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Diese Woche hat Gene keinen Nachtdienst. Es ist bereits nach Mitternacht. Er mag weder lesen, noch kann er schlafen. Wenn der Colonel jetzt käme, er – Gene – würde mit Vergnügen vier Marihuanas rauchen und einige Whiskys und Martinis hinuntergurgeln.
Unsinn! Wird dadurch etwas anders?
Weiß Gott, er hat sich wie ein Blödian benommen, wie ein Feigling, wie eine Filzlaus!
Und solch ein Mädel, ein richtiger Mensch! Feuer hat sie auf der Pfanne! Funken in den Augen! Verdammt, er wird sein Motorrad antreten und zu ihr fahren. Um 1 Uhr früh?
Wie er über die freie Fläche des angrenzenden Sportplatzes geht, muß er zu dem sommerlichen Nachthimmel blicken. Als Fliegerfunker, der auch seine Pilotenprüfung abgelegt hat, kennt er die blinkenden Sternbilder. Er bleibt stehen und ist wie stets fasziniert von der leuchtenden Gruppe der »Leier«, dem Diamant der Wega an ihrem Kopf, und gleich daneben steht der kreuzförmige, flügelspreitende »Schwan«, ebenfalls mit seinem mächtigen Alpha-Kopfstern. Über das ganze Firmament ziehen diese blitzenden Bilder ihre Bahnen. Manche Systeme der Milchstraße und der endlos weiten »Dunkelsterne« sollen ihre sichtbaren und unsichtbaren Strahlen lange vor Christi Geburt ausgesandt haben. Vielleicht sind diese Welten, deren Licht eben ankommt, schon verschwunden?
Hier aber quält sich ein Mensch damit, daß ein einzelner anderer Mensch vielleicht verschwunden ist? Steht das zueinander im richtigen Verhältnis? Immerhin scheint es, daß auch zwischen dem Abstand zweier Augen eine Welt untergehen kann. Mit dem einzigen, nicht unwichtigen Unterschied, daß in dem Zehnzentimeterabstand zwischen den beiden Augen die Möglichkeit besteht, die Kraft, diesen Weltuntergang aufzuhalten.
Wirklich – besteht diese Kraft?
Es käme darauf an, sie zu erproben! Das Leben flutscht weg wie durchgedrückter Haferbrei, und man erlebt nicht einmal ein einziges Korn.
Was hat er zum Beispiel mit der Stafettenkapsel unternommen, die Adda ihm anvertraute? Einen pappigen Schwindel hat er ihr serviert. Und der Termin, daß sie Berlin rechtzeitig erreicht, ist in einer Woche verpaßt. Er muß endlich mit dem Piloten Fühlung nehmen. Er hat die Sache immer hinausgeschoben, weil sie ihm zu kitzlig war. Ein Feigling ist er mit all seinen Medaillen!
Und hätte er nicht gestern an seinem freien Tag mit dem Motorrad zu seinem Funkerkollegen von F. 8 hinüberfahren können, um über Donald mehr zu erfahren? Und über Beß? Sie saß mit Donald im Wagen. Weshalb fuhr er nicht nach F. 8? Eine kitzlige Sache? Eine Filzlaus ist er!
Hatte Adda nicht recht, daß auch Beß ein Opfer dieses verfluchten Krieges ist? Was ist überhaupt mit diesen Fliegenden Untertassen? Wieso werden die Funkhöhensignale und Lichtspuren im Südsüdwesten beobachtet, da jene Flugkörper von den Russen geschickt sein sollen? Man müßte sie doch einmal wenigstens von Osten anpeilen können? Da stimmt etwas nicht. Der Colonel hat ab und zu von Raumraketen gefaselt, natürlich im Rausch. Aber wenn diese ganze rote Luftinvasion Schwindel wäre und die Panikmacherei … wie er damals die kleine Beß traf nach der wilden Sache in der Untergrundbahn mit den Toten und Verletzten? Weshalb ist er, der als Funker Gelegenheit hat, ein bißchen nachzuspüren, wie eine tote Ratte … Gleichgültigkeit, Trägheit, Schiß? Jawohl, auch Schiß!
Er wird jetzt nicht zu Adda fahren. Was kann er ihr sagen? Sich wieder blamieren?
Nein, etwas ganz anderes ist zu tun.
Seine Stimmung ist nicht schlecht. Er schaut zum Himmel mit den tausenden blitzenden Bildern und dem dahinschwebenden Sternenhaufen des Schwans. »Paßt mal auf, ihr!« sagt er laut, obschon niemand ihn sonst hört auf der weiten dunklen Rasenfläche des Sportplatzes.
*
Am nächsten Morgen wird Adda im Betrieb angerufen, sie habe sich sofort im Polizeipräsidium auf der Abteilung C 2 zu melden. Sie nimmt hastig ihre Tasche und Mütze und eilt hinaus. Keiner der Kollegen des Konstruktionsbüros hat den Mut, sie zu fragen.
Die Abteilung C 2 gilt als die zentrale Fahndungsstelle der Kriminalpolizei.
Adda wird sogleich vorgelassen. Der Kommissar ist ein hagerer Büromensch mit mehliger Hautfarbe. Er prüft ihren Ausweis und sagt, indem er eine Akte vornimmt, ohne sein Gegenüber anzusehen: »Es tut mir leid, Miß Montez, aufrichtig leid.«
Adda hält den Atem an. Ihre Kehle ist so trocken wie ihre Augen. Hilflos schaut sie auf den dürren Kommissar, der reicht ihr jetzt die Akte hinüber, nachdem er vorher ein angeklammertes Photo entfernt hat.
Die Zeilen tanzen vor ihren Augen … zwei Hafenarbeiter haben eine Leiche aufgefischt, die an den Ankertrossen eines Frachters hängengeblieben war. Die Leiche war von der Polizeistation des für Beß zuständigen Stadtteils bereits identifiziert. Adda kann nicht weiterlesen.
Tot. Die kleine Beß.
Nun kann sie sich doch nicht beherrschen. Die Tränen rinnen ihr die Wangen hinab.
Dies denkt sie zuerst. Was kann sie ihm sagen? Er liebte Beß mit der einfachen, starken Liebe des indianischen Hirten und Bauern. Eigentlich war Beß das Einzige für den alten Mann, da sie, Adda, ihm weder Sorge noch Freude bereitete. Aber Beß war wie die Mutter, ganz die helle, blonde, wohlgemute Mutter, die der Vater als eine Heilige verehrte. Wie kann man ihm das jetzt sagen?
»Verzeihen Sie, Miß Montez, wie ist der Schuß zu erklären?«
»Der Schuß?«
»Sie lasen nicht? Bitte hier, Ihre Schwester wurde mit einem Schuß in der Stirn aufgefunden. Der Schuß war tödlich, die eigentliche Todesursache.«
»Wer sollte denn …«
»Das eben ist die Frage, Miß Montez. Wußte Ihre Schwester mit einem Revolver umzugehen? Die Waffe zu entsichern?«
»Die Waffe zu entsichern … sie hat doch nie so etwas in Händen gehabt.«
Und jetzt wird Adda über ihre Beobachtungen der letzten Zeit und des letzten Tages vernommen. Sie sagt alles aus, was sie persönlich weiß, alles … bis auf die Beobachtung mit Gene unter den Platanen am Portal in jener Nacht. Jetzt ist sie es, die fürchtet, Ohm Ernest und die andern zu gefährden. Immerhin geht aus dem Verhör hervor, daß Beß unter der Verhaftung ihres Freundes, des Rekruten Robby Cass, furchtbar gelitten hat, und daß sie hoffte, der Major der Luftwaffe Donald Clerk werde ihr helfen, den Verhafteten herauszuholen.
