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Es schneite noch einmal! Schon war es gewesen, als sollte Frühling werden. Sonne und Föhn hatten mit emsigen Besen den Winterwirrwarr von den Lehnen geräumt, und auf einmal kam der graue Machthaber zurück. Im Nordwind brauste sein Lachen, die Nebelverhänge riß er über den Himmel, und über Berge und Matten und Dorf warf er die weißen, lastenden Schneedecken.
Als es zu schneien aufhörte, begann ein sonderbares Leben in den Lüften ob dem Isengrund; die Nebel wanderten, lautlos, langsam, wie ineinander quellende Rauchschwaden. Jetzt stand ein schwarzer Felsturm inmitten der schwebenden Schleier, düster, dräuend wie ein gewappneter Riese im Qualm der Schlacht. Dann kam es aufs neue gefahren, langsam und weiß und erstickend, langte mit Armen an ihm hinauf und griff mit Armen ihm über die breite Brust und löschte ihn aus, als ob er nie gewesen wäre. Eine Schneezinne leuchtete, fahl, hoch über den Schwaden. Auch die versank. Es war eine langsame Unruhe ob dem Isengrund, ein Kriegen und Siegen, und weil es so still war, war es so groß.
Auf einmal fuhr blitzend und strahlend eine goldene Lanze in die Wolken. Nun glänzte der Fels, wenn er aus den Nebeln tauchte, und die Schneezinne glühte, und wo vor dem Himmel ein Schleier zerriß, funkelte das Blau. Die Sonne kam.
Die Sonne war schon auf den Gassen von Isengrund mächtig, als, fast aus allen Hütten strömend, das Volk im Feiertagsgewand vor dem »Löwen« sich sammelte. Der Neuschnee schmolz; denen, die aus den Straßen daherkamen, hing er wässerig und in großen Klumpen am schweren Schuhwerk, und wo sie gegangen waren, war ein brauner, kotiger Schuhabdruck zu sehen, lag die Straße bar.
Die Schar am »Löwen« stand da, als gelte es ein Begräbnis, kein lautes Wort ging unter ihr. Die vom Rat hatten sich auf einen Klumpen versammelt, sie unterhielten sich in abgebrochenen Sätzen; anderorts tuschelten ein paar Weiber. Der Pfarrherr stand allein dort, wo die Straße dorfauswärts bog, und stocherte mit dem schweren Schirm im Schnee. Zuweilen fuhren ein paar Köpfe nach der Richtung hin, wo der Rothornweg in die Hauptgasse einmündete.
»Kommt sie noch nicht?« murmelte ein Bauer.
»Sie kommt lange nicht,« ließ sich ein andrer vernehmen, stopfte die Hände fester in die Hosentaschen und wiegte die schwere Gestalt in langsamer Ungeduld hin und her.
Da bog die Clari-Marie um die Ecke am Rothornweg. Bewegung kam in die Schar. Der Pfarrer setzte den Schirm ein und hob an, dorfaus zu schreiten. Die vom Rat machten sich auf. Langsam wendete sich ein Mann nach dem andern, ein Weib ums andre. In Knäueln und einzeln, eine lange Linie zogen sie dorfaus. Die Männer trugen die rauhen Filzhüte, dunkle Kopftücher die Weiber. Die Clari-Marie schritt anfänglich unter den letzten, sie sprach mit keinem groß, ein »Tag« nahm sie ein, ein »Tag« gab sie aus, je nachdem sie an einen oder eine kam, die sie noch nicht gesehen hatte. Und unwillkürlich ließen alle sie vorbeigehen, so daß immer mehr von der Schar hinter ihr zurückfielen, als gehöre sie an die Spitze. Der kleine Haufe derer vom Rat, die mit dem Pfarrer ganz vorn gingen, nahm sie zuletzt auf. Unter denen schritt sie wegabwärts, breit, mit fast plumpem und doch mühelosem Gang. Es war ein seltsames Bild, wie die einzelne Frau inmitten der Männer schritt. Sie umgaben sie wie eine Wache; keiner dachte daran, in einer besonderen Ordnung zu gehen, aber jeder wollte hören, was die Clari-Marie sagte, und in einzelnen kurzen Sätzen ging im Abwärtsschreiten eine Unterhaltung zwischen ihr und ihnen. Sie trug ihr schwarzes Gewand, am Arm hing ihr das schwarze gestrickte Tuch. Der Scheitel war frei, und das Haar schien silberig in der Sonne; über die Clari-Marie kam allgemach ein Schnee, den kein Föhn mehr vertreibt. Der breite Rücken wölbte sich mehr denn früher, es zog etwas den Oberkörper leise vornüber. Aber jetzt, während sie Wort für Wort kurz, scharf herausstieß, wenn sie dem und jenem Bescheid gab, fuhr ihr Kopf manchmal in die Höhe, dann leuchtete die gelbweiße Stirn und der Blick der grauen Augen blinkte.
