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Als der Letzte aus der Thüre
Trat Herr Wichard Gruwelholt,
Stieg herab die Rathhaustreppe,
Blieb auf ihren untern Stufen
Grübelnd stehn, sah vor sich nieder,
Stützte sich auf das Geländer,
Das von Eisen war geschmiedet,
Und im Augenblicke schien es,
Als ob er sich rückwärts wandte,
Noch einmal hinauf zu steigen.
Doch es blieb bei der Bewegung,
Leise nickend jetzt herunter
Kam er auch die letzten Stufen
Und begab sich auf den Heimweg.
Stattlich sah der Herr und fürnehm
In der pelzverbrämten Schaube
Mit den langen, offnen Ärmeln;
Spitze Schnabelschuhe trug er,
Die ein Vorrecht der Geschlechter,
Doch die bunten, grellen Farben,
Die beliebt geworden, mied er,
Hatte eine Kleiderordnung
Gegen Kostlichkeit und Hoffart
Erst vor Kurzem selbst erlassen,
Die es jedem Stande vorschrieb,
Was für Tracht, für Schmuck und Pelzwerk
Ihm erlaubt und ihm verpönt war.
Wichard's Linke ruht' am Schwertgriff
Und der Rechten Daumen hielt er
Vorne in dem breiten Gürtel.
Vor dem Würdigen stolzirte,
Hellebarde auf der Schulter,
Mit gepufftem und geschlitztem
Wammse in getheilten Farben,
Einer von den Stadttrabanten,
Wie's dem Proconsul gebührte.
Langsam, mit geneigtem Haupte
Schritt er, vom gemeinen Wesen
Ging ihm Vieles durch die Sinne;
Weiß nicht, ob es augenblicklich
Ratten oder Mäuse waren
Oder silberne Talente,
Ob der Pakt des Rattenfängers
Oder ob der städt'sche Säckel,
Der doch leicht genug und ledig,
Ihm so schwer lag auf dem Herzen.
Als er näher kam der Wohnung,
Klärten sich die finstern Mienen,
Denn dort hofft' er Ruh und Frieden.
Mit dem hohen, spitzen Giebel
Schon von ferne gastlich winkend
Stand das Haus ihm an der Gasse.
In den kleinen, runden, grünen
Bleigefaßten Fensterruthen
Spiegelte die Abendsonne
Freundlich ihre goldnen Strahlen.
Aus dem ersten Stockwerk ragte
Keck ein Erker, dessen Thürmchen
War gedeckt mit dunklem Schiefer,
Und auf seiner schlanken Spitze
Blinkte die metallne Kugel.
An geschnitzten Balkenköpfen
Hingen viele Schwalbennester,
Und dazwischen am Gesimse
War ein frommer Spruch geschrieben.
Oben in dem Erkerfenster
Standen frische Blumensträuße
In den blau gemalten Scherben,
Goldlack, Nelken und Levkoyen,
Die des Bürgermeisters Tochter
Zog im Garten hinterm Hause,
Wo die hundertjähr'ge Linde
Ihre breiten Äste reckte.
Eine Laube war gezimmert
In der grünen Lindenkrone,
Und ein hölzern Trepplein führte
Nach dem dämmrungskühlen Plätzchen.
Dort saß gern Herr Gruwelholt,
Denn da kamen ihm die klügsten
Diplomatischen Gedanken,
Und nach Tages Last und Hitze
Nahm er wohl zum Lautertranke
Mit hinauf den großen Schauer
Voll Claretwein oder Moraß.
Auch Regina saß dort gerne
Mit der fleiß'gen Nadelarbeit,
Wenn sie sich ein Tüchlein säumte
Und mit Gold- und Silberfäden
Oder auch mit bunter Seide
Ihren Namenszug hineinwob.
Zwiegetheilt in ihrer Höhe
War des Hauses niedre Thüre
Mit dem schweren Messingklopfer;
Offen stand die obre Hälfte,
Und auf ihrem untern Flügel
Lehnte Jungfer Dorothea,
Schaute ungeduldig spähend
Auf die Gasse und bewegte
Oft den Mund im Selbstgespräche:
»Was mag das nun wohl bedeuten,
Daß er grade heute ausbleibt?
