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Am nächsten Tage ging die Cille Ziegler nicht nach St. Felix. Am frühen Morgen stand die Clari-Marie an der Kammertür des Töni und pochte: »Steh auf, du, du mußt den Pfarrer holen. Mit der Mutter ist es nicht recht.«
»Ja, sogleich,« antwortete es von innen. Dann pochte die Clari-Marie bei der Cille an. Die war schon auf, tat die Türe auf und knöpfte noch an der grauen Jacke.
»Du kannst nicht fort; mit der Mutter ist es nicht recht,« sagte die Clari-Marie.
»Was ist denn?« fragte die Cille.
»Es könnte etwas geben,« gab die andre zurück, und sie standen einen Augenblick voreinander und sahen einander an, und jede wußte, daß die andre in der vergangenen Nacht nicht geschlafen hatte. Sie waren einander auch sonderbar ähnlich, während sie sich mit den dunkeln, scharfen Augen aus den bleichen Gesichtern maßen, und auch das mochte ihnen auffallen; nur war die breite, untersetzte Gestalt der Clari-Marie vor der langen, zähen andern wie ein Steinblock neben einer Tanne; von dieser ist nicht zu sagen, ob sie nicht inwendig morsch und schwach ist, jener aber steht, und die Wetter haben ihm wenig an.
Die Clari-Marie ging hinunter und verschwand wieder in der Kammer, wo die Alten lagen. Die Cille folgte ihr bald, und dann war an dem Morgen ein Aus und Ein in jener Tür; der Pfarrer kam mit dem heiligen Oel, der Sigrist mit dem Rauchfaß ging neben ihm, und nachher kam die Pfarrmagd, die Viktorine gelaufen, nach der Mutter zu sehen. Eine Weile war die Kammer voll Murmelns, aus dem die klare Stimme der Clari-Marie sieghaft hervorbrach. »Vater unser« und »Gegrüßt seist du, Maria, Mutter Gottes!« Der Töni, der Gesell, stand Hut in Hand unter der Tür der Kammer, die nur angelehnt war, und murmelte mit, und der Hansi und die Severina kamen, drängten sich neben den Alten und steckten die Köpfe hinein; dann hoben auch sie zu beten an. Nach einer Weile trat der Pfarrherr heraus, die Cille geleitete ihn. »So müsset ihr es halt hinnehmen,« sagte er mit salbungsvollem Seufzer, tat als wischte er eine wirkliche Träne aus den wässerigen Augen und streichelte der Cille die Hand, die diese ihm reichte, streichelte sie mit rührsamer Teilnahme, bis das hagere Mädchen in der Tür stehen blieb und die weiche, samthafte Hand von ihrer harten abglitt.
Die Stuben waren voll betäubenden Weihrauchduftes, als der Pfarrer und der Sigrist hinausgegangen waren. Die Cille ging hin und riß ein paar Fenster auf; dabei war ihr, als müßte sie mit dem alle Sinne einschläfernden Duft noch etwas hinauslassen, was süßlich roch, des Hochwürdigen Mitleid und Trostbereitschaft! Aus der Nebenkammer klang noch immer das Beten der Clari-Marie. Hansi und die Severina knieten jetzt bei ihr am Bett der Großmutter, nebenan aber schlief der Chrisostomus so fest, daß er weder des Pfarrers gewahr geworden, noch durch das Murmeln gestört wurde. Er schlief viel in der letzten Zeit, der Chrisostomus.
Der Töni war nach der Werkstatt an die Arbeit gegangen.
Nach einer Weile brach das Beten ab. Die Clari-Marie kam in die Wohnstube, rief nach der Cille: »Mach mir jetzt Wasser, heißes,« dann heizte sie den Ofen, obwohl es schon scharf an den Maimonat ging, richtete aus Decken und Kissen ein Lager darauf und trug den Chrisostomus heraus, der, eben erst erwacht, mit erstaunten Blicken um sich sah. Ihn bettete sie auf dem Ofen zurecht.
