Emile Zola
Fruchtbarkeit
Emile Zola

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2

An dem Donnerstag, wo die Froment bei den Séguin du Hordel in dem luxuriösen Palais in der Avenue d'Antin zu Mittag essen sollten, klingelte Valentine ihrer Zofe Céleste gegen zehn Uhr, um sich ankleiden zu lassen und sich sodann auf der Chaiselongue ihres kleinen Salons im ersten Stock auszustrecken. Sie hatte Marianne gebeten, zeitig zu kommen, um mit ihr plaudern zu können, sie empfand das unwiderstehliche Bedürfnis, mit einer Frau, die sich in der gleichen Lage befand, von den fürchterlichen Schrecken zu sprechen, mit denen ihre krankhafte Phantasie sich fortwährend beschäftigte.

Sie ließ sich einen Spiegel geben, betrachtete sich und schüttelte trübselig den Kopf, so sehr fand sie sich verunstaltet; ihr hübsches Blondinengesichtchen zeigte rote Flecken, ihr schlanker Körper war formlos geworden, die pfaublaue Seidenbluse, die sie trug, konnte seine Mißgestalt nicht verbergen.

»Ist der Herr zu Hause?« fragte sie.

Seit zwei Tagen hatte sie ihn nicht gesehen. Er schützte Geschäfte vor, nahm seine Mahlzeiten häufig außer Hause und vermied es, des Morgens in ihr Zimmer zu kommen, unter dem Vorwand, sie nicht stören zu wollen.

»Nein, Madame, der Herr ist gegen neun Uhr fortgegangen, und ich weiß bestimmt, daß er noch nicht zurückgekehrt ist.«

»Es ist gut. Sowie Monsieur und Madame Froment kommen, sollen sie hierher geführt werden.«

Sie ließ den Kopf matt zurücksinken und nahm ein Buch, um zu lesen.

Wie Doktor Boutan Mathieu und Marianne zu verstehen gegeben hatte, war diese unerwartete Schwangerschaft Valentinens die Ursache fortwährender Stürme im Hause der Séguin. Zuerst hatte Séguin sich in einem brutalen Wutausbruch ergangen und geschrien, daß dieses Kind nicht von ihm sein könne; er beschuldigte seine Frau geradezu, einen Geliebten zu haben; und die Eifersucht eines Kutschers, wütend und ordinär, die sich in gemeinen Worten, in drohenden Handbewegungen erging, kam bei diesem Skeptiker zum Vorschein, der die elegante Sorglosigkeit des verfeinertsten Pessimismus zur Schau trug. Es kam zu entsetzlichen Szenen. Dann hatte die verzweifelte Frau verlangt, daß Doktor Boutan als Schiedsrichter angerufen werde. Aber dieser mochte, nachdem er den Gatten beiseite ausgefragt hatte, ihm noch so eindringlich erklären, daß alle seine Vorsichtsmaßregeln recht wohl hatten ungenügend sein können, ihm zwanzig Fälle zitieren, die unter den gleichen Bedingungen zur Schwangerschaft geführt hatten – er ließ gleichwohl nicht von seinem Verdacht, schien nur einen Augenblick wankend gemacht, um seine abscheulichen Anklagen wieder aufzunehmen, sobald der Arzt sich entfernt hatte. Er wütete auch gegen diesen, ja ging so weit, ihn ihren Komplizen zu nennen. Er war besonders erbittert über die strenge Lektion, die ihm das Schicksal in bezug auf die Unterschlagungen erteilte; denn eben diese verwerflichen Praktiken waren die Quelle des ganzen Uebels, der qualvollen Situation, unter der das Ehepaar sich wand: hätte der Mann nicht unterschlagen, so säße ihm nicht, vielleicht für immer, der entsetzliche Zweifel im Herzen, daß sein Kind vielleicht nicht von ihm sei. Natürlich hatte der wackere Doktor, der in der Unterschlagung die Wurzel alles Unglücks sah, nicht verfehlt, ihm alle Konsequenzen vorzurechnen: die Entvölkerung, die Entartung der Gattung, die Befleckung und Zerstörung der Familie, das blinde Jagen des Mannes nach Geld und Vergnügen, die verderbte, zerrüttete, dem Ehebruch zutreibende Frau. Und Séguin bewahrte davon eine fortwährende, um so heftigere Gereiztheit, als derlei Ideen alles verdammten, was er bis nun geglaubt und gewollt hatte.