»Wollen Sie die Leiche vor der Autopsie und der Einsargung noch sehen?«
»Wir müssen sie doch herrichten, Herr Kommissar.«
»Das geschieht dort.«
»Wo?«
»In der Leichenhalle der Klinik.«
»Mein Gott …«
»Sie möchten sie noch sehen?«
»Ja.«
»Wir brauchen auch noch Ihre zusätzliche Anerkennung der Person. Am besten, wir fahren gleich.«
In dem kühlen kellerartigen Schauhaus liegen vier bis fünf mit weißen Linnen verdeckte Körper. Der Raum ist von Lysoformdunst und einem anderen süßlichen Duft erfüllt. Adda hat das Gefühl, an einem Ort außerhalb dieser Erde zu sein. Jetzt zieht der mit einem grauen Labormantel bekleidete Wärter das weiße Tuch vom Kopfende einer der Bahren zurück.
Beß.
Ihr Gesicht ist bläulichweiß, doch sonst nicht sehr verändert. Die Schußwunde in der Stirn bildet nur einen nußgroßen roten Fleck. Übrigens wirkt der Anblick nicht so schrecklich, wie Adda befürchtet hatte. Die tote Beß mit ihren geschlossenen Augen … dennoch, nein, sie scheint nicht »wie eine Schlafende, die endlich ihren Frieden gefunden hat«; beim besten Willen, so sieht die Tote nicht aus, eher wie eine vorübergehend in die Seile Geworfene, die auf die Schocksekunde sogleich durch den halbgeöffneten, schmerzverkrampften Mund mit einem Schrei antworten wird. Dieser Schrei, diese Antwort aber blieb aus. Es blieb die hinter dem ausgestoßenen Schrei verborgene Frage.
Könnte sie bloß sprechen, die kleine Beß, oder schreien! Ob solch ungetaner Schrei mitsterben kann?
»Ihre Schwester?« fragt der Kommissar.
Adda nickt.
»Sie werden es nachher durch Ihre Unterschrift bestätigen!«
Draußen erkundigt sich Adda, wie es mit der Beerdigung sei? Der Kommissar erklärt ihr, daß sie, falls der Staatsanwalt keinen Einspruch erhebe, morgen über die Leiche verfügen könne.
Adda ist jetzt ganz nüchtern.
Wohin zuerst? Zum Vater? Nein, das möglichst als Letztes; er wird doch nicht helfen können und sie hier nur belasten. Zu Ohm Ernest? Ja. Doch falls schon morgen die Leiche frei wird und übermorgen die Bestattung vorgesehen ist, muß man sofort den Betrieb verständigen und auch Dr. Boyle.
Der Personalchef nimmt die Meldung vom Tod der Stenotypistin Elisabeth Montez mit dem Ausdruck einer ernsten, sachlichen Betrübnis entgegen. Natürlich werde man sich an der Bestattung beteiligen. Sie selbst sei für diese Tage beurlaubt; sie könne jederzeit seine Hilfe in Anspruch nehmen.
Adda geht hinunter auf ihre Abteilung. Die Kollegen und Kolleginnen drücken ihr stumm die Hand. Es muß sich schon herumgesprochen haben, vielleicht allein durch ihr Aussehen. Hier sucht sie die Telefongespräche zu erledigen. Der Doktor ist nicht erreichbar, nicht in der Sprechstunde und nicht zu Hause.
Gene? Nein.
Ohm Ernest in der Werkstatt an den Apparat bitten? Weshalb nicht, ihm den Tod seiner Nichte mitzuteilen. Es dauert eine ganze Weile, bis man ihn ruft. Sie wird sich mit ihm verabreden müssen für den Abend … am besten bei sich daheim, sie kann mit dem Vater heute nicht allein sein, unmöglich … daß sie dem Ohm damit auch noch am Bein hängt, wo hinter ihm vielleicht schon die Meute der F.B.I. her ist … »Ohm Ernest … ja, hier ist Adda … kannst du heute abend zu uns kommen, zu Vater und mir … ja, es ist dringend, wegen Beß, ganz richtig, sie kam nicht zurück … sie ist tot.«
Sie konnte nicht weitersprechen. Es war auch alles, was zu sagen war.
*
Es geht mit dem Vater besser, als sie dachte. Vielleicht auch schlimmer? Der Alte scheint die Nachricht, daß Beß tot sei, überhaupt nicht aufzunehmen. Er schaut Adda bloß an mit den dunklen Augen in seinem gefälteten Gesicht, schüttelt den Kopf und sagt leise: »Ja, ja.« Wieder nickt er mit dem Kopf und geht in die Werkstatt.
Adda ist etwas erleichtert. Vielleicht hat der Vater es geahnt? So gewinnt sie Zeit und kann versuchen, den Doktor zu erreichen. Es gelingt wieder nicht. Soll sie direkt zu ihm fahren? Was war das mit dem Schuß? Und weshalb fragte der Kommissar, ob Beß mit einem Revolver umzugehen wisse? War Beß wirklich bei Donald gewesen? Und weshalb starb auch Donald in der gleichen Nacht?
Wird man den Tod von Beß je aufklären können, wenn sie schon morgen beerdigt ist? Aber vielleicht wird der Staatsanwalt sie gar nicht freigeben?
Der Doktor! Auch die Wohnung antwortet nicht. Hinfahren? Sie nimmt Jacke und Mütze; doch plötzlich fällt ihr der Vater ein. Man kann ihn unmöglich allein lassen. Sie geht zur Werkstatt. Der Alte steht an dem klobigen Tisch und schaut unbeweglich durch das von grünen Ranken halb zugewachsene Fenster auf den Park.
»Willst du nicht hereinkommen, Vater?« fragt Adda. »Ohm Ernest wird uns besuchen.«
»Wo ist Beß?«
»Ach, Vater …« Adda umarmt ihn und preßt ihren Kopf an seine Schulter; ihr ganzer Körper bebt; sie spürt des Vaters Hand auf ihrem Kopf. So stehen sie lange.
In Vater Manuel wirkt das Gesetz der Geschlechter der Carreteros, für die das Sterben ein Teil des Lebens ist – vorausgesetzt, daß keine Menschenhand dem Leben Gewalt antut. Ein Sprichwort der Indios sagt: »Der Baum stirbt, der Mulo stirbt, der Mensch stirbt, die Schlange stirbt. Die Sonne hat sie erweckt, der Sonne Dienerin – die Erde – deckt sie wieder zu.« Doch es heißt auch: »Das Blut, das ein Mensch von einem anderen nimmt, ruht nicht in der Erde und nicht unter der Last eines Berges.«
Gegen Abend kommt Ohm Ernest. Adda beginnt zum erstenmal, ihm die ganze Begebenheit zwischen Beß und Robby in Ruhe zu erzählen; sie weiß, daß sie jetzt kein Detail verschweigen darf, auch nicht jene Nächte, da Beß nicht heimkam, als Robby eingezogen wurde. Und auch nicht ihre Beobachtung, da sie mit Gene nach Hause ging und sie den Major Clerk mit Beß im Wagen sah.