»Er braucht nicht zu wissen, daß es mit ihr nicht geht wie sonst, mit der Mutter,« raunte sie der Cille zu und fügte hinzu: »Aber – es ist mir – am Ende überhaut sie es wieder, die Mutter.«
Den ganzen Tag war sie dann um die Alten beschäftigt. Am Abend kam der Hansi von der Arbeit heim. Er war der Schule entwachsen, arbeitete die eine Hälfte der Woche in seines Vaters Dienst, die andre, weil dem Rottalbauern das Lohngeld seines Buben lieb war, in fremdem Taglohn und wohnte noch im Zieglerhaus, einmal weil es bequemer lag als die Hütte auf der Rotfluh, zum zweiten weil die Clari-Marie an ihm hing, obgleich sie sich wenig davon merken ließ, zum dritten, weil seine Alten auf der Rotfluh herausgefunden, daß sie zu zweien billiger hausten, als wenn die Kinder mit ihnen am Tische saßen.
»Was macht sie, die Großmutter?« fragte der Hansi. Er trug einen Korb voll Streumoos am Rücken und stellte ihn ab, dabei strafften sich die Sehnen seiner Arme, der Körper bog sich geschmeidig und voll junger Stärke, seine voller gewordenen Wangen färbten sich kaum ob der Anstrengung.
»Gut geht es,« gab ihm die Clari-Marie Antwort und blieb bei ihm stehen. Ihr Blick haftete an seiner Gestalt, die in die Breite wuchs. Der Hansi kniete und hantierte am Tragband seines Korbes. Die Clari-Marie strich mit der festen Hand über sein dichtes Haar, aus dessen dunkler gewordenem Braun noch immer die weiße Strähne leuchtete. »Nicht einmal heiß hast,« sagte sie und ging von ihm; sie ließ sich nicht merken, daß die Lust sie befallen hatte, des Hansi Kopf zwischen die Hände zu nehmen und zu sagen: »Jesses, was bist du für einer geworden, Bub, wie ein Baum einer! Und der Jaun, der noch älter war als du, ist unter dem Korb zusammengefallen!«
Sie faltete die Stirn, als ihr der Jaun zu Sinn kam, der Groll kam wieder über sie. Eine Stunde später, als sie in der Wohnstube mit den andern zusammen war, sagte sie aus diesem Groll heraus zur Cille: »Morgen kannst gehen, du.«
»So meinst, es gibt nichts mit der Mutter?« fragte diese zurück.
»Es gibt nichts, sie ist wieder wie sonst,« antwortete die Clari-Marie.
Am Morgen fiel Regen. In Faden, langgezogen, als klebte Tropfen an Tropfen fest, strich es aus tief hangenden, grauen Wolken nieder. Die Straße, die aus dem Dorfe lief, glänzte vor Nässe, da und dort lag noch schmutzig und hart eine Schneekruste; auf den Matten war mehr Schnee, aber das Grüne brach durch und schimmerte dunkel und saftig zwischen den trübweißen Stellen. Die Cille, die den Weg nach St. Felix antrat, stand in der Haustür der Zieglerhütte, hatte einen weiten, alten, schlichten Mantel um und spannte den Schirm auf, der schwer war und für ein kleines Volk gelangt hätte. Die Clari-Marie trat zu ihr. »Schön ist es nicht,« sagte sie trocken.
»Ade,« sagte die Cille und trat in den Regen hinaus.
Langsam, vornübergebeugt, den Schirm auf die Achsel gestützt, ging sie davon, ihre schweren Schritte klatschten auf dem nassen Weg.
Der Regen fiel an diesem Tag unablässig; wenn die Clari-Marie aus dem Fenster blickte, sah sie es wie Schleier zwischen Himmel und Erde hängen, und das Grau war tief und endlos, kein Berg war sichtbar. Die schlanke Severina verließ das Haus und ging zur Lehrschwester, bei der sie, aus der Alltagsschule entlassen, noch Unterricht genoß; auch der Hansi ging bald nach ihr weg und nach der Rottalhütte hinauf. Die Stille des Hauses bedrängte die Clari-Marie; eine Last fiel ihr aufs Herz, es war ihr, als müßte sie tief, tief atmen, damit ihr leichter werde. Sie ging dann zu den Alten hinein; beide lagen still und schliefen. Da verlangte sie nach einer geregelten Arbeit, und sie tat in der Küche, wo sonst die Cille waltete, was da zu tun war. Die Stubentür stand offen, zuweilen horchte sie hinein und dann fiel ihr ein: nachmittags darf sie nicht mehr fort, die Severina! Nicht einmal jemand zum Fortschicken hast, wenn es irgend etwas gibt! Sie arbeitete weiter. Der Regen schlug ans Küchenfenster, gleichmäßig, tipp, tipp, und dann rann es in Bächen über das Glas. Plötzlich war ihr, als hörte sie ein Husten aus der Kammer der Alten, sie achtete kaum darauf, aber einen Augenblick später ging sie, unruhig geworden, doch hinein. Als sie an die Kammertür kam, tat sie zwei große Schritte. »Nun, was ist denn, Vater?« sagte sie.
