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Henriette konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Der Gedanke, ihren Mann in Bazeilles so nahe den preußischen Linien zu wissen, quälte sie. Vergeblich wiederholte sie sich, daß er ihr ja versprochen habe, bei den ersten Anzeichen von Gefahr wiederzukommen; alle Augenblicke spitzte sie das Ohr und glaubte ihn zu hören. Als sie sich gegen zehn Uhr hinlegen wollte, öffnete sie das Fenster; sie lehnte sich hinaus und vergaß alles um sich her.
Die Nacht war sehr dunkel; sie konnte kaum das Pflaster in der Rue des Voyards erkennen, einem engen, zwischen alten Häusern eingepferchten Gange. Nur weit weg nach der Schule hinüber sah sie den dunstumhüllten Stern einer Gaslaterne. Der salpetrige Dunst von Kellerräumen stieg empor, dann das Miauen einer wütenden Katze, dumpfe Schritte eines umherirrenden Soldaten. Aber in ganz Sedan, hinter ihr, ertönten ungewohnte Geräusche; rasches Galoppieren, fortgesetztes Rollen zogen wie Todesschauer an ihr vorüber. Sie horchte, ihr Herz schlug gewaltig, aber noch immer konnte sie den Schritt ihres Mannes an der Straßenecke nicht erkennen.
Stunden vergingen, und sie beunruhigte sich jetzt über einen Feuerschein in der Ferne, den sie jenseits der Wälle in der Umgebung wahrnahm. Es war so dunkel, daß es ihr Mühe machte, sich zu vergegenwärtigen, wo es sein könne. Die große blasse Fläche dort unten waren jedenfalls die überschwemmten Wiesen. Was konnte denn das wohl für ein Feuer sein, das sie dort oben, sicher auf der Marfée, aufleuchten und wieder zusammensinken sah? Und auf allen Seiten flammten andere empor, bei Pont-Maugis, bei Noyers, bei Frénois, geheimnisvolle Feuer, die wie über einer unzählbaren Menge umhertanzten und aus dem Dunkel aufschossen. Dann bestärkten wieder ungewöhnliche Geräusche sie in ihrer Angst, Tritte wie von einem ganzen dahinmarschierenden Volke, Stöhnen von Tieren, Rasseln von Waffen, eine wahre Völkerwanderung unten in der höllischen Finsternis. Plötzlich ertönte ein Kanonenschuß, ein einziger, bei dem darauffolgenden Schweigen von fürchterlicher, schrecklicher Wirkung. Ihr Blut erstarrte zu Eis. Was hieß das? Sicher ein Zeichen, das das Gelingen einer Bewegung deuten sollte, das ankündigen sollte, sie wären da unten fertig und die Sonne könne nun aufgehen.
Gegen zwei Uhr warf Henriette sich in vollen Kleidern auf ihr Bett und vergaß sogar das Fenster zuzumachen. Müdigkeit und Besorgnis nahmen ihr jede Kraft. Warum zitterte sie wie im Fieber, die sonst doch so ruhig und so leichten Schrittes einherging, daß man ihre Gegenwart gar nicht bemerkte? Von Schläfrigkeit übermannt, verfiel sie in peinvolle Träumereien, in denen sie dauernd das Gefühl eines in der schwarzen Nacht auf sie lauernden drohenden Unglückes hatte. Tief in ihren schweren Träumen fing mit einem Male mit schwerem, weit entferntem Getöse das Geschützfeuer wieder an; und nun kam es gar nicht mehr zum Schweigen, sondern fuhr mit hartnäckiger Regelmäßigkeit fort. Schaudernd setzte sie sich aufrecht. Wo war sie denn? Sie erkannte nichts, sie konnte nicht einmal ihre Kammer sehen, die von dichtem Rauch erfüllt schien. Dann kam es ihr zum Bewußtsein: der vom nahen Flusse aufgestiegene Nebel mußte ins Zimmer gedrungen sein. Draußen verdoppelte der Geschützdonner seine Stärke. Sie sprang aus dem Bett und lief ans Fenster, um zu horchen.
Auf einem der Türme in Sedan schlug es vier. Der junge Tag brach trübe und unklar vor rötlichem Nebel an. Es war unmöglich, irgend etwas zu sehen, und sie erkannte selbst das Schulgebäude auf die paar Meter nicht. Mein Gott, wo konnten diese Schüsse herkommen? Ihr erster Gedanke war an ihren Bruder Maurice, denn die Schüsse tönten so dumpf, daß sie aus dem Norden, von der andern Seite der Stadt zu kommen schienen. Aber dann konnte sie nicht länger zweifeln, die Schüsse fielen dort vor ihr, und nun zitterte sie für ihren Mann. Sicherlich war das in Bazeilles. Ein paar Minuten lang glaubte sie dann sicher zu sein, der Knall käme zeitweilig von rechts. Vielleicht fand das Gefecht bei Donchery statt, wo, wie sie wußte, die Brücke nicht mehr hatte gesprengt werden können. Und dann bemächtigte sich ihrer wieder die grausame Ungewißheit: war es bei Donchery oder bei Bazeilles? Bei dem Brummen, das ihr den Kopf erfüllte, wurde es ihr unmöglich, sich darüber klar zu werden. Ihre Qual wuchs so, daß sie fühlte, sie könne unmöglich länger hier bleiben und warten. Bebend vor Verlangen nach sofortiger Klarheit warf sie ein Tuch um die Schultern und ging fort, um sich Nachricht zu holen.
Unten in der Rue des Voyards schwankte Henriette einen Augenblick, so schwarz kam ihr die Stadt in dem dichten Nebel vor, der sie einhüllte. Das schwache Tageslicht hatte seinen Weg noch nicht bis auf das feuchte Pflaster zwischen den alten verräucherten Hauswänden hinab gefunden. Nur in einer düsteren Kneipe in der Rue au Beurre entdeckte sie im Hintergrunde, wo eine Kerze flackerte, zwei betrunkene Turkos mit einem Mädchen. Sie mußte erst wieder in die Rue Macqua einbiegen, um ein wenig Leben zu finden; Schatten verstohlen entlangschleichender Soldaten glitten auf den Fußsteigen vorbei, vielleicht Feiglinge, die sich ein Versteck suchten; ein langer Kürassier, der auf die Suche nach seinem Rittmeister geschickt war, hatte sich verirrt und klopfte wütend an alle Türen; ein ganzer Strom von Bürgern, die vor Angst, zu spät zu kommen, schwitzten – sie hatten beschlossen, doch noch zu versuchen, mit einem vollgepfropften Wagen nach Bouillon in Belgien durchzukommen, wohin halb Sedan seit zwei Tagen ausgewandert war. Gefühlsmäßig wandte sie sich nach der Unterpräfektur, als ob sie dort sicher Auskunft erhalten würde; und da sie jede Begegnung zu vermeiden wünschte, kam sie auf den Gedanken, einen Richtweg durch Nebenstraßen einzuschlagen. An der Rue du Four und Rue des Laboureurs konnte sie nicht durchkommen: hier standen Geschütze in endloser Reihe mit Protzen und Munitionswagen; sie mußten wohl gestern in diesem Winkel untergebracht worden sein und waren nun scheinbar vergessen worden. Auch nicht ein einziger Mann war zu ihrer Bewachung da. Ihr Herz erkältete sich beim Anblick all dieser unnützen, trübselig aussehenden Geschütze, die hier unten in diesen einsamen Straßen den Schlummer der Verwahrlosung schliefen. Sie mußte also über den Schulplatz nach der Großen Straße umkehren, wo vor dem Gasthaus de l'Europe Meldereiter auf höhere Offiziere warteten, deren laute Stimmen aus dem blendend erhellten Speisesaal tönten, und ihre Pferde an der Hand hielten. Auf dem Turenneplatz und dem Uferplatz sah sie noch mehr Leute; voller Unruhe standen hier Einwohner gruppenweise zusammen, und Frauen und Kinder mischten sich unter die aufgelösten, verstört dreinblickenden Truppen; hier sah sie auch einen General fluchend aus dem Wirtshause Zum goldenen Kreuz herauskommen und wütend davongaloppieren auf die Gefahr hin, alles über den Haufen zu reiten. Einen Augenblick war ihr so, als sollte sie ins Stadthaus gehen; dann aber schlug sie die Maasbrückenstraße ein, um bis zur Unterpräfektur zu gelangen.