Hier wird sie von Ohm Ernest unterbrochen, ob sie dessen ganz sicher sei?
Sie sei dessen sicher.
Ob man Gene nicht herrufen könne?
Adda zögert. Dann antwortet sie, Gene habe nicht darauf geachtet; der Wagen sei so schnell gefahren. Sie schämt sich, die Wahrheit über Gene zu sagen. Weshalb? Schnell berichtet sie weiter von dem Verhör des Kriminalbeamten und der Schußwunde in Beß' Stirn.
Vater Manuel, der zusammengekauert dasitzt, hebt jetzt den Kopf: »Wer hat sie geschossen?«
»Man weiß es nicht«, erklärt Adda. »Möglich, daß sie selbst in der Verzweiflung es tat; du weißt doch, wie sie die letzten Tage war, kein Mensch mehr.«
Vater Manuel geht hinaus.
»Und wie denkst du?« fragt Ohm Ernest.
Adda schaut gespannt vor sich hin. »Da sind drei verschiedene Menschen im Spiel«, meint sie, »Beß, Robby und Donald. Bestimmt wollte Beß mit Donalds Hilfe Robby befreien; davon hatten wir vor zehn Tagen hier im Zimmer gesprochen. Beß war völlig durcheinander, als sie Robbys Brief erhielt, daß er mit Zwangsarbeit bestraft wurde …«
»Weil er sich nicht zum Mörder für General Ridgways ›action killer‹ machen lassen wollte?«
»Auch ein Kriegsopfer.«
»Meinst du Beß?«
»Weiter, Adda!«
»Nun ja, in diesem Zustand, da sie halb wahnsinnig war, ist alles möglich.«
»Daß sie selbst sich was antat?«
»Ja.«
»Daß sie ins Wasser sprang? Aber vorher muß sie doch den Kopfschuß erhalten haben? Auch durch eigene Hand? Und woher der Revolver? Alles, nachdem der Major Donald Clerk mit seinem Flugzeug verunglückt war?«
Adda schweigt. Was soll sie sagen? So genau hat sie das alles nicht durchdacht.
»Und wenn jener Donald sie im Wagen mit sich nahm«, fährt Ohm Ernest fort, »so doch wahrscheinlich in sein Quartier am Flugfeld. Denn wie könnte er sonst noch in derselben Nacht mit seinem Flugzeug aufgestiegen und verunglückt sein? Beß muß also bei ihm gewesen sein.«
»Wahrscheinlich wollte Beß, daß er oder sie beide am Morgen zum Lagerkommandanten von Robby flögen, um die Sache mit Robby wiedergutzumachen.«
Ohm Ernest denkt nach. Dann meint er: »Das ist natürlich möglich. Du glaubst also, Adda, Donald wollte Beß wirklich helfen und hatte keine anderen Absichten?«
»Mein Gott, wer kann das alles wissen!« sagt sie und verbirgt das Gesicht in den Händen.
Ohm Ernest faßt sie um die Schultern. »Adda, ich weiß, du bist ein tapferer und starker Mensch, aber du bist schließlich auch nur ein Mensch; ich würde am liebsten jetzt Schluß machen mit dieser ganzen Fragerei. Bloß, Adda, mir scheint, hinter dem schrecklichen Ende von Beß steckt noch etwas anderes, das wir kein Recht haben, als unsere Privatsache zu betrachten.«
»Bitte, frag weiter!«
»Ich denke so – wenn Beß mit jenem Donald um Mitternacht in dessen Quartier am Flugplatz war, er selbst aber ein paar Stunden später verunglückte und sie früh nicht nach Hause kam, so muß doch in den wenigen Nachtstunden das alles geschehen sein? Wie aber kam sie in dieser kurzen Zeit von dem entfernten Flugplatz an den Fluß oder gar zum Hafen? Das wäre doch nur mit einem Wagen zu machen, und mit welchem Wagen?«
»Und wenn sie, nachdem Donald von dem Flug nicht zurückkehrte, als sie seinen Tod erfuhr, noch verzweifelter wurde und weglief, den ganzen Tag herumirrte und erst in der nächsten Nacht sich erschoß?«
»Ist natürlich möglich«, brummelt der Ohm. »Natürlich gibt es auch solche, die sich auf den Rand einer Brücke stellen und erschießen, um ja sicher zu sein.« Plötzlich meint er: »Der Staatsanwalt muß die Leiche erst freigeben, sagst du?«
»Wie der Kommissar behauptet.«
»Wenn die nicht noch herausfinden, daß wir sie ermordet haben.«
»Jetzt phantasierst du, Ohm Ernest!«
»Die haben mehr Phantasie als ich und du, Adda. Man muß Dr. Boyle anrufen, daß sie an der Leiche nichts machen!«
Adda sucht den Doktor zu erreichen. Es ist wie verhext. Niemand antwortet. Wahrscheinlich ist der Doktor wieder auf Krankenbesuch und die Aufwartefrau schon weg? Diese Junggesellenwirtschaft. Man muß die Nacht anläuten.
Ohm Ernest trägt Adda auf, möglichst wenig über die Sache zu sprechen und keinen Alarm zu schlagen. Ihm seien die ganzen Umstände, die zum Tode von Beß führten, noch gar nicht verständlich, höchstens die Tatsache, daß nun auch Beß ein Opfer der Rekrutenmobilisierung und dieses verdammten Krieges mit Korea sei. Sozusagen ein Nebenposten in dem großen Schuldkonto. Auf jeden Fall solle Adda ihm Bescheid sagen, wenn die Leiche freigegeben würde. Er lasse durch Ann oder Pat hier anrufen.
Plötzlich fragt er noch: »Wo hat man übrigens die Leiche gefunden?«
»Im Osthafen, an den Piers des Eastriver – stand im Protokoll.«
»Und wer fand sie?«
»Zwei Hafenarbeiter.«
»Und die Namen?«
»Das weiß ich nicht.«
An diesem Tag erhält Ben Burns vom Chef den Auftrag, von Clerks Sonderkonto eine Summe von 15 000 Dollar auf das Konto des Industrieberaters Joe Morris zu überweisen. An sich ist an solchen Zuwendungen des Chefs nichts Besonderes. Immer gibt es in einem Großbetrieb wie der C.C.C. Spezialaufträge, die von nicht genannt sein wollenden Persönlichkeiten ausgeführt werden.
Diesmal aber hat der Sekretär Ben Burns ein unwiderstehliches Verlangen, einmal »dahinterzustechen«. Im großen Verzeichnis der eingetragenen Handelsfirmen und Gesellschaften fungiert der Industrieberater Joe Morris als Direktor der Gesellschaft zur Instandhaltung und zum Schutz von Betrieben während Streiks, Bandendiebstahls und anderem. Auch daran ist nichts Besonderes. Man müßte immerhin feststellen, wer dieser Joe Morris ist und für welche Leistung er mit dieser nicht unbeträchtlichen Summe honoriert wurde.
Gleich nach Dienstschluß fährt Burns zu der Avenue, in der die Gesellschaft ihre Büroräume hat. Unten an der Frontmauer steht auf einem nicht zu großen Messingschild ihr Name eingraviert.