Langsam, mit hängenden Köpfen zogen sie wegab, das Gewicht des Körpers ruckweise von einem Bein aufs andre werfend. Dasselbe zähtrotzige Schreiten wie immer! Der Schnee spritzte auf, wo sie die ungelenken Füße hinstellten.
An der Lände unten lagen große Nauen. Die Schiffsleute traten aus dem Wirtshaus, als die vom Isengrund ankamen. »Wohl, wohl, heute erleidet's die Fahrt,« meinte einer.
»Gerade eine Arbeit, das ganze Volk hinüber zu bringen,« murrte ein andrer.
Dann traten sie an die Ruder, je zwei für jeden Nauen. Und wieder traf es sich, daß die vom Rat und die am meisten galten im Isengrund mit der Clari-Marie im Nauen standen, so daß sie das einzige Weib unter den Männern blieb. Sie achtete nicht darauf, setzte sich und sprach, während sie abfuhren und die einstündige Fahrt hindurch wenig mehr, als die Männer mit Fragen ihr abzwangen. Am Seedorfer Ufer stiegen sie aus, gingen ins Dorf und fanden zwei Leiterwagen an einem der Wirtshäuser schon eingespannt warten. Die vom Rat hatten gesorgt, daß die Fahrt zum Gericht nichts unterbrach. Auf den Wagen fuhren sie Altstadt zu. Die Wagen schlugen und holperten; es rüttelte die Bauern, und keiner sah just vornehm aus; aber als sie in Altstadt durch die Hauptstraße nach dem Gerichtsgebäude fuhren, hingen doch viele Blicke an dem schweren, ungelenken Weibe, das inmitten der Männer saß. »Das ist die vom Isengrund,« zischelte es in den Straßen, »die, die so viel weiß, die Clari-Marie.«
Das Gerichtsgebäude stand auf einem freien Platz, ein alter, fester Bau; seit Jahrhunderten entschieden sie darinnen über Recht und Unrecht. Als die vom Isengrund das düstere Haus zu Gesicht bekamen, ging eine Bewegung durch die ganze Schar. Es mochte sein, daß einer und der andre ein »Jetzt sind wir da« sagte, doch war es wieder, als spräche keiner und ginge es nur wie ein Aechzen von einem zum andern. Sie kletterten langsam und unbeholfen von den Wagen, zögerten, schnitten verlegene, fast ängstliche Gesichter und schauten die große offene Tür an. Nur die Clari-Marie, als sie ihr vom Wagen geholfen hatten, sah sich nicht um, wartete nicht, sondern ging durch die Tür hinein. Ihr zur Seite hielt sich der Jakob Jacki, der Führer, der Aufrechte, der nicht menschenscheu war wie die andern. Er wandte das knochige Gesicht mit den scharfen blauen Augen nach den andern um. »Nun – kommt,« winkte er, da schnauften einer und der andre und Männer und Weiber drückten sich gemächlich, schwerfällig durch die Tür.
Eine Weile später saßen sie im kahlen Zeugenzimmer, auf den Bänken, die längs den Wänden liefen. Von dort wurden sie einzeln, manchmal zu mehreren in den Gerichtssaal gerufen. Dieser Saal hatte mit dunkel gebeiztem Täfelwerk verkleidete Wände. Durch große Fenster leuchtete die Sonne hell, die über dem Isengrund aufgegangen war, als die Dörfler dort weggezogen. Aber zu beiden Seiten jedes Fensters hingen schwere grüne Vorhänge herab, die die Helle dämpften; so war ein trübes Licht im Saale, und weil die Richter und Geschworenen, die hinter in Hufeisenform stehenden Tischen saßen, kaum je untereinander halblaut ein paar Worte wechselten, nur einer von ihnen auf einmal sprach, bedrängte den Eintretenden eine lastende Feierlichkeit, die sich einte mit dem gedämpften Licht und eine trübe, schwere Stimmung erzeugte.
