Emile Zola
Fruchtbarkeit
Emile Zola

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3

In der freudigen Stimmung über die Doppelhochzeit, die gleichsam das glänzende Weihefest für Chantebled werden sollte, hatte Rose den Plan gefaßt, die ganze Familie an einem Sonntag, zehn Tage vor der Trauung, hier zu vereinen. Am Morgen wollte sie mit ihrem Verlobten und gefolgt von der ganzen Familie das andre Paar, Ambroise und Andrée, vom Bahnhof abholen, um sie dann im Triumphzug auf den Hof zu führen, wo ein gemeinsames Mittagessen stattfinden sollte. Es sollte eine Art Generalprobe werden, sagte sie mit ihrem fröhlichen Lachen: man würde bei dieser Gelegenheit alles besprechen und zusammen das Programm des großen Tages feststellen.

Die Heirat Roses setzte dem Glück des Hauses die Krone auf, war die schönste Blüte eines langen Gedeihens. Rose war das lieblichste Mädchen, das man sich denken konnte, mit braunen Haaren, elfenbeinfarbenem Teint, einem frischen, runden Gesichte, lachenden Augen und reizendem Munde. Dabei von immer gleichbleibender Sanftmut und übermütiger Fröhlichkeit, die Seele dieses großen wimmelnden Hofes, dessen gute Fee, dessen schönster Schmuck sie zugleich war. Aber in der Wahl ihres künstigen Lebensgefährten hatte sie einen besonderen Beweis der Klugheit und tatbereiten Zärtlichkeit gegeben, die sich unter ihrem von früh bis abend singenden Frohsinn bargen. Vor acht Jahren hatte Mathieu den Sohn eines benachbarten kleinen Landmannes in seinen Dienst genommen, Frédéric Berthaud, ein kräftiger Junge, der sich für die schaffende Tätigkeit in Chantebled begeisterte, begierig war, hier zu lernen und sich als außerordentlich fleißiger Arbeiter und intelligenter Kopf erwies. Er besaß kein Vermögen. Rose, die neben ihm aufgewachsen war, wußte, daß er der beste Gehilfe ihres Vaters war; und als er nach beendetem Militärdienst auf den Hof zurückkehrte, hatte sie, die sich von ihm geliebt wußte, in kunstloser Weise sein Geständnis herbeigeführt. Sie legte so ihr Schicksal fest, sie war entschlossen, ihre Eltern nicht zu verlassen, auf diesem Hof zu bleiben, der, seit sie lebte, ihr Glück umfaßt hatte. Weder Mathieu noch Marianne waren überrascht. Zu Tränen gerührt, hatten sie einer Wahl zugestimmt, zu welcher so viel kluge Zärtlichkeit für sie mitgewirkt hatte. Die Familienbande waren dadurch nur um so enger geworden, das Glück des Hauses hatte sich vermehrt.

Alles war also angeordnet, und es war vereinbart worden, daß an diesem Sonntag, mit dem Zehn-Uhr-Zug, Ambroise seine Verlobte Andrée in Begleitung ihrer Mutter, Madame Séguin, nach Janville bringen würde. Und seit acht Uhr morgens setzte Rose alle Hebel in Bewegung, damit die ganze Familie sich an dem Zuge beteilige, der sich zu Einholung des Brautpaares auf den Bahnhof begeben sollte.

»Nein, mein Kind, das hat ja keinen Sinn,« sagte Marianne sanft. »Jemand muß doch auch hier bleiben. Ich behalte Nicolas da, fünfjährige Kinder brauchen noch keine Ausflüge zu machen. Ebenso behalte ich Gervais und Claire. Alle andern kannst du mitnehmen, damit bin ich gerne einverstanden, und der Vater soll euch führen.«

Aber Rose hielt lachend stand, wollte nicht das Kleinste ihres Planes, über den sie schon zum voraus die größte Freude empfand, aufgeben.

»Nein, nein, Mama, du kommst auch mit, und alle kommen mit, das ist nun einmal abgemacht. Vergiß nicht, Ambroise und Andrée sind, wie es in den Geschichten vorkommt, der König und die Königin eines benachbarten Reiches. Mein Bruder Ambroise, der die Hand einer fremden Prinzessin erhalten hat, führt sie nun uns zu, um sie uns vorzustellen. Um sie also in unserm, Frédérics und meinem Reiche zu empfangen, ziehen wir ihnen entgegen, begleitet von unserm ganzen Hofstaat. Ihr seid der Hofstaat, ihr müßt ganz selbstverständlich dabei sein. Was? Welch prächtiges Schauspiel unter freiem Himmel, wenn wir uns bei der Rückkehr in unsrer ganzen Zahl entfalten werden!«

Marianne, mitgerissen von dieser übermütigen frohen Laune, gab lachend nach.

»Hier ist die Ordnung des Zuges,« sagte Rose. »Oh, ich habe alles genau festgesetzt, du wirst sehen. Frédéric und ich kommen hoch zu Rad, das ist modern. Mit uns kommen, ebenfalls zu Rad, meine Hofdamen, meine kleinen Schwestern Louise, Madeleine und Marguerite, elf, neun und sieben Jahre alt: das gibt eine Abstufung hinter mir, die von bester Wirkung sein wird. Und wir gestatten ferner die Begleitung zu Rad unserm Bruder Grégoire, einem dreizehnjährigen Pagen, der das Gefolge unsrer erhabenen Personen abschließen wird. Der ganze übrige Hofstaat vereinigt sich in der großen Staatskarosse, das heißt in unserm Familienbreak, das acht Plätze hat. Du, die Königin-Mutter, kannst Nicolas, deinen jüngsten Sprößling, auf den Knien halten. Papa wird nur seine Würde als Haupt der Dynastie zu tragen haben. Und mein Bruder Gervais, ein junger Herkules von siebzehn Jahren, kann den Wagen lenken, während neben ihm meine Schwester Claire Platz nimmt, deren fünfzehn Jahre in hoher Weisheit blühen ... Und was die zwei Aeltesten betrifft, die edlen Zwillinge, die hochmögenden Herren Blaise und Denis, so werden wir mit ihnen in Janville, bei Madame Desvignes zusammentreffen, wo sie uns erwarten.«

Sie triumphierte, sie tanzte singend herum und schlug in die Hände.

»Ah, das soll mir ein Geleite werden, wie man noch kein schöneres gesehen hat!«

Sie war von solch freudiger Ungeduld beflügelt, daß sie ihren Zug viel zu früh in Bewegung setzte, so daß sie schon um halb zehn Uhr in Janville waren. Aber es galt, den Rest der Familie abzuholen.

