Julius Wolff
Der Rattenfänger von Hameln
Julius Wolff

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X. Die letzte Ratte
 

           Sieben helle Nächte währte
Hunold's Treiben, Hunold's Zauber;
Pfeifend durch die öden Gassen
Schritt er bei des Mondes Lichte,
Stets gefolgt von grauen Scharen.
Sieben Nächte mußt' es dauern,
Sonst war nicht erfüllt der Zauber;
Doch mit jeder Nacht geringer
Ward die Zahl der Langgeschwänzten,
Bald nicht mehr zu singen braucht' er,
Die Schalmeie schon genügte.
In der siebenten der Nächte
Folgte ihm nur eine einz'ge
Alte, blinde Rattenmutter,
Watschelte behutsam spürend
Hinter ihm den Weg des Todes.
Doch auch nicht der letzten Ratte
Wollte er ihr Recht verkümmern
Und floitirte wie den andern
Trügerisch ihr vor das Grablied.
Nah am Thor, das sieben Nächte
Blieb für ihn allein geöffnet,
Hielt er an und sprach gewendet
Zu der Ratte: »Alte Bestie!
Wird dir sauer wohl zu folgen,
Kannst nicht hopsen mehr und springen
Und mir auf die Schultern steigen;
Gerne schenkt' ich dir das Leben,
Wirst nicht mehr die Stadt bevölkern,
Und wer weiß, wie viele Tausend
Deiner Sippe grader Linie,
Deiner Kinder Kindeskinder
Diesen Weg mit mir gewandelt,
Der in kalten Fluthen endigt.
Leben darf ich dich nicht lassen,
Aber komm, ich mach's bequem dir,
Laß dich greifen! will dich tragen,
Sanft dich in die Arme nehmen –«
»In die Arme! so ist's richtig!
Erst die Mädchen, dann die Ratten,
Und verführt sind und verloren
Beide dann in deinen Armen!« –
Aus dem Schatten eines Hauses
Trat ein Mann, der scharf und höhnend
Diese Worte Hunold zuwarf.
»Wer darf wagen,« rief der Spielmann,
»Sich mir in den Weg zu stellen?!
Hab' ich doch beim Rath bedungen,
Daß mir keine Menschenseele
Auf der Gasse darf begegnen,
Wenn ich Nachts mein Handwerk treibe.«
»Hast dir auch beim Rath bedungen,
Fischers Gertrud zu betrügen,
Geigenbuckler, Hexenmeister?«
Hunold's Rechte fuhr zum Dolche;
Nach des Unbekannten Kehle
Führte er den Stoß, doch seitwärts
Wich der Andre, und die Klinge
Traf nur ritzend seine Wange.
Er entfloh, doch Hunold wüthend
Spießte schnell die alte Ratte,
Und mit einem grimmen Fluche
Schleudert' er sie nach dem Gegner.

Andern Morgens stand am Amboß
Wulf der Schmied, in seinem Antlitz
Eine blutig rothe Schmarre.
Keuchend schnob und pfiff der Blasbalg
In ein lustig praßelnd Feuer;
Aber Wulf mit trotz'gem Muthe
Schwang den Hammer, seine Schläge
Donnerten so wild und wuchtig,
Als ob er den Todfeind selber
Statt des Eisens auf dem Amboß
Liegen hätte, und er sang:

    »Mit Gunst zum Ersten! Eisen in Noth,
Füge dich, krümme dich meinem Gebot,
Biege dich, schmiege dich, Eisen so roth!
Unter dem Pfluge als stählerne Hand
Brich die Scholle mir wacker,
Rode die Wurzeln, zieh Furchen im Land,
Stürze den dampfenden Acker.
Sause, brause, Wind in Flammen,
Eisen glühe, Funken sprühe,
Hammer, Hammer, schmeiß zusammen!
    Schmied, schlage hierher!

Mit Gunst zum Zweiten! Eisen in Noth,
Füge dich, krümme dich meinem Gebot,
Biege dich, schmiege dich, Eisen so roth!
Sollst einem Roß an den klingenden Huf,
Daß es den Reiter in Wettern
Trage dahin, wenn des Heerhorns Ruf
Bläst zum Sturme mit Schmettern.
Sause, brause, Wind in Flammen,
Eisen glühe, Funken sprühe,
Hammer, Hammer, schmeiß zusammen!
    Schmied, schlage hierher!

Mit Gunst zum Dritten! Eisen in Noth,
Füge dich, krümme dich meinem Gebot,
Biege dich, schmiege dich, Eisen so roth!
Werde zur Spitze an Lanze und Speer,
Fordre den Feind in die Schranken,
Schlage ihm Wunden, blutig und schwer,
Ohne im Sattel zu wanken.
Sause, brause, Wind in Flammen,
Eisen glühe, Funken sprühe,
Hammer, Hammer, schmeiß zusammen!
    Schmied, schlage hierher!

Mit Gunst zum Letzten! Eisen in Noth,
Füge dich, krümme dich meinem Gebot,
Biege dich, schmiege dich, Eisen so roth!
Lege dich fest um mein jammerndes Herz
Und umpanzre sein Klopfen,
Drück es in Stücken, gefühlloses Erz,
Laß nicht heraus einen Tropfen.
Sause, brause, Wind in Flammen,
Eisen glühe, Funken sprühe,
Hammer, Hammer, schmeiß zusammen!
    Schmied, schlage hierher!«


 


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