Noch nie war ihr Sedan so traurig vorgekommen, als wie es jetzt bei dem schwachen, trüben Tageslicht im Nebel versank. Die Häuser sahen wie tot aus, viele standen seit zwei Tagen verlassen und leer, andere blieben infolge der ängstlichen Schlaflosigkeit ihrer Einwohner luftdicht verschlossen. Es war ein frostiger Morgen, an dem die noch halbleeren Straßen nur von angsterfüllten, sich jäh voneinander losreißenden Schatten belebt schienen, sowie von allerhand verdächtigem Gesindel, das seit gestern schon herumschlich. Aber das Tageslicht mußte zunehmen und die dem Unglück geweihte Stadt sich beleben.. Es war halb sechs; der Geschützdonner war kaum zu hören, so wurde er zwischen den hohen, schwarzen Häusern gedämpft.
Henriette kannte die Tochter der Schließerin in der Unterpräfektur, die kleine blonde Rosa mit ihrem niedlichen, zarten Gesicht, die in Delaherches Fabrik arbeitete. Sie ging sofort in ihr Gelaß. Die Mutter war nicht da, aber Rosa nahm sie freundlich auf.
»Ach, meine liebe Frau Weiß, wir können uns nicht mehr auf den Beinen halten, Mutter hat sich eben ein wenig hingelegt. Denken Sie mal, die ganze Nacht haben wir auf sein müssen bei dem ewigen Herein und Heraus!«
Und ohne irgendwelche Frage abzuwarten, erzählte sie wie im Fieber von all den außergewöhnlichen Vorgängen, die sie seit gestern mit angesehen hatte.
»Der Marschall, der hat gut geschlafen. Aber der arme Kaiser! Nein, Sie können sich nicht denken, was der leidet! ... Denken Sie nur, gestern abend ging ich hinauf, um beim Wäscheausgeben zu helfen. Wie ich da an dem Zimmer vorbeikam, das an sein Ankleidezimmer stößt, habe ihn ich stöhnen hören! Stöhnen, als ob einer im Sterben läge. Ich bin vor Zittern stehengeblieben; das Herz wurde mir wie Eis, als ich merkte, daß das der Kaiser wäre... Er leidet scheinbar an einer scheußlichen Krankheit, daß er so schreien muß. Wenn jemand bei ihm ist, ist er still; aber sowie er allein ist, dann ist es ihm über und er muß schreien und jammern, daß einem die Haare zu Berge stehen.«
»Wo wird denn heut' morgen gefochten, wissen Sie das?« fragte Henriette und versuchte sie zu unterbrechen.
Rosa wies die Frage mit einer Handbewegung von sich und fuhr fort:
»Nun können Sie sich wohl denken, ich wollte doch gern was wissen und bin vier- oder fünfmal in der Nacht nach oben gegangen und habe das Ohr an die Wand gelegt... Er jammerte immer weiter, unaufhörlich, ohne die Augen auch nur eine Minute zuzumachen, bin ich sicher... Nicht wahr? Ist das nicht schrecklich, so leiden zu müssen bei all dem Ärger, der ihm durch den Kopf gehen muß! Denn das ist ein Durcheinander und ein Geschubse! Sie sehen wahrhaftig alle aus, als ob sie verrückt wären! Und immer neue Leute kommen, und die Türen werden geschlagen und die Menschen werden ärgerlich und manche heulen, und es geht im Hause zu wie bei einer Plünderung, die Offiziere trinken aus der Flasche und liegen mit den Stiefeln in den Betten!... Ganz gewiß, der Kaiser ist noch der Höflichste und nimmt am wenigsten Platz ein in seiner Ecke, wo er sich versteckt und jammert.« Als Henriette dann ihre Frage wiederholte:
»Wo sie fechten? Das ist Bazeilles, da schlagen sie sich seit heute morgen... Ein Soldat zu Pferde kam und sagte dem Marschall Bescheid, und der ist gleich zum Kaiser gegangen und hat es ihm erzählt... Vor zehn Minuten ist der Marschall fortgeritten, und ich glaube wohl, der Kaiser will ihn treffen, denn er zieht sich da oben an... Ich habe einen Augenblick gesehen, wie sie ihn mit allen möglichen Geschichten im Gesicht bemalten und aufputzten.«
Aber Henriette wußte nun, was sie wollte, und entschlüpfte ihr.
»Danke schön, Rosa! Ich habe große Eile.«
Und das junge Mädchen begleitete sie bis auf die Straße und rief ihr noch freundlich nach:
»Ganz zu Ihren Diensten, Frau Weiß. Ich weiß wohl, daß ich Ihnen alles sagen darf.«
Rasch ging Henriette wieder nach ihrer Wohnung in der Rue des Voyards zurück. Sie war überzeugt, sie würde ihren Mann dort schon vorfinden; sie dachte sogar, er würde, wenn er sie nicht in der Wohnung fände, sich beunruhigen, und das beschleunigte ihren Schritt noch mehr. Als sie sich dem Hause näherte, hob sie den Kopf und glaubte auch ihn sich oben zum Fenster herauslehnen zu sehen, um ihre Rückkehr abzuwarten. Aber das immer noch weit offene Fenster war leer. Und als sie dann nach oben gegangen war und einen Blick in alle drei Zimmer geworfen hatte, blieb sie wie gebannt stehen; das Herz schnürte sich ihr zusammen, als sie sie bei dem fortdauernden Kanonengebrüll nur von eisigem Nebel angefüllt fand. Das Geschieße dort hinten ging immer weiter. Einen Augenblick trat sie wieder ans Fenster. Nun sie Bescheid wußte, gab sie sich, trotzdem der Morgennebel immer noch wie eine undurchdringliche Mauer dastand, bei dem Krachen der Mitrailleusen und dem Getöse der Salven der französischen Batterien, die auf die entfernten der deutschen antworteten, ganz klar Rechenschaft darüber, daß der Kampf in Bazeilles stattfand. Es war, als ob die einzelnen Knalle näher kämen und die Schlacht sich von Minute zu Minute steigerte.