Was wird's geben? wird sich wieder
Mit dem Secretarius zanken,
Dessen glatte, spitze Zunge
Ihm so oft schon Ärger machte,
Daß ihm's Abendbrod nicht schmeckte
Und des Nachts Kolik ihn quälte.«
Also grollte sie kopfschüttelnd,
Daß die marderfellbesetzte
Kogel sich auf's linke Ohr schob.
Schaffnerin war Dorothea
In dem Haus des Bürgermeisters,
Der, seit achtzehn Jahren Wittwer,
Küch' und Keller, Schrein und Linnen
Und sein Töchterlein Regina
Der Erprobten anvertraute.
Würdig war sie des Vertrauens
Und regierte mustergültig;
Ordnung herrschte in der Wirthschaft,
Blitzblank, sauber war der Hausrath,
Und auch in dem fernsten Winkel
Durfte sich kein Stäubchen lagern.
Nur an einer harten Klippe
Scheiterten auch ihre Mühen,
Was sie auch für Kraut und Mittel,
List und Sympathie gebrauchte;
Hameln's allgemeine Plage
Fraß mit scharfen Mausezähnen
Kummerbringend ihr am Herzen.
Nimmer müßig war die Gute,
An den rauhen Händen sah man,
Daß sie jedes Ding zur Arbeit
Nicht mit spitzen Fingern angriff,
Hatte auch gesunde Knochen,
Und von früh bis spät rasaunte
Unverdrossen sie im Hause,
Daß man schon von weitem hörte,
Wo sie sich zu schaffen machte.
Um das faltenreiche Antlitz,
Auf der Lipp' ein stattlich Bärtchen,
Wehten oft die grauen Haare
Ihr vor Eifer; recht verdrießlich
Schien sie manchmal, knurrt' und brummte
Immerfort im Selbstgespräche,
Aber sah man ihr in's Auge,
Das so klar und heiter blickte,
Wußte man, daß all ihr Schelten
Treu und herzensgut gemeint war.
Seit Herrn Wichard's Hochzeitstage
War sie schon in seinem Hause,
War dem halbverwaisten Kinde
Zweite Mutter fast geworden,
Und so durfte sie zuweilen
Sich ein ehrlich Wort erlauben,
Durfte kritteln auch und schmälen
Selber mit dem Hochgewalt'gen.
Als sie endlich ihn gewahrte,
Winkte sie ihm, die gemeßnen,
Steifen Bürgermeisterschritte
Jetzt ein wenig zu beschleun'gen;
Doch Herr Wichard, obschon ahnend,
Daß Besondres vorgefallen,
Ließ sich nicht aus seinem Tempo
Würdevoller Ruhe bringen.
Als er im Bereich des Hörens,
Rief die Jungfer ihm entgegen:
»Seit drei Dutzend Vaterunser
Wartet der Herr Schultheiß Eurer
Oben in dem Erkerstübchen,
Sich mit Euch zu unterreden.«
Kerzengrad', die Hellebarde
Mit weit ausgestrecktem Arme
Gravitätisch präsentirend,
Faßte der Trabant jetzt Posto
An der Thür, die Dorothea
Ihrem Herrn schon längst geöffnet.
Kurzen Gegengruß nur fand sie;
Der Proconsul schritt bedächtig
Über die geräum'ge Hausflur
Und erstieg die dunkle Treppe.
»Habt ja lange heut' gesessen
Auf den hohen Sorgenstühlen!
War das alte Stücklein wieder,
Gelt? wo Euch zumeist der Schuh drückt?
Nun, Ihr konntet meinetwegen
Noch ein halbes Stündlein sitzen,
Lang ist mir die Zeit nicht worden,
Hab' mit Jüngferlein Regina
Mich auf's Beste unterhalten,
Ist ein fromm, verständig Mädchen
Und so herzig und gelehrig,
Wünsch' Euch Glück zu solcher Tochter!«
Mit so freundlicher Begrüßung
Schüttelte die Hand der Schultheiß
Bertholdus de Sunneborne
Seinem Freund, dem Bürgermeister.
»Doch das fromm, verständ'ge Mädchen«,
War Herrn Gruwelholt's Entgegnung,
»Ist nicht auf den Einfall kommen,
Einen Imbiß Euch zu bieten?