Der Ziegler kniete aufrecht in seinem Bett, hielt sich an der Wand zu dessen Häupten und sah mit weitaufgerissenen Augen nach dem Bett seines Weibes hinüber. Er trug noch das Tuch um die Brust geschlungen, das ihm die Clari-Marie immer umlegte; es war verschoben und am Halse stand das rauhe Leinenhemd weit offen. Die Augen, die sonst halb eingetrocknet in den Höhlen lagen, quollen hervor. Die Lippen bewegten sich und stammelten verworrenes Zeug: »Was – was ist jetzt – he, Anni, Anni, he!« Zwischenhinein hüstelte er manchmal.
Die Clari-Marie schob ihn in die Kissen zurück: »Was ist denn, Vater?« wiederholte sie, aber gleichzeitig blickte sie nach dem Bett der Mutter und sah ein fahles kleines Gesicht, zwei gebrochene Augen: »Jesus!« entfuhr es ihr.
»Gelt, sie ist tot?« sagte der Chrisostomus, ganz klar und dann wieder weinerlicher: »Gelt, sie ist tot, die Anni, die arme?« Dann fing er zu flennen an, kindisch, der alte Leib hatte nicht mehr Kraft für große Wallungen. »Gelt, sie ist tot?« schluchzte er und: »gelt, jetzt ist sie doch noch vor mir, gelt?« So kam es in kleinen Ausbrüchen wie Wellen auf müdem Wasser aus ihm heraus.
Die Clari-Marie trat zwischen ihn und die Tote. »Vater unser,« begann sie und drückte der Alten die Lider über die Augen. »Kommet, Vater, wir wollen beten,« sagte sie dann, hob ihn mit starken Armen aus den Kissen und stützte ihn und hielt ihn unwillkürlich fest gegen sich, so daß seine Runzelstirn sich an ihre klare, glatte lehnte; zu reden war nicht viel, aber das sollte ihm wohltun, daß sie ihn ihre Nähe fühlen ließ.
»Gelt, gelt – jetzt ist sie tot,« stammelte er. Und dann – »Jesses,« schrie er ein wenig auf, die Augen wurden wieder groß, mit den Händen fuhr er in die Brust, dann sank er nach vorne ein.
»Vater,« mahnte die Clari-Marie und noch einmal hastiger, schon mit etwas wie Erkenntnis in der Stimme: »Vater!« Der Körper des Alten hing kraft- und leblos in ihren Armen. Es überlief sie kalt, sie ließ ihn in die Kissen zurückgleiten, riß ihm das Hemd an der Brust auf und horchte. Das Herz schlug nicht. Da blickte sie in das Gesicht des Chrisostomus, strich auch ihm die Lider über die Augen, sah von ihm nach dem andern Bett hinüber und schüttelte den Kopf, als begriffe sie nicht. Dann ging sie in die Wohnstube hinaus; sie wußte nicht warum, noch was sie wollte, langsam ging sie an der einen Wandseite hinaus und an der andern hinunter und wieder in die Nebenkammer zurück. Dabei empfand sie nichts als die Totenstille, die im Haus war, und ein Gefühl, als sei jenes ganz leer für immer und sie allein übriggeblieben. Sie nahm eine Stabelle, schob sie zwischen die zwei Betten und setzte sich, den einen Arm legte sie auf dieses Bett, den andern aufs andre, ganz ruhig, als ob sie sagen wollte: »So, Vater, Mutter, kommt, gebt mir die Hand.« Dann saß sie lange, den schweren, breiten Oberkörper vorgeneigt, mit sinnendem Blick auf den Boden starrend. Das Licht in der Stube war düster, die Umrisse ihrer schwarz gekleideten Gestalt flossen mit dem Dunkel, das zwischen den zwei Bettstellen lag, zusammen, aber ihr festes, gelbbleiches Gesicht mit den scheinenden Augen und den Hautsäcken darunter leuchtete aus dem Dämmer. Eintönig spritzte der Regen an die Fenster, in der Stube selbst war eine fröstelige Kühle. Die Gedanken der Clari-Marie, die anfangs wirr gewesen, wie ein Strom brodelnd und gestaut von dem einen Empfinden: Mein Gott, jetzt bist ganz allein! wurden allmählich still, klar fließend, in Wellen zog es daher, und als die Clari-Marie inne ward, daß es gleichsam wie Bilder an ihrer Seele vorüberzog, war es ihr eignes Leben.