Burns ist kein großer Held. Immerhin fährt er die sechs Treppen hinauf. Wie er jedoch droben vor dem gleichen Firmenschild anlangt und überlegt, ob er wegen irgendeines fingierten Auftrages sich erkundigen soll, da verwirren sich seine Gedanken und fällt ihm das Herz in die Hose. Sein ganzer Mut hat sich bisher erschöpft im nächtlichen Abhören russischer Musik vom Moskauer Sender. Vorsichtig schaut er sich um und fährt wieder hinab.
Aber drunten auf der Straße verfolgt ihn der Name Joe Morris wie ein Echo … Joe Morris, Joe Morris! Ist seit der kleinen Beß Tod mit ihm selbst etwas passiert? Eine Schraube in seinem Kopf locker geworden, wie man so sagt?
»Joe Morris, Joe Morris …«
So gewöhnlich dieser Name und der Vorgang einer Banküberweisung an sich ist, es scheint doch recht ungewöhnlich, daß Clerk diesen Auftrag seinem Privatsekretär ohne jeden Kommentar erteilte. Clerk, noch unter dem Eindruck des Gespräches mit »The Lord« stehend, glaubte offenbar, seines Freundes Gehilfen möglichst schnell befriedigen zu müssen und außerdem mit einem geräuschemildernden Dollarteppich, den er über den Transport der kleinen Beß legte, diese Affäre sowohl aus seinem Gedächtnis wie aus der Welt geschafft zu haben.
Nicht einbezogen hatte er in diese Rechnung Ben Burns, diese zweibeinige »existenzlose Null«, in dem der Zweifel und der Schmerz über den Tod der jungen Beß weiterbohrt.
*
Als spät in der Nacht Adda endlich Dr. Boyle erreicht, bittet er um sofortige Nachricht, falls die Leiche freigegeben sei. Er wolle morgen früh sich mit dem zuständigen Gerichtsarzt wegen seiner Teilnahme an der Sektion in Verbindung setzen.
Doch am nächsten Morgen muß der Doktor feststellen, daß am Tag zuvor eine gerichtsärztliche Obduktion der Leiche bereits stattgefunden hat. Die Untersuchung des Stirnbeins, des Schädelinnern und des Schußkanals habe bei der auch schon stark verfärbten Haut keine Anhaltspunkte in der Frage Mord oder Selbstmord gebracht, so daß die Leiche – wegen der schon beginnenden Verwesung – zur möglichst schnellen Bestattung freigegeben wurde. Dr. Boyle ist es nicht klar, ob diese eilige Maßnahme der Gleichgültigkeit und Überlastung des Gerichtsarztes gegenüber einem uninteressanten Objekt zuzuschreiben war oder vielleicht einem anderen Grunde? Denn selbst bei einer drei Tage alten Leiche mit einer gewissen Hautverfärbung mußten bei Naheinwirkung eines Schusses eine leichte Verbrennung der Haut und eine andersgeartete Zerschmetterung des Stirnbeins und Hinterhauptes als bei einem Fernschuß nachweisbar sein.
Der Doktor, der seine Überlegung Adda und Ohm Ernest mitteilt, schlägt zuerst vor, auf einer Überprüfung des Sektionsbefundes zu bestehen. Auch Adda glaubt, daß man Beß nicht einfach behandeln lassen dürfe »wie eine ins Wasser geworfene tote Katze«.
Ohm Ernest erwidert Adda, wenn er früher gesagt habe, auch Beß sei ein Kriegsopfer und erscheine vorerst nur in der Nebenbilanz, so bedeute das keineswegs, daß man diesen unscheinbaren Posten abgeschrieben habe; doch solle man nicht an der falschen Stelle Alarm schlagen, sonst würde die Sache leicht noch mehr verschleiert.
An welche Stelle man sich dann wenden müsse? fragt Adda.
Ohm Ernest meint, in einigen Tagen könne er vielleicht die Frage beantworten.
Dieser Tag vergeht für Adda wie im Traum. Die Leiche wird im Sarg herangebracht. Menschen kommen und gehen, Angestellte der C.C.C., Kolleginnen aus den Büros; es kommen Pat, Ann, Mom Rose, Betty Jones, sogar die Kinder, es kommen Mrs. Dorothy Clerk und der Chef. Das alles zieht an Adda vorüber wie ein Gespensterzug, kaum, daß sie Anns und Pats Händedruck mehr fühlt als das Türklinkenhändegeben der andern. Auch Gene tritt vor sie und sagt etwas. Wie sie spürt, daß sie zu zittern beginnt, erblickt sie einen zu Boden gerutschten Kranz, den sie auf den Sarg legt. Abends fällt sie wie tot aufs Bett, halb angezogen noch; nur die Schuhe hat sie abgestreift.
Pat und Vater Manuel halten am Sarg die Wache. Mitten in der Nacht fährt Adda von einem furchtbaren Krach hoch. Gleich darauf hört sie Pats Stimme und einen Lärm wie von Kämpfenden. Sie rennt hinunter. Pat hat den Alten auf die Bank gedrückt und redet ihm gut zu. Auch Adda spricht jetzt auf den Vater ein. Mit trocknen, brennenden Augen starrt er wortlos auf den Sarg. Dort steckt im Holz die hineingewuchtete Machete, das große mexikanische Buschmesser, das auch als Beil benutzt wird. Ein Brett des Sarges ist gesplittert.
Adda streichelt den Kopf des Alten. »Laß sie doch ruhen, Vater!« sagt sie. »Stör sie nicht mehr, Vater; hörst du?«
Vater Manuel nickt. Nichts bewegt sich in seinem braunen zerknitterten Gesicht. Nur ist über dem einen Backenknochen die ausgetrocknete Spur eines Tränenrinnsals noch sichtbar; das ist alles.
Adda bringt den Vater in seine Kammer neben der Werkstatt. Als sie zurückkommt, bemerkt sie, wie Pat das gespaltene, klaffende Brett des Sargdeckels mit den Händen zusammenzudrücken sucht.
»Wie kam das, Pat?«
»Ich war etwas eingenickt. Er hieb in den Sarg wie in einen Baum.«
»Ja, er hing furchtbar an Beß; aber bis jetzt hatte er kaum etwas gesagt.«
»Er mußte sich Luft machen, Adda; man kann nicht immer alles weiter ertragen; es kommt der Zeitpunkt, da muß man etwas tun. Dein Vater hat sich gewehrt, so wie er es verstand.«
Adda blickt auf den hellen Spalt der schwarzlackierten Bretter. »Wogegen gewehrt?« fragt sie erregt. »Gegen den Sarg? Gegen Donald, den Revolver, das Schicksal, gegen alles?«
»Ich sagte, so wie er es verstand; aber ich denke, Adda, wir sollten es ein bißchen besser verstehen.«
»Ja, du!«
»Auch du, Adda; du bist doch auch nicht mehr ein Kind, das die Wand schlägt, weil es gegen die Wand gerannt ist. Gegen Donald und den Revolver – ja. Aber wieso gegen das Schicksal und alles? Es gibt da kein Schicksal, das wir selbst nicht zulassen, Adda.«
»Willst du etwa sagen …« Sie schweigt.
Auch Pat schweigt. Er schaut auf die Machete, die noch immer am Boden liegt. Wie oft mag sie einem Indio durch das stachelige Buschwerk in Texas oder Mexiko den Weg gebahnt haben! Eine scharfe Schneide. Ein Wegbahner.
