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Am gleichen Nachmittag treffen sich Clerk und The Lord wie verabredet zum Tee im Van-Dyck-Club. So zweckmäßig es war, in der vorletzten Nacht telefonisch ohne Namensangabe diesen Punkt zu vereinbaren, so drückend wirkt jetzt die Erinnerung an ihre letzte Begegnung mit Donald und der jungen Nora auf Clerk.
The Lord bemerkt, wie die Nerven seines Partners erheblich schaukeln – mehr als einem trauernden Vater zukommt. »Hören Sie, mein Freund«, meint er, »Sie sollten sofort nach der Trauerfeier mindestens vier Wochen verreisen, in den Bergen angeln, tüchtig laufen oder reiten, abends mit einfachen Leuten Billard spielen, dann zwei Flaschen dunklen Porter sich genehmigen und vor dem Schlafengehen zwei Tabletten schlucken.«
»Gut, gut«, erwidert Clerk und feuchtet seine die Worte schlecht formenden Lippen an, »aber sagen Sie selbst, Tom, habe ich etwa Donald veranlaßt, gegen diese fliegenden Nachttöpfe aufzusteigen, gegen diese roten Gespenster, oder …«
Ehe The Lord den Sinn dieser erregten Frage begreift und darauf antworten kann, hastet Clerk weiter: »Natürlich muß man diese Luftbestien erledigen, natürlich stellen sie eine ungeheure Gefahr dar, vielleicht haben Sie und ich das letzte Mal die Atombombe der Roten nicht ernst genug genommen, da die Beobachtung des Flugfeldes F. 8 doch die Leuchtbahn der Eindringlinge bestätigte … unsere Automaten mit den Leuchtkontakten der Bomben sollen die Spieler ja nur warnen, so war's doch gedacht, Tom, so besprachen wir's?«
»Ich bin kein Pfarrer, Mr. Clerk«, entgegnet The Lord, dem solche Skrupel fremd, peinlich und sogar widerlich sind. »Sie können jederzeit von der Sache zurücktreten.«
Clerk krümmt sich wie unter einem Schlag. »Haben Sie doch Geduld, Tom, schauen Sie bloß hin … die Menschen beobachten mich jetzt mehr als sonst, alles muß ja einen Sinn haben, Tom, eine Art Logik … die Asbest-Stahlbunker, das versteht ein jeder, sie bauen schon die großen Hotels in die Erde … aber auch unsrer beider Sache, kein Glücksspiel, Tom, eine ernste patriotische Angelegenheit, man könnte sonst eines Tages mit den Fingern auf uns zeigen, und dann, mein Gott … man wird das Mädchen doch nicht finden, Tom?«
»Hören Sie, Clerk, falls Sie eine zu leichte Verdauung haben …«
»Verzeihen Sie, Tom!«
»Nein, Clerk, Ihr verkorkstes Gemüt ist unverzeihlich.«
»Spüren Sie denn nicht, Tom, daß eben jetzt …«
»Was soll ich spüren?« unterbricht ihn The Lord. »Eine Viertelstunde kann man sich verlieren; aber tagelang Angst haben, jawohl, Clerk, Sie haben Angst, ich fresse einen toten Hund, Sie haben Schiß vor einer erledigten Sache! Schämen Sie sich nicht vor Ihrem Sohn und unsern Jungens da draußen?«
»Ich meine nur, Tom, weil Sie selbst heute nach dem Satz handeln: Crime doesn't pay …«
»Verbrechen? Ich will verdammt sein, Mr. Clerk – aber wo ist da ein Verbrechen, wenn man gewissermaßen sanitäre Arbeit leistet und diesen anatomischen Rest beseitigt, wenn man dem Gericht einen Aktenstoß erspart? Im übrigen, an Ihrem Gerede ist alles dran, bloß keine Handbremse, sich daran zu halten. Man könnte fast glauben, Mr. Clerk, Sie selbst sind ein in der Wolle gefärbter Roter.«
»Mit so was spaßt man nicht, Tom!«
»Ich spaße ja gar nicht, mein Teurer; aber manchmal habe ich auch 'ne Nase wie ein Polizeihund; ich rieche, wenn einer Aas berührt hat.«
»Ich bitte Sie um alles, Tom, lassen Sie das!« Clerk wischt sich wie ein Pennbruder mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Polizeihunde, sagten Sie? Natürlich, diese Biester riechen kilometerweit in der Erde verscharrte Dinge … sie werden das Mädchen doch nicht einfach verscharrt haben, Tom?«
Mit einer Art grimmigem Genuß beobachtet The Lord, wie »Clerk, the Bull«, wie dieser Zweizentnerstier jetzt gleich einer gallertigen Molluske dem Tritt seines Geschickes auszuweichen sucht. Der alte Gangster verspürt richtig Lust, ihn noch ein wenig unter die Sohle zu nehmen. »Hören Sie, Clerk«, sagt er, »meine Jungens pflegen saubere Arbeit zu leisten, wirklich saubere Arbeit; aber selbst der beste Knoten kann einmal an eine Kante geraten und sich aufscheuern. Und wenn Sie, Clerk, die Nerven verlieren sollten, bei aller Freundschaft, Mr. Clerk, jeder ist sich selbst der Nächste!«
»Es wird doch nicht …«
»Gar nichts wird, Mr. Clerk, gar nichts wird sein«, bohrt The Lord leise in ihn hinein, »auch in Ihrem Gedächtnis wird nichts mehr davon sein, gar nichts … jetzt und zum letzten Mal!«
Nach dem Tee steigen die beiden Freunde hinauf zu den oberen Räumen. The Lord will sich wenigstens heute die wundervollen van Dycks, Rubens', Jordaens', Frans Hals' nicht entgehen lassen – es spielt für ihn keine Rolle, daß es Kopien sind. Er wird auch die spaßigen kleinen Bilder besichtigen, jene Tafeln mit den überaus bunten, saftigen, sich tummelnden, saufenden, schmausenden, tanzenden Menschlein, die seine Tochter Nora ihm in einem Katalog, den sie ihm mitgab, gezeigt hatte … jene Tafeln, unter denen Namen standen wie Adrian Brouwer, Ostade, Terborch, Bosch und Brueghel. Diesmal wird er sie sich alle ansehen und Nora davon berichten.