Das Häuschen, in welches Madame Desvignes sich nach dem Tode ihres Mannes zurückgezogen hatte, befand sich an der Straße und war das erste des Dorfes; sie lebte hier seit nun zwölf Jahren von der schmalen Rente, die sie aus dem Zusammensturz hatte retten können, sehr friedlich, sehr zurückgezogen, ganz der Erziehung ihrer beiden Kinder gewidmet. Seit acht Tagen hatte sie ihre älteste Tochter, Charlotte bei sich, die mit ihren Kindern, Berthe und Christophe, welche der frischen Luft bedurften, auf einen Monat hierhergekommen war; und seit gestern abend war auch Blaise bei ihnen, der Fabrik bis Montag den Rücken kehrend, glücklich, den Sonntag mit ihnen verbringen zu können. Es war ein Fest für die jüngere, Marthe, wenn ihre ältere Schwester so auf einige Wochen mit ihren Kindern in das alte Nest, in ihr ehemaliges Mädchenzimmer zurückkehrte, in welches man nun auch zwei Wiegen stellte. Die Fröhlichkeit und die Spiele von einst lebten wieder auf, und die gute Madame Desvignes, stolz auf ihre Großmutterwürde, dachte jetzt nur noch daran, ihre so klug begonnene Aufgabe zu vollenden, und auch Marthe zu verheiraten. Tatsächlich hätte man eine Zeitlang glauben können, daß es drei Hochzeiten statt zwei in Chantebled geben werde. Denis, der sich nach dem Austritt aus der Spezialschule weiteren technischen Studien gewidmet hatte, übernachtete sehr häufig auf dem Hofe, und sah hier fast alle Sonntage Marthe, des gleichen Alters mit Rose, und ihre unzertrennliche Freundin; und das junge Mädchen, blond und hübsch, wie ihre Schwester Charlotte, aber kühleren Verstandes und praktischeren Geistes, hatte ihn derart gefesselt, daß er sich entschloß, sie zu heiraten, obgleich sie keine Mitgift hatte; denn er hatte bei ihr die Eigenschaften gefunden, welche die zuverlässige Lebensgefährtin ausmachen, die einzige, die ein Vermögen erwerben helfen kann. Aber in ihrer Liebe waren beide so klug, so voll heiterer Zuversicht, daß sie keinerlei Ungeduld bekundeten; er besonders, eine sehr gewissenhafte Natur, wollte nicht das Schicksal einer Frau aufs Spiel setzen, ehe er ihr eine sichere Lebensstellung zu bieten hatte. Daher hatten sie aus eigner Wahl ihre Heirat aufgeschoben, und widerstanden mit gelassenem Lächeln dem leidenschaftlichen Anstürmen Roses, die der Gedanke an drei Hochzeiten an einem Tage begeisterte. Denis setzte indessen seine liebenden Besuche bei Madame Desvignes fort, die ihn als Sohn behandelte, und auch ihrerseits als kluge und vertrauende Frau geduldig wartete. Heute früh hatte Denis den Hof schon um sieben Uhr verlassen, indem er sagte, er wolle Blaise im Schoße seiner Familie schon in aller Morgenfrühe überfallen, und daher sollten die andern auch ihn in Janville abholen.

In Janville war diesen Sonntag, den zweiten Mai, gerade Kirchweihfest. Der große Platz vor dem Bahnhofe war besetzt von Ringelspielen, fliegenden Schenken, Schaubuden und Schießstätten. Während der Nacht hatte ein Gewitterregen den Himmel reingewaschen, und er war nun von wolkenloser Bläue, mit einer für die Jahreszeit etwas zu heißen Sonne. Es waren auch schon viele Leute auf dem Platze, alle Müßiggänger des Dorfes, Scharen von Kindern, Bauern aus der Umgebung, die sich um alles drängten, was es zu sehen gab. Inmitten dieser Menge traf nun die Familienprozession ein, die Radfahrenden zuerst, dann das Break, endlich das Gefolge, das sich am Anfang des Dorfes angeschlossen hatte.

»Wir machen Effekt,« sagte Rose, indem sie vom Rade sprang.

Dies war unbestreitbar. Während der ersten Jahre hatte sich ganz Janville feindlich gegen die Froment gestellt, diese Stadtleute, die weiß Gott woher gekommen waren und die Anmaßung hatten, Frucht auf einem Boden wachsen lassen zu wollen, auf welchem seit Jahrhunderten nur Steine gewachsen waren. Dann hatte das Wunder, der außerordentliche Sieg noch lange Zeit Haß erzeugt, indem er das Selbstgefühl der Leute verletzte. Aber alles vergeht, man trägt dem Erfolge nichts dauernd nach, die Leute, die reich werden, haben zum Schlusse immer recht. Und jetzt blickte Janville mit wohlwollendem Lächeln auf diese fruchtbare Familie, die da gewachsen war, und hatte ganz vergessen, daß jedes neue Kind einmal einen neuen Skandal für die ehrsamen Einwohnerinnen bedeutet hatte. Wie hätten sie übrigens der glücklichen und fröhlichen Kraft, dieser sieghaften Ausbreitung widerstehen sollen, wenn, wie an diesem festlichen Sonntag, die ganze Familie in rascher Fahrt daherkam, die Straßen und Plätze überflutend? Der Vater, die Mutter, elf Kinder, wovon sechs Knaben und fünf Mädchen, dann schon zwei Enkel, das machte fünfzehn. Die Ältesten, die Zwillinge, waren vierundzwanzig Jahre alt, einander noch so ähnlich, daß die Leute sie manchmal verwechselten, obgleich sie nicht mehr so ganz gleich waren, wie einst in ihrer Wiege, wo sie die Augen öffnen mußten, damit man sie unterscheiden könne, denn Blaise hatte graue, Denis schwarze Augen. Der Jüngste, Nicolas, am andern Ende, war erst fünf Jahre alt, ein kleiner frühreifer Bursche, dessen Mut und Energie drollig verwunderlich waren. Und zwischen den zwei großen Brüdern und diesem kleinen stuften sich die andern mit immer zwei Jahren Altersunterschied ab: Ambroise, der Bräutigam- Eroberer, der auf der Bahn zu allen Erfolgen war; Rose, die Lebensprühende, ebenfalls im Begriffe, Weib und Mutter zu werden; Gervais mit der breiten Stirn und den athletischen Gliedern, der sich bald in dem edeln Kampfe für die Kultur der Erde betätigen sollte; Claire, die Stille und Fleißige, ohne Schönheit, mit einem treuen Herzen und dem klugen Kopfe einer Hausfrau; Grégoire, der ungebärdige Schüler, der immer seinem eignen Willen folgte, immer abenteuersuchend im Freien herumstreifte; endlich die drei jüngsten Mädchen, Louise, das gute dicke Kind, Madeleine, die Zarte und Träumerische, Marguerite, die wenigst Hübsche und Liebevollste. Und wenn nun die elf so hinter Vater und Mutter einherkamen, gefolgt von Berthe und Christophe, der schon heranwachsenden dritten Generation, so gab das einen ganzen großen Zug, wie auch heute an diesem schönen Sonntag, auf dem von festlicher Bevölkerung erfüllten Hauptplatze von Janville. Es war ein unwiderstehlicher Anblick; selbst die, welche die Wunderschöpfung von Chantebled noch mit scheelen Blicken ansahen, konnten sich dem Einfluß dieser alles überschwemmenden fröhlichen Schar nicht entziehen, so strömten sie Gesundheit, Kraft und Freude aus, als ob die Erde selbst in ihrem Lebensüberfluß sie für die ewige Zukunftshoffnung in so reicher Zahl geboren hätte.