Warum kam Weiß nur nicht wieder? Er hatte ihr so fest versprochen, beim ersten Angriff heimzukommen. Und Henriettes Unruhe wuchs, sie malte sich Hindernisse aus, wie die Straße abgeschnitten wäre und die Granaten den Rückweg zu gefährlich machten. Vielleicht war ihm auch ein Unglück zugestoßen. Diesen Gedanken scheuchte sie von sich, da sie nur in der Hoffnung eine feste Stütze für ihre Tatkraft fand. Dann überlegte sie einen Augenblick den Plan, hinunterzugehen, ihrem Manne entgegen. Aber ein Gefühl von Unsicherheit hielt sie zurück: vielleicht würden sie sich kreuzen; und was sollte aus ihr werden, wenn sie ihn verfehlte? Und wie würde er seinerseits sich quälen, wenn er heimkäme und sie nicht fände? Im übrigen aber erschien ihr das Tollkühne eines Ganges nach Bazeilles gerade jetzt vollständig natürlich, ohne jedes unangebrachte Heldentum; es paßte durchaus zu ihrer Auffassung der Tätigkeit einer Frau, die schweigend vollbrachte, was ihr für den richtigen Gang ihres Haushaltes nötig erschien. Sie gehörte einfach dorthin, wo ihr Mann war.
Aber da machte sie ganz unvermittelt eine Bewegung, und während sie vom Fenster zurücktrat, sagte sie ganz laut: »Aber Herr Delaherche ... den muß ich erst sehen ...« Es kam ihr wieder ins Gedächtnis, daß ja auch der Tuchfabrikant in Bazeilles geschlafen hätte und daß sie von ihm, falls er schon zurück wäre, Auskunft erhalten könnte. Anstatt wieder durch die Rue des Voyards zu gehen, schritt sie über den engen Hof des Gebäudes, der einen Durchgang für die weiten, mit ihrer Hauptseite nach der Rue Macque hinausgehenden Fabrikgebäude bildete. Als sie in den früheren Garten des Mittelhofes hinaustrat, der jetzt gepflastert war und nur noch einen von prächtigen, riesenhaften Ulmenbäumen aus dem vorigen Jahrhundert umgebenen Rasen aufwies, da sah sie zu ihrem Erstaunen als erstes einen vor der geschlossenen Tür eines Wagenschuppens auf und abgehenden Posten; dann erinnerte sie sich, gestern gehört zu haben, die Kriegskasse des siebenten Korps sei dort untergebracht; und das wirkte auf sie nun ganz sonderbar ein, all dies Gold, Millionen, wie es hieß, in diesem Schuppen versteckt, während sie sich draußen um die Stadt herum schon mordeten. Aber im Augenblick, wo sie eine zum Schlafzimmer Gilbertes hinaufführende Nebentreppe betreten wollte, hielt eine neue Überraschung sie fest, ein so unvorhergesehenes Zusammentreffen, daß sie die drei Stufen, die sie schon hinaufgestiegen war, wieder herunterging, weil sie nicht recht wußte, ob sie jetzt wohl noch hinaufgehen könnte. Ein Soldat, ein Hauptmann, schlüpfte leicht wie eine Geistererscheinung an ihr vorbei und war sogleich verschwunden; sie hatte aber doch Zeit genug gehabt, ihn wieder zu erkennen, da sie ihn in Charleville bei Gilberte gesehen hatte, als diese dort noch als Frau Maginot lebte. Sie ging ein paar Schritte durch den Hof, dann sah sie nach den beiden hohen Fenstern des Schlafzimmers hinauf, deren Läden noch geschlossen waren. Nun entschloß sie sich, trotzdem hinaufzugehen.
Als alte Freundin aus der Kinderzeit, als Vertraute, die manchmal so des Morgens zum Plaudern herüberkam, wollte sie im ersten Stock an die Tür des Ankleidezimmers klopfen. Diese Tür aber war bei dem eiligen Abschied schlecht geschlossen worden und stand halb offen. Sie brauchte sie nur ganz zu öffnen und befand sich in dem kleinen Raume, dann im Schlafzimmer. Es war dies ein Raum mit sehr hoher Decke, von dem reiche rote Samtvorhänge herabfielen, die das große Bett vollständig umschlossen. Kein Laut, nur das müde Schweigen nach einer seligen Nacht, nur leichtes, kaum merkliches Atmen in dem schwachen Duft zerstäubten Flieders.»Gilberte!« rief Henriette leise.
Die junge Frau war sofort wieder eingeschlafen; und in dem schwachen, durch die roten Fenstervorhänge hereindringenden Tageslicht zeigte sich ihr niedlicher runder Kopf, der vom Kopfkissen heruntergerutscht war, in der wundervollen Flut ihres aufgelösten schwarzen Haares auf einen ihrer nackten Arme aufgestützt.
»Gilberte!«
Sie geriet in Bewegung und streckte sich, ohne die Augenlider zu öffnen.
»Ja, lebe wohl... Oh! bitte...«
Dann hob sie den Kopf und erkannte Henriette
»Ach! Du bist es... wieviel Uhr ist es denn?« Als sie dann hörte, es sei nach sechs, wurde sie etwas verlegen, und um das zu verbergen, meinte sie scherzhaft, das wäre doch keine Tageszeit, zu der man die Leute weckte. Bei der ersten Frage nach ihrem Mann erwiderte sie dann:
»Ach, der ist noch nicht wieder da, der kommt auch nicht vor neun Uhr, glaube ich ... Warum sollte er denn so früh wiederkommen?«
Wie Henriette sie so schlaftrunken nach ihrer Glücksnacht lächeln sah, glaubte sie, sie etwas drängen zu müssen.
»Ich sage dir doch, in Bazeilles wird seit Tagesanbruch gefochten, und weil ich in großer Sorge um meinen Mann bin ...«
»Ach, Liebste!« rief Gilberte, »wie unrecht! ... Meiner ist so vorsichtig, der wäre längst wieder hier, wenn auch nur die geringste Gefahr bestände ... Solange du den nicht zu sehen kriegst, kannst du ganz ruhig sein.«
Diese Überlegung wirkte auf Henriette sehr stark ein. Tatsächlich war Delaherche nicht der Mann danach, sich unnötig auszusetzen. Sie fühlte sich ganz beruhigt und machte sich daran, die Fenstervorhänge, aufzuziehen und die Läden zu öffnen; und das Zimmer erfüllte sich mit starkem, rötlichem Tageslicht, das die allmählich den Nebel mit ihren goldenen Strahlen durchdringende Sonne hervorbrachte. Eines der Fenster war halb offen geblieben, und sie hörten jetzt in dem großen, lauen, so schwülen, stickigen Zimmer den Donner der Geschütze. Gilberte hatte sich halb aufgerichtet und einen Ellbogen auf das Kopfkissen gestützt; sie sah mit ihren hübschen hellen Augen nach dem Himmel.
»Also jetzt fechten sie«, flüsterte sie.
