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Es ist der letzte Samstagabend im Oktober. Im Garten hinter Ohm Ernests Häuschen hat der alte Manuel das trockene Bohnenstroh und alte Reisig verbrannt. Er gräbt im Dämmerlicht noch einige Beete um. Mit jedem Spatenstich beginnt er hier Fuß zu fassen. Erde ist Erde. Adda und er sind nun entschlossen, in einem Monat nach hier zu übersiedeln.
Die Clerksche Villa ist bis auf das Dienstpersonal wie ausgestorben. Mrs. Clerk fuhr auf ihre Farm nach dem Süden. Die Tochter Francis zog in eine Zweizimmerwohnung nahe ihrem College. Der alte Clerk und auch der junge Herr sind tot. Ein Friedhof.
Hier aber ist Leben und der kleine Garten. Mom Rose ist die Schwester seiner geliebten Frau. Also wird man hier leben. Zudem hat Ann erreicht, daß er in ihrem Betrieb die nicht schwierige Arbeit eines Nachtwächters erhalten soll. Er richtet sich auf und stützt sich auf den Spaten. Fett ist hier die Erde, ganz anders wie im Süden, in dem von der Sonne ausgedörrten Sand und Felsgeröll. Der alte Indio nimmt einen Batzen der feuchten Scholle und zerdrückt ihn langsam zwischen Daumen und Fingern. Daran kann man sich halten. Allerdings, der Wind vom Fluß her ist ziemlich rauh. Man wird auch damit fertig werden. Mit was ist der Mensch nicht fertig geworden? Er wird mit Adda im November nach hier ziehen.
In der Stube ist es warm und in der oberen Tischecke am Fenster hell. Dort sitzt Pat mit den beiden Quälgeistern, der kleinen Ille und Jimmy. Er muß wieder Geschichten erzählen. Er fühlt sich wie ausgemolken. Er ist bereits zu Seemanns- und Hundegeschichten übergegangen – Erinnerungen aus seiner Jack-London-Lektüre. Die Kinder lassen noch immer nicht locker. Sie wissen, bald kommen die Mütter. Es ist schon dunkel und Schlafenszeit.
Jetzt haben sie die Tischlampe nach der Türseite mit einem Tuch verhangen. Sie sprechen leise, als könnten sie Ann und Mom Rose, die nebenan in der Küche das Abendessen bereiten, so überlisten.
»Sing noch mal mit uns das Lied von Joe Hill!« bittet die kleine Ille.
»Ja, ja, das Lied von Joe Hill, der nicht sterben kann«, stimmt Jimmy zu, »das wir immer mit Ohm Ernest gesungen haben.«
»Aber ganz leise!« warnt Pat, legt den Finger an die Lippen und schaut zur Tür im Halbdunkel.
Die Kinder schmiegen sich enger an ihn – ein jedes sitzt auf einem seiner Schenkel –, und dann singen sie flüsternd, fast geheimnisvoll:
»Salt Lake Joe«, sag ich, »bei Gott,
Sie fingen dich nicht fair.«
Doch Joe sagt drauf: »Ich bin nicht tot,
Niemals sterb ich«, sagt er.
»Joe Hill«, sagt er, »nicht sterben kann,
Kann sterben nimmermehr.
Solang im Streik steht noch
ein Mann,
Steh ich bei ihm!« sagt er.
»Aber er ist doch gestorben!« meint jetzt die kleine Ille. »Wieso kann er sagen, er stirbt nicht?«
Und Jimmy: »Und weshalb müssen grade immer die zuerst sterben und umgebracht werden – Joe Hill und Ohm Ernest?«
»Ja, warum?« drängt Ille.
»Pst, Kinder! Nicht so laut!« warnt Pat wieder. Sie stecken die Köpfe noch näher zusammen. »Ja, warum die zuerst?« wiederholt Pat. »Denkt doch einmal selbst ein bißchen nach! Ihr wart ja mit in der Versammlung. Wer ist denn da ganz vorne auf dem Podium gestanden, na?«
»Ohm Ernest!« sagt die kleine Ille.
