Emile Zola
Fruchtbarkeit
Emile Zola

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2

Morange, der erste Buchhalter, war ein Mann von achtunddreißig Jahren kahlköpfig, schon etwas angegraut, mit einem sehr schönen, fächerförmigen Vollbart, auf den er stolz war. Seine runden, hellen Augen, seine gerade Nase, sein hübschgeformter, ein wenig großer Mund hatten ihm in jüngeren Jahren den Ruf eines schönen Mannes verschafft; und er verwendete viel Sorgfalt auf sich, trug stets Zylinder und war sehr darauf bedacht, in seiner Erscheinung die Korrektheit des höhergestellten und gewissenhaften Bureaumannes zu zeigen.

»Sie kennen unsre neue Wohnung noch nicht,« sagte er zu Mathieu, als sie miteinander die Fabrik verließen. »Sie werden sehen, wie schön sie ist. Ein Schlafzimmer für uns, eines für Reine. Und zehn Schritte von der Fabrik entfernt; ich bin in vier Minuten zu Hause, nach der Uhr konstatiert.«

Er war der Sohn eines kleinen Handelsangestellten, welcher nach vierzig Jahren engen Bureaulebens auf seinem Schreibtischsessel gestorben war. Und er hatte die Tochter ebenfalls eines Angestellten geheiratet, Valérie Duchemin, deren Vater die Ungeschicklichkeit begangen hatte, vier Töchter zu haben, was den Haushalt zu einer wahren Hölle gemacht hatte, mit allen unvermeidlichen Drangsalen, allen demütigenden Entbehrungen der Armut. Die älteste, Valérie, schön und ehrgeizig, die das Glück gehabt hatte, ohne Mitgift diesen hübschen Mann zu bekommen, welcher obendrein brav und arbeitsam war, hatte seither stets davon geträumt, eine soziale Stufe höher zu steigen, dieser Welt der kleinen Angestellten, die ihr verhaßt war, zu entrinnen, indem sie ihren Sohn zum Arzt oder Advokaten machte. Unglücklicherweise war aber das so sehnsüchtig erwartete Kind ein Mädchen, und sie wurde von Angst erfaßt, sie sah sich, wenn sie so fortfuhr, mit vier Töchtern auf dem Halse, wie ihre Mutter. Da änderte sie das Ziel ihrer Träume, beschloß, sich unbedingt auf dies eine Kind, auf ihre kleine Reine zu beschränken, ihren Mann zu den höchstbezahlten Posten vorwärtszubringen, um ihr eine große Mitgift geben und endlich in jene höhere Sphäre aufsteigen zu können, nach welcher sie ein verzehrendes Verlangen trug. Er, eine schwache und zärtliche Natur, der sie vergötterte, machte sich bald ihren Ehrgeiz zu eigen, dachte unaufhörlich daran, rasch zu steigen, und war voll von stolzen und weitschauenden Projekten. Er befand sich nun seit acht Jahren in der Beauchêneschen Fabrik, sein Gehalt betrug nicht mehr als fünftausend Franken, und das Ehepaar war im höchsten Grade ungeduldig und unzufrieden, denn in dieser Weise würde der Mann nie sein Glück machen.

»Sehen Sie,« sagte Morange, als sie etwa zweihundert Meter weit den Boulevard de Grenelle hinabgeschritten waren, »das neue Haus dort an der Ecke ist es. Sieht es nicht vornehm aus?«

Mathieu sah eines jener hohen modernen Gebäude, geziert mit Balkonen und Skulpturen, welches grell gegen die armseligen, kleinen Häuser der Umgebung abstach.

»Das ist ja ein wahres Palais!« rief er, um Morange Freude zu machen, der sich in die Brust warf.

»Sie sollen nur erst die Treppe sehen. Wissen Sie, es ist im fünften Stock. Aber auf einer solchen Treppe steigt man so angenehm, daß man oben ist, ehe man es merkt.«

Er ließ seinen Gast in das Vestibül wie in einen Tempel eintreten. Die Stuckmauern glänzten, die Stufen waren mit einem Teppich belegt, die Fenster bestanden aus bunten Glasscheiben. Im fünften Stock angelangt, öffnete er die Tür mit seinem Schlüssel, immerfort strahlenden Gesichtes wiederholend: »Sie werden sehen, Sie werden sehen!« Madame Valérie und Reine mußten nach ihnen gespäht haben, und sie eilten sogleich herbei. Valérie, jetzt zweiunddreißig Jahre alt, sah reizend und noch sehr jung aus: eine liebenswürdige Brünette, mit rundem und lächelndem Gesicht, welches von schönem Haar eingefaßt war, die Brust schon etwas zu stark, aber mit prachtvollen Schultern, auf welche Morange stolz war, wenn sie sich dekolletierte. Reine, zwölf Jahre alt, war das frappante Ebenbild ihrer Mutter, mit demselben lächelnden, vielleicht ein wenig länglicheren Gesichte, unter demselben schwarzen Haar.