Das Hemd war ihr heruntergeglitten und eine ihrer zarten, rosigen Schultern zeigte sich nackt zwischen den wirren Locken ihres schwarzen Haares; ihr ganzes Erwachen strömte einen durchdringenden Duft, den Duft der Liebe aus.
»So früh schlagen sie sich schon, mein Gott! Wie lächerlich ist diese Fechterei!«
Aber gerade jetzt fielen Henriettes Blicke auf ein Paar Diensthandschuhe, ein Paar Männerhandschuhe, die auf einem Leuchtertischchen liegengeblieben waren; sie konnte eine Bewegung nicht zurückhalten. Da wurde Gilberte dunkelrot; mit einer verwirrten, schmeichelnden Bewegung zog sie sie auf den Bettrand nieder. Dann verbarg sie ihr Gesicht an ihrer Schulter:
»Ja, ich merkte wohl, du wüßtest es, du hättest ihn gesehen ... Liebste, du mußt nicht so streng über mich urteilen. Er ist doch ein alter Freund von mir, ich hatte dir doch damals in Charleville meine Torheit gestanden, weißt du noch ...«
Ihre Stimme wurde noch leiser, und sie fuhr mit einer Art Rührung fort, aus der aber doch ein leises Lachen klang:
»Er bat mich gestern so, als ich ihn wiedersah ... Denk' mal, heute morgen muß er sich schlagen, und am Ende bringen sie ihn um ... Konnte ich es ihm da abschlagen?«
In ihrer gerührt-fröhlichen Stimmung gewann dies letzte Liebesgeschenk, diese am Abend vor der Schlacht gewährte selige Nacht einen Anstrich entzückender Tapferkeit. Das war's, worüber sie trotz ihrer Verwirrung mit der Unbesonnenheit eines kleinen Vogels lächelte. Sie hätte es nie übers Herz gebracht, ihre Tür abzuschließen, wo alle Umstände ein Wiedersehen so förderten.
»Verdammst du mich?«
Henriette hatte sie sehr ernst angehört. Diese Geschichten kamen ihr so überraschend vor, weil sie sie gar nicht verstand. Seit dem frühen Morgen schlug ihr Herz nur für ihren Mann, ihren Bruder da hinten im Kugelregen. Wie war es nur möglich, so friedlich zu schlafen, sich derartig an diesen Liebesgeschichten zu erfreuen, während die geliebtesten Wesen sich in Gefahr befanden?
»Aber dein Gatte, Liebste, und der Mensch da auch, dreht sich dir denn nicht das Herz im Leibe herum, daß du nicht bei ihnen sein kannst? ... Denkst du denn gar nicht daran, daß sie dir jede Minute mit zerschmettertem Kopfe wiedergebracht werden können?«
Gilberte scheuchte dies Schreckbild mit ihrem entzückenden nackten Arme von sich.
»O Gott! Was sagst du da? wie häßlich von dir, mir den Morgen so zu verderben! ... Nein, nein, ich will nicht daran denken, das ist zu traurig!«
Wider Willen mußte nun Henriette selbst lachen. Sie mußte an ihre Kinderzeit denken, als Gilbertes Vater, der Major von Vineuil, der infolge schwerer Verwundungen zum Zolldirektor von Charleville ernannt worden war, seine Tochter auf einen kleinen Hof nahe bei Chêne-Populeur geschickt hatte und sich immer schon beunruhigte, wenn er sie nur husten hörte, da er ständig von dem Gedanken an den Tod seiner ihm durch die Lungenschwindsucht in aller Jugend entrissenen Frau gepeinigt wurde. Die Kleine war erst neun Jahre, aber bereits von einer wilden Gefallsucht; sie spielte Theater, wollte stets die Königin darstellen, wickelte sich in jeden alten Plunder, den sie auftreiben konnte, und hob alles Silberpapier von ihrer Schokolade auf, um sich Armbänder und Kronen daraus zu machen. Auch später war sie immer die gleiche geblieben, als sie mit zwanzig Jahren den Forstinspektor Maginot heiratete. Das in seine Wälle eingeengte Mézières mißfiel ihr und sie blieb in Charleville wohnen, dessen großes Leben mit seinen heitern Festlichkeiten sie liebte. Ihr Vater war nicht mehr, sie erfreute sich gänzlicher Freiheit bei ihrem bequemen Gatten, dessen Nichtigkeit keine Gewissensbisse in ihr hochkommen ließ. Die Bosheit der Provinz schrieb ihr bereits viele Liebhaber zu; in Wirklichkeit hatte sie sich aber in dem Gewirr von Uniformen, in dem sie dank alter Beziehungen und der Verwandtschaft ihres Vaters mit dem Obersten von Vineuil lebte, nur mit dem Hauptmann Beaudouin eingelassen. Sie war innerlich weder liederlich noch verdorben, sondern liebte nur ihr Vergnügen; und sie glaubte ganz bestimmt, daß, wenn sie sich einen Liebhaber nähme, sie damit nur ihrem unwiderstehlichen Hang nach Schönheit und Vergnügen nachgäbe.
»Es ist sehr schlecht von dir, daß du wieder mit ihm angebunden hast«, sagte Henriette endlich in ihrer ernsten Weise.
Gilberte schloß ihr schon den Mund mit einer ihrer reizenden, liebkosenden Bewegungen.
»Ach, Liebste! wenn ich aber doch nicht anders konnte, und wo es doch nur dies einzige Mal ist ... Du weißt, ich würde lieber sterben, als meinen jetzigen Mann betrügen.«
Keine von beiden sprach mehr, sie hielten sich in einer zärtlichen Umarmung umschlungen, so tiefe Unterschiede sie auch in ihrem Innersten trennten. Sie hörten ihre Herzen aneinander schlagen und hätten sich auch verstanden, hätten sie fremde Sprachen gesprochen, die eine ganz Freude, sich ausgebend, zersplitternd, die andere ganz versenkt in ihre einzige Hingebung, ihr stummes Heldentum starker Seelen.
»Wahrhaftig, sie schlagen sich!« rief endlich Gilberte. »Ich muß mich schnell anziehen.«
Seit sie verstummt waren, schien der Lärm der Schüsse tatsächlich lauter zu werden. Sie sprang aus dem Bett und ließ sich helfen, denn sie wollte nicht gern ihre Kammerfrau rufen; dann zog sie ihre Schuhe an und warf rasch ein Kleid über, um fertig zu sein, wenn sie jemand empfangen und hinuntergehen mußte. Als sie sich rasch das Haar machte, klopfte es, und sie lief hin, um zu öffnen, da sie die Stimme der alten Frau Delaherche erkannte.
»Aber selbstverständlich kannst du hereinkommen, liebe Mutter!«
Mit ihrer gewöhnlichen Unbesonnenheit führte sie sie ins Zimmer, ohne daran zu denken, daß die Diensthandschuhe da noch auf dem Leuchtertischchen lägen. Henriette stürzte sich vergeblich auf sie, um sie hinter einen Lehnstuhl zu werfen. Frau Delaherche mußte sie gesehen haben, denn sie blieb ein paar Sekunden wie erstickt stehen, als ob sie Atem schöpfen müsse. Unwillkürlich warf sie ihre Blicke durch den Raum und ließ sie auf dem rotausgeschlagenen Bett haften, das in vollster Unordnung weit offengeblieben war.