»Und der Doktor!« sagt Jimmy.
»Seht ihr! Den Doktor wollen sie jetzt ins Gefängnis werfen, und Ohm Ernest haben sie umgebracht, weil er ganz vorne stand und gegen den Krieg sprach …«
»Und weil die andern mit ihren Gangstern den Krieg wollen, obschon Pap im Krieg kaputtging!« ergänzt Ille leidenschaftlich.
»Und weil Ohm Ernest es ihnen sagte!« meint Jimmy.
»Na, jetzt könnt ihr die Geschichte ja schon alleine erzählen!« lächelt Pat.
Aber damit sind die beiden gar nicht einverstanden. »Erzähle, Pat, erzähle weiter! Oder was anderes!«
»Was anderes?« überlegt Pat. »Es ist eigentlich immer grad das, überall, fast auf der ganzen Welt. Joe Hill stirbt und stirbt nicht …«
»Wieso, Pat, warum?« will Ille wissen.
»Warum? Ihr habt's doch selbst eben gesagt: weil er ganz vorne stand, und ihr habt doch selbst von Ohm Ernest eben angefangen, ihr Fragemäuler, und denkt an ihn, obschon er eigentlich tot ist – also ist er doch nicht ganz tot.«
»Nein, das ist er nicht«, sagt Ille.
»Ebendarum, weil er vorn stand und immer vorwärts gegangen ist, während andere nicht vorwärts gingen, und weil er noch so jung war, obschon er dein Grandpa war. Denn darum, ihr kleinen Racker, geht's doch: das Alte will dem Jungen nicht Platz machen und auch nicht dem Neuen; aber das Neue muß doch nach vorn, sonst stünde ja alles still, auch das Leben; versteht ihr das? Ein verdammt harter Kampf. Und dabei fallen grad die vorne stehen, für das Neue – Joe Hill und Ohm Ernest.«
»Auch wenn sie so stark sind wie Ohm Ernest?« fragt jetzt Jimmy.
»Auch wenn sie so stark sind wie Ohm Ernest.« – Mein Gott, wie kann er diesen Kampf, wo gerade die Starken und Besten für die anderen ihr Leben lassen müssen, den Kindern klarmachen? Jack London und der Kampf der Polarhunde, die einen engen Kreis um das Feuer bilden und sich gegen die Wölfe wehren? Also doch der Kampf der Klauen und Zähne? Halt! Das ist bloß die eine Seite. Es gibt noch eine andere im Leben. Und da fällt ihm die Geschichte von den Renntieren ein, die er irgendwo las. »Ihr habt ganz recht, ihr verflixten Fragemäuler, es scheint merkwürdig, daß gerade die Stärksten und Besten umkommen sollen. Na ja, einmal, weil sie so mutig sind und vorne stehen. Aber da ist noch was anderes. Seht mal – da gibt es im Norden von uns, in Kanada oder Alaska, doch die Renntiere. Ihr habt sie gewiß im Zoo gesehen.« Er überlegt einen Augenblick, bevor er fortfährt: »Wenn nun der Winter mit seinen starken Stürmen naht, dann sammeln sich die Renntiere und ziehen in ganzen Herden zu Hunderten nach dem Süden, wo sie noch Moos und Gras zu fressen finden. Dabei müssen sie reißende Wildwässer und Ströme durchschwimmen …«
»Die Renntiere können schwimmen?« fragt Jimmy.
»Das können sie«, sagt Pat, »die jungen Renntierkälber natürlich nicht so gut wie die starken Renntierhirsche. Und gerade diese – die stärksten Renntiere – stellen sich dann beim Überqueren eines Stromes oberhalb gegen die Strömung und bilden eine Art Damm, so daß die schwächeren Tiere unterhalb hinüberkommen. Dabei werden oft einige gerade der stärksten Tiere in Strömung und Strudel hineingerissen und kommen um …«
»Weil sie die schwächeren hinüberlassen wollen!« stellt Ille erregt fest.