Auf einer Bank, einen Landjäger zur Rechten, einen zur Linken, saßen der Furrer vom Rottal und sein Weib, karg, arm, mit hageren und bleichen Gesichtern wie immer. Die Bäuerin hatte schmale Lippen und einen gehässigen Zug um den Mund; der Bauer schoß Blitze aus den scheuen, tiefliegenden Augen.
Einer der Beamten ging hinüber ins Zeugenzimmer und sah sich hochnäsig um. »Seid ihr alle da?« fragte er und tat, als zählte er.
Die vom Isengrund hockten, als ob sie keine Mäuler hätten.
»Habt ihr euch nach Unterkunft umgesehen?« fragte der Beamte wieder und im selben halb verächtlichen Ton, »vor vier Tagen sind die Verhandlungen nicht zu Ende.«
Wieder hockten sie alle still. Nur Jakob Jacki sah den Altstädter mit einem Blick an, der diesen sonderbar unsicher machte. »Wir werden schon unterkommen, wenn's nötig ist,« sagte jener.
»Kaib,« knurrte ein junger Bauer, als der Beamte sich entfernte. Dann sahen sie einander an. Vier Tage? »Gott verflucht,« schimpfte einer. Der Fluch sprang von Mund zu Mund.
Da kam ein Waibel und rief die Clari-Marie auf, – die zuerst! Sie legte ihr Tuch weg und legte die Arme übereinander; in der einen Bewegung lag eine sonderbare Kraft, es war wie ein Sichwappnen; die schwere, plumpe Gestalt war wie aus einem Guß.
Die vom Isengrund saßen von da an Stunden und Stunden auf ihren Bänken. Die Clari-Marie kam nicht zurück. Sie behielten sie den ganzen Nachmittag im Saal, sie allein. Endlich, als es Abend wurde, kam sie heraus, neben ihr ging ein schwarzgekleideter Mann. »Ein Fürsprecher,« erklärte der Jakob Jacki den Dörflern, die sich unter die Tür des Zeugenzimmers drängten.
Jetzt sahen sie, wie drüben der Rottalbauer und sein Weib weggeführt wurden. Die Verhandlungen wurden abgebrochen. »Wir können gehen,« sagte Jacki.
Sie machten sich langsam über die Treppe hinunter, alle Augenblicke sah sich einer nach der Clari-Marie um, die mit dem Fürsprecher noch immer oben in dem langen Flur stand. Die Richter und Geschworenen traten aus dem Saal. Auch sie betrachteten die Truttmannin. Hie und da warf einer dem andern ein Wort hin. In ihren Blicken war etwas wie Staunen. »Das ist eine wie Stein,« sagte ein grauhaariger Mann von ihr.
Der Präsident des Gerichts trat zu ihr und mischte sich in die Unterhaltung, die sie mit dem Fürsprecher führte.
»Ihr seid immer im Isengrund gewesen, Frau?« fragte er sie und rückte den Hut dabei, als ob er zu einer Stadtdame rede.
»Immer,« gab sie zurück. Was weiter gesprochen wurde, verstanden die Bauern nicht. Aber am Abend, als die Clari-Marie nicht zur Stelle war, erzählten sie sich: Von den Waibeln hätten sie es, wie sie geredet hätte, die Clari-Marie! Nicht wie ein Advokat, dem das Maul läuft wie geschmiert! Wort für Wort nur, wie abgehackt, aber Wort für Wort wie ein Block, daß was sie sagte, jedem sichtbar und fest und deutlich war, und was sie sagte, schwer und gewichtig war, wie nur Wahrheit ist! Augen und Ohren hätten sie aufgetan, die Herren vom Gericht!
Am nächsten Tage nahmen die Verhandlungen ihren Fortgang und dauerten diesen und zwei weitere, wie denen im Isengrund vorausgesagt worden war. Sie wurden alle aufgerufen. Keiner wußte nachher viel Neues. Der Werner Jacki, des Bergführers Bub, nur kam mit hochrotem Gesicht ins Zeugenzimmer gelaufen. »Wenn das nicht ein Lügner ist, der Furrer,« erzählte er erregt, »kein Gewehr, sagt er aus, hat er in seinem Leben besessen. Und ich bin ihm selber begegnet im Rotwald, daß er ein Gewehr in der Hand gehabt hat!«
Die Gesichter der Bauern belebten sich. »Ist es wahr, weißt es sicher, daß er ein Gewehr getragen hat?« fragte einer den Werner.
