinen Befehl die Tonne in ein Schiff, viel größer und schöner als das Lustschiff des Königs. Sofort fuhren sie nun zur Stadt zurück, stiegen aus und begaben sich zum Königspalaste, dem gegenüber sich wunschgemäß aus einer zweiten Rosine im Augenblick ein Prachtbau mit goldenen Friesen erhob, weit größer und schöner als die Königsburg war.
Wie der König am nächsten Morgen den Wunderbau staunend erblickte, schickte er zur Anknüpfung gut nachbarlicher Beziehungen der unbekannten Herrschaft eine goldene Schale als Zeichen seiner königlichen Gunst. »Wir danken dem König,« ließ ihm seine Tochter vermelden, »wir werden das Gefäß als Kohlenbecken verwenden.« –
Am folgenden Tage sandte der König ein Schreiben, um anzufragen, wann die hohen Herrschaften Besuch empfingen. »Majestät haben durchaus nicht nötig, sich zu bemühen!« antwortete die Tochter. –
Einige Tage darauf wurde der König, der als einfacher Edelmann spazieren ging, von einem Regenschauer überrascht. Er befand sich gerade am Nachbarpalast und klopfte an die Tür, um Schutz vor dem Regen zu begehren. Freundlich aufgenommen, staunte er über den Reichtum, der ihn umgab. Auf dem Tische saß eine goldene Gluckhenne mit zwölf goldenen Hühnchen, und golden waren auch sämtliche Möbel.
Zum Zeitvertreib schlug der König vor, ein Gänsespiel mit den Küchlein zu versuchen. »Eure Majestät wollen mit den Goldhühnchen spielen. Es ist aber ein gefährliches Spiel. Es kann leicht so ein Schippchen verschwinden. Was soll dann mit dem Schuldigen geschehen, bei dem es gefunden wird?« – »Das Leben soll es ihm kosten!« erwiderte der König. –
Es dauerte nicht lange, da fehlte auch schon ein Hühnchen. Nun wurden auf des Königs Befehl alle Taschen der Anwesenden durchsucht; aber nichts kam zum Vorschein. »Untersucht nun auch mich!« rief der König. Und siehe da, zu aller Entsetzen wurde das Hühnchen in seiner Rocktasche gefunden. Der König erbleichte und sprach leise: »So hab' ich mich selber verurteilt!« –
Da gab sich die Tochter zu erkennen und sprach: »Siehst du, lieber Vater, jetzt bist du in der gleichen Lage wie ich damals mit dem Kinde. Du wolltest an meine Unschuld nicht glauben. Ich hoffe, du bist jetzt anderer Ansicht. Schließen wir Frieden!«
Und der König freute sich, seine Tochter wieder zu haben. Sie heiratete ihren Dummlack, dessen Klugheit nun alle Welt rühmte. –
» Lo stupido sposa la figlia del re.« – Die viel verkannte Gottesgabe der Dummheit, die sich schließlich als überlegene Schlauheit entpuppt, ist ein beliebtes internationales M.-motiv. Ein besonders typisches Gepräge zeigt neben dem vorliegenden M. auch Gonzenbachs »Giufa« (I, 37), der seine Mutter durch allerlei tolle Streiche in Verlegenheit setzt, ihr aber schließlich viel Geld und Gut heimbringt. – Das im M. vorkommende Gänsespiel, wie man es auf einem großen Tische aus dem 18. Jahrhundert im Dresdner Altertumsmuseum bildlich dargestellt findet, scheint dazumal sehr beliebt gewesen zu sein. In einem Aufsatz im »Dresdner Anzeiger« über den »Schieber« im »Spiegel der Sprache« wird auf bekannte Redensarten, wie z. B. »Jemand etwas in die Schuhe schieben« hingewiesen und dazu bemerkt, daß man diese Wendung aus dem alten M. erklären will, in dem eine Königstochter ihrem Vater einen goldenen Löffel in den Stiefel zaubert, um ihm zu beweisen, daß der, bei dem ein Wertgegenstand im Schuh gefunden wird, ihn nicht gestohlen zu haben braucht. Im Caprimärchen wird dem König heimlich ein Hühnchen in die Tasche gezaubert, Vgl. Dresdner Anzeiger vom 5. Oktober 1923. Das M. wurde mir von einer Frau Margharita erzählt, die es »von einem alten Manne« hatte. –