Indessen setzte das Ehepaar sein Leben der Vergnügungen fort; sie ließ sich ihren Zustand nicht anmerken, schnürte sich zum Ersticken, tanzte auf Bällen, trank Champagner bei feinen Soupers nach dem Theater; er verbarg seine Anfälle von Scham und Eifersucht, führte mit scheinbarer ironischer Unbekümmertheit sein gewohntes Leben weiter. Sie, die sich noch keinen Vorwurf zu machen hatte, wollte übrigens ihren Gatten behalten, mehr aus Stolz als aus Liebe; denn, wie sie manchmal zu ihm sagte, er tat alles, was er konnte, um sie dazu zu bringen, sich wirklich den Geliebten zu nehmen, den er ihr so brutal vorwarf; und wenn sie sich in der Einschnürung ihres Mieders quälte, wenn sie jeden Abend sich der Gefahr einer Fehlgeburt aussetzte, so war es, weil sie verzweifelt kämpfte, als Frau, die wußte, daß sie verlassen werden würde, im Augenblicke, da sie nicht mehr die Strahlende und Genußspendende war. Aber eines Nachts, nach der Rückkehr von einer Premiere, kam sie dem Tode nahe, und sie mußte von da ab das Zimmer hüten: es war ein völliger Zusammenbruch, es entwickelte sich eine qualvolle Schwangerschaft, die ihr nicht eine schmerzfreie Stunde mehr ließ. Von da ab wurde das Verhältnis der Gatten zueinander vollends verbittert, alles, was sie vorausgeahnt und gefürchtet hatte, erfüllte sich. Er war fortwährend in abscheulichster Laune, konnte nicht in ihrer Nähe bleiben, ohne mit ihr zu zanken. Diese kranke, verunstaltete Frau, die ihm keinen Genuß bieten konnte, war ihm unerträglich, stieß ihn ab. Er ging immer häufiger aus und nahm allmählich seine Junggesellengewohnheiten wieder an. Die Spielleidenschaft, die in ihm glimmte, flammte mit der Heftigkeit eines schlecht verlöschten Feuers wieder auf. Er schlief auswärts, verbrachte ganze Nächte im Klub. Dann wandte er sich den Weibern wieder zu, den Mädchen, die nicht die Dummheit begingen, schwanger zu werden, die schön, unterhaltend, begehrenswert blieben. Wenn man zu Hause keine erträgliche Frau mehr hat, so muß man sich eben andre an andern Orten suchen. Und wenn er nach Hause kam, verfiel er wieder in seine Eifersuchtsanfälle, fühlte sich versucht, sie zu töten, diese elende kranke Frau, deren entstellter Leib ihm ein Spott und eine Beleidigung schien.

Gegen ein viertel zwölf Uhr erschien Céleste wieder. »Mein Mann?« fragte Valentine lebhaft, ihr Buch sinken lassend.

»Nein, Madame, es sind die Herrschaften, die Sie erwarten, Monsieur und Madame Froment.« »Lassen Sie sie eintreten. Sobald der Herr nach Hause kommt, benachrichtigen Sie mich.«

Als Marianne und Mathieu eintraten, richtete sie sich auf und sagte, ihnen beide Hände entgegenstreckend, in liebenswürdigem Tone: »Sie verzeihen, nicht wahr, Madame, daß ich darauf bestanden habe, daß Sie sich die Mühe nehmen, zu mir zu kommen; aber, wie Sie sehen, ist es mir nicht möglich, zu Ihnen zu kommen, und unser guter Doktor Boutan sagte mir, wie kräftig und tapfer Sie sind. Wie liebenswürdig von Ihnen, daß Sie meine Einladung angenommen haben! Ich empfand ein so lebhaftes Verlangen, Sie zu sehen, ein wenig mit Ihnen zu plaudern! Bitte, setzen Sie sich in diesen Fauteuil, da ganz nahe zu mir.«

Mathieu betrachtete sie, erstaunt, sie so gelb und herabgekommen zu finden, die er zuletzt so entzückend in ihrer blonden Schönheit gesehen hatte; während sie selbst ängstlich Marianne ansah, frappiert von ihrem ruhigen und kräftigen Aussehen, von dem lächelnden Glanze, den ihre großen Augen bewahrt hatten.

»Ich bin es, die Ihnen für Ihre Einladung dankt,« erwiderte diese entgegenkommend. »Die Bewegung tut mir sehr gut, ich habe zu meinem Vergnügen sogar zu Fuß kommen können. Oh, wenn Sie wollten, so würden Sie herumgehen können wie ich, man muß nur Mut haben.«

Es entwickelte sich nun ein intimes Gespräch zwischen den beiden Frauen, während Mathieu das Buch öffnete, das aus einem kleinen Tischchen lag, und tat, als ob er gar nicht auf das hörte, was sie sagten, um sie von jedem Zwang zu befreien. Die beiden hatten sich bisher nur selten gesehen und besaßen nichts Gemeinsames, weder in ihren Gedanken noch in ihren Gewohnheiten; aber die Ähnlichkeit ihres augenblicklichen Zustandes brachte sie einander nahe. Und besonders Valentine empfand ein gieriges Verlangen, zu wissen, sich unterrichten, sich beruhigen zu lassen. Sie sprach zuerst von Doktor Boutan, wollte wieder hören, daß er nie eine seiner Patientinnen verliere, daß es keinen Geburtshelfer gebe, der eine sanftere und geschicktere Hand habe. Marianne erwiderte, etwas erstaunt, daß sie ihn ja kennen müsse, da sie sich ja schon zweimal unter seinen Händen befunden habe. Ja, das sei richtig, aber es beruhige sie, seine Verdienste von einer andern bestätigen zu hören. Und sie erging sich in Fragen ohne Ende, kam immer wieder auf jede Einzelheit zurück, wollte, daß Marianne ihr erkläre, was sie fühle, wo die Schmerzen seien, welcher Art sie seien, was sie esse, wie sie schlafe, kurz alle ihre Empfindungen und Gedanken, alle Umstände ihrer glücklichen Schwangerschaft. Und als Marianne, kraftvoll und lächelnd, sich gutherzig zur Befriedigung dieser Neugierde hergab, um sie zu zerstreuen und aufzurichten, ihr ruhig von ihren Hoffnungen sprach, daß alles gut ablaufen, daß es wieder ein Knabe sein werde, brach Valentine plötzlich in heftiges Schluchzen aus.

»Oh, ich werde daran sterben, ich werde sterben, ich weiß es gewiß!«

Diese Gewißheit ihres baldigen Todes verfolgte sie, ohne daß sie es wagte, sie gegen alle auszusprechen. In der Zerrüttung ihrer Nerven, in der Einsamkeit, in der ihr Gatte sie ließ, bereitete dieser Gedanke ihr unaufhörliche Folterqualen, sie sah stets den schwarzen Abgrund vor sich, in welchen dieses unselige Kind, nachdem es ihre Ehe zerstört, sie stürzen würde.