»Die, welche mehr sind, sollen vortreten,« sagte Rose wieder übermütig. »Wir werden vergleichen.«

»Sei doch still,« sagte Marianne, die ausgestiegen war und Nicolas zu Boden gesetzt hatte, »man wird uns sonst noch auspfeifen.«

»Auspfeifen? Sie bewundern uns ja alle, sieh sie nur an! Es ist doch seltsam, Mama, daß du nicht mehr stolz auf uns bist.«

»Ich bin so stolz, daß ich fürchte, die andern zu demütigen.«

Alle lachten. Und Mathieu, der neben Marianne stand, war seinerseits nicht minder stolz, obgleich er eine gutmütig gelassene Haltung bewahrte, wenn er sich so in der Öffentlichkeit inmitten seines heiligen Bataillons sah, wie er scherzhaft seine Söhne und Töchter nannte. Die wackere Madame Desvignes gehörte auch mit dazu, seitdem ihre Tochter Charlotte, sowie über kurz oder lang auch ihre Tochter Marthe, das Lebenswerk fortsetzte, dem Bataillon Soldaten lieferte, das schließlich zur Armee werden würde. Das war nur erst der Anfang, es würde sich immer mehr und mehr verstärken, das siegreiche Geschlecht immer weiter wuchern mit Enkeln und Urenkeln. Bald würden sie fünfzig sein, dann hundert, dann zweihundert, immer mehr zum Glücke und zur Schönheit der Welt beitragend. Und in das Staunen, in das heitere Wohlwollen, womit Janville auf diese fruchtbare Familie sah, mischte sich zweifellos auch die unbewußte Bewunderung für die Kraft und die Gesundheit, die die großen Völker schaffen.

»Wir haben übrigens nur Freunde,« sagte Mathieu. »Alle haben uns gern.«

»Oh, alle!« sagte Rose halblaut. »Sieh nur die Lepailleur an, dort vor jener Bude.«

In der Tat, die Lepailleur waren da, der Vater, die Mutter, Antonin und Thérèse. Um die Froment nicht sehen zu müssen, stellten sie sich, als interessierten sie sich für ein Drehscheibenspiel mit grell bemalten Porzellangegenständen. Sie grüßten die Froments übrigens nicht mehr, sie hatten, in ihrer ohnmächtigen Wut über so viele ununterbrochene Erfolge, einen leichten Streit benutzt, um mit ihnen zu brechen. Lepailleur betrachtete die Schaffung von Chantebled als eine persönliche Beleidigung, denn er erinnerte sich nur zu wohl seiner Spötteleien, seiner herausfordernden Vorhersagungen in bezug auf diese Heiden, auf denen niemals etwas andres als Steine wachsen würden. Und nachdem er die Porzellangegenstände zur Genüge betrachtet hatte, wollte er unverschämt sein, drehte sich um und starrte die Familie an, die, da sie zu früh gekommen war und noch eine gute Viertelstunde vor sich hatte, wohlgemut über den Platz schlenderte.

Die schlechte Laune des Müllers hatte sich seit zwei Monaten noch verschlechtert, seitdem sein Sohn Antonin in höchst kläglicher Weise nach Janville zurückgekehrt war. Der Junge, der eines Morgens ausgezogen war, um Paris zu erobern, begleitet von seinen Eltern, die voll blinder Zuversicht waren, weil er eine so schöne Schrift hatte, war vier Jahre bei Maître Rousselet als untergeordneter Schreiber geblieben, wo er sich als schwer von Begriffen und von ausnehmender Faulheit erwiesen hatte. Er hatte keinerlei Fortschritte gemacht, sondern sich damit begnügt, sich immer mehr einem liederlichen Leben zu ergeben, zuerst den Reizungen der Cafés und der leichten Mädchen nachjagend, dann unaufhaltsam immer tiefer sinkend, zum Alkohol, zum Spiel, zu den niedrigsten Ausschweifungen. Dabei ging all sein Geld darauf, auch das, welches er seiner Mutter durch fortwährende glänzende Versprechungen entlockte, auf die sie in ihrem blinden, vergötternden Glauben fest baute. Endlich aber war seine Gesundheit durch dieses Leben verwüstet, er verlor die Haare mit dreiundzwanzig Jahren und wurde so gelb und mager, daß seine Mutter, von Furcht ergriffen, ihn eines Tages mit nach Hause nahm, indem sie erklärte, er plage sich zu viel, und sie werde es nicht zugeben, daß er sich so zu Tode arbeite. Aber dieser notwendig gewordene Rückzug, diese schmachvolle Rückkehr zum heimischen Stall geschah nicht, ohne daß Lepailleur, dem allmählich ein Licht aufging, darüber murrte. Wenn er sich noch nicht offen erzürnte, so war es nur aus Stolz, um seinen Irrtum, den Zweifel, der ihn über die schöne Zukunft Antonins beschlich, nicht eingestehen zu müssen. Hinter verschlossenen Türen rächte er sich an seiner Frau, lag in fortwährendem wütendem Zank mit ihr, seitdem er ihre geheimen Geldsendungen entdeckt hatte; aber sie stellte sich gegen ihn, denn sie bewunderte nun ihren Jungen, so wie sie einst ihn selbst bewundert hatte, und opferte den Vater dem Sohn, nun, da die größere Bildung des letzteren ihr mehr imponierte; so daß jetzt volle Zwietracht im Hause herrschte, entstanden gerade aus dem Bestreben, ihren Sohn zu einem Herrn, zu einem Pariser zu machen, womit sie sich in so eitler Hoffnung gewiegt hatten. Was Antonin betrifft, so lachte er in sich hinein, zuckte die Achseln und führte seine häßliche Krankheit in der Sonne spazieren, bis er wieder stark genug sein würde, um zu seinem wüsten Leben zurückzukehren.

Als die Froment vorüberkamen, war es hübsch zu sehen, wie die Lepaillcur steif dastanden, sie mit den Blicken durchbohrend. Der Mann verzog höhnisch den Mund, die Frau warf herausfordernd den Kopf auf. Mit den Händen in den Taschen dastehend, bot der Sohn einen jämmerlichen Anblick mit seinem kahlen Kopfe, seinem gekrümmten Rücken, seinem bleichen, verlebten Gesichte. Sie suchten alle drei nach etwas Unangenehmem, als eine Gelegenheit sich darbot.

»Wo ist denn Thérèse?« keifte plötzlich die Lepailleur. »Sie war ja gerade noch da, wo ist sie hingeraten? Ich will nicht, daß sie fortläuft, wenn alle diese Leute da sind.«

Tatsächlich war Thérèse seit einem Augenblick verschwunden. Sie war eben in ihr zehntes Jahr getreten, war ein entzückendes Kind, blond, schon etwas rundlich, mit zerzausten Haaren und schwarzen, funkelnden Augen, ganz weiß und rosig, wie von dem Mehl der Mühle gepudert. Aber sie war ein unbändiges, eigenwilliges, übermütiges Kind, sie verschwand auf Stunden aus dem Hause, um im Freien herumzuschweifen und nach Vogelnestern, Blumen und wilden Früchten zu suchen. Und wenn ihre Mutter so in Aufregung geriet und sie eiligst zu suchen begann, als die Froment vorüberkamen, so war das, weil sie sie vorige Woche bei etwas Empörendem ertappt hatte. Die leidenschaftliche Sehnsucht Thérèses war, ein Rad zu haben, besonders seit ihre Eltern ihr dies unbedingt verweigerten, indem sie sagten, dieses Zeug sei gut für die Städter, aber nicht für anständige Mädchen. Als die Kleine nun eines Tages wie gewöhnlich davongelaufen war, hatte ihre Mutter, die vom Markte heimkehrte, sie auf einem öden Seitenwege in Gesellschaft des kleinen Grégoire Froment erblickt, auch ein solcher Vagant und Herumstreicher, mit dem sie häufig so an nur ihnen bekannten Verstecken zusammentraf. Und zu ihrer größten Empörung sah die Mutter, daß Grégoire das Mädchen auf sein Rad gesetzt hatte und, sie um die Mitte fassend und neben ihr herlaufend, sie im Fahren unterrichtete. Der kleine Halunke war der Lehrmeister, und die kleine Halunkin war seine willige Schülerin; und dabei lachten sie und pufften sich und spielten ausgelassen wie richtige nichtsnutzige Kinder, aus denen einmal noch was Schlechtes werden konnte. Als Thérèse diesen Abend heimkam, erhielt sie zwei mächtige Ohrfeigen.