Schließlich ist er das Nora und sich selbst schuldig.
*
Dr. Boyle merkt bald, daß der sonst schon nicht gesprächige Gene heute noch schweigsamer ist, und daß Adda in seiner Gegenwart nicht die Worte findet, die sie an ihren Freund richten müßte. Deshalb erklärt der Doktor, er habe noch einen Kranken zu besuchen; sie sollten sich in der Küche und den Schränken das Nötige holen, um dem Hungertode zu trotzen, und später beim Weggehen einfach die Tür zuschlagen.
Nachdem Boyle gegangen ist, scheint die Luft in dem Zimmer mit den schweren dunklen Eichenmöbeln noch drückender. Adda geht in die Küche und bringt ein Tablett mit Sandwiches und Säften. Ihr kommt Gene heute noch hagerer vor als sonst. Sie fährt ihm durch die Haare. »Wenig geschlafen, Gene?«
»Über zu wenig Dienst können wir nicht klagen.«
»Vielleicht willst du lieber Scotch Soda oder Gin?«
»Nein, bleib … bitte!«
Sie beginnen zu essen und zu trinken. Die Gedanken stehen zwischen ihnen wie Karpfen mit verglasten Augen in einem toten Gewässer. Gene bemerkt, wie hilflos Adda vor sich hin schaut. Er meint: »Wenn man bloß dahintersähe …«
Sie hebt etwas den Kopf. Und Gene: »Man kann doch nicht einfach aus der Welt fallen, spurlos.«
Sie schaut ihn an, fest und fragend.
»Weißt du denn nichts, Adda?«
»Nicht mehr, als du weißt.«
»Wie der Wagen aus dem Park fuhr …«
Er starrt auf den Tisch. In ihrem Glas ist Tomatensaft, in seinem der gelbgrüne der Grapefruit. Er hält, um irgend etwas zu tun, seine Hand darauf. Jetzt scheint der Saft dunkelgrün, fast wie die Blätter der Platanen, auf denen das Mondlicht lag.
»Du entsinnst dich?« fragt Adda.
»Ja.«
»Du mußt mir helfen, Gene, hörst du! Ich quäle mich die ganzen Tage mit der furchtbaren Ungewißheit, ob es stimmt, was ich sah, oder ob ich geträumt habe und phantasiere? Ob Beß und Donald wirklich in dem Wagen davonfuhren? War es so, Gene?«
Er zögert einige Sekunden; dann sagt er: »Es war so.«
»Beide, nicht wahr? Beide?«
»Ich glaube – ja.«
»Es war Donalds Wagen, du sahst die Nummer … er fuhr zum Flugfeld?«
»Ja.«
Sie atmet auf. Wie nach einer großen Anstrengung streicht sie sich über Stirn und Augen. »Ein Kommissar der Polizei hat mich heute vernommen«, fährt sie fort, »ich fühlte mich so unsicher bei den einzelnen Punkten und konnte nicht präzise antworten; nun ist alles klar.«
»Hast du meinen Namen genannt?« fragt Gene.
»Noch nicht; aber jetzt haben wir beide uns erinnert und können aussagen.«
»Vor dem Kommissar?«
»Gewiß.«
Gene schweigt. Er spürt, daß er hier in eine Sache hineingerät, die auch dem Kommando des Flugplatzes nicht verborgen bleiben wird. Der mehrfach mit Tapferkeitsmedaillen dekorierte und mit einem Lungenschuß gezeichnete Fliegerfunker Gene Stevens ist in solchen Dingen nicht unbedingt ein Held. Nachfragen, Verhöre, woher kennt er Adda und ihren Onkel Ernest Lee, den »Kommunisten« … immer enger zieht sich eine Schlinge.