»Nein, soweit gehe ich nicht, Pat …«
»Wie?«
»Wenn es auch kein Schicksal in den Wolken gibt und Beß' Tod etwas ganz anderes ist als ein Schicksal, willst du behaupten, Pat, unsere kleine Beß, die alles für Robby und gegen den stumpfen Unsinn tun wollte – jawohl, die, wie du selbst sagst, ihr Schicksal nicht mehr ertragen konnte, sondern sich dagegen auf ihre Weise wehren und mit Donalds Hilfe Robby befreien wollte –, willst du behaupten, Beß sei schuld an ihrem Ende?«
»Vielleicht nicht Beß.«
»Sondern?«
»Wir, Adda. Wir.«
»Wie?«
»Wir haben uns einfach zuwenig um sie gekümmert, Adda. Wir waren zuwenig aufmerksam und wachsam. Alle Stunden aber, da wir heute nicht wachsam sind, diese Stunden wenden sich gegen uns …«
»Bloß Beß, Beß?«
»Wir und Beß, das ist im Grunde dasselbe. Du selbst, Adda, hast beobachtet, wie verzweifelt Beß war, wie sie oft erst am frühen Morgen heimkam, wie sie gar kein Mensch mehr gewesen sei, und wie der letzte Brief von Robby sie völlig durcheinanderbrachte; du hast das für dich behalten, Adda, vielleicht aus Scham, vielleicht, weil du mit dir selbst zu tun hattest – das soll kein Vorwurf gegen dich sein, Adda –, denn wenn Ann oder ich oder Ohm Ernest und der Doktor davon gewußt hätten, vielleicht hätten wir gemeinsam sie über den Berg gebracht oder überm Wasser gehalten … wie du willst. Siehst du, Adda, was man oft so gedankenlos unsere Schicksalsstunde oder gar das Schicksal einer Generation oder eines Volkes nennt, das ist eigentlich die Summe von Versäumnissen vieler einzelnen. Darum gibt es kein Schicksal, sondern die Summe von vieler Einzelschuld. Und da ein jeder bei Erkenntnis und gutem Willen seine Schuld abtragen kann, kann auch unser aller ›Schicksalsweg‹ abgewendet werden.«
»Aber wie viele wollen denn?« opponiert Adda. »Beß ist tot, Robby haben sie verschleppt, hinter Ohm Ernest sind sie her; auch du und ich, wir stehen vielleicht schon auf der Liste, und die übrigen haben ihr Abonnement auf die Atombombe …«
»Unsinn, Adda!«
»Ist es nicht so?«
»Im Bewußtsein der von ihrem schlechten Gewissen gelähmten Bürger mag sich auf diese Weise das alles vorbereiten. Aber der Untergang des Bürgertums ist kein Weltuntergang.«
Adda betrachtet aufmerksam den von seinen Gedanken bewegten Pat. Zorniger Mut sprüht aus seinen Augen. Ein anderer Mensch als Gene! denkt sie. Aber dieser Gedanke bereitet ihr keine Genugtuung, sondern Schmerz, wider ihren Willen Schmerz. Weshalb kann Gene nicht so zuversichtlich sein wie Pat? Weshalb zweifelt er stets: Lohnt es sich noch? Obwohl Gene jahrelang geflogen ist, möchte sie doch nicht mit ihm im Flugzeug den Ozean überqueren. Mit Pat würde sie sich ins Meer stürzen, den Atlantik zu durchschwimmen. Pat ist wie ein Ausrufungszeichen nach einem Ja, zu dem es nur die Bestätigung eines doppelten Ja geben kann. Gene ist das Fragezeichen, zu dem man bestenfalls die Antwort mühsam suchen muß.
Weshalb denkt sie jetzt an Gene, da Pat zu ihr spricht mit der ganzen Frische seiner Intelligenz und seiner Entschlossenheit?
»Gewiß, Adda«, meint Pat, der die Machete vom Boden aufgenommen hat und die scharfe Schneide mechanisch mit dem Daumen prüft, »unsere Beß können wir nicht mehr lebendig machen; aber du wirst sehen, ganz tot soll sie deshalb auch nicht sein.«
Worte! Worte! denkt Adda.
Und doch, sie fühlt sich gestärkt und beruhigt, wie sie ihren Kopf gegen die Wand des Sarges preßt und übermüdet tiefatmend in Schlaf sinkt, noch mit dem Gefühl, als seien manche Worte mehr als Worte.
Auch Gene findet in dieser Nacht keine Ruhe. Einmal liegt es an ihm selbst und dann wieder an Colonel Kennedy.
Als Gene von dem Totenbesuch bei der kleinen Beß und von Adda zurückkommt, fährt er – er hat sich den Tag freigenommen – zu dem Flugfeld F. 8 der Air Force, um dort seine Funkerkollegen zu besuchen. Da auch er an der nächtlichen Suchaktion des verunglückten Majors Clerk beteiligt war, ist es ganz natürlich, daß er sich für die näheren Umstände interessiert, wie man denn endlich den abgestürzten Höhenflieger gefunden habe?
Gene erfährt, daß der Funkersergeant vom Dienst von jener Nacht, Miller, in der Kantine sich aufhält. Da Sergeant Miller ebenso wie Gene die Kriegsspangen von Afrika und Frankreich trägt, ist der Kontakt mühelos hergestellt. Gene ist Millers Gast; es werden in bunter Reihe einige Scotch Whiskys, Martinis und Calvert Specials gezwitschert und hierbei die alten Heldentaten der Air Force aufgetischt, und zwar mit nicht zu leiser Stimme, damit auch das junge Gemüse in der Nachbarschaft staunend daran teilhaben kann.
Gene versucht die Alkoholflut ein wenig zu dämmen, da er Nachtdienst habe. Er steuert auf einen bestimmten Punkt los. Er meint, trotz seiner kaputten Lunge möchte auch er einmal die 14 000-Meter-Höhe überfliegen; verflucht merkwürdig müßte es sein, mit einer Maschine an der Stratosphäre zu hängen und so gleichsam vom Erdball loszukommen.
»Vom Erdball loskommen«, lacht der Sergeant auf, »hast du dir aber fein ausgetüftelt, mein Junge … ist nicht, du Erdenfloh«, er tippt Gene auf die Nasenspitze, »weil du nämlich in der Überdruckkammer ganz wie in Mommis Schlafzimmerchen hockst … und wenn das Zimmerchen aufgeht, plauz, liegst du wieder auf dem Erdenkloß, so wie unser Major Clerk.«
»Aber warum ist das Zimmerchen denn aufgegangen?« fragt Gene, der sich auf die Tour des Sergeanten einstellt.
Der Sergeant hat seinen Arm um Gene gelegt und ist ganz nahe an ihn herangerückt: »Bist ein kluges Jungchen, daß du vom Zimmerchen sprichst«, haucht er seinen Kumpan an, »denn unser Oberfliegermajor hatte noch ein anderes Erdenzimmerchen … und seine Gedanken waren wohl in 14 000 Meter Höhe mehr unten auf der Erde, jawohl … also mußte er auch schnellstens hinabkommen … schnellstens, sage ich … schneller als sein Gedanke, oder ich will verdammt sein …«
»Wenn das nicht mal übertrieben ist!« reizt ihn Gene.