»Was fällt Ihnen ein!« rief Marianne heiter. »Wer wird denn daran sterben! Wissen Sie, was man sagt? Daß die Frauen, die sich mit solchen Gedanken quälen, dann die schönste Niederkunft haben, die es geben kann.«

Mathieu, der über diese fromme Lüge lächeln mußte, bestätigte sie vollständig, was die arme Verzweifelte ein wenig aufrichtete, die vor jedem Luftzug ängstlich zitterte, nach sanften Worten gierig lechzte, stets die feste, bedingungslose, wenn auch täuschende Versicherung haben wollte, daß alles gut ausgehen werde. Sie blieb gleichwohl traurig, als Céleste wieder eintrat, und ohne zu warten, auf die stumme Frage in den Augen ihrer Herrin antwortete: »Nein, Madame, es ist noch immer nicht der Herr. Es ist die Frau aus meiner Heimat, von der ich Ihnen gesagt habe, Sophie Couteau, die Couteau, wie man sie dort in Rougemont nennt, die sich damit befaßt, Ammen nach Paris zu bringen.«

Bei diesen Worten beruhigte sich Valentine, die bereits im Begriffe gewesen war, die Zofe, empört über die Störung, mit harten Worten hinauszusenden. »Nun, und?« »Nun, Madame, sie ist da. Wie ich bereits sagte, wenn Sie sich entschließen würden, ihr schon jetzt den Auftrag zu geben, so könnte sie Ihnen eine sehr gute aussuchen und sie Ihnen dann rechtzeitig hereinsenden.«

Die Couteau, die hinter der halboffen gebliebenen Tür gewartet hatte, nahm sich die Freiheit, einzutreten, ohne abzuwarten, daß man sie dazu auffordere. Sie war eine kleine, magere, klug aussehende Frau von bäuerischem Ansehen, aber durch ihre häufigen Reisen nach Paris schon sehr abgeschliffen. Ihr längliches Gesicht, ihre aufgeweckten Augen, ihre spitze Nase waren nicht unangenehm, von einer Art liebenswürdiger Gutmütigkeit, die aber durch den Mund beeinträchtigt wurde, dessen dünne Lippen Schlauheit und Geldgier verrieten. Und ein dunkelwollenes Kleid, ein schwarzer Mantelkragen, schwarze Halbhandschuhe, eine schwarze Haube mit gelben Bändern gaben ihr das ehrbare Aussehen einer Bäuerin im Sonntagsstaat, die zur Kirche geht.

»Sie sind Amme gewesen?« fragte Valentine, sie prüfend betrachtend. »Ja, Madame; oh, es sind schon zehn Jahre her, als ich zwanzig war. Dann habe ich mich verheiratet und habe gefunden, daß man als Amme nicht reich werden kann. So befasse ich mich lieber damit, die andern unterzubringen.«

Sie zeigte ein schwaches kluges Lächeln, welches andeutete, wie sehr dieses Verdingen als Milchkuh an die Stadtleute ihr eine Narretei scheine. Aber sie fürchtete, bereits zu viel gesagt zu haben.

»Man tut, was man kann, um den Leuten gut zu dienen, die einen bezahlen, nicht wahr, Madame? Der Arzt hatte mir gesagt, daß ich nie mehr gute Milch haben werde; und anstatt die armen Kleinen schlecht zu nähren, ziehe ich es vor, ihnen in andrer Weise nützlich zu sein.« »Sie führen also den Pariser Bureaus Ammen zu?« »Jawohl, Madame, zweimal im Monat an verschiedene Bureaus, aber besonders der Firma Broquette in der Rue Roquépine. Das ist ein sehr ehrenhaftes Haus, wo man nicht Gefahr läuft, betrogen zu werden. Also, wenn es Ihnen gefällig ist, Madame, so werde ich Ihnen die beste unter denen aussuchen, die mir zur Verfügung stehen werden, sozusagen den Rahm von der Milch. Ich verstehe mich darauf, Sie können sich auf mich verlassen.«

Da Céleste sah, daß ihre Herrin sich nicht entschließen konnte, glaubte sie eingreifen zu müssen, um zu erklären, wieso die Couteau an diesem Morgen gekommen war.

»Wenn sie in die Heimat zurückkehrt, nimmt sie fast immer einen Säugling mit, das Kind einer Amme, oder das Kind eines Ehepaares, welches nicht reich genug ist, um sich hier eine Amme halten zu können, und übergibt es dort einer Pflegemutter. Darum ist sie heute zu mir zu Besuch gekommen, ehe sie das Kleine der Madame Menoux abholt, die heute nacht entbunden worden ist.« Valentine sagte lebhaft, mit einem Ausruf der Ueberraschung: »Wie, die Krämerin ist entbunden, und Sie sagen mir nichts davon? Erzählen Sie doch, wie ist es abgelaufen?«

Diese Madame Menoux war die Frau eines ausgedienten Soldaten, eines stattlichen Mannes, der mit hundertfünfzig Franken monatlichem Gehalt als Aufseher in einem Museum angestellt war. Sie liebte ihn leidenschaftlich, und sie hatte resolut den Plan gefaßt und ausgeführt, sich einen kleinen Kramladen zu errichten, wo sie fast so viel wie er verdiente, so daß das Ehepaar beinahe im Wohlstand lebte und sehr glücklich war.

