Julius Wolff
Der Rattenfänger von Hameln
Julius Wolff

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XVIII. Der Ausgang der Kinder
 

        Sonntag war es; in des Stiftes
Weiter, hochgewölbter Kirche
War versammelt die Gemeinde.
Schüler sangen; auf der Kanzel
Stand des Stiftes bester Redner:
Isfried predigte; ein Andrer,
Ganz ein Andrer war er heute
Im Ornat, als dort im Keller
Neulich bei dem Malvasier.
Freien, unerschrocknen Geistes
Herberg war der mächtige Körper;
Lust und Leid des Menschenherzens,
Weltlich Treiben, geistig Forschen
Und des Lebens Kampf und Kurzweil
Kannt' und liebte dieser Streiter.
Ihm war Redekunst gegeben
Wie nur Wenigen vergönnt war,
Seine Stimme hallte dröhnend,
Klang dann wieder weich und milde;
Was er sprach, kam ihm vom Herzen,
Und zu allen Herzen ging es.
Nicht mit Höllenstrafen droht' er,
Nicht mit Schreckensbildern mahnt' er
Zu der Tödtung allen Fleisches,
War kein Heil'ger, wollt' es nicht sein,
Wußte nichts von Pfaffenhochmuth,
Ging als Mensch mit andern Menschen.
Heute von der Liebe sprach er,
Wie Sankt Paulus den Corinthern
Caput dreizehn einst geschrieben:
»Und ob ich mit Menschenzungen,
Ob mit Engelzungen spräche,
Hätte aber nicht der Liebe,
Wär' ich doch ein tönend Erz nur;
Wüßt' ich jegliches Geheimniß,
All' Erkenntniß, hätte Glauben,
Daß ich Berge rücken könnte,
Wär' ich doch nichts ohne Liebe;
Wissen, Weissagung, Erkenntniß
Höret auf und ist nur Stückwerk,
Nimmer höret auf die Liebe;
Glaube, Hoffnung, Liebe bleibet,
Doch das Größte ist die Liebe.« –
Und der Geist der Liebe schwebte
Durch die hohen Kirchenhallen.
Aber draußen durch die Gassen
Ging der böse Feind und säte
Unkraut zwischen all den Weizen.
Während in der heil'gen Dämmrung
Die Gemeinde Knie und Stirne
Vor dem Unsichtbaren beugte,
Schritt am hellen, lichten Tage
Hunold durch die Gassen Hameln's,
Und auf der Schalmeie blies er
Eine zauberstarke Weise.

Doch wen sollten diese Töne
Noch verlocken? Maus und Ratte
Gab es nirgend in der Stadt mehr,
Die erwachsenen Bewohner
Waren alle in der Kirche,
In den Häusern nur die Kinder,
Und die horchten auf und kamen
Jubelnd an die Thür gelaufen.
Sie erkannten schon von weiten
Ihres Lieblings helle Pfeife,
Freuten sich, wie sie ihn sahen,
Ihren Freund, für dessen Leben
Gestern noch die jungen Herzen
Bang gezittert, leis' gebetet.
Ach! sie wußten, seines Bleibens
War nicht länger mehr in Hameln.
Heute wohl zum letzten Male
Spielt' er ihnen noch ein Stücklein
Wie zum Abschied, und so lieblich
Hatte er noch nie geblasen.
O das klang so süß, so lockend
Wie zum Spielen und zum Tanzen,
Wie zum Lachen und zum Singen,
Und er nickte ihnen Allen
So vertraulich, so herzinnig
In die hellen Kinderaugen,
Und da wollten sie noch einmal
Ihren lieben, guten Bundting
Durch die Stadt zum Thor geleiten.
Aber eingedenk der Strafe,
Die den Ungehorsam rächte
Gegen das Gebot der Eltern,
Ja das Haus nicht zu verlassen,
Wagten Wen'ge nur zu folgen.
Doch das böse Beispiel wirkte;
Es gesellten mehr und mehr sich,
Und sie winkten und sie riefen
Die Genossen und Gespielen,
Die verlegen noch und zweifelnd,
Mit dem Fingerchen im Munde
An den offnen Thüren standen
Und den Andern sehnend nachsah'n.
Gar zu lockend klang die Pfeife,
Gar zu fröhlich waren Alle,
Die schon mit dem Spielmann zogen.
Ach! den mächt'gen Zauberklängen
Konnten sie nicht widerstehen,
Alle, Alle mußten folgen
Mit Gewalt, da war kein Halten,
Und mit einem flinken Satze
Kamen schnell sie nachgesprungen,
Freudejauchzend aufgefangen;
Hand an Hand gefaßt, die Arme
Um die Nacken sich geschlungen
Zogen sie dahin und sangen.