»Hast du morgen nachmittag frei, Gene?«
»Weshalb?«
»Daß wir uns bei dem Kommissar melden.«
»Moment, Adda«, bremst Gene, »so 'ne Sache mit der Kriminalpolizei muß Hand und Fuß haben. Nachher fragen sie: Lieber Mann, wie konnten Sie bei Nacht in einem fahrenden Wagen zwei Menschen mit absoluter Sicherheit erkennen?«
»Aber du sagtest es doch selbst!«
»Es ist ein Unterschied, Adda, ob man das vor einer Privatperson aussagt oder vor 'nem Kriminalbeamten; das muß genau bedacht sein.«
Adda schaut ihn an. »Nun gut, bedenken wir's! Nur dürfen wir keine Zeit verlieren, Gene; morgen werde ich mit Ohm Ernest sprechen. Es könnte sich ja auch der Staatsanwalt damit beschäftigen müssen.«
»Hat der Kommissar das gesagt?«
»Er sprach davon.«
»Die denken an ein Verbrechen, Adda. Verhalte dich ruhig, Adda, tu nur das, was unbedingt nötig ist, halte Ohm Ernest aus dem Spiel und die andern! Wenn man da erst zu bohren anfängt …«
»Laß das, Gene, bitte laß das!« unterbricht ihn Adda. »Ich weiß genau, was du sagen willst, Gene; das sagen doch alle, die heute wie hypnotisierte Kaninchen auf einen Punkt starren. Aber, Gene, es gibt doch noch etwas anderes, um das es sich lohnt; hast du ganz vergessen, Gene, wovon wir vor drei Tagen hier in diesem Zimmer sprachen, Ohm Ernest, der Doktor, Pat, Ann und auch du?«
»Das war eine ganz andere Sache«, erwidert Gene.
»Eine ganz andere Sache, sagst du. Nun gut, aber auch dabei hast du dich sehr zurückgehalten, gib es zu! Wir hatten beschlossen, daß wir jetzt aus unserm Schneckenhaus heraustreten müssen. Ja, Gene, ich glaube, der Zeitpunkt rückt furchtbar schnell näher, daß wir alle kleinen Rücksichten über Bord werfen müssen …«
»Wenn es um solche Sachen wie Krieg und Frieden geht!«
»Was ist denn mit Robby und Beß? Weshalb war Beß halb wahnsinnig und hat sich an Donald geklammert wie eine Verzweifelte? Und weshalb war Robby verzweifelt, da man sie alle zu ›guten Mördern‹ für Korea machen wollte?« So leidenschaftlich steht Adda in dieser Sache, daß sie ganz nahe sich zu Gene beugt, bis er ihren Atem spürt. »Alles geht heute darum, Gene, um Krieg oder Frieden! Soll man da nichts riskieren, Gene? Ein Mensch ist über Bord gegangen, da muß man in den Strom springen, Gene, auch wenn die Uhr und die Brieftasche dabei ins Wasser fallen und zum Teufel gehen!«
»Einverstanden, Adda, mit deiner Uhr und Brieftasche; aber es geht ja viel mehr dabei zum Teufel! Und was hast du davon, wenn der ins Wasser Springende untergeht, bevor er den andern retten kann?«
»Wenn, wenn, wenn …«
»Ja, Adda, wenn! Auch dies Wenn gehört zu uns. Weshalb hat der Doktor uns zur Vorsicht ermahnt und Ohm Ernest, daß wir nicht mehr direkt mit ihm verkehren sollen, da die F.B.I. hinter ihm her ist? Und jetzt willst du ihn und uns in das Verhör der Kriminalpolizei mit hineinziehen? Was glaubst du, wenn die zu bohren anfangen: Wo waren Sie an jenem Abend, mit wem waren Sie zusammen? Was taten Sie dort? Ich kann dir nur raten, Adda, verhalte dich ruhig! Verlier nicht die Nerven!«
»Mir scheint, ein anderer verliert die Nerven!«
»Wenn du mit deinem Dickkopf durch die Wand willst … heute ist nicht die Zeit dafür.«
»Soll denn Beß spurlos von der Erde verschwinden!?« schreit sie auf. »Weil ihr Feiglinge euch nicht darum kümmert?!«
»Daß wir keine Feiglinge sind, haben wir woanders bewiesen …«
»Pah, eure Medaillen …«
»Und dann kannst du Gift darauf nehmen, Adda, daß die Kriminalpolizei sich mehr darum kümmern wird, als manchem lieb ist!«
»Schlafen Sie angenehm, Mr. Mancher!«
Adda ist aufgesprungen, daß der schwere Eichenstuhl umkippt. Sie rennt zur Garderobe, streift den Mantel über und stopft ihre Baskenmütze in die Tasche.
»Du bist wahnsinnig, Adda! Ich komme mit!«
»Laß mich!«
Sie knallt die Tür zu und stürzt die Treppe hinunter.