»Also Frau Weiß kam herauf, um dich zu wecken... Du konntest schlafen, liebe Tochter...«
Augenscheinlich war sie nicht gekommen, um ihr grade das zu sagen! Ach! diese Ehe, die ihr Sohn gegen ihren Willen an der Wende der Fünfzig eingegangen war, nach zwanzig Jahren eines eisigen Zusammenlebens mit einer unfreundlichen, mageren Frau, ihr Sohn, der bis dahin so verständig gewesen war und sich nun von seiner Sehnsucht nach Jugend zu dieser reizenden, so leichtsinnigen und fröhlichen Witwe hinreißen ließ! Auf die Gegenwart wollte sie schon achthaben, aber nun kam die Vergangenheit zurück! Und durfte sie denn sprechen? Sie lebte in diesem Hause nur noch wie ein stiller Vorwurf und hielt sich dauernd in tiefer, starrer Frömmigkeit in ihrer Kammer eingeschlossen. Diesmal indessen war der Anstoß so groß, daß sie sich entschloß, ihren Sohn aufzuklären.
Gilberte antwortete errötend:
»Ja, trotz allem habe ich ein paar Stunden gut geschlafen ... Du weißt, Julius ist noch nicht wieder da ...«
Frau Delaherche unterbrach sie durch eine Handbewegung. Seit die Geschütze donnerten, war sie in Sorge um ihren Sohn und wartete auf seine Rückkehr. Aber sie war auch eine Heldenmutter. Und sie erinnerte sich, weswegen sie heraufgekommen wäre.
»Dein Onkel, der Oberst, schickt uns den Stabsarzt Bouroche mit einem Bleistiftzettel, um uns zu fragen, ob wir hier nicht ein Lazarett einrichten lassen könnten ... Er weiß, wir haben in der Fabrik Platz genug, und ich habe den Herren schon den Hof und den Trockenraum zur Verfügung gestellt ... Du solltest jetzt aber auch herunterkommen.«
»O sofort! sofort!« sagte Henriette und trat näher. »Wir wollen helfen.«
Gilberte selbst war ganz aufgeregt und bewies eine wahre Leidenschaft für ihren neuen Beruf als Krankenpflegerin. Sie nahm sich kaum die Zeit, um sich ein Spitzentuch über das Haar zu knoten; dann gingen die drei Frauen hinunter. Als sie unten unter den großen Torweg kamen, sahen sie auf her Straße durch die beiden offenstehenden Türflügel eine Menschenansammlung. Langsam kam ein niedriges Fuhrwerk heran, eine Art Karren mit einem einzigen Pferde davor, das ein Zuavenleutnant am Zügel führte. Und sie glaubten, das wäre schon der erste Verwundete, den man ihnen brächte.
»Ja, ja! hier ist es, kommen Sie nur herein!«
Aber rasch wurden sie aus ihrer Täuschung gerissen. Der Verwundete, der auf dem Boden des Fuhrwerks lag, war Marschall Mac Mahon, dem die linke Gesäßhälfte halb abgerissen war und der nach der Unterpräfektur zurückgeschafft wurde, nachdem ihm in einem kleinen Gärtnerhause ein Notverband angelegt worden war. Er war ohne Kopfbedeckung und nur halb angezogen; die Goldstickereien seiner Uniform waren mit Staub und Blut beschmutzt. Ohne zu sprechen hatte er den Kopf gehoben und sah mit irren Blicken umher. Als er dann merkte, wie die drei Frauen ergriffen mit gefalteten Händen dies große Unglück vorüberziehen sahen, das das ganze Heer schon nach den ersten paar Schüssen in ihrem Führer traf, da neigte er mit einem schwachen väterlichen Lächeln leicht den Kopf. Ein paar danebenstehende Neugierige nahmen den Hut ab. Andere erzählten sich ganz geschäftig, General Duciot sei zum Oberbefehlshaber ernannt worden. Es war halb acht.
»Und der Kaiser?« fragte Henriette einen vor seiner Tür stehenden Buchhändler.
»Vor einer halben Stunde ungefähr ist er vorbeigekommen,« antwortete der Nachbar. »Ich bin mitgelaufen und habe ihn durch das Tor nach Balan reiten sehen ... Es heißt gerüchtweise, eine Kugel hätte ihm den Kopf abgerissen.«
Aber da wurde der Krämer auf der andern Seite wütend.
»Hören Sie doch auf! Lügenkram! Nur tapfere Leute lassen dabei ihr Fell!«
Der Karren, der den Marschall barg, verlor sich gegen den Schulplatz hin in einer wachsenden Menge, unter der bereits die abenteuerlichsten Nachrichten vom Schlachtfelde umliefen. Der Nebel zerging und die Straßen füllten sich mit Sonnenschein. Aber vom Hofe her rief eine rauhe Stimme:
»Meine Damen, hier drinnen werden Sie gebraucht, nicht da draußen!«
Alle drei gingen sie wieder hinein und fanden sich dem Stabsarzt Bouroche gegenüber, der seine Uniform bereits in eine Ecke geworfen hatte, um eine weiße Schürze vorzubinden. Sein Riesenkopf mit den struppigen wirren Haaren, sein ganzer Löwenkopf flammte vor Eile und Tatkraft über dieser noch fleckenlosen Weiße. Er kam ihnen so schrecklich vor, daß sie ihm sofort ganz willig gehorchten; sie achteten auf jedes seiner Zeichen und drängten sich, um ihn zu befriedigen.
»Wir haben hier nichts ... Geben Sie mir Leinen, versuchen Sie noch mehr Matratzen aufzutreiben, zeigen Sie meinen Leuten, wo die Pumpe ist ...«
Sie rannten, sie rissen sich in Stücke und wurden gänzlich zu seinen Dienerinnen.
Mit der Fabrik war eine sehr gute Wahl zu einem Lazarett getroffen. Da war allein schon der Trockenraum, ein riesiger, mit großen Fenstern versehener Saal, wo man leicht gegen hundert Betten aufstellen konnte; daneben lag ein Schuppen, unter dem Operationen ganz wunderbar auszuführen waren: ein langer Tisch war schon in ihm aufgestellt, die Pumpe war nur ein paar Schritte entfernt, die Leichtverwundeten konnten auf dem Rasen nebenan warten. Und dann waren die schönen hundertjährigen Ulmen, die köstlichen Schatten gewährten, eine wahrhafte Annehmlichkeit.
Bouroche hatte es vorgezogen, sich sogleich in Sedan einzurichten, da er das kommende Gemetzel, den schrecklichen Andrang vorhersah, der die Truppen dort hineintreiben müßte. Er hatte sich damit begnügt, beim siebenten Korps hinter Floing nur zwei fliegende Ambulanzen und Hilfsverbandsplätze zu lassen, von wo ihm die Verwundeten schickt werden sollten, nachdem sie oberflächlich verbunden worden waren. Alle Korporalschaften von Krankenträgern waren dort draußen und mußten die Gefallenen im Feuer auflesen; die nötigen Fuhrwerke und Packwagen hatten sie bei sich. Bouoche hatte außer zwei auf dem Schlachtfelde zurückgelassenen Gehilfen seine ganzen Hilfskräfte mitgebracht, zwei Stabsärzte zweiter Klasse und drei Unterärzte, die für die Operationen zweifellos genügten. Außerdem waren noch drei Apotheker und ein Dutzend Lazarettgehilfen da.