»Wie liebenswürdig von Ihnen, daß Sie unsrer Einladung gefolgt sind!« sagte Valérie lebhaft, indem sie Mathieu beide Hände schüttelte. »Und wie schade, daß Madame Froment nicht mit Ihnen kommen konnte! Reine, nimm dem Herrn doch den Hut ab.«

Dann sogleich:

»Sie sehen, wir haben ein sehr helles Vorzimmer. Wollen Sie vielleicht, während die Eier ins Wasser gelegt werden, die Wohnung besichtigen? Sie haben es dann hinter sich, und Sie werden wenigstens wissen, wo Sie essen.«

Das alles war in so liebenswürdigem Tone gesagt, und Morange selbst lachte mit so viel gutmütiger Befriedigung, daß Mathieu sich gern zu dieser unschuldigen Schaustellung der Eitelkeit hergab. Sie betraten zuerst den Salon, welcher die Ecke des Hauses bildete, mit perlgrauer, goldgeblümter Tapete bekleidet und mit nach dem Dutzend erzeugten, weißlackierten Möbeln im Stile Ludwigs XIV. ausgestattet, in welche das Piano aus Palisander einen dicken schwarzen Fleck brachte. Sodann, nach dem Boulevard de Grenelle zu, das Zimmer Reines, blaßblau tapeziert, mit einem vollständigen Mädchenmeublement in Pitchpine-Imitation. Das sehr kleine Schlafzimmer der Eltern befand sich am andern Ende der Wohnung, vom Salon durch das Speisezimmer getrennt, war gelb ausgeschlagen und mit einem Doppelbett, einem Spiegelschrank und einem Toilettetisch in Zypressenholz möbliert. Endlich im Speisezimmer triumphierte das klassische Alteichen, inmitten dessen eine sehr stark vergoldete Hängelampe, oberhalb des blendend weißen Gedeckes, wie ein Feuerstrahl erglänzte.

»Das ist ja reizend!« wiederholte Mathieu, um liebenswürdig zu sein. »Das ist ja wunderhübsch!«

Vater, Mutter und Tochter waren freudig erregt, konnten sich nicht genugtun, ihn herumzuführen, ihm zu erklären, ihn die Sachen berühren zu lassen. Aber was ihm besonders auffiel, das war ein gewisses schon Gesehenes, eine Anordnung des Salons, welche er kannte, eine Art, die verschiedenen Dinge zu verteilen, die ihn an etwas erinnerte. Und dann sah er, daß die Morange in ihrer tiefen Bewunderung, in ihrem geheimen Neide versucht hatten, die Beauchêne nach Möglichkeit zu kopieren. Sie, mit ihren beschränkten Mitteln, konnten sich nur einen imitierten Luxus verschaffen, und auch diesen nur unter beträchtlichen Opfern; aber trotzdem waren sie darauf stolz, bildeten sich ein, sich dieser höheren und heißbeneideten Klasse zu nähern, indem sie sie von weitem nachahmten.

»Und endlich,« sagte Morange, das Fenster des Speisezimmers öffnend, »haben wir das da.«

Ein Balkon lief der ganzen Wohnung entlang. Von dieser Höhe war die Aussicht wirklich sehr schön, mit der Seine in langem Lauf und den Hügeln von Passy jenseits der Dächer – dieselbe Aussicht, die man von den Fenstern des Beauchêneschen Wohnhauses genoß, nur erweitert.

Valérie verfehlte auch nicht, ihn darauf aufmerksam zu machen.

»Wie? Ist das nicht großartig? Das ist etwas andres als die vier Bäume, die man vom Kai aus sieht!«

Das Dienstmädchen brachte die Eier, und man setzte sich zu Tische, während Morange triumphierend sagte, dies alles koste ihn nicht mehr als sechzehnhundert Franken jährlich. Es sei halb umsonst, sagte er, obgleich die Summe schwer auf dem Budget des Haushaltes lastete. Mathieu, der nunmehr begriff, daß man ihn hauptsächlich eingeladen hatte, um ihm die neue Wohnung zu zeigen, sah mit stiller Heiterkeit, wie glücklich diese guten Leute waren, vor ihm zu stolzieren. Selbst ohne jeden berechnenden Ehrgeiz, ohne Neid für den Luxus andrer Leute, zufrieden damit, in aller Einfachheit mit seiner Marianne und seinen Kindern zu leben, verwunderte er sich lediglich über diese von der Sucht zu scheinen und sich zu bereichern gefolterte Familie, betrachtete sie ohne Zorn, lächelnd und doch ein wenig traurig.

Valérie trug ein hübsches Kleid aus leichtem Foulard mit gelben Blumen, während ihre Tochter Reine, welche sie kokett zu kleiden liebte, in blauem Leinenkleide war. Und auch die Mahlzeit war zu reichlich: Seezungen nach den Eiern, sodann Koteletten, dann Spargel. Das Gespräch drehte sich um Janville.