Welch ein Bild! voran der Spielmann«
Bunt gekleidet und geschmückt heut
Reich mit Ketten und dem Gürtel,
Daran lust'ge Schellen klangen,
Und ihm auf den Fersen folgend
Kinderscharen, Knaben, Mädchen,
Blond und braun, flachsköpfig, lockig,
Reich gekleidet oder ärmlich,
Manche halb nur angezogen.
Wenn die Großen wie im Schleifschritt
Nach dem Takte sich bewegten,
Trippelten die Kleinsten ängstlich
Hinterher, um mitzukommen;
Ob auch Manches stolpernd hinfiel
Schnell stand's auf, den Ellenbogen
Rieb sich's, und dann lacht' es wieder.
Immer aber wuchs der Haufen,
Immer klang die holde Weise
Aus des Spielmanns Rohrschalmeie,
Und durch alle Gassen ging es,
Schon an's Osterthor gekommen
War der Zug; – geht's dahinaus denn?
Auch zur Stadt hinaus, ihr Kinder?
Aber Hunold winkte lächelnd,
Und nun sang er gar zur Fiedel:

        »Da hinter dem Berge, da funkelt ein Schloß
Mit Höfen und Brücken und Zinnen,
Da spreizen sich Pfauen, da wiehert manch Roß,
Und herrlich wohnt es sich drinnen;
Halb ist es von Marmel, und halb ist es doch
Von Zucker und Marzipane,
Die Treppen so breit und die Säle so hoch,
Vom Thurme weht eine Fahne.

Da sprechen die Thiere wie Menschen so klug
Da nicken die Blumen und singen,
Da giebt es zu essen und Spielzeug genug
Zum Lachen und Tanzen und Springen,
Die prächtigsten Puppen und Reifen und Ball
Und Panzer und Speere und Stecken,
Da tummeln sich Vögel im Haus von Krystall
Und Fischlein in silbernen Becken.

Im prunkenden Saale auf goldenem Thron,
Umgeben von lustigen Leutchen,
Da sitzt ein blondlockiger Königssohn
Mit seinem Prinzessin Bräutchen;
Viel schelmische Knaben und Mädchen so schön,
Die schlingen und führen den Reigen,
Und immer und immer ein lieblich Getön
Von Zimbeln und Harfen und Geigen.

Da hinter dem Berg, da hinter dem Berg,
Da wird euch im Schlosse nichts fehlen,
Da wartet euch auf ein niedlicher Zwerg
Und bückt sich und frägt nach Befehlen.
Bald seht ihr vom Schlosse das blinkende Dach,
Euch reuet wohl nimmer die Reise,
Kommt, kommet, lieb Kinder, und folget mir nach
Ganz heimlich und stille und leise.«

        Wie zu Ende war das Liedlein,
Sang er wieder es von vorn;
Und der Kinder Augen glänzten,
Ihre Wangen blühten rosig,
Und sie flüsterten und lauschten,
Folgten gern dem lust'gen Sänger.
Schon am Koppelberge standen
Jetzt sie, ihre Herzchen klopften.
Und da öffnete der Berg sich,
Und in tiefe Dämmrung führte
Da ein Weg; der Rattenfänger
Schritt voran und blies und lockte, –
Hinterdrein die Kinder alle.
Und als auch das letzte Kindlein
In die düstre Schlucht getreten,
Da verschloß der Berg sich wieder;
Über Gras und Stein und Sträucher
Pfiff der Herbstwind. –

Von dem Gottesdienst im Stifte
Kehrten heim die Bürger Hameln's,
Heim zu ihren leeren Häusern,
Leer von Ratten, leer von Mäusen,
Leer von den geliebten Kindern.

 


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