»Übertrieben?« lärmt der Sergeant plötzlich. »Was ist hier übertrieben, du Hundefürzchen, wenn ein Mädel auf dich wartet!« Sofort aber rückt er wieder ganz nahe an Gene und flüstert: »Ein Mädel hat ihn auf dem Gewissen und auf ihrem weißen Bauch gehabt, Jungchen … wie du willst, verdammt … du kannst dir 'ne Stecknadel irgendwo hinstecken und verheimlichen, aber kein Mädel …«
Es ist klar – Beß war in der Nacht bei Donald.
Und weiter erfährt Gene von dem Sergeanten, daß Donald seinen Wagen in der großen Dienstgarage unterstellte, daß auch nach des Majors Himmelfahrt in seinem Schlafkabinett noch Licht brannte, wie einige Leute vom Bodenpersonal beobachtet hätten, und daß natürlich so allerhand gemunkelt würde, weil die Herren Offiziere sich ihre Betthasen und Pin up girls auch in die Dienstquartiere mitnehmen könnten, was zur Folge habe, daß bei so einem Nachtflug Hand und Auge nicht mehr völlig okay seien.
Gene überlegt, wie er zu seinem Ziel kommt?
Ob er das bezweifle? Das sei wohl auch übertrieben? ereifert sich der Sergeant, der von den verschiedenen Schnäpsen ziemlich illuminiert ist. Bitte, man kann mit den Monteuren des Höhenflugzeugs sprechen und mit dem Garagendienst! Bitte sehr!
Gene ist mit diesem Vorschlag sehr zufrieden. Wie sie auf dem Außenring um das große Flugfeld herum gehen, kommt der redefreudige Sergeant vom Hundertsten ins Tausendste. So erzählt er, daß der Kommandant von Genes Flugplatz vorgestern und gestern den hiesigen Kommandanten besuchte und sich in der Funkbude auch mit ihm – dem Sergeant Miller – über »den ganzen nächtlichen Feuerzauber« unterhielt.
»Eine erstklassige Figur«, sagt der Sergeant, »er scheint mit dem Major befreundet gewesen zu sein.«
Gene hält seinen etwas ideenflüchtigen Kollegen jetzt bei dem Thema fest. So gelangen sie zu der mächtigen Flugzeughalle. Nur einer der Monteure jener Nacht ist anwesend. Er kann oder will nicht mehr sagen, als daß der Major Clerk »etwas anders« gewesen sei als sonst.
»Hosenscheißer!« ist des Sergeanten Urteil über den Monteur, wie sie zur Garage gehen. »Wahrscheinlich hat der Chef ihm die Schnauze zugenäht.«
Das scheint noch mehr zuzutreffen für den damaligen Garagennachtdienst, den Negergefreiten Jeff Johnson, ein Mensch wie ein Baum mit einem ernsten, fast bekümmerten Gesicht. Er habe den Wagen des Majors nur empfangen und abgestellt, mehr wisse er nicht … »Gott sei mein Zeuge!«
Ob der Major allein in dem Wagen gewesen sei? fragt Gene.
Der Gefreite bückt sich, um ein Werkzeug unter dem Wagen aufzunehmen; er schaut dann auf den Sergeanten.
»Na, was ist?«
»Das ist alles«, erwidert der Neger und geht an seine Arbeit.
Beim Ausgang trifft Sergeant Miller mit Hallo einen anderen Sergeanten, den Garagenchef. Miller stellt seinen »alten Kameraden« Gene vor und ist natürlich gleich bei Major Clerks Himmelfahrt und den »Bungalowengeln«, die den Offizieren schon die Erde zum Himmel machten. Wie es denn mit seinem Schutzengel stehe? fragt Sergeant Miller den Kriegskameraden Gene. Aber sofort kommt er wieder auf ein ganz anderes Thema, auf die Schiebungen des Kantinenwirts, »dieses Zuhälters und Kreuzungsproduktes eines Mistkäfers mit einem Regenwurm«.
Gene beobachtet den Neger, der an dem Wagen arbeitet. Was hatte er noch gesagt … da war doch ein Satz … mehr wisse er nicht, »Gott sei mein Zeuge!« Also ein Gläubiger. Während die Sergeanten sich über die Schiebung des Kantinenwirts immer mehr in die Wolle reden, geht Gene nochmals zu dem Gefreiten. »Höre, Freund, man soll doch nicht lügen«, sagt er, »am wenigsten … bei Gott als Zeugen!«
Der Gefreite steht da und starrt ihn an.
»Du weißt genau, daß noch eine junge Frau im Wagen war«, blufft Gene.
Der Mann schweigt mit angehaltenem Atem.
»Weshalb sagst du bei Gott nicht die Wahrheit – da ein Mensch ermordet wurde?«
»Nicht ermordet!« stößt der andere hervor.
Die Sergeanten drehen sich herum. Gene tritt wieder zu ihnen.
»Hast du was dort liegenlassen?« fragt Sergeant Miller. »Ich denke, wir alten Burschen sollten noch einen Harten kippen auf die kleinen Engelein hier unten und auf unsere Freundschaft; let us go, boys!«
*
Wie Gene auf seinem Motorrad über die abendliche Chaussee braust und der Fahrtwind ihm das Gesicht peitscht, ist ihm zweierlei klar – einmal, daß Beß in jener Nacht mit Donald in dessen Quartier auf dem Flugplatz war, und zweitens, daß der Negergefreite mehr weiß, als er gesagt hat. Auch, daß diese Lüge über Beß dem religiösen Neger keine Ruhe lassen und in ihm bohren wird, daß es schließlich an ihm, Gene, liegen wird, hier mehr zu erfahren.
Natürlich erfordert das alles Anstrengung und Zeit. Auch eine Portion Mut. Man kommt leicht mit solcher Sache in Teufels Küche. Was man in den Kessel hineinwirft, weiß man zur Not; was aber dabei herauskommt, kann eine böse Suppe sein. Das alles entspricht so gar nicht seiner Art. Wozu sich das Leben schwerer machen, als es schon ist?
Wie sagte doch vor zwei Tagen Adda, als er ihr riet, sich im Falle Beß ruhig zu verhalten? Wenn alle sich so verhielten wie »hypnotisierte Kaninchen«, dann würde es nie anders werden und aus all der Lüge und Angst schließlich doch noch der Krieg herausspringen.
Gene gibt Vollgas. Die Maschine donnert jetzt mit höchster Geschwindigkeit über die Asphaltbahn der breiten Chaussee. Bei solch einem Motor müßte man jeden Rivalen abhängen können, sofern er nicht mit einem im Sattel sitzt. Aber das Gespräch mit Adda sitzt eben hinter Gene im Sattel, ganz nah an seinem Ohr. Oder ist es Adda selbst, die wie gewohnt ihre Hände auf seine Schultern legt und ihm gegen den Lärm ins Ohr spricht: Lüge und Feigheit, das sind die beiden Erzübel; eigentlich sind sie ein und dasselbe wie die beiden Hälften einer Muschel. Und wie steht es da mit ihm, dem Funker Gene? Weshalb liegt die Stafettenkapsel noch immer bei ihm, da die Weltjugendfestspiele längst begonnen haben?
Warum hat er in der Sache Beß sich bemüht?
Was geht ihn das alles an?
Soll er nicht Schluß machen mit Adda, die selbst die Tür hinter sich zugeworfen hat?