»Ihre Kinder befinden sich also wohl? Es sind so reizende Kinder! – Und es gefällt Ihnen auf dem Lande. Es ist merkwürdig, ich glaube, ich würde mich da langweilen, es fehlt zu sehr an Zerstreuung. – Sicherlich werden wir uns das Vergnügen machen, Sie da zu besuchen, da Madame Froment so liebenswürdig ist, uns einzuladen.«

Aber unabwendbar geriet das Gespräch wieder auf die Beauchêne. Es war eine Manie bei den Morange; sie lebten in einer fortwährenden Bewunderung, welche nicht frei von versteckter Kritik war. Valérie, sehr stolz darauf, von Constance an ihrem Jour empfangen zu werden und von ihr zweimal zum Diner eingeladen worden zu sein, hatte sich ebenfalls einen Jour bestimmt, den Dienstag, gab intime Abendgesellschaften, ruinierte sich in kleinen Luxusausgaben. Sie sprach auch mit großer Ehrerbietung von Madame de Séguin du Hordel, von dem prächtigen Palais in der Avenue d'Antin, wohin Constance sie einmal gefälligerweise zu einem Ball hatte laden lassen. Und sie zeigte sich noch eitler auf die Freundschaft, welche ihr Sérafine, die Schwester Beauchênes, zuteil werden ließ, die sie nie anders als die Frau Baronin de Lowicz nannte.

»Sie ist einmal zu meinem Jour gekommen, sie ist so liebenswürdig und so heiter! Sie haben sie früher gekannt, nicht wahr, nach ihrer Heirat, nachdem sie sich mit ihrem Bruder wieder aussöhnte, mit dem sie sich infolge ihrer bedauerlichen Geldstreitigkeiten entzweit hatte. Das ist eine, die Madame Beauchêne nicht ins Herz geschlossen hat!«

Und sie kam wieder auf diese zu sprechen, fand, daß der kleine Maurice, so dick er war, kein gesundes Aussehen hatte, ließ durchblicken, welch schrecklicher Schlag es für die Eltern wäre, wenn sie diesen einzigen Sohn verlören. Sie hätten sehr unrecht, ihm nicht einen kleinen Bruder zu geben. Aber sie tat, als habe sie ganz im Vertrauen aus kompetentestem Munde erfahren, daß es die Frau sei, welche sich, mehr noch als der Mann, widersetze. Sie zwinkerte mit den Augen, Reines wegen, die unbefangen auf ihren Teller blickte, erzählte aber gleichwohl von einer Freundin, welche keine Kinder wolle, während der Mann deren wolle: also richte diese Freundin sich ein. »Aber,« sagte Mathieu lachend, »es scheint mir, daß auch Sie sich einrichten.«

»Oh!« rief Morange, »wie können Sie uns arme Leute mit Monsieur und Madame Beauchêne vergleichen, die so reich sind! Sie sollen mir ihr Vermögen, ihre Stellung geben, und ich bin einverstanden, ein Dutzend Kinder zu haben!«

»Und dann,« sagte Valérie mit einem leichten Schauder, »noch eine Tochter zu haben, ich danke! Ja, wenn wir sicher wären, einen Knaben zu bekommen, würden wir uns vielleicht dazu verleiten lassen. Aber ich habe zuviel Angst, ich glaube, daß ich wie meine Mutter bin, die vier Mädchen gehabt hat. Sie können sich nicht vorstellen, was das heißt, das ist ein Fluch!«

Sie schloß die Augen, sie sah den schrecklichen Haushalt wieder, die vier mageren, verschüchterten Mädchen, die monatelang auf Schuhe, Kleider, Hüte warten mußten, die sich Jahr um Jahr älter werden sahen, von der Furcht gequält, keinen Mann zu bekommen. Für Mädchen muß man eine Mitgift haben.

»Nein, nein!« sagte sie mit weiser Miene, »wir sind zu vernünftig, um unsre Lage unnötig zu erschweren. Wenn man sein Glück noch nicht gemacht hat, so ist es ein Verbrechen, sich mit Kindern zu belasten. Ich verhehle es nicht, ich bin sehr ehrgeizig für meinen Mann, ich bin überzeugt, daß er, wenn er mir folgt, zu den höchsten Posten aufsteigen wird, und der Gedanke, daß ich ihn fesseln, ihn ersticken könnte mit dem Haus voll Mädchen, welche für meinen Vater ein Stein am Halse waren, flößt mir wahres Entsetzen ein. Während ich hoffe, daß es uns möglich sein wird, unsrer Reine eine schöne Mitgift zu geben, wenn wir einmal reich sein werden.«

Morange ergriff bewegt die Hand seiner Frau und küßte sie. Er, der Schwache und Gute, empfing von ihr seinen Willen, seinen Ehrgeiz; und er liebte sie dafür um so mehr.