Céleste, die sich zwanzigmal hatte ausschelten lassen, weil sie immer wieder stundenlang in dem kleinen Laden im Geschwätz verweilt hatte, wurde ganz stolz, nicht ohne ein unmerkliches, spöttisches Lächeln, als sie so ausgefragt wurde. Und sie antwortete mit großer Wichtigkeit: »Alles ist vorzüglich abgelaufen, Madame. Eine ausgezeichnete Niederkunft, ein prächtiger Junge. Ich will gestehen, daß ich heute früh hinübergelaufen bin, um ihn anzusehen. Das ist ja eine sehr begreifliche Neugierde, nicht wahr?«

Und da Valentine sie mit leidenschaftlichem Interesse immer weiter ausfragte, ging sie auf die kleinsten Einzelheiten ein: »Sie war übrigens in sehr guten Händen. Ich habe ihr Madame Rouche, die Hebamme aus der Rue du Rocher, empfohlen, weil eine Freundin, der sie ihren Beistand geleistet hatte, mir alles mögliche Gute von ihr erzählt hat. Natürlich kommt sie Madame Bourdieu nicht gleich, die in der Rue Miromesnil ein so schön eingerichtetes Haus hat; aber dafür ist sie auch weniger teuer, und wenn einmal alles vorüber ist, so kommt es auf eins heraus... Bei Madame Rouche geht alles sehr schnell, abgesehen davon, daß sie sich der Sache mit großem Eifer annimmt.«

Sie verstummte plötzlich, als sie die Augen Mathieus auf sich gerichtet sah. Was sagte sie denn, daß dieser Herr sie so betrachtete? Sie geriet in Verwirrung, ließ einen verstohlenen und unruhigen Blick an sich herabgleiten. Selbst im sechsten Monat der Schwangerschaft schnürte sie sich zum Ersticken, um ihren Platz nicht zu verlieren. Schon einmal, bald nach ihrer Ankunft in Paris, hatte sie sich vergessen, sich von dem Sohne des Hauses, wo sie diente, verführen lassen, um dann von Madame Rouche, deren Spezialität dies war, von einem toten Kinde entbunden zu werden. Dieses Mal war ein Lieferant des Hauses der Vater des Kindes; aber sie wollte nichts davon wissen, wütend, daß sie wieder in die Patsche geraten war, sie, die nun schon Gewitzigte, die sich so viel vom Vergnügen ohne Folgen versprochen hatte. Und sie zeigte sich nur so wohlgemut, pries nur deshalb Madame Rouche so hoch, weil sie entschlossen war, sich von dieser wieder von einem toten Kinde entbinden zu lassen. Sie steuerte bereits auf die Bitte um einen einmonatigen Urlaub los, indem sie von ihrer armen Mutter sprach, die in Rougemont so schwer krank liege, und die sie so gerne noch einmal sehen möchte, um ihr die Augen zuzudrücken.

»Oh,« setzte sie hinzu, indem sie eine naive Miene annahm, »ich sage natürlich nur wieder, was man mir gesagt hat. Ich weiß selber nichts Sicheres darüber.«

Dieses derbe Mädchen mit dem großen Kopfe und dem herausfordernden Aussehen flößte Mathieu entschieden kein Vertrauen ein, der sie merkwürdig unterrichtet in bezug auf Hebammen fand. Er fuhr fort, sie mit einem Lächeln zu betrachten, in welchem sie deutlich las, was dieser Herr von ihr dachte.

»Aber,« fragte Marianne, »warum behält die Frau, von der Sie sprechen, nicht ihr Kind?«

Die Couteau warf einen schiefen, finsteren Blick aus ihren schwarzen Augen auf diese schwangere Dame, die, wenn sie selber schon nichts dergleichen tat, doch andre nicht hindern sollte, das Geschäft zu fördern.

»Das ist unmöglich!« rief Céleste, glücklich über die Ablenkung. »Wie soll Madame Menoux ihr Kind bei sich in ihrem Laden behalten können, der nicht größer ist als meine Tasche? Hinter dem Laden hat sie nur ein kleines Zimmerchen, wo sie essen und schlafen; und auch dieses geht nur auf einen engen Hof ohne Licht und Luft; das Kind würde da keine Woche leben. Dann hätte sie gar nicht die Zeit, sich damit zu befassen, da sie den ganzen Tag hinter ihrem Verkaufspult steht, nie ein Dienstmädchen gehabt hat, und obendrein noch das Essen für die Stunde bereiten muß, wo ihr Mann vom Museum nach Hause kommt. Ja, wenn sie könnte, wäre sie nur zu glücklich, ihr Kind behalten zu können. Sie lieben einander so, sie sind so glücklich, diese Eheleute!«

»Es ist wahr,« sagte Marianne traurig. »Es gibt arme Mütter, die ich aus ganzem Herzen bemitleide. Diese da leidet keine Not, und doch, zu welch grausamer Trennung ist sie gezwungen! Ich könnte es nicht überleben, wenn man mir mein Kind so in ein unbekanntes Land entführte um es einer andern Frau zu geben.«

Die Couteau sah darin offenbar einen persönlichen Angriff. Sie nahm die Miene der gutherzigen, gegen Kinder zärtlichen Frau an, womit sie die zögernden Mütter zu ködern pflegte.

»Oh, Rougemont ist ein sehr hübscher Ort. Und dann ist es nicht weit von Bayeux, wir leben da nicht ganz in der Wildnis. Die Luft ist dort so gesund, daß Leute dahin kommen, um zu genesen. Und was die Kleinen betrifft, die man uns anvertraut, so werden sie sehr gut gepflegt, das kann ich Ihnen versichern! Man müßte doch kein Herz haben, um sie nicht zu lieben, die kleinen Engel!«

Aber sie verstummte, als sie bemerkte, in welcher Art Mathieu, immer noch schweigend, nun sie ansah. Vielleicht fühlte sie, die unter ihrer bäuerischen Schale sehr raffiniert war, daß ihre Stimme einen falschen Klang hatte. Wozu übrigens ihre herkömmliche Lobpreisung ihres Heimatsortes, da diese Dame ja nichts andres wollte als einfach eine Amme nach der Stadt? Sie sagte also neuerdings: »Also, Madame, Sie können sich darauf verlassen, ich bringe Ihnen die beste, die ich habe, eine wahre Perle!«

Valentine, deren Gedanken bei der glücklichen Niederkunft dieser Madame Menoux verweilt zu haben schienen, ein wenig beruhigt durch das, was sie als glückliche Vorbedeutung für sich selbst ansah, fand die Kraft, ihren Willen zu betätigen.