»Einen Eid will ich tun,« sagte der. Dann sann er einen Augenblick nach, und brach plötzlich los: »Jetzt glaube ich dann selber, der weiß etwas von dem Mord!«
Da hob die Clari-Marie das Gesicht. Sie hatte sich mit einem vom Rat unterhalten, mit dem sie zusammen in einer Ecke des Zimmers saß. »Besinn dich, was du redest, Bub,« sagte sie halblaut, sah sich unter den Gemeindegenossen um und fuhr mit derselben stillen und doch scharfen Stimme fort: »Ich meine, bei uns oben ist noch mancher, der den Gerichtsherren da unten nicht gern erzählt, daß er ein Gewehr hat, mit dem er heimlich an den Bannbergen auf Gemsen geht.«
Einige nickten kurz und heimlich Beifall; mit dem einen Wort hatte die Clari-Marie einen Verdacht gegen den Furrer, der in ihnen hatte aufsteigen wollen, erschlagen. Nur der Werner, der heißblütig war und ein loses Maul hatte, brachte die eigne Zunge nicht zur Ruhe; jedem, der hören wollte, erzählte er: »Spaßig ist es beim Eid, warum er kein Gewehr haben will, der Furrer, wenn er eines hat.«
Am letzten Tage, kurz bevor die Geschworenen zum Urteilsspruch sich zurückzogen, wurde noch der alte Rapp-Töni vorgefordert, ein schneeweißes Männlein, der die Last der Jahre auf krummem Rücken trug, aus entzündeten Augen schaute und ängstlich und verlegen vor den hohen Herren im Saale stand. Sie fragten ihn, und er stand Rede, aber er hörte schwer und sprach allerlei krauses Zeug, weil er die Fragen nicht recht verstand. Da hießen sie ihn abtreten. Er hörte aber auch nicht, daß er entlassen sei, drehte vielmehr den Filz in der Hand, der fast so alt und schäbig war wie er selber, wiegte den Kopf hin und her und sagte: »Ja losed, Herren, mag es nun sein, daß dem Scharfegghüttler ein Leid angetan worden ist, nützen tut es nichts, daß ihr da noch lange sitzt, auskommen würde es doch nie, wer es gewesen ist.«
Die vom Gericht horchten nur noch halb hin. Einer fragte aber doch den Alten, was er damit sagen wolle.
»Was er damit sagen wolle,« schrie dem Schwerhörigen ein Waibel ins Ohr.
Da wackelte der Töni wieder mit dem Kopf und tuschelte. »Ja – ja – ihr mögt es glauben oder nicht, Herren –, er hat auf der Brust gelegen, der Wipfli, wie sie ihn gefunden haben, das Gesicht der Erde zugedreht und der Hut war ihm unter die Brust gelegt. Das haben die Alten schon immer gewußt, daß der Mörder nie entdeckt wird, wenn sie einen Erschlagenen so finden.«
Die vom Gericht lachten heimlich über den Alten, der Präsident ließ ihn abführen. Dann ließen sie die Clari-Marie noch einmal rufen, nur auf kurze Zeit. Sie kam aus dem Saale und zu den andern hinüber mit einem Gesicht, das fast starr war; sie hatte auch weiße Lippen; es war das erstemal, daß die vom Isengrund die Frau wie in Angst sahen. »Jetzt gehen sie beraten, die Geschwornen,« sagte sie mit gepreßter Stimme.
Dann saßen die Isengrunder eine Stunde lang und länger. Keiner sprach ein Wort; es war, als hinge ein Gewitter über allen. Im ganzen Gerichtshaus war dieselbe dumpfe Stille, die nur dann und wann der kurze, hallende Laut von Schritten brach, wenn jemand über die Steinfliesen der Korridore ging. Endlich, als es im Zeugenzimmer schon dämmerte, ging drüben im Gerichtssaal ein Geräusch und begann dort ein Leben, wie es alle die Zeit nicht gewesen war. Eine kurze Weile verging. Dann öffnete sich die Tür und der Furrer und sein Weib traten zuerst heraus, frei, die Landjäger schritten ihnen nicht mehr zu seiten.