»Wissen Sie, mein lieber Froment, meine Frau ist ein Schatz. Sie hat Kopf und Herz.«

Und während Valérie fortfuhr, laut von ihrem Reichtum zu träumen, von der schönen Wohnung, den Empfängen, den zwei Monaten besonders, die sie am Meer verbringen würde wie die Beauchêne, betrachtete Mathieu die beiden und erging sich in Gedanken. Das war nicht mehr der Fall Moineauds, der wußte, daß er nie Minister werden würde. Vielleicht träumte Morange davon, daß seine Frau ihn eines Tages zum Minister machen würde. In einem demokratischen Gemeindewesen kann und will jeder kleine Bürger steigen, es ist ein Gedränge, jeder einzelne wird wild, stößt die andern beiseite, um schneller eine Stufe höher zu gelangen. Diese allgemeine Aufwärtsbewegung, diese Erscheinung der Kapillarität ist nur möglich in einem Lande politischer Gleichheit und ökonomischer Ungleichheit, denn das Recht an das Glück ist hier für jeden dasselbe, und man hat nur nötig, es in einem Kampfe wütenden Egoismus' zu besiegen, wenn man vor Begierde brennt, von den Genüssen der Vornehmen zu kosten, welche vor aller Augen zur Schau gestellt sind. Ein Volk kann mit einer demokratischen Konstitution nicht glücklich leben, wenn die Sitten nicht einfach und die Lebensverhältnisse nicht fast gleich sind. Sonst entsteht die Ueberfüllung der freien Berufe, die Ausbeutung der öffentlichen Aemter, die Arbeit der Hände wird verachtet, der Luxus und das Wohlleben steigern sich und werden immer mehr zur Notwendigkeit, und es entwickelt sich ein allgemeiner wahnsinniger Sturm auf Macht und Reichtum, welche die Wollust des Genusses verschaffen können, nach dem alles heißgierig verlangt. Und, wie Valerie sehr richtig sagte, man würde sich doch nicht mit Kindern behängen, man wollte die Hände frei haben in einem solchen Kriege, damit man leichter über die Leiber der andern hinwegschreiten könne.

Dann dachte Mathieu auch an jenes Gesetz der Nachahmung, welches bewirkt, daß die weniger Glücklichen sich noch ärmer machen, indem sie die Glücklichen dieser Welt kopieren. Welches Elend auf dem Grunde dieses heißbegehrten, mit so viel Opfern nachgeahmten Luxus! Alle Arten unnötiger Bedürfnisse wachsen aus dem Boden, ihre Quelle ist verdorben, vom einfach Notwendigen abgelenkt. Es ist nicht mehr richtig zu sagen, daß es ihnen an Brot fehlt, um die Misere dieser Leute auszudrücken. Was ihnen fehlt, das ist das Ueberflüssige, auf welches sie nicht verzichten können, ohne sich ruiniert zu glauben und in Gefahr, Hungers zu sterben.

Beim Dessert, als das Dienstmädchen nicht mehr da war, wurde Morange offenherzig, von der guten Mahlzeit angeregt; und seiner Frau mit den Augen zwinkernd, indem er auf den Gast deutete, sagte er:

»Mathieu ist ein verläßlicher Freund, man kann es ihm sagen?«

Und als Valérie lächelnd mit einem Kopfnicken zugestimmt hatte:

»Nun, mein lieber Freund, die Sache ist die, daß es leicht möglich ist, daß ich die Fabrik bald verlasse. Oh, es ist noch nicht abgemacht, aber ich denke daran. Ja, ich denke schon seit einiger Zeit daran; denn schließlich fünftausend Franken nach acht Jahren unermüdlicher Arbeit zu verdienen, und vor allem sich sagen zu müssen, daß man nie viel mehr haben wird, das ist um am Leben zu verzweifeln.«

»Es ist nicht menschenwürdig,« fiel die Frau ein, »es ist um gleich mit dem Kopf gegen die Mauer zu rennen.«

»Unter solchen Umständen, lieber Freund, ist es besser, sich anderwärts umzusehen, nicht wahr? Sie erinnern sich an Michaud, den jungen Mann, den ich vor sechs Jahren im Kontor unter mir gehabt habe, ein sehr intelligenter junger Mann übrigens. Es sind nun kaum sechs Jahre, daß er von uns fortging, um in die Nationalkreditbank einzutreten, und wissen Sie, was er heute verdient? Zwölftausend Franken, verstehen Sie wohl, zwölftausend Franken!«

Die Ziffer klang wie ein Trompetenstoß. Das Ehepaar riß vor Erregung die Augen weit auf, und selbst das Kind wurde sehr rot.

»Diesen März bin ich Michaud begegnet, der mir dies alles erzählte und sich sehr liebenswürdig zeigte. Er bot mir seine Hilfe an, um mich auch in die Bank zu bringen und mir vorwärts zu helfen. Aber es ist ein Risiko dabei, ich müßte mich vorerst mit dreitausendsechshundert begnügen, um dann allmählich zu einem sehr hohen Gehalte aufzusteigen. Dreitausendsechshundert! Wie sollen wir unterdessen mit dreitausendsechshundert auskommen, um so mehr jetzt, da diese Wohnung unsre Ausgaben vermehrt?«

Valérie ergriff das Wort in leidenschaftlicher Weise.