Weshalb? Warum? Soll man, soll man nicht? Unsinn! 60 miles, 70 miles die Stunde auf dem donnernden Motor reiten, sich in den Fahrtwind und Raum der langen Geraden werfen, da haben die Gedanken das Nachsehen.
Gene findet keine Zeit mehr, sich noch etwas hinzuhauen. So geht er ziemlich ermüdet in den Nachtdienst. Vielleicht kann er mit seinem Kollegen verabreden, daß der die ersten sechs Stunden hintereinander übernimmt statt der dreistündigen Ablösung.
Doch wie es der Teufel will, ist Colonel Kennedy wieder in Fahrt. Kurz nach Mitternacht erscheint er auf der Funkstation und verlangt den noch ruhenden Gene zum Rapport. Er erwartet ihn in dem zweiten Chiffreurzimmer, das abseits liegt und meistens unbesetzt ist.
Gene, noch etwas schlaftrunken, merkt – sowie sie allein sind –, daß der Colonel sich bereits in Stimmung befindet und Atmosphäre um sich verbreitet. Er ist in jenem fortgeschrittenen Stadium, da Alkoholiker und Rauschsüchtige unter dem Druck ihrer Halluzinationen von gewissen Verfolgungs-, Versündigungs- oder Größenwahnideen befallen werden. So steht auch Kennedy jetzt unter einer fixen Idee, allerdings unter einer Zwangsidee besonderer Art. Sie setzt sich zusammen aus dem bekannten Verfolgungswahn, daß ferngelenkte »russische Flugkörper« immer zahlreicher die USA bedrohen. Auf der anderen Seite ist er von einem völlig entgegengesetzten Gedanken besessen, der mit seinen letzten Besuchen beim Kommandanten des Flugplatzes F. 8 zusammenhängt und über den noch zu sprechen sein wird.
Die Katastrophe von Donalds Höhenflugzeug aber ist das Bindeglied beider konträrer Komplexe. So platzt der Colonel, der – wie gesagt – sein Quantum Alkohol und Marihuana bereits konsumiert hat, los: »Auch Sie, Gene, haben sich gewiß doch Gedanken gemacht über des Majors Tod? Oder nicht? Warum nicht? Furcht vor dem Nachdenken? Natürlich nicht! Übrigens weiß ich, daß Sie heute da draußen waren. Schön von Ihnen … zeugt von Kameradschaft und Fachinteresse … bloß seien Sie etwas vorsichtig mit dem Herumhören … natürlich ganz harmlos, natürlich … aber so viel wissen Sie als Funker, daß F. 8 'ne besondere Abteilung hat … man fliegt ja nicht in die Stratosphäre, um ein bißchen mit dem Mond und den Ultrastrahlen zu kokettieren … also wie denken Sie über den Absturz? Materialschaden, die Maschine doch überzogen, atmosphärische Dinge oder Einwirkung des Gegners?«
»Man müßte die Meldung von der Unfallstelle kennen«, antwortet Gene.
»Und wenn da nichts gefunden wäre als ein ausgebranntes Gerippe, eines der üblichen Wracks … nein, nein, mein Freund, strapazieren Sie mal Ihr Funkerhirn … es waren da Störungen und Signale aus gewisser Höhe?«
»Gewiß; aber die Auswertung der Beobachtungen auf den verschiedenen Stationen lag nicht bei uns. Es gibt doch drei bis vier Radiopunkte, die sich nahe dem Absturzort befinden.«
»Zum Henker, Ihr Absturzort! Ich will keine Arithmetik und Koordinatenschusterei, sondern kühne Logik! Also Strahleneinwirkung – ja oder nein? Der Russe – ja oder nein?« Die roten Äderchen im Augapfel Kennedys zeichnen sich jetzt deutlich ab, die Hornhaut und die Iris haben einen metallischen Glanz. Der Blutumlauf des Colonels beginnt unter gesteigertem Druck auf Touren zu kommen. »Ah, verzeihen Sie, ich vergaß!« Er hält seinem nächtlichen Partner das Zigarettenetui hin.
Gene hat bereits schon einmal einen Trick erprobt: er trägt in der unteren Jackettasche offen stets zwei bis drei Lucky Strike, und während er sein Feuerzeug sucht, läßt er die Marihuana – sie zerquetschend – dort versinken und holt mit dem Feuerzeug zugleich die normale Lucky Strike hervor. So entgeht er dem Gift der Droge. Er muß es nur möglichst vermeiden, den Rauch aus des Colonels Zigarette mit einzuatmen.
»Also, Sie behaupten, ferngelenkte Flugkörper, und nicht aus unserm Bereich … also der Russe …«, fährt der Colonel los, ohne daß Gene überhaupt ein Wort hierzu gesagt hat. Kennedy saugt mächtig an seinem Stäbchen. »Sehr primitiv, mein Söhnchen, so primitiv wie das Einmaleins, nicht wahr? Ja, wenn es so einfach wäre?« Er rückt jetzt von Gene ab, indem er ihn wie einen Kontrahenten mit zugekniffenen Augen beobachtet, die Füße gegen den Tisch stemmend. »Und wenn es etwas anderes wäre? Gänzlich total was anderes? Nun, bitte nachdenken! Zum Beispiel?«
Gene versteht das Spiel, das der Colonel heute mit ihm beliebt, noch nicht.
»Also, bitte, Oberfunker!«
»Sie sprachen selbst von Materialschaden, Colonel.«
»Ist das was Besonderes?!« krächzt Kennedy. »Wie war denn die Flugbahn des Flugkörpers? Nicht beobachtet? Nicht darüber nachgedacht? Bloß Weiber und Whisky im Kopf? Erbärmlich! Dabei gehen die großartigsten Dinge dort vor in der Stratosphäre und Ionosphäre, unerhörte Dinge …«
Halt! Gene horcht auf. Dieses Wort »Ionosphäre« hat er schon einmal vom Colonel gehört. Herausfordernd sagt er: »Ah, die Sache mit der Ionosphäre … ziemlich altes Märchen! Unkontrolliertes Zeug für Sonntagsblattleser!«
»Sonntagsblattleser?!« schreit Kennedy ihn an, fällt aber sofort wieder in einen forciert leisen Ton zurück. »Ihr ahnungslosen Säuglinge, eure Hirnapathie ist es, eure Trägheit! Der Russe, die Roten, Moskaus Luftpiraten … eine andre Walze habt ihr nicht, was? Den Kinderschreck für erwachsene Säuglinge …«
Wie? Hört er recht? Träumt er? Oder ist das Ganze eine Halluzination des Marihuanarauches? Gene reibt sich energisch die Augen, den Schlaf aus den Augen.
»Wem dient wohl dieser primitive Schwindel? Noch nie darüber nachgedacht? Unsre Air Force bloß damit blamiert?« platzt der Colonel wieder los. »Aber unsre Air Force ist all right, mein Sohn, first class … hängt sich an die Stratosphäre, sendet ihre Moby Dicks in den zweiten Himmel und ihre Raumraketen in die dritte Sphäre … in die Ionosphäre, über 100 000 Meter hoch, in die Nordlichtsphäre … zu hoch für dein Köpfchen mit den Russenflugkörpern, was … hältst unsre W.A.C.-Corporal-Doppelrakete, die über 400 000 Meter Höhe spurt, wohl auch für 'nen fliegenden Russen und die 300 Plexiglasballons, die Moby Dicks, die wir loslassen, für aufgepumpte rote Kommissare, du Sonntagsblättchengehirn …« Er hat schon die zweite Marihuana geraucht und zertritt den Stummel am Boden.