»Ja, wo ist sie denn hingeraten, diese Landstreicherin?« schrie die Lepailleur wieder. »Sowie man sie aus den Augen verliert, läuft sie davon.«

Antonin, der hinter die Bude mit dem Porzellan geblickt hatte, kam nun schleppenden Ganges zurück, die Hände noch immer in den Taschen, boshaft lächelnd.

»Sieh einmal dort hinunter, Mutter. Dort gibt's eine Unterhaltung.«

Hinter der Bude sah die Mutter wieder Thérèse und Grégoire beisammen. Er hielt sein Rad mit einer Hand und erklärte ihr offenbar dessen Mechanismus, während sie, von Bewunderung und Begierde gebannt, die Maschine mit den Augen verschlang. Dann konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, und er hob sie, während sie vor Freude lachte, mit seinen kleinen kräftigen Armen in den Sattel, als plötzlich die schreckliche Stimme der Mutter dazwischenfuhr.

»Verdammter Fratz, was tust du schon wieder da? Wirst du gleich herkommen, oder du sollst dein Teil kriegen!«

Mathieu, der den Vorgang bemerkt hatte, rief seinerseits Grégoire strenge zu sich.

»Stell dein Rad zu den andern; du weißt, was ich dir verboten habe, ich will das nicht wieder sehen.«

Es war offener Krieg. Lepailleur knurrte Drohungen und Schimpfworte, welche durch die schreienden Töne einer Drehorgel übertäubt wurden. Und die beiden Familien wandten einander den Rücken und entfernten sich inmitten der sonntäglich gekleideten, immer dichter werdenden Menge. »Mein Gott, kommt denn der Zug noch immer nicht?« rief Rose, die in ihrer frohen Ungeduld jeden Augenblick auf die Uhr des kleinen Bahnhofes blickte. »Noch zehn Minuten, was fangen wir da an?«

Sie war vor einem Manne stehen geblieben, der Krebse zu verkaufen hatte; zu seinen Füßen stand ein voller Korb, in welchem die Tiere übereinander krabbelten. Sie kamen wahrscheinlich aus dem Oberläufe der Yeuse, drei Meilen von hier; es waren keine großen Krebse, aber sehr schmackhaft, wie sie wohl wußte, denn sie hatte deren selbst manchmal einige in dem Flüßchen gefischt. Sogleich kam ihr eine ebenso genäschige als lustige Idee.

»Oh, Mama, wir wollen ihm den ganzen Korb abkaufen! Weißt du, das ist für das Willkommfest, es ist die Gabe, die wir dem hohen Paare darbringen, das wir erwarten. Man soll nicht sagen, daß unsre Majestäten nicht alles aufs beste anordnen, wenn sie benachbarte Majestäten empfangen. Ich werde sie selber kochen, wenn wir nach Hause kommen, und ihr sollt sehen, wie gut sie werden!«

Alles lachte, und die Eltern gaben diesem großen Kinde nach, das in seinem Glücke nicht mehr wußte, welch neuen fröhlichen Streich sie ersinnen sollte, so erschien ihr das Leben ein Freudenfest. Sie bestand nun darauf, die Krebse zu zählen, und das ging nicht leicht. Sie wurde von einigen gezwickt und zog die Hand mit leichtem Schreien zurück; auf einmal war der Korb umgestürzt, und die Tiere ergriffen nach allen Seiten die Flucht. Die Knaben und Mädchen machten sich sogleich an die Verfolgung, es gab eine regelrechte Jagd, an welcher sich schließlich auch die älteren beteiligten. Und das war so drollig, so lustig, so harmlos, wie alle sich lachend und eifrig mit dieser Verfolgung befaßten, die Großen und die Kleinen, die ganze glückliche Familie, daß Janville sich neuerdings um sie versammelte und voll wohlwollenden Behagens an der Unterhaltung teilnahm.

Plötzlich hörte man von weitem ein Rollen und den Pfiff einer Lokomotive.

»Du lieber Gott, da sind sie!« rief Rose bestürzt. »Schnell, schnell, sonst fällt unser Empfang ins Wasser!«

Nun gings über Hals und Kopf, man bezahlte den Mann, man hatte kaum Zeit, den Korb zu schließen und ihn zum Wagen zu bringen. Dann lief die ganze Familie auf den kleinen Bahnhof zu, um sich längs des Bahnsteiges aufzustellen.

»Nein, nein, nicht so,« sagte Rose, ihre Leute zurechtrückend. »Ihr beobachtet die Rangordnung nicht. Zuerst die Königin-Mutter mit dem König-Gemahl, dann die Prinzen und Prinzessinnen nach der Größe. Frédéric stellt sich zu meiner Rechten. Und vergeßt nicht, ich mache die Honneurs.«

Der Zug hielt. Als Ambroise und Andrée ausstiegen, waren sie zuerst verdutzt, die ganze zahlreiche Familie in feierlicher Ordnung hier wartend zu finden. Aber als Rose ihnen eine kleine hochtrabende Rede hielt, in welcher sie die Verlobte als fremde Prinzessin anredete, die sie an der Schwelle ihres väterlichen Staates zu begrüßen beauftragt sei, da lachten die beiden herzlich und gingen auf den Scherz ein, indem sie in demselben Ton erwiderten. Die Bahnbediensteten schauten und horchten mit offenem Munde. Die ganze Szene war von liebenswürdigem Übermut getragen; alle waren glücklich, an diesem schönen Maimorgen recht Kinder sein zu können.

Marianne stieß jedoch einen Ruf des Staunens aus. »Wie, Madame Séguin ist nicht mit euch gekommen? Sie hatte es uns ja so bestimmt versprochen!«

In der Tat war hinter Ambroise und Andrée nur Céleste, die Zofe, ausgestiegen. Sie erklärte nun die Dinge. »Madame hat mich beauftragt zu sagen, daß sie wirklich verzweifelt ist. Noch gestern dachte sie nicht anders, als daß sie ihr Versprechen halten würde. Aber am Abend hat sie den Besuch des Grafen de Navarède empfangen, der heute einem Vortrag präsidiert, der von der Propaganda veranstaltet wird, und da ist es Madame natürlich unmöglich, wegzubleiben. So hat Madame mich damit betraut, die jungen Herrschaften hierher zu bringen. Wie Sie sehen, ist alles in Ordnung, sie sind nun wohl geborgen.«

Im Grunde genommen war es niemand um Valentine leid, die auf dem Lande immer trüb gestimmt wurde. Und Mathieu war der Dolmetsch des allgemeinen Gefühles, indem er ein höfliches Bedauern aussprach.