»Siehst du, Kleines!« lobt sie Pat und streicht ihr über den Kopf. »So ist das! Sogar die Tiere wollen sich nicht bloß auffressen, sondern einander auch gegenseitig helfen.«
Ille, die mit vor Spannung offenem Mund diese Geschichte von den Renntieren angehört hat, atmet jetzt tief auf. Dann sagt sie: »Aber Ohm Ernest und Joe Hill haben das nicht bloß einmal getan, sondern doch vielmals, immerzu und überall.«
»Ach, du kluges Teufelchen«, lacht jetzt Pat, »du merkst auch alles!«
Und Jimmy: »Aber da stimmt was nicht, Pat!«
»Was denn?«
»Wir Kinder haben uns doch alleine gewehrt, ohne euch Starke und Große! Mit dem Kinderbrief und mit der Hundemarke! Und jetzt sagen sie in der Schule schon nichts mehr; wir gehen auch ohne die Hundemarke!«
»Ja, das ist wahr!« sagt Ille stolz. »Wir gehen jetzt ohne Hundemarke!«
»Wahrhaftig, ihr habt recht, ihr verflixten Racker! Da kann man nichts machen; meine Geschichte hinkt«, erklärt Pat und kneift die Augen zu. »Aber dafür müßt jetzt ihr Kinder mir altem Renntierhirsch eine ganz andere und bessere Geschichte erzählen!«
Das wollen die beiden nun doch nicht, sondern sie verlangen von Pat unter ziemlichem Lärm eine neue Geschichte.
Niemand von den dreien hat bemerkt, daß Ann schon vor einer ganzen Weile die Tür im Halbdunkel geöffnet hat, um wegen des Abendessens zu sehen, und daß sie Pats Renntiergeschichte mit anhörte. Sie schaut noch immer auf Pat und die Kinder. Ihr festes Gesicht ist jetzt weich und freundlich. Ohne es zu merken, hat sie zu lächeln begonnen.
Doch jetzt schließt sie leise die Tür und geht unbemerkt wieder in die Küche.
Am letzten Sonntag im Oktober will Gene mit seinem Motorrad Adda zu einer Fahrt abholen. Er findet das Gärtnerhäuschen leer und braust sofort weiter zu Mom Rose, wo Adda mit dem Vater den Sonntag verbringt.
Es ist ein nebliger Morgen. Der alte Manuel werkelt im Garten, wobei ihm Pat und die Kinder helfen. Mom Rose und Ann sind in der Küche. Im Zimmer sitzt Adda über der technischen Zeichnung eines Maschinenteils, die sie für den Abendkurs aus einem andern Blickwinkel in einen neuen Maßstab zu übertragen hat.
Draußen wird Gene schon von Pat in Empfang genommen. Pat hat die ganze Woche auf die Gelegenheit gewartet, Gene und Adda den Brief des deutschen Studenten über das Schicksal der Stafettenkapsel vorzulesen. Er geht gleich mit Gene in das Zimmer, nimmt den Brief aus seiner Jacke und beginnt zu lesen. In seiner freudigen Erregtheit merkt er nicht, daß Gene nur mit halbem Ohr hinhört und Adda beobachtet. Gene ist ja gekommen, um mit ihr allein zu sein und noch so manches zu besprechen. Wer weiß, was morgen wird?
»Ist das nicht wunderbar?« fragt Pat am Schluß. »Auch drüben überm Wasser beginnen sie zu verstehen und sich zu wehren! Wir laufen schon von zwei Seiten aufeinander zu und merken es kaum!«
»Nur dürfen wir nicht aneinander vorbeilaufen«, sagt Gene.
»Oho«, erwidert Pat, »dafür ist gesorgt!« Er scheint ein wenig enttäuscht über diese Wirkung »seines« Briefes, auf den er so stolz ist. Na schön, vielleicht wollen die beiden für sich sein?
Sie möchten diesen letzten freien Oktobertag noch mal ans Meer fahren.