»Wer nichts wagt, gewinnt nichts! Das wiederhole ich meinem Mann immer. Ich bin selbstverständlich auch für die Vorsicht, ich würde ihn niemals etwas tun lassen, was seine Zukunft gefährden könnte. Aber er kann doch schließlich nicht auf einem Posten verkommen, der seiner nicht würdig ist.«

»Sie sind also entschlossen?« fragte Mathieu.

»Mein Gott,« erwiderte Morange, »meine Frau hat alle Berechnungen gemacht, und wir sind entschlossen, ja, wenn nichts Unvorhergesehenes eintritt. Im übrigen wird eine Stelle in der Bank nicht vor Oktober frei. Nicht wahr, lieber Freund, Sie bewahren vollkommene Verschwiegenheit, denn wir wollen uns gegenwärtig nicht mit den Beauchêne verfeinden.«

Er sah auf die Uhr, mit der Gewissenhaftigkeit des guten Angestellten bestrebt, nicht zu spät ins Bureau zu kommen, wohin er um halb zwei Uhr zurückgekehrt sein sollte. Und man drängte das Dienstmädchen, daß der Kaffee aufgetragen werde, man trank ihn ganz heiß, als ein Besuch ihn und seine Frau aus dem Gleichgewicht brachte und ihn alles vergessen ließ.

»Oh!« rief Valerie, sich rasch erhebend, ganz rosig vor Stolz, »die Frau Baronin de Lowicz!«

Sérafine, jetzt neunundzwanzig Jahre alt, war eine große, schöne, elegante Frau mit rotem Haar und einer üppigen Brust, die ganz Paris kannte. Auf ihren roten Lippen lag ein triumphierendes Lächeln, und in ihren großen, braunen, goldflimmernden Augen brannte eine unauslöschliche Flamme der Begierde.

»Ich bitte Sie sehr, sich nicht stören zu lassen, meine lieben Freunde. Ihr Mädchen wollte mich durchaus in den Salon führen, aber ich habe darauf bestanden, hierher zu kommen, weil es ein wenig eilt. Ich komme, Ihre süße Reine abholen, um sie zu einer Matinee in den Zirkus zu führen.«

Ein neuer Ausbruch des Entzückens folgte. Das Kind war sprachlos vor Freude, während die Mutter sich in begeisterten Worten des Dankes erschöpfte.

»Oh, Frau Baronin, Sie überhäufen uns mit Liebenswürdigkeit, Sie verwöhnen sie, unsre Kleine! Sie ist nicht angekleidet, und Sie werden sich der Unannehmlichkeit unterziehen müssen, einen Augenblick zu warten. – Also komm schnell, ich helfe dir. Zehn Minuten, Frau Baronin, nur zehn Minuten!«

Allein geblieben mit den zwei Männern, ging Sérafine, die eine Bewegung der Ueberraschung gemacht hatte, als sie Mathieu sah, auf diesen zu und streckte ihm als altem Freund herzlich die Hand entgegen.

»Wie geht es Ihnen?« »Danke, recht gut.«

Als sie sich neben ihn setzte, machte er eine unwillkürliche Bewegung, wie um seinen Sessel wegzurücken, und sah nichts weniger als erfreut von der Begegnung aus.

Er hatte sie seinerzeit intim gekannt, als er in das Haus Beauchêne eingetreten war. Eine zügellose, perverse Genußsüchtige, ohne Gewissen und ohne Moral, kühn und furchtlos, nur nach Befriedigung ihrer Gelüste strebend. So stand sie inmitten der dröhnenden Tätigkeit der Fabrik, Tochter eines Vaters, der ein Held der Arbeit war, neben Alexandre, ihrem Bruder, einem rücksichtslosen Egoisten, und später Mariannen, ihrer Cousine, einem guten Geschöpfe voll Gesundheit und Vernunft. Von Kindheit auf war sie den schlimmsten Instinkten gefolgt. Man erzählte, daß sie sich mit fünfzehn Jahren einem Unbekannten hingegeben hatte. Dann kam die Geschichte ihrer Heirat mit dem Baron de Lowicz, ihrer Flucht mit diesem Glücksritter von der Schönheit eines Adonis. Ein Jahr später gebar sie ein totes Kind, eine Fehlgeburt, sagte man. Gierig nach Genüssen, im höchsten Grade geldgeizig, hatte sie, da sie anders ihren Vater nicht beerben konnte, sich von ihrem Manne getrennt, ihn davongejagt, und er war nach Berlin gegangen, um sich dort in einer Spelunke töten zu lassen. Seither genoß sie in ungehemmter Weise ihre Freiheit als junge Witwe. Sie war bei allen Vergnügungen, bei allen Festen, und man flüsterte sich ziemlich viel Geschichten über sie zu, von ihren Launen einer Nacht, ihrer schamlosen Energie, um den Mann sofort zu besitzen, der ihr gefiel, ihren Gelüsten nach freier Liebe, denen sie bis zu den tollsten Steigerungen des Genusses Genüge tat; aber da sie im ganzen doch bisher den Schein aufrechterhalten hatte und keinen ihrer Liebhaber offenkundig zur Schau stellte, wurde sie nach wie vor überall empfangen, als reiche, sehr schöne, sehr geliebte Frau.