»Nun denn, sagen Sie ihr, wie ungern wir sie vermißt haben. Gehen wir also!«

Aber Céleste hatte noch etwas zu sagen. »Verzeihen Sie, Monsieur, ich bleibe nicht hier. Madame hat mir dringend aufgetragen, sogleich zu ihr zurückzukehren, um sie anzukleiden. Auch langweilt sie sich zu sehr allein. Es geht ein Zug nach Paris um einviertel elf Uhr, nicht wahr? Ich werde mit diesem fahren. Am Abend werde ich dann um acht Uhr wieder hier sein, um Mademoiselle zurückzubegleiten. Wir haben das alles nach dem Fahrplan festgestellt. Auf heute abend also, Monsieur.«

»Auf heute abend, ganz recht.«

Und die Zofe in dem kleinen Bahnhofe allein zurücklassend, begaben sich alle wieder auf den Hauptplatz, wo das Break und die Räder warteten.

»Jetzt sind wir also vollzählig!« rief Rose. »Endlich beginnt das eigentliche Fest. Laßt mich nun den feierlichen Zug für die triumphierende Rückkehr in das Schloß unsrer Väter anordnen.«

»Ich fürchte sehr,« sagte Marianne, »daß dein feierlicher Zug naß werden wird. Sieh die Wolken da hinten an.«

Seit einigen Minuten war ein Teil des bisher so reinen Himmels von einer großen blauschwarzen Wolke überzogen, die aus dem Westen aufstieg, von kurzen, heftigen Windstößen gejagt. Es schien eine Fortsetzung der Gewitterregen der letzten Nacht werden zu wollen.

»Bah, der Regen, aus dem machen wir uns nichts,« erwiderte das junge Mädchen stolz. »Er wird es nicht wagen zu fallen, ehe wir zu Hause angelangt sind.«

Und sie ordnete mit komischer Befehlshabermiene ihre Leute nach dem Plan, den sie seit acht Tagen im Kopfe trug. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, durchzog das erstaunte Janville, unter dem Lächeln aller Bewohner, die an die Türen liefen, um ihnen nachzusehen, entwickelte sich längs der weißen Landstraße, durch die fruchtbaren Felder, aus denen die aufgescheuchten Lerchen jubelnd zum Himmel stiegen. Es war wirklich prächtig.

An der Spitze fuhren Rose und Frédéric, das Brautpaar, auf ihren Rädern und eröffneten den Hochzeitszug in majestätischer Haltung. Nach ihnen kamen die drei Hofdamen, die drei jüngeren Schwestern Louise, Madeleine und Marguerite, nach dem Alter geordnet, auf ihrer Größe angemessenen Maschinen; und mit ihren Baretts, ihren offenen Haaren, die der Luftzug der Fahrt hinausflattern machte, waren sie entzückend, eine Schar Brieftauben, die mit froher Botschaft hinflogen. Der Page Grégoire führte sich allerdings nicht musterhaft auf; er jagte ungebärdig auf seinem Rade dahin und vergaß sich sogar so weit, das an der Spitze fahrende königliche Paar überholen zu wollen, was ihm strenge Rügen eintrug, bis er sich wieder auf den ihm zugewiesenen bescheidenen Platz des Dienenden zurückbegeben hatte. Aber als die Hofdamen nun begannen, das Klagelied Aschenbrödels auf dem Wege zum Schlosse des Prinzen zu singen, geruhte das königliche Paar diesen Gelegenheitsgesang trotz der Etikette recht artig zu finden. Endlich sangen Rose und Frédéric und auch Grégoire das Lied aus voller Brust mit. Und dieser Gesang in der weiten, heiteren Landschaft war die schönste Musik der Welt. In einiger Entfernung folgte sodann die Staatskarosse, das gute alte Familienbreak, das nun überfüllt war. Gervais kutschierte programmgemäß und hatte Claire zu seiner Linken auf dem Ledersitz. Die beiden kräftigen Pferde gingen ihren gewohnten gemächlichen Trab, trotzdem er ihnen die Peitsche lustig um die Ohren knallen ließ, um auch seinerseits etwas Musik zu machen. Im Innern saßen sieben Personen auf den sechs Plätzen, die drei Kleinen miteingerechnet, die aber ihren Raum in ihrer Beweglichkeit ausfüllten. Vorerst einander gegenüber Ambroise und Andrée, die Verlobten, denen man diesen prächtigen Empfang zuteil werden ließ. Sodann, ebenfalls einander gegenüber, die hohen Gebieter des Landes, Mathieu und Marianne, diese mit Nicolas, dem jüngsten Prinzen des Hauses auf den Knien, der wie ein Esel schrie, weil er so vergnügt war. Die letzten zwei Plätze endlich waren von der Enkelin und dem Enkel des allerhöchsten Paares eingenommen, Mademoiselle Berthe und Monsieur Christophe, die noch nicht fähig waren, eine lange Strecke zu Fuß zurückzulegen. Und der Wagen rollte stattlich dahin, obgleich man, aus Furcht vor dem drohenden Regen, schon die dicken weißen Leinenvorhänge zur Hälfte herabgelassen hatte, so daß er von weitem wie em Müllerwagen aussah.

Hinterdrein kam dann noch als Nachhut eine Gruppe zu Fuß, bestehend aus Blaise und Denis, Madame Desvignes und ihren zwei Töchtern Charlotte und Marthe. Sie hatten sich entschieden geweigert, einen Wagen zu nehmen, sie fanden es sehr angenehm, spazierengehend die zwei Kilometer zurückzulegen, die Chantebled und Janville trennten. Wenn es regnen sollte, würden sie schon irgendwo Schutz finden. Rose hatte übrigens erklärt, es sei so ganz in Ordnung, es bedürfe noch eines Gefolges zu Fuß, damit der Zug seine volle Ausdehnung und seinen vollen Glanz entfalte: diese fünf bildeten das Volk, die ungeheure Menge, die hinter ihren Herrschern unter begeisterten Zurufen einherzog. Oder aber sie seien die notwendige Garde, die Bewaffneten, die als Schutz hinterdreinkamen, um den etwaigen Angriff eines feindlichen Nachbars abzuwehren. Da jedoch Madame Desvignes unglücklicherweise nicht sehr schnell gehen konnte, so war die Nachhut bald weit zurückgelassen, so daß sie nur noch eine verschwindend kleine Gruppe in der Ferne bildete.

Aber das konnte Rose nichts anhaben, deren Übermut durch störende Zwischenfälle nur verdoppelt wurde. An der ersten Straßenbiegung wendete sie sich im Sattel um; und als sie ihre Nachhut um mehr als dreihundert Meter zurückgelassen sah, erging sie sich in Ausrufen der Bewunderung:

»Oh, steh nur, Frédéric, welch endloser Zug! Nehmen wir nicht einen ungeheuern Platz ein? Er verlängert sich und verlängert sich immerzu, und die Straße wird bald nicht mehr dafür ausreichen.«

Und als die Hofdamen sowie der Page sich spöttische Bemerkungen gestatteten:

»Wollt ihr euch wohl etikettemäßiger benehmen, ihr da? Zählt doch einmal. Wir sind sechs an der Spitze, nicht wahr? Im Wagen sind neun, das macht fünfzehn. Dazu die fünf der Nachhut, macht zwanzig. Wo findet ihr noch solche Familien? Die Kaninchen, die uns vorbeikommen sehen, sind stumm vor Verblüffung und Bewunderung.«

Sie lachten wieder und begannen wieder alle das Lied Aschenbrödels auf dem Wege zum Schlosse des Prinzen zu singen.