Was ist los? Der Colonel kämpft gegen den Colonel? Kennedy redet gegen Kennedy? Gene kann dieses ungeheuerliche Rätsel noch nicht fassen, daß sich in dem durch langen Rauschgiftgenuß zersetzten und zerfallenden Organismus auch eine Zersetzung des Bewußtseins vollzieht, eine Auflösung der Persönlichkeit, eine paranoide Spaltung des Ichs: ein Ich und ein Gegen-Ich, da ein Ich das andere Ich verhöhnt, widerlegt, verneint, vernichtet. So redet jetzt Kennedy, der kühle Skeptiker, gegen Kennedy, den Russenfresser und panikösen Hysteriker.
»Ahnst du jetzt, du passives Genie, weshalb Clerk abstürzte?« beginnt er hemmungslos Gene zu frotzeln. »Weil man ihn ebenso mit der Walze: Achtung, feindliche Flugkörper über USA! verrückt gemacht hatte, er auf unsre eigenen Moby Dicks jagte wie ein Irrer und dabei abtrudelte …«
»Aber das hätte der Major doch wissen müssen«, opponiert Gene.
Kennedy bricht in ein schallendes Gelächter aus. Dann springt er auf, reißt den Stuhl hoch, ihn auf sein Gegenüber niederzuschmettern. Gene hat seine Hand gefaßt. Ganz nahe stehen die beiden voreinander. Des Colonels Gesicht ist jetzt kreideweiß bis auf die geröteten Skleren seiner Augen. »Hat es denn der Colonel Kennedy gewußt, bevor der Kommandant von F. 8 damit herausrückte … weil der Idiot Kennedy es auch nicht begriff … halt 's Maul, Idiot Colonel Kennedy!« nuschelt er vor sich hin. »Schrecklicher Blödsinn, auf einen unsrer eigenen Moby Dicks Jagd zu machen … ist so was verständlich, Colonel?« fragt er Gene.
Immer mehr spürt Gene, daß hinter diesem Wirrwarr und Gedankensalat eine wichtige Sache sich verbirgt. Wollend oder nicht spielt er nun mit, das zweite, »idiotische« Ich des Colonels repräsentierend. So meint er unwissend: »Aber irgendeinen Zweck müssen die Moby Dicks doch haben? Oder waren es riesige Kinderballons von einer Party?«
»Schöne Kinderballons … aus Plexiglas von 40 Meter Durchmesser! sagte der Chef von F. 8 … Kinderballons! Laß dich doch selbst aufblasen, Hohlkopf Colonel …« Kennedy möchte sich noch eine Marihuana anzünden, bringt es aber nicht fertig; sie fällt ihm durch die Finger, er zertritt sie erregt. »Laß dich einbalsamieren, du Mumie … hast wohl nie etwas von kosmischen Strahlen gehört in deiner Pyramide, die dringen ins tiefste Bergwerk, hat mir der Chef erklärt, you see … und da oben, du Mäusegehirn, in 40 000 Meter Höhe … ich will verdammt sein, wenn Donald nicht den Ehrgeiz hatte, sich in solcher Höhe mit 'nem Russen zu schlagen … und dabei schlägt so ein kosmischer Strahl ganz andere Sachen in Stücke und sendet ganz andere Geschosse aus … mit 500 Milliarden eV … Elektrovolt, Elektronenvolt, du Idiot, sagt der Chef, oder nicht …«
»Bestimmt!« beteuert Gene schnell, da der andere ihn an der Schulter gepackt hat.
»Weißt du, Colonel, was eine Photoplatte ist?« fragt Kennedy leise und durchdringend. »Eine einfache Photoplatte? Los, ja oder nein?«
»Eine Photoplatte – gewiß.«
»Und auf so 'ner Photoplatte hat so 'n Weltraumteilchen mit einer Energie – wie sagte ich noch – von 500 Milliarden … wie war's doch noch: Volt, jawohl, solchen Teilchenvolt oder Elektronenvolt oder so … verstehst du es denn nicht, du Hohlkopf … da hat dieses Teilchen 'ne richtige Explosion eines Atomkerns der Photoschicht verursacht … halt's Maul, sag ich! Und wenn du an den braven Moby Dick noch so was anhängst wie 'ne Photoplatte oder 'ne Wasserstoffsache und dann in 40 000 Meter Höhe den Atomkern explodieren läßt … Mann, wenn du das bedenkst, dann gehst du selbst in die Luft … ist es nicht so, du Luftikus?«
»Und ob, Colonel!« erklärt Gene und sucht angestrengt diesen Knäuel zu entwirren.
»Schiet auf deinen Colonel!« faucht ihn Kennedy wieder an. »Ich sage dir, dein Colonel mit dem ganzen Flugfeld ist ein Affendreck … ist vor so 'nem Weltraumteilchen nicht mal soviel wert wie das Schwänzchen einer Filzlaus, you see … so 'n Weltraumteilchen, sag ich, das sich mit 'nem Regen von Höhenstrahlen auf unsern beschissenen Planeten stürzt wie 'n Riesenregen …« Völlig erschöpft legt er den Kopf zwischen die Arme auf den Tisch.
Gene hat das Gefühl, auf einem Teufelsrad zu sitzen. Alles in seinem Kopf dreht sich. Ihm schwindelt vor all dem Schwindel.
Also auch das ist ein Schwindel? Die Invasion der russischen Flugkörper. Die Fliegenden Untertassen? Es sind die eigenen riesigen Höhenversuchsballone der Air Force oder einer Versuchsstation. Es ist der Massenstart jener »Moby Dicks«. Hatte man nicht auch einmal berichtet, beim Radarechoversuch mit dem Mond als Reflektor habe das Gerät in 40 000 Meter Höhe mit dem Radarstrahl irgendeinen massiven Körper angepeilt? Natürlich eine russische Rakete! Und dabei weiß die Forschungsabteilung der Air Force und das Bundesamt für technische Normung genau, daß es sich hier um eigene Versuchsraketen und jene Moby Dicks handelt!
Und läßt ruhig die Panik in der U-Bahn mit zertrampelten Menschen geschehen? Und züchtet bei dem Luftalarm die Bombenhysterie und die Russenpanik und dies ganze gefährliche Theater der F.B.I.? Nicht zu vergessen Donald, Robby und Beß.
Ja, Beß.
So ist das alles. Eines aus dem andern.
Wie sagte Adda?
Der Kopf will ihm zerspringen. Vielleicht qualmt noch eine Marihuana am Boden? Nein, nichts ist dort. Nur ein Rest der Stummel vom Tagdienst und Schmutz. Ein süßlich-säuerlicher Geruch nach Sherry, Tabak und Magensäure.
Und noch ein stickiger Dunst verdickt die Luft – Schwindel, Lüge, Schwindel.
Und Blindheit.
Auch daran starb die kleine Beß. Wie viele werden noch daran sterben? Heute, morgen, in Zukunft …
Und weiterschweigen?
Dort schnarcht der Colonel. Mit jedem Atemzug weicht Gestank aus seinen Lungen, aus seinem Magen.
Gene geht hinaus. Tief atmet er die frische Nachtluft.