Das war ganz richtig: Viele waren schon aus diesem Leben hinausgegangen, drei ältere Brüder zuerst; den einen, den ältesten, hatte der Branntwein und das böse Leben früh vorweg genommen, den zweiten fällte die Tanne im Fallen, die seine eigne Axt umgeschlagen, der dritte, der jüngste, war schwächlich gewesen von Kind an. Sie, die Clari-Marie, hatte ihn noch gepflegt, als sie selber heranwuchs; er war der erste, von dem sie im Isengrund gesagt hatten: Wenn die Clari-Marie nicht gewesen wäre, wäre er viel früher gestorben! Damals – unversehens – war ihr Ruhm aufgewachsen, wie sie selber und die Schwestern erwuchsen. Starke Mädchen sind sie, die Zieglerischen, und rechtschaffene, hieß es im Dorf. Sie suchten die Viktorine auf, als der neue Pfarrer ins Dorf kam vor vielen Jahren und ließen ihr keine Ruhe, bis sie die Magdstelle bei ihm annahm. Und so ließen sie bei ihr, der Clari-Marie, nicht nach, bis sie zusagte und das Hebammenamt übernahm. »Eine aus dem Dorf muß hinunter in die Stadt und den Kurs mitmachen, und du bist dafür, Clari-Marie«, mit derlei Reden fingen sie an und mit allerlei Versprechungen hörten sie auf. End' aller Enden, auf alles Zureden hin nahm sie das Amt an, das sie sich schwer dachte und das doch noch schwerer war. Sie war damals schon über die ersten Jungfernjahre hinaus. Fünfundzwanzig war sie alt, als sie aus St. Felix zurückkam und ihr Amt antrat. Ein Jahr später kam der Truttmann, der Schreiner, ins Dorf, groß, schwarzbärtig, ein stattlicher Mensch, schien ruhig und recht und mietete die Werkstatt, die neben des Vaters Haus stand. Gleich nach den ersten Wochen hieß es im Dorf: Jetzt wird er wohl eines von den Zieglermädchen nehmen, der Schreiner. Was hätte er da eine von den jüngern nehmen sollen, wenn sie, die Clari-Marie, noch unversorgt war. Sie hatte sich nicht groß um die Mannsleute gekümmert, aber den Truttmann, als er ihr schönzutun begann, sah sie nicht mit Widerwillen an. Er arbeitete fleißig und hatte eine überlegene Art, die er sich im Talland geholt haben mochte. Zweimal, an Sonntagen, hatte ihr geschienen, er habe einen sonderbar weinroten Kopf und glänzende Augen, aber als er sie ums Heiraten fragte, war der Gedanke Meister in ihr: »Auswahl hast nicht im Isengrund, Clari-Marie! Warum sollst ein altes Mädchen werden, wenn du es anders richten kannst!« Damit nahm sie den Truttmann ohne viel Bedenken. Das Aufgebot erging, zwei Wochen später gab der Pfarrherr sie zusammen. Es war nicht viel geändert durch die Heirat – nur, daß der Truttmann mit im Hause wohnte und sie, die Clari-Marie, die sich mit Arbeit nicht genug tun konnte, anfing, in der Werkstatt mitzuhelfen, wie ein Gesell. Ein paar Wochen ging das gut und schön; die gemeinsame Arbeit und das Vorwärtskommen, das sich auftat, war, was ihr zusagte. Da kam sie dahinter, daß der Truttmann öfters neben die Arbeit ging. Im »Löwen« hockte er und spielte; bald spielte und trank er halbe Nächte hindurch. Sie war keine zum Nachgeben. Es gab harte Worte; als er mit Worten nicht Meister wurde, wollte der Truttmann die Fäuste reden lassen. Aber er kam an die Unrechte. Ein halbes Jahr lang war ein Streiten im Haus, ein Aneinanderaufstehen, daß der Vater und die Mutter, die zwei kleinen, ängstlichen Leute, verschüchtert beiseite standen. Dann half ihr, der Clari-Marie, ein böser Kampfgenosse, der Branntwein. Sie dachte die Scheidung zu erzwingen, der Branntwein schied sie gleich so, daß kein Gericht mehr zu sprechen brauchte. Aber vorher kam das Unglück mit der Cille und daß die, still, brav und verschlossen, wie sie immer gewesen war, an