Als sie die Brücke über die Yeuse erreichten, begannen die ersten großen Tropfen zu fallen. Die blauschwarze Wolke, von einem heftigen Sturme gejagt, eilte unter starkem Brausen am Himmel herauf. Die Tropfen vergrößerten sich im Nu und ein solcher Gußregen brach los, daß das Wasser in kompakten Massen herabstürzte, als ob da oben eine gewaltige Schleuse gerissen wäre. Man konnte nicht zwanzig Meter weit sehen. In weniger als zwei Minuten war die Straße in einen Fluß verwandelt.

In dem Zuge entstand nun eine allgemeine Flucht. Man erfuhr erst später von dem Glück der Nachhut, die, nahe dem Hause eines Bauern von dem Regen überrascht, sich in aller Ruhe dahinein flüchtete. Die in dem Break schlossen einfach die Vorhänge und hielten unter einem an der Straße stehenden Baume, aus Furcht, daß die Pferde scheu werden könnten. Sie riefen den Radfahrern an der Spitze zu, auch anzuhalten, nicht so töricht zu sein, einer solchen Überschwemmung Trotz zu bieten; aber ihre Stimmen wurden von dem Rauschen des Wassers übertönt. Die Mädchen und der Page waren jedoch selber so klug, hinter einer dichten Hecke mit ihren Maschinen Schutz zu suchen. Aber die beiden Verlobten vor ihnen fuhren unaufhaltsam weiter.

Frédéric, der Besonnenere von beiden, war vernünftig genug zu sagen:

»Das hat ja keinen Sinn. Sitzen wir ab wie die andern, bis das Unwetter vorüber ist.«

Aber Rose, in ihrer glücklichen Erregung, in ihrem Freudenfieber unempfindlich gegen den vom Wind gepeitschten Regen, erwiderte nur:

»Bah, naß sind wir nun einmal. Wenn wir anhalten, können wir uns erst recht verderben. Vorwärts, vorwärts! In drei Minuten sind wir zu Hause und wir werden alle diese Nachzügler auslachen, wenn sie eine Viertelstunde nach uns ankommen.«

Sie hatten die Brücke hinter sich und flogen Seite an Seite dahin, obgleich die Straße hier einen guten Kilometer lang unter den hohen Pappeln steigend hinzog.

»Ich sage dir, wir haben unrecht,« wiederholte er. »Sie werden mich ausschelten, und mit gutem Grunde.«

»Ach was!« rief sie, »ich unterhalte mich zu gut! Das ist lustig, so ein Bad auf dem Rade. Laß mich allein, wenn du mich nicht genug liebst, um mir zu folgen!«

Er folgte ihr, hielt sich dicht an ihrer Seite, suchte sie ein wenig gegen den in schiefen Linien herabtreibenden Regen zu schützen. Es war eine tolle Fahrt, wie die beiden nun Ellbogen an Ellbogen hinflogen, wie fortgetragen durch all dieses sausende, brausende, wütende Wasser. Es schien, als ob das Gewitter sie mit seinem Donner vor sich her schleuderte. Im Augenblick, wo sie im Hofe von ihren Rädern sprangen, hörte der Gußregen plötzlich auf, der Himmel wurde wieder blau.

Rose, sehr rot und außer Atem, lachte ausgelassen; sie war so durchnäßt, daß das Wasser von ihren Kleidern, ihren Haaren, ihren Händen troff, als hätte eine Quellenfee ihre Urne über sie ausgegossen.

»Was, eine schöne Bescherung? Alles eins, wir sind doch die ersten!«

Sie eilte davon, um sich zu kämmen und die Kleider zu wechseln. Aber sie gestand nicht, daß sie, in ihrer hastigen Beflissenheit, alles zum Kochen der Krebse vorzubereiten, sich nicht einmal Zeit genommen hatte, trockene Wäsche anzuziehen. Sie wollte, daß noch vor dem Eintreffen der Familie das Wasser auf dem Feuer stehe, mit dem Weißwein, den Karotten und Gewürzen für die kurze Brühe. Sie eilte hin und her, fachte das Feuer, erfüllte die Küche mit ihrer frohen Geschäftigkeit, glücklich, ihre Hausfrauenkenntnisse zeigen zu können; während ihr Verlobter, der ebenfalls herabgekommen war, ihr in stummer Bewunderung mit den Augen folgte.

Als endlich die übrigen eingetroffen waren, die vom Break und auch die Fußgänger, gab es eine lebhafte Auseinandersetzung, denn die Eltern waren wirklich böse, so hatte diese Fahrt durch das Gewitter sie beunruhigt.

»Meine liebe Rose,« wiederholte Marianne, »das war höchst unvernünftig. Hast du wenigstens die Wäsche gewechselt?«

»Ja, ja,« sagte Rose. »Wo sind die Krebse?«

Mathieu seinerseits machte Frédéric Vorwürfe.

»Ihr hättet euch den Hals brechen können, abgesehen davon, daß eine solche kalte Dusche, wenn man erhitzt ist, nichts weniger als gesund ist. Du hättest sie abhalten sollen.«

»Ja, aber sie wollte durchaus weiterfahren, und wenn sie einmal etwas will, so habe ich nicht die Kraft, mich ihr entgegenzustellen.« Rose unterbrach endlich diese Vorwürfe in ihrer fröhlichen Art.

»Na denn, jetzt habt ihr genug gescholten, ich habe unrecht getan. Niemand macht mir ein Kompliment über meine Brühe! Habt ihr je schon Krebse auf dem Feuer gefehen, die so gut rochen wie diese?«

Die Mahlzeit verlief unter ausgelassener Fröhlichkeit. Da die Gesellschaft zwanzig Köpfe stark war und da man eine richtige Probe des Hochzeitsmahles abhalten wollte, war die Tafel in einem großen Raume aufgestellt worden, der an das gewöhnliche Speisezimmer stieß. Er war noch ganz kahl; aber während des ganzen Mahles sprach man nur davon, wie er geschmückt werden sollte, mit Strauchgewächsen, Blättergirlanden und Blumensträußen. Beim Dessert wurde sogar eine Leiter herbeigeschleppt, mit deren Hilfe man die Linien der Dekoration an die Wände skizzierte.

Seit einigen Augenblicken war Rose, bisher so geschwätzig, schweigsam geworden. Sie hatte allerdings mit gutem Appetit gegessen. Aber unter ihrem noch feuchten schweren Haar war ihr Gesicht wachsbleich, wie blutleer geworden. Und als sie selber auf die Leiter steigen wollte, um eine Ausschmückungsart anzugeben, wankte sie plötzlich und fiel in Ohnmacht. Man setzte sie auf einen Stuhl, alles geriet in Bestürzung. Sie blieb einige Minuten lang besinnungslos. Als sie dann wieder zu sich kam, schien noch ein erstickender Druck auf ihr zu liegen; sie blickte sich angstvoll und wortlos um, als verstünde sie nicht, was ihr geschehen sei. Aufs höchste erschreckt, bestürmten Mathieu und Marianne sie mit Fragen. Offenbar hatte sie sich erkältet, das war die Folge dieser sinnlosen Fahrt. Das Mädchen erholte sich jedoch bald und lächelte wieder; sie sagte, daß sie keine Schmerzen habe, sie habe es plötzlich wie einen schweren Stein auf der Brust gefühlt, aber es sei nun vergangen, sie atme wieder frei. In der Tat war sie bald wieder die Frühere, sie entwickelte ihre Idee der Ausschmückung, so daß sich alles wieder beruhigte und der Nachmittag in fröhlichster Weise mit Plänemachen und dem Ausmalen einer schönen Zukunft verging. Beim Diner aß man wenig, so sehr hatte man mittags den Krebsen zugesprochen. Als dann Céleste um neun Uhr kam, um Andrée abzuholen, trennte sich die Familie. Ambroise kehrte noch diesen Abend nach Paris zurück. Blaise und Denis wollten morgen mit dem ersten Zuge um sieben Uhr fahren. Und Rose, die Madame Desvignes und ihre Töchter bis auf die Straße begleitete, rief ihnen durch die Nacht noch viele »Auf Wiedersehen!« und »Auf bald!« zu, noch ganz erfüllt von der frohen Erregung des Tages, nach welchem die Familie zu der glücklichen Gelegenheit der Doppelhochzeit sich wieder vereinigen wollte.