»Nein, nein, ich will mich nicht im vorhinein binden. Ich werde die Ammen prüfen lassen, die Sie dem Bureau senden, und ich werde sehen, ob ich darunter das finde, was ich wünsche.«

Ohne sich sodann weiter um die Frau zu kümmern, die sie mit einer Handbewegung verabschiedete, nahm sie ihr Gespräch mit Marianne wieder auf.

»Sie werden auch dieses Kind selbst stillen?« »Gewiß, so wie die andern. Sie wissen, daß wir, mein Mann und ich, hierüber unsre eignen Ansichten haben. Es würde uns nicht mehr das unsre scheinen, wenn wir es einer Amme überließen, es vollends lebensfähig zu machen.« »Freilich, ich verstehe Sie. Ach ja, wenn ich könnte! Aber ich kann nicht, es ist unmöglich!«

Die Couteau war unbeweglich stehengeblieben, geärgert über den fruchtlosen Weg, den sie gemacht hatte, den Entgang des Geschenkes bedauernd, welches man ihr für ihre Dienste gegeben hätte. Sie legte ihren ganzen Groll in den schiefen Blick, den sie abermals auf diese schwangere Dame schoß, welche selber stillte: Saubere Leute, die da, das sah man wohl, Habenichtse, die nicht einmal so viel besaßen, um sich eine Amme gönnen zu können. Auf einen Blick, den ihr Céleste zuwarf, grüßte sie jedoch unterwürfig und verschwand mit der Zofe.

Fast unmittelbar darauf trat Séguin ein, sehr elegant wie immer, von draußen den Duft der Freuden mitbringend, die er in seinem Hause nicht mehr fand.

»Ich bitte um Verzeihung, ich glaube, ich habe auf mich warten lassen. Ich hatte so viel zu besorgen, Besuche zu machen, die sich nicht aufschieben ließen. Madame, Sie sehen blühend aus. Erfreut, Ihnen die Hand drücken zu können, mein lieber Monsieur Froment.«

Er vergaß seine Frau, die er seit vorgestern nicht aufgesucht hatte. Erst nach einigen Sekunden bemerkte er den vorwurfsvollen Blick, mit dem sie ihn verfolgte, und näherte sich ihr. Er beugte sich über sie und berührte ihre Haare mit den Lippen.

»Hast du gut geschlafen?« »Ja, sehr gut, ich danke dir.«

Sie war auf dem Punkte, wieder in Weinen auszubrechen, in eine jener nervösen Verzweiflungskrisen zu verfallen, deren sie sich nicht erwehren konnte. Aber es gelang ihr, sich vor den Gästen zu beherrschen. Der Haushofmeister kündigte übrigens in diesem Augenblicke an, daß »für Madame aufgetragen sei«.

Mit kleinen Schritten, sich auf den Arm Mariannens stützend, erreichte Valentine den Tisch, der in einer Ecke des großen Arbeitszimmers gedeckt war, dessen mächtige Spiegelscheibe die Mitte der Fassade in der Avenue d'Antin einnahm. Sie hatte sich mit schmerzlichem Lächeln bei Mathieu entschuldigt, daß sie seinen Arm nicht nehmen könne, und die beiden Herren gebeten, vorauszugehen und sie und Marianne sich nach ihrem Gefallen einrichten zu lassen. Der Tisch war so angeordnet, daß die beiden Frauen bequem und ungehindert sitzen konnten.

Da sie nur vier Gedecke bemerkte, konnte sich Marianne nicht enthalten, eine Frage zu stellen, die ihr schon eine Zeitlang auf den Lippen geschwebt hatte: »Ihre Kinder habe ich noch gar nicht gesehen. Sie sind doch hoffentlich nicht krank?« »O nein, Gott sei Dank!« erwiderte Valentine. »Das fehlte nur noch. Am Morgen kommt ihre Lehrerin, und sie arbeiten bis Mittag.«

Hierauf wagte Mathieu, der mit Marianne einen Blick getauscht hatte, seinerseits zu fragen: »Sie lassen sie also nicht mit uns essen?« »Ah nein, das nicht!« rief Séguin in zornigem Tone. »Es ist genug, daß wir sie zu ertragen haben, wenn wir allein sind. Es gibt nichts Unausstehlicheres als Kinder, wenn man Gäste hat. Und Sie können sich nicht vorstellen, wie schlecht erzogen unsre Kinder sind.«

Ein Schweigen trat ein, und eine leichte Kälte entstand, während der Haushofmeister Eier mit Trüffeln herumreichte.

»Sie werden sie später sehen,« sagte Valentine dann sanft. »Ich werde sie zum Dessert kommen lassen.«

Die Mahlzeit war, trotz des Charakters enger Intimität, die ihr die Gegenwart dieser beiden schwangeren Frauen gab, sehr reich und sehr gewählt. Nach den Eiern gab es gebratene Meerbarben, ein Ragout von Schnepfen und Krebsen. Als Wein reichte man die ganze Zeit über leichten, gekühlten Champagner, weißen und roten Bordeaux.

Auf die Bemerkung, daß dies eine Diät sei, die Doktor Boutan schwerlich billigen würde, zuckte Séguin die Achseln.