»Gute Fahrt! Und erkältet euch nicht beim Baden!« meint Pat mit gutmütigem Spott.
*
Wieder legt Gene sein Spezialtempo vor, doch dieses Mal nicht, um in den Kurven Addas Hände an seinen Schultern zu spüren – er will einfach hinaus aus der Stadt, fort von den Menschen! Jede Minute, die er mit Adda nicht allein ist, scheint ihm heute ein Raub am Leben, ein unwiederbringlicher Verlust.
Sie wissen, der Strand ist an solch einem kühlen Herbsttag leer. Deshalb haben sie den Ort gewählt. Denn auch Adda fühlt die Unruhe und Spannung in Gene und seinen Wunsch, mit ihr allein zu sein.
Gene stellt sein Motorrad in einem Strandrestaurant unter. Schweigend nehmen sie in dem kleinen geheizten Wirtsraum noch ein Frühstück mit heißem Kaffee. Dann gehen sie zum Strand, der hier an der Küste ins Endlose zu laufen scheint – gerade heute bei dem leichten Nebel, der immer wieder Zuzug vom Meer erhält.
Gene liebt es, mit Adda zu gehen. Sie hat den geräumigen, jungenhaften »Hosenschritt«, wie er sie einmal neckte. Sie ist etwas kleiner als er selbst; doch er hakt sich gern bei ihr ein, vielleicht, um selbst nicht zu große Schritte zu machen, vielleicht, weil er ihr gern die Führung überläßt. Ja, es ist gut, so zu schreiten auf diesem festen und doch elastischen Sand.
So könnte man bis in alle Ewigkeit weitergehen, in dieser ruhigen Harmonie der Bewegung und Empfindung – zwei Menschen bis ans Ende der Welt. Immerzu gehen, schweigen, sich spüren. Wissen, daß der geliebte Mensch neben einem da ist. Nur – den Menschen daneben nicht verlieren! Nur – soll es nie enden!
So gehen die beiden. Ihr Haar wird feucht von dem Nebel. Der Salzgeruch des Meeres hängt sich an sie. Die Wellen gleiten unhörbar zum Strand. Die Gerade voraus und das Schreiten ist alles.
Aber die Zeit rinnt. Und so viel muß noch gesagt sein.
Gene verkürzt den Schritt. Dann stehen sie. Vielleicht wird es leichter, wenn er sie ansieht? Sooft hat sie ihm in letzter Zeit Mut gemacht mit ihrem starken, offnen Gesicht. Sie schaut fragend zu ihm. Ihre Haut, von der Kühle gereizt und durchblutet, ist noch bronzener. Wieder bestaunt Gene das Unverdorbene der klaren Züge.
Sie nickt ihm zu. Es ist der ihm vertraute stumme Zuspruch – Zärtlichkeit und Ermunterung.
Er sagt: »Adda, es kann sein, daß ich fort muß.«
Ihr Gesicht wird plötzlich starr: »Krieg, Gene?«
Er schüttelt den Kopf. »Nicht der Krieg, Adda. Aber alles, was ich euch von dem Neger erzählte, jetzt ist es wirklich das, was wir damals bloß dachten …«
»Auch das von Beß …«
»Ja, Adda, auch das … und das von dem Colonel und den Fliegenden Untertassen, all das beginnt jetzt zu gären und kommt nach oben.« Und nun, während sie wieder ein Stück gehen, erzählt er ihr von den Begegnungen des letzten Freitags auf den beiden Flugplätzen. Alles sagt er ihr. Auch daß seine Verhaftung drohe und vielleicht jahrelanger Kerker.
Adda schaut ihn an. Ein unfaßbarer, unerträglicher Schmerz verdüstert ihr Gesicht – unerträglich auch für ihn.
»Muß das sein?« fragt sie.
»Wenn ich bleibe – ja.«
»Und wenn du nicht bleibst?«
»Dann gibt es nur eins – fliehen.«
»Warte, Gene … einen Augenblick, warte doch!« Aber sie findet so schnell keine Antwort. Sie nimmt nur seinen Kopf und küßt ihn fassungslos, seinen Mund, seine Augen, seine Stirn, seinen Mund.