einem jungen, glutäugigen Welschen, der eine Zeitlang im Dorf gewesen und nachher auf und davon ging, verunglücken mußte. Als es offenbar wurde, war denen in der Zieglerhütte, als müßte der Himmel einstürzen und sie alle begraben; auf die Cille hätten sie alle geschworen. Vater und Mutter verloren sich selber, sie warfen sich über den Tisch und flennten; zu helfen und zu raten wußten sie nicht. Der Truttmann fluchte und lachte abwechselnd. Die Cille flennte nicht, die war bleich und hatte verfallene Züge, wie ein Schatten schlich sie umher. Eines frühen Morgens schlich sie dorfaus, den Blick und die Gedanken hatte sie auf den See in der Tiefe gerichtet. Sie, die Clari-Marie, folgte ihr und brachte sie zurück. »Heim kommst, jawohl, es wird der Sünde wohl genug sein,« sagte sie dann zu ihr. Sie empfand, daß sie seit jenem Tage Macht über die Schwester hatte; die Cille war ihr folgsam, als sei sie noch ein Kind und sie die Mutter. Ja, und dann fand sie, die Clari-Marie, einen Ausweg: Vor den Leuten sollte das Kind, das kommen wollte, als das ihrige gelten! Sie sprach mit dem Truttmann unter vier Augen; in seiner knurrigen Art, die er angenommen hatte, seit sie ihm über war, schien er auf ihren Vorschlag einzugehen. Als das Kind da war, brüllte er es im Rausch im »Löwen« aus:
»Uns soll das Wurm gehören, mir und der Clari-Marie! Hahaha, wißt ihr's, wie das ist? Die Heimliche, die Scheinheilige, die den Herrgott noch getragen hat an der letzten Prozession, die Cille, hat das angestellt!«
Seit dem Tag konnte sie, die Clari-Marie, den Namen ihres Mannes nicht mehr hören; von da an war ihr kein Mensch so zuwider wie der, der die Schwester, Vater und Mutter, sie und sich selber verunehrt hatte. Ein Vierteljahr später war der Branntwein Meister, und traf den Truttmann der Schlag.
Wieder einer weniger im Zieglerhaus! Ein Jahr darauf nahm die Trine den Furrer vom Rottal zum Mann; da blieben die vier zurück, von denen heute abermals zwei abfielen, Vater, Mutter, die Cille und sie, die Clari-Marie! Jetzt – –
Draußen ging die Haustüre, die Clari-Marie hob unwillkürlich den Kopf, der ihr schwer war, halb nach außen lauschend, halb noch ganz von dem erfüllt, was in ihr war, blickte sie ins Leere. Da kam leise, zaghaft die Severina über die Dielen der Wohnstube; die Kammertür ging auf.
»Base Clari-Marie, jesses, sitzet Ihr da? Es ist so still im Haus, fast zum Erschrecken!« sagte sie, streckte erst das schmale, bleiche Gesichtlein herein, und schwang dann die biegsame Gestalt nach in die Stube. Die Clari-Marie fuhr zusammen. Dann stand sie mit einem Ruck vom Stuhl auf, schritt, in ihrem Wesen die schweigende, schwerfällige Kraft, mit der sie immer an alles Schwere ging, zur Severina hinüber und schob sie aus der Türe.
»Du mußt zum Pfarrer laufen,« sagte sie halblaut, »er soll läuten lassen.«
»Ist die Großmutter tot?« fragte die Severina und hatte furchtsame Augen.
»Beide, der Großvater auch!« sagte die Clari-Marie.
»Beide!« stieß das Mädchen heraus, fast hätte sie aufgeschrien vor Schrecken.
Die Clari-Marie nickte nur, ungeduldig. »Der Viktorine sagst, daß sie gleich kommt,« trug sie ihr weiter auf, »und jemand soll sie zu deiner Mutter hinauf schicken, noch bevor sie kommt, die Viktorine.«
Dem Mädchen standen die Tränen in den Augen; sie sah die Clari-Marie noch immer voll Schrecken und Traurigkeit an. Aber diese drängte: »Gehe, rasch!«
Die Severina, als sie nachher durch den Regen dem Pfarrhaus zueilte, wunderte sich, ob die Base Clari-Marie nie flennte wie andre Weiber, die die Toten doch mit reichlichen Tränen zu Grab schwemmten.