»Bah, der Doktor verschmäht selber einen guten Bissen nicht. Er ist übrigens unausstehlich mit seinen Theorien. Wer kann wirklich wissen, was guttut oder nicht?«

Er zeigte bereits nicht mehr das lächelnde Gesicht, das er von draußen mitgebracht hatte. Als ob alle Widerwärtigkeiten seines durch die unerwartete Schwangerschaft seiner Frau zerstörten Hauses ihm immer wieder neu zu Bewußtsein kämen, sowie er wieder den Fuß darein setzte, konnte er nicht eine Stunde zu Hause sein, ohne bitter, reizbar, fast roh zu werden. Unter seiner tadellosen Eleganz kam sein krankhafter, verderblicher und zersetzender Geist, das Brutale und Grausame in ihm, um so schneller zum Vorschein, als er von der fortwährenden Gereiztheit über sein aus der Bahn gebrachtes, zerfahrenes Leben beherrscht war. Wenn er die Nächte am Spieltisch verbrachte, wenn er zu seinen Maitreffen zurückkehrte, so war dies einzig die Schuld seiner Frau, die, nach seinem rohen Ausdrucke, keine zum Gebrauch geeignete Frau mehr war. Und er war darob gegen sie erbittert, gefiel sich darin, sie zu quälen, wenn er von seinen Junggesellenausschweifungen heimkehrte, bekrittelte alles, was er sah, rief, daß alles immer ärger und ärger werde, als ob er in eine Hölle geraten wäre.

Die Mahlzeit wurde dadurch stellenweise peinlich. Zwei- oder dreimal flogen scharfe Worte zwischen ihnen hin und her, welche wie Dolchstiche verwundeten. Das um ein Nichts, wegen eines Gerichtes, das man auftrug, wegen einer Bemerkung, die gefallen war, wegen der Luft, die sie umgab. Ein unaufmerksamer Zuhörer mochte es vielleicht nicht einmal bemerken; aber die Waffe war vergiftet, Tränen stiegen in den Augen der unglücklichen Frau auf, während er boshaft lächelte, mit der von ihm angenommenen Miene des Weltmannes und Sportmannes, versetzt mit dem Liebhaber der Literatur und der Künste, der sich mit der Pose seines albernen Pessimismus brüstete und erklärte, daß die Welt das Pulver nicht wert sei, mit dem man sie in die Luft sprengen sollte. Jedoch ein zu rücksichtsloses Wort erweckte in ihr ein solche Empörung, daß er sich entschuldigen mußte, denn er fürchtete sie, wenn das Blut der Vaugelade sich in ihr aufbäumte, so daß sie ihn mit kalter Verachtung niederschmetterte und ihm zu verstehen gab, daß sie sich eines Tages rächen werde. Eine abermalige Kälte verbreitete sich über die blumengeschmückte Tafel.

Und während dann Valentine und Marianne, einem unwiderstehlichen Drange nachgebend, wieder anfingen, unter sich über ihren Zustand, über ihre Befürchtungen und Hoffnungen zu sprechen, kam Séguin auf einen andern Grund seiner verbitterten Gemütsstimmung zu reden, auf die vielen Unannehmlichkeiten, die ihm sein großer Besitz Chantebled verursache. Das Wild werde dort immer weniger zahlreich, er könne die Jagdanteile nur mehr unter Schwierigkeiten an den Mann bringen, seine Einkünfte verringerten sich von Jahr zu Jahr. Er verhehlte auch nicht, daß er froh wäre, wenn er Chantebled losschlagen könnte; aber wo einen Käufer für diese unproduktiven Wälder, für diese unfruchtbaren Ländereien, diese Sümpfe und Steinfelder finden? Mathieu hörte aufmerksam zu, denn er hatte sich während seiner weiten Streifungen im letzten Sommer für den Besitz zu interessieren angefangen.

»Glauben Sie wirklich,« sagte er, »daß man den Boden nicht kultivieren könnte? Es ist traurig, all dieses brachliegende Land zu sehen.«

»Kultivieren!« rief Séguin. »Dieses Wunder möchte ich sehen! Der Boden wird nie etwas andres tragen als Steine und Frösche.«

Man war beim Dessert, und Marianne erinnerte Valentine, daß sie ihr versprochen habe, die Kinder kommen zu lassen, indem sie sagte, sie würde sich so freuen, sie zu sehen und zu küssen, als ein Zwischenfall eintrat, der sie aufs neue davon abbrachte.

Der Haushofmeister hatte sich der Hausfrau genähert, um ihr halblaut zu sagen: »Monsieur Santerre fragt, ob Madame ihn empfangen will.«

Sie stieß einen Ruf freudiger Ueberraschung aus: »Ah, er erinnert sich unser also doch noch! Gewiß, lassen Sie ihn eintreten.«

Und als Santerre, nach kurzem Zögern, da er sah, daß man noch bei Tische saß, sich ihr genähert hatte, um ihr die Hand zu küssen, sagte sie in ihrem leidenden Tone: »Sie sind also nicht gestorben, lieber Freund? Es sind nun mehr als vierzehn Tage, daß ich Sie nicht gesehen habe. Nein, nein, entschuldigen Sie sich nicht; das ist ja nur natürlich, alle Welt verläßt mich.«

Séguin lächelte wieder ironisch, während er dem jungen Manne die Hand schüttelte, denn er nahm sich seinen Teil des Vorwurfs. Die Wahrheit war, daß Santerre, als er seinen Verführungsfeldzug plötzlich durch diese unwillkommene Schwangerschaft unterbrochen sah, es für gut befunden hatte, seine Besuche etwas seltener werden zu lassen. Gleich dem Gatten fand er wahrscheinlich Valentine wenig begehrenswert und fühlte sich in ihrer Gesellschaft unbehaglich. Er hatte also beschlossen, vorerst das Ereignis abzuwarten, indem er den entscheidenden Angriff auf später verschob. Aber die seltenen Male, da er kam, zeigte er sich deshalb nicht weniger zart und schmeichlerisch, wohl wissend, wie sehr sie, die von ihrem Gatten brutalisierte und tiefverletzte Frau, ihm dafür erkenntlich bleiben werde.