Weder Mathieu noch Marianne gingen jedoch sogleich zu Bette. Ohne es sich gegenseitig gestehen zu wollen, waren sie über Rose beunruhigt; sie fanden sie verändert, ihre Augen waren trüb, sie sah aus wie trunken. Beim Zurückkehren ins Haus hatte sie wieder gewankt; sie bewogen sie, sich zu Bett zu legen, obgleich sie nur über ein wenig Atembeschwerden klagte. Nachdem sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, welches neben dem der Eltern lag, blieben diese noch wach; die Mutter ging wiederholt hinein, um sich zu überzeugen, daß sie gut zugedeckt war und ruhig einschlief, während der Vater unruhig und nachdenklich unter der Lampe saß. Sie war endlich eingeschlummert, und die Eltern sprachen, nachdem sie die Verbindungstür offen gelassen hatten, noch eine Weile miteinander, um sich zu beruhigen: es sei nichts, morgen werde alles wieder gut sein. Dann gingen auch sie zu Bette, und der ganze Hof sank in Schweigen, vom Schlaf gefesselt, bis zum ersten Hahnenschrei. Aber gegen vier Uhr, vor der Dämmerung, weckte ein dumpfer, erstickter Ruf »Mama! Mama!« die Gatten auf, und sie sprangen aus dem Bette, barfuß, zitternd, nach der Kerze suchend. Rose war dem Ersticken nahe, wand sich unter einem zweiten Anfall von außerordentlicher Heftigkeit. Wieder erholte sie sich jedoch nach einigen Minuten, fühlte sich erleichtert, und die Eltern zogen es trotz ihrer großen Angst vor, niemand zu rufen und den Morgen abzuwarten. Sie waren besonders entsetzt darüber, ihre Tochter so verändert zu finden, mit geschwollenem, verzogenem Gesichte, als ob irgendeine böse Macht sie ihnen in einer einzigen Nacht verwandle, sie ihnen raube. Sie war jedoch ermattet wieder eingeschlafen. Sie rührten sich nicht mehr, aus Furcht, ihre Ruhe zu stören, sie blieben an ihrer Seite, wachend und wartend, während mit dem fortschreitenden Tag das Leben auf dem Hofe sich immer stärker regte. Sie hörten die Stunden schlagen, fünf Uhr, sechs Uhr. Zwanzig Minuten vor sieben Uhr sah Mathieu unten Denis, der sich eben nach dem Bahnhofe begeben wollte, um nach Paris zurückzukehren, und ging eilig hinab, um ihm aufzutragen, sich zu Doktor Boutan zu begeben und ihn zu bitten, er möge ohne eine Minute Verzug herbeieilen. Und nachdem sein Sohn fortgegangen war, hatte er sich wieder hinaufbegeben, ohne noch jemand zu rufen oder auch nur zu benachrichtigen, als ein dritter Anfall eintrat. Und diesmal fuhr der Blitzschlag nieder.

Rose hatte sich aufgerichtet, die Arme ausgebreitet, nach Atem ringend, und rief wieder ihr jammerndes »Mama! Mama!«

Dann sprang sie in einem letzten Aufbäumen der Lebenskraft aus dem Bette und eilte ans Fenster, das die steigende Sonne vergoldete. Sie lehnte sich daran, mit nackten Füßen, mit nackten Schultern, in ihrer ganzen jungfräulichen Reinheit, die schweren Haare aufgelöst, die sie gleich einem königlichen Mantel umhüllten. Nie war sie schöner, blühender in Gesundheit und Liebe erschienen.

»Oh, wie ich leide! Es ist aus, ich sterbe!«

Der Vater war herbeigeeilt, die Mutter stützte sie, umschlang sie mit ihren Armen, wie um daraus einen undurchdringlichen Schild gegen jede Gefahr zu bilden.

»Sei doch still, du närrisches Kind! Es ist nichts, es ist nur wieder ein Anfall, der vorübergehen wird. Sei brav, leg dich wieder nieder! Dein alter Freund Boutan ist schon auf dem Wege, morgen bist du wieder wohlauf.«

»Nein, nein, es ist aus, ich sterbe!«

Sie fiel in ihre Arme, sie hatten gerade nur Zeit, sie wieder ins Bett zu legen. Und dann geschah das Entsetzliche, sie starb ohne eine Wort, ohne einen Blick, in wenigen Minuten, an einer Lungenkongestion.

Der sinnlose Blitzstrahl war niedergefahren, die blinde Sense hatte mit einem einzigen Streich den ganzen Frühling abgemäht. Das war so brutal, so furchtbar jäh und unerwartet, daß die Betäubung zuerst über den Schmerz den Sieg davontrug. Auf die Schreie Mathieus und Mariannens lief das ganze Haus herbei, erfüllte sich mit dem Lärm des Entsetzens, und sank dann in das tiefe Schweigen des Todes, alle Arbeit, alles Leben stand still. Und bestürzt, vernichtet standen nun die andern Kinder da: der kleine Nicolas, der noch nichts begriff; Grégoire, der Page von gestern; die drei Hofdamen Louise, Madeleine und Marguerite; die Größeren und am schwersten Betroffenen: Gervais und Claire. Aber andre waren noch auf dem Wege, die ältesten, Blaise, Denis und Ambroise, die eben nach Paris fuhren und noch nichts von dem unerwarteten, dem unfaßbaren Schlage wußten, der die Familie betroffen hatte. Wo wird die entsetzliche Nachricht sie erreichen? In welcher Verzweiflung werden sie wiederkehren? Und der Arzt, der herbeieilen wird! Und inmitten der Schreckensverwirrung der ersten Minuten ertönten die Verzweiflungsschleie Frédérics, des Bräutigams, der in heftigen Jammer über sein Unglück ausbrach. Er gebärdete sich wie wahnsinnig, er wollte sich töten, er klagte sich an, ihr Mörder zu sein, er hätte sie abhalten sollen, die Fahrt im Gewitter fortzusetzen. Man mußte ihn aus dem Zimmer, aus dem Hofe führen, um ein neues Unglück zu verhüten. Sein plötzlicher Wahnsinnsanfall hatte die Herzen gebrochen; die Tränen flossen, die unglücklichen Eltern, die Brüder, die Schwestern ergingen sich in lauten Klagen, und mit ihnen das ganze so hart betroffene Chantebled, in welches der Tod zum ersten Male eingetreten war.