»Sie sind auf dem Lande?« fragte sie, sich wieder an Mathieu wendend.

»Jawohl, seit einem Monat.«

»Constance hat es mir mitgeteilt. Ich habe sie neulich bei Madame Seguin getroffen. Sie wissen ja, wir sind jetzt sehr gut miteinander, seitdem ich meinem Bruder gute Ratschläge gebe.«

Ihre Schwägerin Constance verabscheute sie, und sie scherzte gerne darüber mit ihrer gewöhnlichen Unbekümmertheit, mit der sie sich offen über alles lustig machte.

»Denken Sie, wir sprachen vom Doktor Gaude. dem berühmten Chirurgen, welcher ein radikales Mittel hat, um die Frauen zu verhindern, Kinder zu bekommen. Ich glaubte schon, sie werde seine Adresse verlangen. Aber sie wagte es nicht.«

Morange fiel ein.

»Doktor Gaude, ja freilich, eine Freundin meiner Frau hat ihr von ihm erzählt. Man sagt, daß er ganz außerordentliche Operationen vollführt, wahre Wunder. Er schneidet ruhig den Leib auf, so wie man einen Kasten aufmacht; er sieht hinein, nimmt alles fort; dann schließt er wieder zu, und die Frau ist geheilt, ohne auch nur zu wissen, was ihr geschehen ist. Es ist großartig.«

Er gab noch weitere Details, erzählte von der Klinik im Spital Marboeuf, deren Vorstand Doktor Gaude war, eine Klinik, in die man lief, um Operationen machen zu sehen, aus Mode, so wie man in ein Theater geht. Der Doktor, welcher das Geld nicht verachtete, im Gegenteil seine reichen Klienten ordentlich zahlen ließ, hielt auch viel auf den Ruhm, setzte seinen Stolz darein, glänzende Erfolge mit den sehr gewagten Operationen zu erzielen, welche er an den armen Frauen seiner Klinik vornahm. Die Zeitungen sprachen fortwährend von ihm, er zeigte im vollen Lichte der Öffentlichkeit seine Operierten der niederen Stände, was die schönen Damen ermutigte, das Wagnis zu versuchen. Im übrigen Pessimist und wohlgemut, kastrierte er eine Frau, so wie man ein Kaninchen kastriert; und es erregte bei ihm nicht einmal einen Skrupel, eine Gewissensfrage: um so viel Unglückliche weniger, war das nicht um so besser?

Sérafine lachte, ihre Raubtierzähne zwischen ihren blutroten Lippen zeigend, als sie das Entsetzen und die Empörung Mathieus sah.

»Wie, mein Freund, das ist einer, der Ihrem Doktor Boutan nicht sehr ähnlich sieht, welcher, als einziges Mittel gegen alle Krankheiten, seinen Klienten empfiehlt, Kinder zu haben. Was mich wundert, ist, daß Constance diese männliche Hebamme als Arzt behält, sie, die sich jeden Morgen ängstlich befühlt, ob sie nicht schwanger sei. – Sie hat übrigens sehr recht. Pfui! Was für ein Ekel, was für eine Abscheulichkeit!« Morange lachte gefällig mit ihr, um ihr zu zeigen, wie sehr er ihre Ansichten teilte. Aber da Valérie nicht mit Reine zurückkam, wurde er ungeduldig, daß seine Frau die Frau Baronin so lange warten ließ. Und er bat um die Erlaubnis, nachzusehen, vielleicht könne er auch bei der Toilette der Kleinen helfen.

Sobald sie allein mit Mathieu war, richtete Sérafine ihre großen heißen, goldflimmernden Augen auf ihn. Sie lachte nicht mehr mit demselben Lachen, ihr dreistes Gesicht, umgeben von dem roten Schein ihrer Haare, erhellte sich mit einer Art ironischer Lüsternheit. Ein langes Schweigen folgte, als ob sie ihn hätte in Verwirrung setzen und besiegen wollen.

»Und meiner lieben Cousine Marianne geht es gut?«

»Sehr gut.«

»Und die Kinder gedeihen?«

»Vortrefflich.«

»Also sind Sie glücklich, ein braver Familienvater, in Ihrem abgeschiedenen Winkel?«

»Vollkommen glücklich.«

Sie schwieg abermals, ihn unablässig betrachtend, strahlender und herausfordernder als je: von jenem magischen Zauber, welcher die Augen glühen macht und die Herzen vergiftet. Dann sprach sie langsam wieder:

»Es ist also zu Ende mit uns beiden?«

Mit einer einfachen Gebärde sagte er, daß es ganz zu Ende sei. Es war lange her, daß es etwas zwischen ihnen gegeben hatte. Er war neunzehn Jahre alt gewesen, eben erst in die Fabrik eingetreten, als sie, die verheiratet und einundzwanzig Jahre alt war, sich ihm an einem Abend des Alleinseins plötzlich hingegeben hatte. Er, nahezu drei Jahre jünger als sie, war einer jener Überraschungen der Sinne erlegen, die ein Mann nicht überwinden kann. Einige Monate später, vor seiner Vermählung mit Marianne, hatte er dann formell mit ihr gebrochen.