Die Bauern und ihre Weiber im Zeugenzimmer standen unter der Tür. Zuvorderst hatte die Clari-Marie ihren Platz, und der Pfarrherr hatte sich neben sie gedrängt.
Der Furrer sah sie alle an mit einem stechenden Blick, er stand bolzgerade und trug den Kopf hoch. »So –« sagte er, »jetzt ist es gegangen, wie es hat gehen müssen.«
Der Trini, der Furrerin, liefen die Tränen über die hageren Backen herab.
Da wußten die andern, daß sie freigesprochen waren. Eine Bewegung ging durch die Reihen. Die Clari-Marie trat zum Furrer und reichte ihm die Hand. »Gott sei Dank, Schwager,« sagte sie. Auch die Hand der Schwester nahm sie; die flennte stärker dabei. Dann kamen die Isengrunder näher und wünschten den Furrerischen Glück. Der Werner Jacki allein drückte sich beiseite, murmelte etwas und war der erste, der nachher den Ausgang aus dem Gerichtsgebäude suchte.
Die Bauern blieben nicht am Ort, obgleich es bald nachtete. Mit dem Furrer und seinem Weibe inmitten machten sie sich auf den Heimweg. Nur Jaun, der Doktor, der nicht mit ihnen gekommen und alle die Tage her im Saal neben den Richtern gesessen hatte, stieg auch erst nachfolgenden Tags wieder zum Isengrund hinauf.
Die Schar der Heimkehrenden kam auf die Isengrunder Höhe, als es tiefe Nacht war. Es war ein schweigsamer Zug, sie waren müde, und irgendwie kam die Freude nicht auf, die sonst wohl eine ganze Dorfbevölkerung faßt, wenn ein Unschuldiger freigesprochen wird. Die Clari-Marie ging jetzt an der Spitze der Schar. Der Furrer und sein Weib und der Pfarrherr kamen nur wenig hinter ihr. Am Himmel standen die Sterne, wenige nur, weite schwarzblaue Tiefen lagen zwischen ihnen, von den südlichen Bergen herüber strich ein kühler Föhn.
Jetzt stand die Kirche da, ein großer Schatten, in dem plötzlich ein Lichtpunkt glühte; durch die Fenster schien das Ewige Licht-Flämmlein den Heimkehrenden entgegen. Schweigend zogen sie ihren Weg. Schweigend wandte sich die Clari-Marie an der Kirche vom Weg ab und der Gotteshaustüre zu. Just so, wortlos und als wäre es lange verabredet gewesen, folgten ihr alle. Nur der junge, starke Mensch, der Werner, mit seinem mädchenglatten Gesicht und seinem in die Nacht leuchtenden Blondhaar, verhielt den Schritt. »Geht Ihr auch, Vater?« fragte er den Jacki, der unter den letzten sich nach der Kirche gewendet hatte.
»Komm,« sagte dieser, mit einer Bewegung des Kopfes winkend. Dann verschwand auch er in der Türe. Der Junge aber drehte sich ab. »Beim Eid nicht,« murmelte er in sich hinein und ging dem Dorfe zu.
Jakob Jacki hatte sich in der Kirche hinten an der Tür aufgestellt. Die eifrigen Isengrunder lagen vorn in den Bänken in den Knien. Der Pfarrherr aber mit der Clari-Marie und der Furrerin kniete dicht vor dem Altar. Der Pfarrer betete vor, das Ave Maria und den englischen Gruß, einmal, zweimal, immer wieder – laut – leiernd. Nur die Stimme der Clari-Marie hallte metallen und in feierlichem Ernst. Der Jacki stand hinten an der Tür und hatte die Arme verschränkt. Was war ihn angekommen, den Bub, den Werner? Was kam ihn selber an, daß er hinten an der Tür blieb und um keinen Preis mit den andern das Knie gebogen hätte? Irgendwie schien ihm etwas nicht recht, irgendwie erzürnte er sich heimlich über das Beten und den Pfarrherrn und die Clari-Marie, über alles, was die letzten Tage gegangen war – und – über den Freispruch derer vom Rottal.
Der schwere, knochige, gerade Mensch stand; die blauen Augen leuchteten zornig unter den eckigen Brauen, plötzlich wiegte er den Kopf, drehte sich um und ging hinaus seinem Buben nach.