Aber sein Zorn wurde nicht gelinder, denn ohne Leidenschaftsausbrüche konnte er nicht arbeiten.
»Was machen Sie da? Schieben Sie mir die Matratzen mehr zusammen! ... In die Ecke kann Stroh gelegt werden, wenn es nötig wird.«
Die Geschütze brummten; er wußte recht gut, seine Arbeit könnte von einem Augenblick zum andern beginnen; Wagen voll von blutendem Menschenfleisch; und heftig brachte er Ordnung in den noch leeren großen Saal. Unter dem Schuppen wurden dann andere Vorbereitungen notwendig, Verbands- und Arzneikisten wurden auf einem Brette nebeneinander gestellt, Haufen von zerzupftem Leinen, Binden, Wattebäusche und Leinenzeug nebst Schienen für Knochenbrüche; auf einem andern Bette breiteten neben einem großen Topf Wachssalbe und einer Chloroformflasche Bestecke den blitzenden Stahl ihrer Werkzeuge aus, die Sonden, Pinzetten, Messer, Scheren, ein Rüstzeug in allen möglichen scharfen und schneidenden Formen, die zum Untersuchen und Zertrennen dienen. Aber es fehlte an Schalen.
»Sie haben doch gewiß Näpfe, Eimer, Kochtöpfe, was Ihnen nur einfällt ... Wir wollen uns doch wahrhaftig nicht bis zur Nase mit Blut beschmieren! ... Und Schwämme, versuchen Sie mir Schwämme zu verschaffen!«
Frau Delaherche beeilte sich und kam bald mit drei Mädchen zurück, die ihre ganzen Arme voll von sämtlichen Suppenschüsseln hatten, die sie hatte auftreiben können. Gilberte stand vor den Bestecken und rief Henriette durch ein Zeichen heran, um sie ihr mit einem leichten Schauder zu zeigen. Alle beide faßten sich bei den Händen und blieben schweigend stehen; in ihrem Händedruck lag ein dumpfer Schrecken, ein angsterfüllets Mitleid überwältigte sie.
»Ach, Liebste, wenn man bedenkt, daß sie einem da was abschneiden könnten!«
»Die armen Menschen!«
Bouroche hatte gerade eine Matratze auf den großen Tisch legen und sie mit Wachstuch umkleiden lassen, als das Getrappel von Pferden unter dem Torwege hörbar wurde. Das war die erste Verwundetenfuhre, die im Hofe eintraf. Sie enthielt aber nur zehn Leichtverwundete, die sich, meist mit einem Arm in der Binde, gegenübersaßen; einige waren auch am Kopfe getroffen und trugen die Stirn umwunden. Sie brauchten nur etwas Hilfe beim Aussteigen, und die Untersuchung begann.
Als Henriette einem sehr jungen Soldaten, dem eine Kugel die Schulter durchbohrt hatte, vorsichtig beim Ausziehen seines Rockes half, wobei ihm ein Schrei entfuhr, bemerkte sie seine Regimentsnummer.
»Ach, Sie sind 106er! Sind Sie von der Kompanie Beaudouin?«
Nein, er gehörte zur Kompanie Ravaud. Aber den Korporal Jean Macquart kannte er trotzdem und glaubte sagen zu können, seine Korporalschaft sei bisher noch nicht eingesetzt. Wenn diese Auskunft auch recht unbestimmt war, so war es doch genug, um der jungen Frau Freude zu machen: ihr Bruder lebte, und sie würde sich ganz getröstet fühlen, wenn sie nur erst ihren Gatten umarmen könnte, den sie immer noch von Minute zu Minute erwartete.
Als Henriette in diesem Augenblick den Kopf hob, packte es sie, denn sie sah Delaherche ein paar Schritte von ihr entfernt in einer Gruppe stehen, der er von den furchtbaren, auf dem Wege von Bazeilles bis Sedan ausgestandenen Gefahren erzählte. Wie kam er hierher? Sie hatte ihn nicht hereinkommen sehen.
»Und mein Mann ist nicht bei Ihnen?«
Aber Delaherche, den seine Mutter und seine Frau, um ihm einen Gefallen zu tun, ausfragten, hatte keine Eile.
»Warten Sie, gleich.«
Und dann nahm er seine Erzählung wieder auf:
»Von Bazeilles bis Balan bin ich unendlich oft beinahe totgeschossen worden. Ein Hagel, ein Orkan von Kugeln und Granaten! ... Und ich habe den Kaiser getroffen, oh! der war sehr tapfer ... Schließlich bin ich von Balan bis hier glatt gerannt ...«
Henriette schüttelte ihn am Arm.
»Mein Gatte?«
»Weiß? Weiß ist doch da draußen geblieben!«
»Was? dort draußen?«
»Ja, er hat sich das Gewehr eines toten Soldaten geholt und kämpft mit.«
»Er kämpft mit? Warum denn aber?«
»Ach, so ein Wüterich! Er wollte unter keinen Umständen mitkommen, und da habe ich ihn natürlich dagelassen.«
Henriette sah ihn mit starren, großen Augen an. Alles schwieg. Da faßte sie ruhig einen Entschluß.
»Schön, dann gehe ich hin.«
Was? Dort wollte sie hingehen? Aber das war ja unmöglich, das war verrückt. Delaherche fing wieder an, von den über die Straßen fegenden Kugeln und Granaten zu reden. Gilberte ergriff ihre Hände, um sie festzuhalten, und auch Frau Delaherche erschöpfte sich in Beweisen für die blinde Tollkühnheit ihres Planes. In ihrer sanften, einfachem Art wiederholte sie nur:
»Nein, das nützt nichts, ich gehe hin.«
Dabei blieb sie und nahm nur das schwarze Spitzentuch an, das Gilberte auf dem Kopfe hatte. Delaherche, der sie immer noch zu überzeugen hoffte, erklärte schließlich, er wolle sie begleiten, wenigstens bis zum Tor nach Balan. Aber da bemerkte er gerade den Posten, der in allem durch die Einrichtung des Lazarettes verursachten Gedränge immer weiter mit kleinen Schritten vor dem Schuppen auf und ab ging, in, dem sich die Kriegskasse des siebenten Korps eingeschlossen befand; voller Furcht dachte er an diese Millionen und ging, um sich durch Augenschein zu vergewissern, daß sie auch noch da wären. Henriette stand schon unter, dem Torweg.