»O Madame, mir das, der ich nur aus Rücksicht für Sie so selten komme, um Sie nicht zu belästigen! Außerdem muß ich, wie sie wissen, jetzt den Proben meines Stückes beiwohnen, und meine Zeit ist daher sehr stark in Anspruch genommen.«

Dann überschüttete er sie sogleich mit überschwenglichen Komplimenten: »Sie find entzückend in dieser Bluse, die eine andre Frau entstellen würde. Jawohl, entzückend, ich halte das Wort aufrecht, und noch nie habe ich Sie so frisch aussehend gefunden!«

Séguin hörte das mit boshafter Freude, denn er nahm das alles für Spott. In seiner rohen Eifersucht hatte er natürlich nicht einen Augenblick daran gedacht, daß Santerre je der Geliebte seiner Frau gewesen sein oder werden könnte, die er ihm fast in die Arme warf, indem er einer sittenlosen Kameradie zwischen ihnen Vorschub leistete und zu einer ungezügelten Freiheit der Rede das Beispiel gab. Wenn er in seinen Anfällen sinnloser Wut ihr zuschrie, daß das Kind nicht von ihm sei, verstieg er sich sogleich bis zu den gemeinsten Verdächtigungen, beschuldigte sie, sich dem ersten besten hingegeben zu haben. Aber Santerre, der war nur der gute Freund, den er eines Tages hatte zu seiner Frau führen wollen, während sie im Bade war, um ihm zu zeigen, wie drollig sie im Wasser aussehe.

»Wie er sich über dich lustig macht,« sagte er.

Aber Valentine hatte Santerre mit einem Blicke unendlicher Erkenntlichkeit gedankt. Sie würde ihm das nicht vergessen.

Santerre hatte sich, nachdem er Mathieu die Hand gedrückt, vor Marianne verbeugt, der Valentine ihn vorstellte. Diese zweite schwangere Frau, diese beiden formlosen Frauen, die da einander gegenüber saßen, ihre Männer zur Seite, mußten wohl eine komische Wirkung bei ihm hervorbringen, denn er verbarg die Ironie seines Lächelns unter einer verdoppelten Liebenswürdigkeit, entschuldigte sich, daß er so früh komme, während man noch bei Tisch sitze. Und da Séguin ärgerlich von der Langsamkeit der Bedienung sprach, erlaubte sich seine Frau, ihm zu erwidern, daß er alles verzögert habe, indem er auf sich warten ließ. Um ein kleines hätte es wieder Zank gegeben.

Der Kaffee und die Liköre wurden auf einem andern Tische des großen Raumes gereicht, nachdem der Haushofmeister den Eßtisch rasch abgedeckt hatte. Valentine streckte sich abermals mit ihrer leidenden Miene auf die Felle eines Diwans, indem sie ihre Gäste bat, sich selbst zu bedienen, da sie ihrer Hausfrauenpflicht nicht nachkommen könne. Marianne bot sich jedoch sogleich als Stellvertreterin an, und machte mit fröhlicher Liebenswürdigkeit die Wirtin, glücklich, wie sie sagte, daß sie ein wenig stehen könne. Nach dem Kaffee goß sie Kognak in die Gläschen, und die Herren erhielten die Erlaubnis, zu rauchen.

»Ah, mein Lieber,« sagte Santerre plötzlich, sich an Séguin wendend, »Sie können sich nicht vorstellen, welch schönen Operationen ich dieser Tage in der Klinik des Doktors Gaude beigewohnt habe.«

Aber er wurde durch einen neuen Besuch unterbrochen. Die Baronin de Lowicz ließ anfragen, wie sich Madame befinde. Und als sie gebeten wurde, heraufzukommen, lief sie auf Valentine zu, umarmte sie und rief: »Ich wollte Sie nicht stören, meine Liebe. Aber ich bin doch sehr erfreut, daß ich Sie sehen kann, und versichere Ihnen, daß ich Sie aus ganzem Herzen beklage.«

Sie fand sich übrigens, wie sie hinzufügte, unter lauter guten Bekannten, und teilte an alle Anwesenden Händedrücke aus. Es schien Mathieu, als sei der, den sie ihm gab, besonders bedeutungsvoll, ein fester und kurzer Druck, begleitet von dem spöttischen Lächeln, mit dem sie ihn verfolgte, seitdem er sie zurückgewiesen hatte. Und unverkennbar drückte auch ihr Gesicht die geringschätzige Ironie aus, die schon die Züge Santerres überflogen hatte, sobald sie einen raschen Blick auf die beiden schwangeren Frauen geworfen hatte, die da in traulicher Gemeinschaft beisammen saßen. Der Anblick schien sie ungemein zu erheitern, während sie sich, in ihrer ganzen herausfordernden Schönheit aufrichtete, mit ihrer schlanken Taille, ihrem großen, schmiegsamen und üppigen Körper. Nie hatte sie ein Leben ungebundeneren Genusses geführt, ohne sich um etwas andres zu kümmern, als die bestempfangene, die umworbenste Frau von Paris zu sein.