Dann sagt Gene: »Es ist auch noch Jeff da, der Negergefreite; er kann nicht fliehen wegen seiner Mutter und den kleinen Geschwistern. Übrigens, er will auch nicht fliehen.«
Adda schaut ihn fragend an.
»Wegen Gott und der Wahrheit, wie er es ausdrückt – das ist so seine Sprache, du weißt es doch noch, was ich dir in jener Nacht von ihm erzählte, als er zu mir ins Fliegercamp kam. Er sagt immer noch: Wenn Gott und die Wahrheit schwach würden, müßten die Menschen der Wahrheit zu Hilfe kommen.«
Beide schweigen.
Dann fährt Gene fort: »Das hieße also bleiben und den Kampf um die Wahrheit aufnehmen; das heißt den Schwindel von den feindlichen Fliegenden Untertassen, die unsre eignen Raumraketen sind, aufdecken helfen und diese ganze Panikmacherei, diesen ganzen Schwindel …«
»So gegen den Krieg kämpfen?«
»Ja.«
Adda hat seine Hände gefaßt und in die ihren genommen. Ein Lebendiges strömt von einem zum andern. Gibt es eine Macht auf Erden, die sie trennen kann?
Was ist? Adda hat ihm zugenickt mit ihrer Geste stärkender Ermunterung? Oder schüttelt sie kaum merklich in hilfloser Trauer den Kopf?
»Wird es lange sein?« fragt sie.
»Was?«
»Daß du fort bist, wenn sie dich verhaften?«
»Es kann lange sein, Adda.« Jetzt weiß er sich nicht mehr zu halten. Er reißt Adda an sich, er bedeckt mit Tränen und Küssen ihr Gesicht – was ist da jede Haltung und Scham –, kann man einem Menschen bei lebendigem Leib das Herz herausreißen? »Nein, nein, ich kann nicht, Adda!« stöhnt er. »Ich kann nicht von dir, jetzt, da wir uns so verstehen und uns so nahe sind, es ist unmöglich! Höre, Adda, wir werden beide über die Grenze gehn, nach Mexiko oder sonstwohin, wir beide! Ich hebe morgen früh mein ganzes Geld ab, du brauchst dich nicht zu sorgen, Adda, du kannst ganz ruhig sein …« Er hält plötzlich inne. Etwas fährt durch seinen Körper wie eine hitzige Kälte, wie ein Schüttelfrost. Er läßt Adda los und schaut sie an.
Was ist das? Sie lächelt?
»Das kannst du doch gar nicht mehr, Gene«, sagt sie leise. »Glaubst du, du wirst Ruhe haben, wenn du über die Grenze bist, und die Wahrheit und der Kampf und dein Negerfreund sind hier?« Sie streichelt traurig lächelnd seinen Kopf. »Nein, Gene, das kannst du heute nicht, heute nicht mehr. Du würdest da drüben nie Ruhe haben, und auch ich würde da keine Ruhe haben, wo Ann, Pat, die Kinder, Ohm Ernest und all die andern hier sind … auch ich nicht, verstehst du das, Gene?«
Er blickt um sich, als müsse er sich der Dinge erst wieder vergewissern. »Wo war ich, Adda?«
»Du bist immer noch bei mir, Gene, und du wirst es bleiben – wohin sie dich auch bringen. Das ist ganz gewiß, Gene, so gewiß …« Sie preßt ihn an sich. »Du, du … meiner, mein alles und mehr!« sagt sie ganz nah an seinem Ohr. »Ach, Gene, glaubst du, mir ist das leicht?« Sie richtet sich wieder auf und schaut ihn mit ihren guten, starken Augen an. »Wieviel ist in diesen drei Monaten geschehen, Liebster – findest du nicht?«
»Furchtbar viel.«
»Wunderbar viel.«
Sie gehen wieder schweigend miteinander, diesmal mehr nach den mit Sträuchern bewachsenen Dünen, da ein Wind von dem Meer aufkommt und den Nebel in dicken Schwaden herüberjagt. Es geht etwas bergan, dorthin, wo die ersten Bäume stehn.