»Warten Sie doch auf mich! Sie sind wahrhaftig gerade so ein Wüterich wie Ihr Mann!«
Es kam übrigens gerade wieder ein Wagen mit Verwundeten herein, den sie erst vorbeilassen mußten. Dieser war kleiner und enthielt zwei Schwerverwundete, die auf Gurtmatratzen gebettet waren. Der erste, den man mit aller erdenklichen Vorsicht herabhob, bildete nur noch eine blutige Fleischmasse; eine Hand war zerrissen, eine Seite durch eine platzende Granate aufgerissen. Dem zweiten war das rechte Bein zerschmettert. Diesen ließ Bouroche sofort auf das Wachstuch der Matratze legen und begann die erste Operation inmitten des unaufhörlichen Kommens und Gehens seiner Gehilfen und der Lazarettgehilfen. Frau Delaherche und Gilberte saßen neben dem Rasen und wickelten Binden auf.
Delaherche hatte Henriette draußen wieder eingeholt.
»Aber meine liebe Frau Weiß, sehen Sie mal, Sie sollten nicht so unsinnig sein ... Wie wollen Sie denn Weiß da draußen finden? Er ist wahrscheinlich gar nicht mehr da, ganz sicher ist er querfeldein gerannt, um wieder hierherzukommen ... Ich versichere Sie, Sie können nicht nach Bazeilles hinein.«
Aber sie hörte gar nicht nach ihm hin, sie ging nur schneller und bog schon in die Rue du Ménil ein, um nach dem Tore von Balan zu kommen. Es war fast neun Uhr, und Sedan lebte nicht länger in den düstern Schauern des Morgens, wie bei dem öden, ungewissen Erwachen im dichten Nebel. Drückender Sonnenschein schnitt die Schatten der Häuser scharf auf dem Pflaster aus, auf dem sich eine angsterfüllte, unaufhörlich von dahinjagenden Meldereitern durchschnittene Menschenmasse drängte. Vor allem bildeten sich Gruppen um schon wieder hereingekommene waffenlose Soldaten, einige leicht verwundet, andere nur in ungewöhnlicher Aufregung die Arme schwenkend und schreiend. Und trotzdem hätte die Stadt allmählich wohl ihr alltägliches Aussehen wieder angenommen, hätten nicht so viele Geschäfte ihre Läden geschlossen gehabt und so manche Häuser wie tot dagestanden, weil kein Fensterladen sich in ihnen öffnete. Dann der Geschützdonner, der ununterbrochene Geschützdonner, von dem selbst die Steine, der Erdboden, die Mauern bis zu den Dachschiefern hinauf erzitterten.
Delaherche wurde einem höchst unbehaglichen, starken inneren Kampfe zur Beute und fühlte sich zwischen seiner Pflicht als tapferer Mann, die ihn Henriette nicht verlassen hieß, und dem Schrecken hin- und hergerissen, daß er den Weg nach Bazeilles noch einmal im Granatenhagel zurücklegen sollte. Als sie das Tor nach Balan erreichten, kam plötzlich ein Strom berittener Offiziere herein und trennte sie. Vor dem Tore drängten sich viele Menschen, um auf Nachricht zu warten. Vergeblich lief er und suchte die junge Frau: sie mußte schon außerhalb der Umwallung sein und draußen ihren Schritt beschleunigen. Ohne seinen Eifer noch weiter zu treiben, ertappte er sich dabei, wie er ganz laut sagte:
»Um so schlimmer! Das ist zu dämlich!«
Nun bummelte Delaherche in Sedan herum wie manch anderer neugieriger Bürger, der ja nichts von dem Schauspiel verlieren will, aber er fühlte sich von einer wachsenden Unruhe ergriffen. Was sollte aus alledem werden? Und wenn das Heer geschlagen war, würde dann die Stadt nicht sehr zu leiden haben? Die Antworten auf diese Fragen blieben ihm unklar, denn sie hingen zu sehr von zukünftigen Ereignissen ab. Nichtsdestoweniger begann er um seine Fabrik zu zittern, sein in der Rue Macqua gelegenes Grundstück, auf dem er übrigens auch seine ganzen Wertsachen an sicherer Stelle verborgen hatte. Er begab sich nach dem Stadthause und fand dort, daß der Gemeinderat eine Dauersitzung abhalte; dann vertrödelte er lange Zeit, ohne irgend etwas Neues zu erfahren, außer daß die Schlacht sehr schlecht stehe. Die Truppen wußten nicht mehr, wem sie zu gehorchen hätten, da sie von General Ducrot in den zwei Stunden, die er den Oberbefehl innehatte, zurückgezogen und darauf von General Wimpffen, der sein Nachfolger wurde, wieder vorgeführt worden waren; dies ganz unverständliche Schwanken, bei dem Stellungen wieder genommen werden mußten, die erst aufgegeben waren, dies gänzliche Fehlen jedes Planes und jeder tatkräftigen Leitung beschleunigten das Unglück.
Nun drang Delaherche bis zur Unterpräfektur vor, um zu erfahren, ob der Kaiser wieder hereingekommen sei. Man konnte ihm dort aber nur über den Marschall Mac Mahon berichten, dem ein Chirurg seine nicht sehr gefährliche Wunde verbunden hatte und der nun ruhig im Bette lag. Als er aber gegen elf wieder über das Pflaster lief, wurde er in der Großen Straße vor dem Gasthause de l'Europe einen Augenblick durch einen langsam daherkommenden Reiterzug aufgehalten, dessen Pferde traurig im Schritt gingen. An ihrer Spitze erkannte er den Kaiser, der nach vierstündigem Aufenthalt auf dem Schlachtfelde zurückkehrte. Der Tod hatte ihn entschieden nicht haben wollen. Der Angstschweiß dieses Rittes durch die Niederlage hatte die Schminke von seinen Backen verschwinden lassen, die aufgewichsten Schnurrbartenden waren weich geworden und hingen herunter, sein erdfarbiges Gesicht zeigte die schmerzverzerrte Stumpfheit des Todeskampfes. Ein Offizier sprang vor dem Gasthause ab und erklärte der zusammengelaufenen Menge den Weg, den sie von La Moncelle bis Givonne an dem ganzen kleinen Tal entlang unter den Soldaten des ersten Korps zurückgelegt hatten, das die Sachsen auf das rechte Ufer des Baches zurückdrängten; und wie sie durch den Hohlweg des Givonnegrundes bereits in einem derartigen Gedränge geritten wären, daß, selbst wenn der Kaiser an die Spitze seiner Truppen hätte zurückkehren wollen, er dies nur mit größter Schwierigkeit hätte ausführen können. Wozu übrigens auch?
Während Delaherche diese Einzelheiten erzählen hörte, erschütterte ein heftiges Krachen das ganze Viertel. Eine Granate hatte in der Rue Sainte-Barbe, nahe beim Donjon, einen Schornstein herabgerissen. Ein allgemeines Rette-sich-wer-kann folgte und laute Schreie von Frauen ertönten. Er drückte sich gegen eine Mauer, als ein zweiter Krach alle Fensterscheiben des Hauses neben ihm zerschmetterte. Wenn Sedan beschossen würde, müßte es furchtbar werden; und er kehrte im Laufschritt zur Rue Macqua zurück; ein derartiger Drang nach Gewißheit packte ihn, daß er sich nirgends aufhielt, sondern schleunigst aufs Dach stieg, wo eine kleine Plattform ihm einen Überblick über die Stadt und ihre Umgebung gewährte.