Sie beglückwünschte Marianne, ihre Cousine: »Nun also, meine Liebe, Sie müssen sich ja glücklich fühlen; Sie haben nun beinahe fünf, und werden bald an das sechste denken können. – Nein, nein, ich versichere Ihnen, ich spotte nicht. Ich finde es ganz begreiflich, daß man, wenn man die Kinder liebt, auf das Dutzend lossteuert.«

»Zwölf Kinder,« sagte Marianne mit ihrem ruhigen Lächeln, das ist mein Ziel, das ist die Zahl, die ich mir vorgesetzt habe.«

»Großer Gott!« ächzte Valerine. »Ich schwöre, daß ich nie mehr eins haben werde, wenn ich an diesem nicht sterbe!«

Séguin, der fortfuhr, spöttisch zu lächeln, wollte das von Santerre angeschlagene Thema wieder aufnehmen, das durch die Ankunft der Baronin unterbrochen worden war.

»Sie sagten, daß sie auf der Klinik des Doktor Gaude interessanten Operationen beigewohnt haben?«

Aber die Baronin fiel wieder mit großer Lebhaftigkeit ein.

»Doktor Gaude! Sie kennen ihn? Oh, bitte, Monsieur, erzählen Sie mir von ihm! Ich höre überall, daß das ein Wundermann sein soll.«

Der Schriftsteller lächelte wohlgefällig. »Ein Wundermann, das ist das Wort. Ich bedurfte einiger Notizen für eine Studie, und habe sieben oder acht Operationen beiwohnen können. Im übrigen wissen sie wohl, daß sie sehr besucht sind, man geht dahin wie in ein Theater, ich habe das ganze Paris der Premieren da getroffen, selbst auch einige Damen. – Also dieser Gaude nimmt eine Frau, zwei Frauen, drei Frauen vor, und mit einer außerordentlichen Virtuosität, mit einer Bravour, die man sich versucht fühlt, zu applaudieren, nimmt er ihnen alles, aber auch alles, im Handumdrehen, ohne daß es ihnen irgend etwas schadet, wie er sagt. Es ist verblüffend.«

Das Gesicht Sérafinens hatte sich vor Bewunderung gerötet; und sich an Valentine wendend, die ebenfalls gierig zugehört hatte: »Wie, meine Liebe, das macht einem Lust, es auch zu versuchen, um nie mehr in die Lage zu kommen, in der Sie sich befinden! Ein Zauberer, so hat man ihn mir gegenüber genannt. Und hübsch auch, wie es heißt, immer gesund und guter Laune. Das ist ein Mann!«

»Aber,« fragte Mathieu, der erbebt war, »die Frauen, die er operiert, sind doch krank?«

»Ohne Zweifel,« erwiderte Santerre, dessen ironische Heiterkeit durch diese Frage vermehrt wurde. »Wenigstens sagt er es.«

Bis nun hatte sich Séguin damit begnügt, sein leichtes, höhnisches Lächeln zu verstärken, indem er mit dem Schriftsteller verständnisvolle Blicke tauschte. Ihr literarischer Nihilismus, ihr Ideal einer raschen Vertilgung der Menschheit wurde von Doktor Gaude in glücklichster Weise in die Tat umgesetzt. Und er konnte es sich nicht versagen, dieses spießbürgerliche junge Ehepaar in starres Erstaunen zu versetzen durch die Betonung seiner Theorie der Verneinung, die ihm von eleganter und überlegener Grausamkeit schien.

»Ah, krank oder nicht, er soll sie nur alle unter das Messer nehmen. Um so schneller ist es dann zu Ende!«

Nur Sérafine lachte. Marianne war von dem Ausspruch entsetzt. Voll Angst und Abscheu betrachtete sie besonders Santerre, dessen letzten Roman sie sich erinnerte gelesen zu haben: eine Liebesgeschichte, die ihr albern und wahnwitzig geschienen hatte, zu solch ausgeklügelten und abgeschmackten Erfindungen verstieg sich darin der Haß gegen das Kind. Tod dem Kinde, das war also der Wahlspruch dieser glücklichen Welt, die von egoistischer Genußsucht und hinaufgeschraubter Unvernunft verdreht war. Mit einem Blick teilte sie Mathieu ihren Ueberdruß mit, ihren Wunsch, langsam an seinem Arm über die sonnenbeschienenen Kais nach Hause zurückzukehren. Auch er litt in diesem prächtigen, von feinstem Luxus erfüllten Raume unter solchem Wahnwitz, inmitten so außerordentlichen Reichtums. War das der Preis einer überspitzten Zivilisation, diese kraftlose Wut gegen das Leben, die nur mehr den einen Gedanken hat, es zu zerstören? Er glaubte zu ersticken gleich seiner Frau, und er gab ihr ein Zeichen, zu gehen.

»Wie, Sie gehen schon?« rief Valentine. »Ich wage es nicht, Sie zurückzuhalten, wenn Sie sich ermüdet fühlen.«

Und da Marianne sie bat, die Kinder für sie zu küssen, rief sie: »Richtig, Sie haben Sie gar nicht gesehen! Nein, nein, warten Sie, ich will, daß Sie sie selbst küssen.«

Aber als Céleste auf den Ruf der Klingel erschien, sagte sie, daß Monsieur Gaston und Mademoiselle Lucie mit der Erzieherin ausgegangen seien. Darauf folgte ein neuer Sturm, Séguin fragte wütend, seit wann sich die Erzieherin erlaube, die Kinder so mit fortzunehmen, ohne etwas zu sagen? Wenn man also die Kinder da haben wolle, um sie zu umarmen, so könne man sie nicht einmal haben? Sie gehörten der Dienerschaft an, es sei die Dienerschaft die das Haus regiere. Valentine weinte.

»Mein Gott!« rief Marianne, als sie draußen froh am Arme ihres Mannes aufatmete. »Mein Gott, sie sind alle verrückt in diesem Hause!«

»Ja,« erwiderte Mathieu, »sie sind verrückt, und vor allem sind sie unglücklich.«


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