»Zu Ende, ganz, ganz zu Ende?« fragte sie abermals, lachend und aggressiv.

Sie war wirklich ein herrliches Weib, unwiderstehlich durch die ihr innewohnende Kraft des Begehrens. Nie noch hatte er sie so schön, so entflammt von dem gebieterischen Verlangen augenblicklicher Besitzergreifung gesehen. Sie bot sich mit einer prächtigen Verwegenheit dar, die nichts von Niedrigkeit oder Verschämtheit an sich hatte, frei über sich verfügend, kühn einen Tauschhandel des Genusses vorschlagend, in der stolzen Sicherheit, so viel und mehr zu geben, als sie empfing. Dies allein war es, was ihr das Leben lebenswert machte. Und man hätte ihre Unverschämtheit schön und bewunderungswürdig nennen können, wäre sie nicht gemischt gewesen mit der diabolischen Lust zu verführen, mit der boshaften Laune, einen Mann einer andern Frau, einer albernen kleinen Verwandten, wegzunehmen und ihr Tränen zu erpressen.

Und als Mathieu jetzt nicht einmal durch eine Gebärde antwortete, war sie gar nicht erzürnt, behielt sie ihre Miene der unbesieglichen Messalina.

»So ist es recht, antworten Sie gar nichts, sagen Sie nicht, daß es ganz aus sei. Mit mir, mein Lieber, ist es nie ganz aus. Wenn Sie wieder wollen, verstehen Sie? Heute abend, morgen, an dem Tage, da es Ihnen belieben wird, an meine Türe zu klopfen. Es genügt, daß ich den Wunsch habe, von diesem Momente an kann mich Ihre Weigerung nicht beleidigen. Sie wissen, wo ich wohne, nicht wahr? Ich erwarte Sie.«

Eine Flamme hatte im Gesichte Mathieus aufgeschlagen. Er schloß die Augen, um Sérafine nicht mehr zu sehen, die sich gegen ihn neigte, glühend, duftend. Und auf dem dunkeln Hintergrunde seiner geschlossenen Lider sah er das Appartement wieder, das Sérafine bewohnte, in welchem er sie einmal mit Marianne besucht hatte, das ganze Erdgeschoß eines Mietshauses, das sie in der Rue de Marignan besaß. Sie hatte da eine eigne Eingangstür für sich, in diskrete Gelasse führend, die mit schweren Tapeten und dicken Teppichen ausgestattet waren, welche jedes Geräusch erstickten. Nur Mädchen bedienten sie, führten die Besucher, ohne ein Wort zu sprechen, ein und verschwanden wie Schatten. Das junge Ehepaar hatte sie hier in einem kleinen Salon ohne sichtbare Fenster getroffen, dicht und geschlossen wie eine Gruft, die zehn Kerzen der beiden Kandelaber mitten am Tage angezündet. Mathieu fühlte, nach Jahren, noch das warme und durchdringende Parfüm, das ihn mit Verlangen erfüllt hatte.

»Ich erwarte dich,« wiederholte sie flüsternd, ihre Lippen fast auf den seinen.

Und da er erbebend zurückwich, zornig-beschämt, daß er gezwungen war, die lächerliche Rolle eines Mannes zu spielen, der ein begehrenswertes Weib ausschlägt, glaubte sie, er wolle abermals »nein« sagen, und legte ihm rasch ihre schmale, lange und geschmeidige Hand auf den Mund.

»Still, da kommen sie. Und wisse, daß ich keines Gaude bedarf! Bei mir gibt es keine Kinder.«

Die Morange kamen endlich mit Reine. Ihre Mutter hatte ihr die Haare gebrannt. Sie war wirklich reizend in ihrem Kleidchen aus leichter, rosafarbener Seide mit Spitzen garniert, mit einem großen Hut aus demselben Stoffe wie das Kleid. Ihr fröhliches junges Gesichtchen, im Rahmen der schwarzen Haare, sah darunter wie eine frische Blume aus.

»Das ist ja ein Engel!« rief Sérafine, um den Eltern zu schmeicheln. »Man wird sie mir entführen.«

Sie küßte die Kleine leidenschaftlich, spielte die Bewegung der Frau, welche bedauert, nicht Mutter zu sein.