Rose, großer Gott! Sie auf dem Totenbette, weiß, kalt, leblos! Sie, die Schönste, die Fröhlichste, die Geliebteste! Die, auf welche alle stolz waren, die alle bewunderten und vergötterten! Sie, hinweggerafft am Anfange eines Lebens, das noch so lang und glücklich zu werden versprach, zehn Tage vor ihrer Hochzeit, am Morgen nach diesem Tage übermütiger Fröhlichkeit, an dem sie so viel gescherzt, so viel gelacht hatte! Gestern noch so lebensvoll, so entzückend, voll toller Kindereinfälle, mit ihrem fürstlichen Empfange, ihrem königlichen Gefolge. Diese zwei am selben Tage zu feiernden Hochzeiten wären gleichsam die Blüten des gefesteten Glückes, des langandauernden Gedeihens der Familie gewesen, das aus dieser hohen Freude hätte erwachsen sollen. Bis heute hatten sie wohl manchen Schmerz erfahren, manche Träne vergossen; aber sie hatten sich fest zusammengeschlossen, sich miteinander getröstet; noch keiner hatte am Abend bei der allgemeinen Umarmung gefehlt, die alles wieder gutmachte. Und nun war ihnen die Beste entrissen, der Tod rief ihnen zu, daß es kein vollkommenes menschliches Glück gibt, daß die Tapfersten, die Erfolgreichsten in ihrer schönsten Hoffnung getroffen werden. Es ist kein Leben ohne Tod. Mit einem Schlage zahlten sie ihre Schuld an das menschliche Elend, und um so teurer, als sie sich einen größeren Lebensausschnitt erobert hatten, als sie reich schafften, um reich zu leben. Wenn alles um einen keimt und sproßt, wenn man die Fruchtbarkeit ohne Einschränkung erstrebt, die ununterbrochene Fortpflanzung – welch furchtbare Mahnung an den ewigen dunkeln Schlund, in welchem die Welt sich erneuert, wenn das Unglück eines Tages niedersaust, die erste Bresche reißt, ein teures Wesen wegrafft! Mit einem Male klafft ein Abgrund auf, die Hoffnung, die unendlich schien, ist vernichtet, und man steht betäubt vor der Erkenntnis, daß man nicht ewig leben und sich lieben kann. Ach, die zwei schrecklichen Tage, die nun folgten! Der Hof war erstorben, kein Laut war hörbar als das Atmen und Stampfen der Tiere, die ganze Familie war herbeigeeilt, vereinigte ihre heiße Tränen, verzehrte sich in entsetzlichem Harren, während die entseelte Hülle noch dalag, von einer Fülle von Blumen bedeckt. Und welche grausame Verschärfung des Schmerzes, als am Tage vor dem Begräbnis der Leichnam in den Saal herabgeschafft wurde, in dem sie alle noch vor wenigen Stunden zum fröhlichen Mahle vereint gewesen und so lustig beraten hatten, in welch prächtiger Weise sie ihn für den großen Tag der Doppelhochzeit schmücken würden. Hier fand nun die letzte düstre Wacht bei der Toten statt, und keine Strauchgewächse keine Blättergirlanden schmückten den Raum, nur vier Wachskerzen brannten, und am Morgen gepflückte weiße Rosen hauchten welkend ihren Duft aus. Weder der Vater noch die Mutter wollten sich während dieser letzten Nacht niederlegen. Sie blieben Seite an Seite neben dem Kinde, das die Erde ihnen nun wieder nahm. Sie sahen sie wieder ganz klein, sechzehn Monate alt, um die Zeit ihres ersten Aufenthaltes in Chantebled, in dem ehemaligen Jagdpavillon, als sie eben entwöhnt worden war, und sie sie in der Nacht wieder zugedeckt hatten. Sie sahen sie später in Paris, wie sie des Morgens herbeigelaufen war und mit triumphierendem Lachen ihr Bett erklettert hatte. Sie sahen sie wachsen, schöner werden, in dem Maße als Chantebled selber wuchs, als ob alle die Gesundheit, alle die Schönheit dieser wieder befruchteten Erde in ihr aufgeblüht wäre. Und nun war sie nicht mehr. Als dieser Gedanke, daß sie sie nie wieder sehen würden, sie überwältigte, suchten sich ihre Hände, vereinigten sich in einem schmerzerfüllten Drucke, während es ihnen schien, als ob aus derselben Wunde, aus ihren beiden durchbohrten Herzen ihr ganzes Leben, alle ihre kommenden Tage ausrännen. Die Bresche war nun geöffnet; würde nicht all ihr sonstiges Glück gleich diesem entfliehen? Und wenn auch die zehn andern Kinder da waren, von dem jüngsten, fünfjährigen, bis zu den zwei ältesten von vierundzwanzig Jahren, in Trauer gekleidet, weinend um ihre entschlafene Schwester geschart, gleich einem Trauerbataillon, das ihr die letzten Ehren erwies: weder Vater noch Mutter sahen sie mehr, zählten sie mehr, das Herz zerrissen von dem Verluste dieser einen, die ein Stück von ihnen mit sich hinwegnahm. Und in den großen kahlen Raum, den die vier Wachskerzen schwach erhellten, schien endlich die bleiche Morgendämmerung auf diese Totenwacht, diesen letzten Abschied der ganzen Familie.

Dann folgte noch ein grausamer Schmerz, als der Leichenzug über die weiße Straße zwischen den hohen Pappeln hinschritt, dieselbe Straße, über welche Rose so übermütig im Gewitter nach Hause gefahren war. Alle Verwandten, alle Freunde waren gekommen, die ganze Umgebung wollte ihre Teilnahme an dem niederschmetternden Unglück der Familie bekunden. Der Zug entfaltete sich diesmal wirklich zu außerordentlicher Länge hinter dem mit einem weißen Tuche bedeckten, mit weißen Rosen überstreuten Sarge. Die ganze Familie folgte ihm, auch die Mutter sowie die Schwestern hatten erklärt, daß sie die teure Tote nur am Rande des Grabes verlassen wollten. Dann kamen die näheren Freunde: die Beauchêne, die Séguin. Aber unter ihren Tränen, von Kummer gebrochen, von Anstrengungen erschöpft, erkannten Mathieu und Marianne niemand. Sie erinnerten sich erst am nächsten Tage, daß sie Morange gesehen hätten, ohne sicher zu sein, ob es auch Morange gewesen, dieser schweigsame, unscheinbare Mann, der wie ein Schatten herangekommen war und ihnen weinend die Hand gedrückt hatte. Und ebenso erinnerte sich Mathieu, wie in einem schrecklichen Traume, der mageren Gestalt und des scharfen Profils Constances, die nach dem Hinablassen des Sarges sich ihm genähert und ihm allgemeine Trostworte gesagt hatte, während er glaubte, ihre Augen in entsetzlichem Triumphe flammen zu sehen.

Was hatte sie gesagt? Er wußte es nicht mehr. Das der traurigen Gelegenheit Angemessene natürlich, ebenso wie ihre Haltung die einer betrübten Verwandten gewesen. Aber eine brennende Erinnerung erwachte in ihm, an die Worte, die sie damals gesprochen hatte, als sie versprach, an der Doppelhochzeit teilzunehmen, und ihm mit bitterem Munde gewünscht hatte, daß das Glück von Chantebled fortdauern möge. So waren nun auch sie zerschmettert, diese so fruchtbaren, so erfolgreichen Froment! Und mit ihrem Glücke wars vielleicht für immer vorbei! Ein Schauer überlief sein Herz, sein Glauben an die Zukunft war erschüttert, die Furcht erfaßte ihn, daß die Fruchtbarkeit, das Gedeihen abbrechen und verdorren könnten, nun die Bresche einmal geöffnet war.


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