»Glaubst du, Gene«, sagt Adda, »daß wir so zusammengekommen wären, so schnell und so nah, wenn wir diese Zeit nicht gemeinsam erlebt hätten, diese furchtbaren und heftigen Tage – den Tod von Beß und Ohm Ernest, die Zusammenkünfte bei Dr. Boyle, außer unseren eignen Kämpfen miteinander – diesen ganzen, großen Kampf, der ja auch ein Teil unsrer Liebe ist? Ist das nicht wie ein Wunder oder wie ein großes Geschenk?«
»Wir werden es nicht verlieren?« fragt Gene.
»Nie, Liebster, nie! Uns bindet ein unsichtbares starkes Band – wie mich schon der Gedanke freut! Uns verbindet heute auch der Kampf um die neue Sache, Gene, um das neue Leben, verstehe doch, Gene, für das wir beide zusammenstehn werden …« Ihr Gesicht glüht. Der Wind wirft ihre dunklen Haare zur Seite wie Flügel.
»Und wenn man uns trennt?« fragt Gene mehr sich selbst.
Adda nimmt seinen Kopf zwischen ihre Hände. In großer, offner Liebe schaut sie ihn an. »Wir wissen, daß wir beide da sind, Gene«, sagt sie, »und daß nichts uns trennen wird, wenn du nur du bist, und ich bin ich.«
Sie sind stehengeblieben. Da ist ein niedrer Hang mit einer Mulde. Ein Windschutz.
»Weißt du, Adda«, meint Gene, »mir ist mit einemmal viel leichter, ich weiß selbst nicht warum; aber vielleicht hast du recht – ist es nicht wunderbar, daß wir beide zusammenstehn werden gemeinsam mit den andern, daß wir bleiben und nicht weggehen werden.« Er atmet den Oktoberwind tief ein und stößt die Puste wieder aus.
Und wieder antwortet ihm Adda mit ihrem kräftigen, freudigen Nicken. Ihre Augen lächeln.
»Mein Gott, Adda«, platzt Gene jetzt los, »ich möchte dich umarmen, wie Jeff in der Garage mich umarmte, als er sagte: ›Du mußt das tun, was in dir ist!‹ Der Teufel soll sie holen, wenn sie Jeff nur ein Haar krümmen – das kannst du mir glauben!«
Wie Gene wieder aufschaut, reibt er sich die Augen. »Das ist ja ein toller Zauber!« meint er. »Weißt du eigentlich, Adda, wo wir hier sind?«
Adda blickt die Mulde hinauf, wo oben am Rand einige Kiefern stehn. »Ist das denn möglich?«
»Sicher! Weißt du, wo der Igel herunterrollte? Genau da! Wetten!« Er klettert hinauf und zieht sie wie damals mit sich. Vor dem Meer steht eine Nebelwand. Doch hier die Bäume, das Gesträuch, der Hang, die Mulde … es stimmt.
»Erinnerst du dich noch, Gene, über was wir damals sprachen?« fragt Adda und schaut ihn an.
»Ich quälte dich mit irgendwelchen Dummheiten, ob du vor 150 Jahren als Indianerin wohl meinen Skalp am Gürtel getragen hättest …«
»Und ob heute das alles sich noch lohnt?«
*
Wie sie auf dem Motorrad wieder zur Stadt fahren, holt Gene übermütig das Letzte aus der Maschine heraus; er fegt um die Kurven, daß Adda sich fest an seiner Schulter halten muß. Einmal, als sie beim scharfen Bremsen fast vornüberfällt und ihr Kopf ganz nahe dem seinen ist, fragt er mitten in den Motorlärm: »Lohnt es sich noch, Adda?«
Und es kommt ihm vor, als habe er ihr Kopfnicken gesehen, obschon dies eigentlich kaum möglich ist.
*