Er fühlte sich sofort etwas sicherer. Der Kampf fand außerhalb der Stadt statt; die deutschen Batterien auf der Marfée und bei Frénois fegten über die Stadt weg die Algierhochebene; selbst der Flug der Granaten mit dem riesigen Bogen leichten Rauches, den sie über Sedan stehen ließen, erregte seine Teilnahme, und sie kamen ihm vor wie unsichtbare Vögel mit grauem Gefieder. Es war ihm nun zunächst ganz augenscheinlich, daß es sich bei den paar Granaten, die auf den Dächern um ihn herum geplatzt waren, nur um verirrte Geschosse handelte. Die Stadt wurde noch nicht beschossen. Als er dann genauer zusah, glaubte er zu verstehen, sie sollten als Antwort auf die wenigen Schüsse aus den Festungsgeschützen dienen. Er wandte sich nach Norden und beobachtete die Zitadelle, all dies verwickelte, furchtbare Gewirr von Festungswerken, das schwarze Mauerwerk, die grünen Flächen der Glacis, das geometrische Liniengewirr der Bastionen, vor allen die drei Hauptschanzen der Schotten, am Großen Garten und la Rochette mit ihren drohend vorspringenden Winkeln; und schließlich nach Westen herüber wie eine Verlängerung aus Zyklopenmauerwerk das Fort Nassau, an das sich jenseits der Vorstadt von Mênil das Fort Pfalz anschloß. Sie machten auf ihn gleichzeitig einen Eindruck von Riesenhaftigkeit und Kindlichkeit. Was nutzten sie jetzt noch gegen Geschütze, deren Geschosse von einem Ende des Himmels zum andern flogen? Übrigens war der Platz gar nicht befestigt, denn er hatte weder die nötigen Geschütze noch Schießbedarf noch Besatzung. Vor kaum drei Wochen hatte der Gouverneur aus freiwilligen Bürgern eine Art Nationalgarde zur Bedienung der paar gebrauchsfähigen Geschütze geschaffen. Und so kam es, daß von der Pfalz her drei Geschütze feuerten, während beim Pariser Tor etwa ein halbes Dutzend standen. Allein es standen für jedes Geschütz nur sieben oder acht Ladungen zur Verfügung, so daß sie sparsam mit ihnen umgingen und nur alle halbe Stunden einen Schuß abfeuerten, gleichsam der Ehre halber, denn die Geschosse reichten nicht weit und fielen in die gegenüberliegenden Wiesen. Die feindlichen Batterien mißachteten sie auch offenbar und antworteten nur von Zeit zu Zeit wie aus Mitleid.
Diese Batterien da hinten waren es, die Delaherches Neugier erregten. Mit lebhaften Blicken durchfolgte er die Hügel der Marfée, als ihm plötzlich der Gedanke kam, sein Fernrohr, mit dem er sonst die Umgegend zu seinem Vergnügen durchforcht hatte, auf der Plattform aufzustellen. Er ging hinunter, um es zu suchen, und kam dann wieder herauf und stellte es auf; als er es dann eingestellt hatte und mit kurzen Rucken die Landschaft mit ihren Bäumen und Häusern an sich vorbeigleiten ließ, da kam er oberhalb Frénois auf die Gruppe von Uniformen, die Weiß von Bazeilles aus am Rande eines Kieferngehölzes ausfindig gemacht hatte. Er aber hätte bei der Vergrößerung seines Glases die Offiziere dieses Stabes zählen können, so klar sah er sie vor sich. Mehrere lagen halb ins Gras hingestreckt, andere standen in Gruppen aufrecht; vor ihnen stand ein einzelner Mann von trockenem, unbedeutendem Aussehen in ganz unauffälliger Uniform, in dem er aber doch den Herrn herausfühlte. Es war auch der König von Preußen, kaum einen halben Finger hoch, wie so ein winziger Bleisoldat, mit dem die Kinder spielen. Er wurde sich hierüber indessen erst später klar und ließ ihn nicht mehr aus den Augen; immer wieder kam er auf diesen winzigen Zwerg zurück, dessen Gesicht nur wie ein linsengroßer blasser Fleck gegen den blauen Himmel stand.
Noch war es nicht Mittag, und der König stellte den mathematisch unerbittlichen Marsch seiner Heere in den letzten neun Stunden fest. Sie marschierten und marschierten immer weiter auf den vorgeschriebenen Wegen und bildeten mit ihrer Mauer von Menschen und Geschützen einen sich Schritt für Schritt enger schließenden Kreis um Sedan. Der linke Flügel, der über die nackte Ebene von Donchery gekommen war, quoll immer weiter aus dem Paß von Saint-Albert hervor, durchschritt Saint-Menges und begann sich Fleigneur zu bemächtigen; und hinter dem elften Korps, das sich in heftigem Handgemenge mit den Truppen General Douays befand, sah er deutlich das fünfte hervorbrechen, das sich die Waldungen zunutze machte, um sich auf den Kalvarienberg von Illy zu werfen; während dessen fügte sich Batterie an Batterie zu einer immer länger werdenden Linie ohne Unterlaß donnernder Geschütze, so daß allmählich der ganze Horizont in Flammen stand. Jetzt hatte die rechte Heeresgruppe den Givonnegrund besetzt, das zwölfte Korps hatte sich La Moncelles bemächtigt, die Garde begann gerade Daigny zu durchschreiten und stieg schon am Bache aufwärts, wobei sie sich gleichzeitig auch gegen den Kalvarienberg wandte, nachdem sie General Ducrot gezwungen hatte, sich bis hinter das Garennegehölz zurückzuziehen. Eine Anstrengung noch, und der Kronprinz von Preußen konnte dem Kronprinzen von Sachsen auf diesen kahlen Feldern unmittelbar am Rande des Ardennerwaldes die Hand reichen. Südlich der Stadt konnte man Bazeilles vor dem Rauch vieler Brände und dem gelblichen Staub eines wütenden Kampfes nicht mehr sehen.
Und der König sah ruhig zu, wie seit dem Morgen schon. Eine, zwei Stunden noch, vielleicht auch drei; es war nur eine Frage der Zeit, ein Rad trieb das andere an, der Steinbrecher war im Gange und mußte sein Werk vollenden. Unter dem unendlichen, sonnendurchströmten Himmel verengerte sich das Schlachtfeld förmlich mit all diesem wütenden Gemenge schwarzer Punkte, die sich um Sedan herum stießen und drängten. In der Stadt leuchteten Fensterscheiben auf; nach links gegen die Cassine-Vorstadt schien ein Haus zu brennen. Jenseits, wo die Felder nach Donchery und Carignan hinüber dann wieder einsam dalagen, herrschte in der mächtigen Mittagshitze ein heißer, leuchtender Friede über den klaren Wassern der Maas, den lebensfrohen Bäumen, den weiten, fruchtbaren Ländereien und grünen Wiesen.
Der König hatte einsilbig um eine Auskunft gefragt. Er wollte den von ihm befehligten Menschenstaub auf diesem Riesenschachbrett in der Hand behalten und über ihn Bescheid wissen. Zu seiner Rechten schwirrte ein Taubenschwarm, vom Geschützdonner erschreckt, hoch in die Lüfte empor und verschwand gen Süden.