»Ja, das tut einem leid, wenn man einen solchen Schatz sieht. Wenn man sicher wüßte, daß einem Gott ein so hübsches Kind gibt, würde man sofort einwilligen. – Nun, ich entführe sie Ihnen jetzt, ich bringe sie Ihnen nicht wieder zurück!«

Die Morange lachten entzückt. Und Mathieu, der sie wohl kannte, hörte starr vor Verblüffung zu. Wie oft hatte sie, in ihrer kurzen und stürmischen Intimität, ihm mit wütendem Haß von den ekelhaften Kindern gesprochen, deren immer mögliches Kommen die Liebe terrorisiere. Sie stehen wie eine ewige Drohung vor einem, verderben und beschränken den Genuß, machen, daß man die Wollust einer Stunde mit langen Leiden, mit bleibender Belästigung bezahlen muß; und sie entziehen einen monate-, jahrelang dem Vergnügen. Ganz abgesehen davon, daß sie als Zerstörer der Frauen geboren werden, sie vor der Zeit welken und altern lassen, sie zum Gegenstand des Widerwillens für die Männer machen. Die Natur war blödsinnig, daß sie der Liebe diese Kontribution der Mutterschaft auferlegte. Besonders seitdem eine Schwangerschaft, die glücklicherweise durch eine Fehlgeburt beendigt worden war, ihr einen Vorgeschmack gegeben hatte, der sie jetzt noch schaudern machte, war sie eine erbitterte Hetäre, zum Verbrechen bereit, um sich vor dem Kinde zu schützen, das sie als schädliches Tier betrachtete, welches allein ihrer unersättlichen Sucht nach neuen und reizenderen Genüssen Schranken setzte. Sie sah den erstaunten Blick Mathieus auf sich gerichtet, der ihr geheimes Vergnügen bereitete, sie trieb die perverse Ironie so weit, ihm zu sagen:

»Nicht wahr, lieber Freund, ich habe Ihnen soeben vertraut, daß ich mich tröste, so gut ich kann, da meine Witwenschaft mich dazu verurteilt, nie mehr ein Kind zu haben.«

Und wieder fühlte er die Flamme auf seinem Gesichte, die vorhin da gebrannt hatte, indem er wohl verstand, was sie ihm sagen wollte, welche verabscheuungswürdige, unfruchtbare Wollust sie ihm versprach. Ah! Sich hingeben zu können, furchtlos, schrankenlos, zu jeder Zeit, einzig um der Wollust willen! Und sie selbst zeigte einen Augenblick den schmerzhaften Gesichtsausdruck einer auf dem Scheiterhaufen brennenden Verbrecherin, denn sie war die wilde und gequälte Gier, welche sich weigert, Leben hervorzubringen, und welche schließlich darunter schrecklich leidet.

Reine betrachtete sie in der Ekstase eines bereits koketten kleinen Mädchens, berauscht von den Schmeicheleien einer so schönen Dame. Zitternd vor befriedigter Eitelkeit warf sie sich in ihre Arme.

»O Madame, ich habe Sie sehr lieb!«

Bis auf den Treppenvorplatz begleiteten die Morange die Baronin de Lowicz, welcher Reine folgte. Und sie konnten gar nicht genug heiße Worte des Dankes finden, um auszudrücken, wie beglückt sie sich fühlten, daß all dieser von ihnen so angebetete Luxus gekommen war, um ihre Tochter abzuholen. Und als sie wieder in die Wohnung zurückgekehrt waren, rief Valerie, auf den Balkon eilend:

»Wir wollen sie fortfahren sehen.«

Morange, der gar nicht mehr an die Bureaustunde dachte, lehnte sich neben sie auf die Brüstung und lud auch Mathieu ein, mit hinabzusehen. Unten stand eine elegant bespannte Viktoria, mit einem prächtigen Kutscher unbeweglich auf dem Bocke. Dieser Anblick brachte die freudige Erregung des Ehepaares auf den Gipfelpunkt. Und als Sérafine, nachdem sie das Kind hatte einsteigen lassen, neben ihr Platz nahm, lachten sie laut auf vor Freude.

»Wie sie hübsch ist! Wie sie glücklich ist!«

Reine fühlte wohl in diesem Augenblicke, daß man sie betrachtete. Sie erhob den Kopf, lächelte, grüßte. Und Sérafine tat desgleichen, während das Pferd sich in Trab setzte und um die Ecke der Straße bog. Dann kam ein letzter Ausbruch.

»Sehen Sie nur! Sehen Sie nur!« wiederholte Valérie. »Sie ist so unverdorben. Mit zwölf Jahren hat sie noch die Unschuld eines neugeborenen Kindes. Und ich vertraue sie niemand sonst an... Wie? Sollte man nicht meinen, eine kleine Prinzessin, die immer ihren Wagen gehabt hat?«

Morange nahm wieder seinen Traum von Reichtum auf.

»Nun, ich hoffe, wenn wir sie einmal verheiraten, daß sie einen haben wird. Laß mich nur erst in der Nationalkreditbank festen Fuß gefaßt haben, dann sollen sich alle deine Wünsche erfüllen.«

Und sich an Mathieu wendend:

»Sagen Sie, lieber Freund, wäre es nicht ein Verbrechen, uns noch ein Kind aufzuladen? Wir sind ohnehin schon drei, und das Geld verdient sich so schwer... Man hat nur nötig, sich ein bißchen in acht zu nehmen. Was uns nicht hindert, uns innig zu lieben, nicht wahr, Valérie?«


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