Schnell, Regina! ist mir selber
Doch im Hals die Kehle trocken
Von des langen Redens Mühsal,
Schaff' ein Krüglein Bacharacher,
Solchen lieben Gast zu ehren.«
Und in lieblicher Beschämung
Hold erröthend schlüpfte jene
Aus der Thür, mit größ'rer Eile
Das Versäumte nachzuholen.
»Sagt, wie geht es«, frug Herr Wichard,
»Eurer tugendsamen Hausfrau?
Konnt' ihr meinen Gruß dienstwillig
Schon seit langer Zeit nicht sagen.«
»Nicht zum Besten,« war die Antwort,
»Und ich wollte diesen Sommer
Mit ihr in das Wildbad fahren,
Doch nicht sicher vor Gesindel,
Hört' ich, sei es noch im Reiche
Trotz der Strenge Kaiser Rudolf's
Gegen Friedensbruch und Handstreich;
Aber wie verjüngt seit heute
Ist Gebhilde, große Freude –«
Er brach ab, Regina kehrte
Jetzt zurück mit hoher Kanne,
Die aus spiegelblankem Zinne
Und mit Buckeln schön geziert war,
Goß den kühlen Bacharacher
Erst dem Gaste, dann dem Vater
In ein venetianisch Spitzglas,
Nippte mit dem Rosenmunde
An dem einen und kredenzte
Knixend es dem edlen Hausfreund.
Auch des Vaters Blicke ruhten
Wohlgefällig auf der Tochter,
Und ihr sanft die Wange klopfend
Sprach er: »So! und nun, Regina,
Laß allein uns beide Alte,
Haben Wichtiges zu reden.«
»Ja, sehr Wicht'ges,« sprach der Schultheiß,
»Und wenn dir die Ohren klingen,
Denke, daß zu deinem Lobe
Auch ein Wörtlein untern Tisch fällt. –
Kann Euch frohe Botschaft melden,«
Fuhr er fort, als sie allein dann,
»Heribert ist angekommen
Von der Dombauhütt' in Straßburg,
Ist zum Meister dort gesprochen,
Hat's Arcanum auch empfangen,
Ellenhard, der Obermeister,
Hat ihm von der Massenie
Einen Fürderbrief gegeben,
Darin werden Fleiß und Kenntniß
Unsres Heribert gepriesen;
Klingt's doch fast, als ob der Junge
Aller freien Künste Meister.
Wär's Euch nun genehm, Herr Wichard,
Wenn wir in den nächsten Wochen
Zur Verlobung unsrer Kinder,
Die wir früh versprachen, schritten
Und die Lautmerung begingen?
Sicher bin ich, meinem Sohne
Hat sich nie ein ander Bildniß
In das treue Herz geschlichen,
Er bestellte tausend Grüße
An Regina, hab' sie eben
Frisch und warm noch abgeliefert
Und dabei dem lieben Mädchen
Leise auf den Zahn gefühlet;
Hei! wie da die Purpurrosen
Ihr auf Stirn und Wangen glühten
Und die schönen Augen blitzten!
Darf er Euch als Freier kommen?«
»Abgemacht! Herr Sunneborne,
Abgemacht! und Gott gesegn' es!
Recht von Herzen sei willkommen
Mir mein lieber junger Eidam!
Wir Geschlechter haben's nöthig,
Daß wir uns zusammenschließen,
Unten gährt's in den Gemeinen.«
Und ein treu biderber Handschlag
Und ein hell und lustig Klingen
Mit dem goldnen Bacharacher
War des Bundes Brief und Siegel.
An dem großen, kuppelförm'gen,
Schwarzglasirten Kachelofen
War der Ehrensitz des Hauses.
Einem Throne schier vergleichbar,
Der Familie altes Erbstück,
Stand der grobgeschnitzte Armstuhl,
An den Füßen Löwenklauen,
Löwenköpfe an den Lehnen,
Breit und mächtig und bequem auch,
Beinah Raum für Zweie bietend.
Darin saß vergnügt der Schultheiß,
Und dem rüst'gen Greis gebührte
Solch ein Platz vor allen Andern.
Silberweiße, dichte Locken
Kräuselten sich um die Schläfe,
Unter vollen, schönen Brauen
Leuchteten ihm helle Augen,
Und der Bart um Mund und Wangen,
Der am Kinn sich länglich spitzte,
Gab dem hohen, schlanken Manne,
Ganz in saubres Schwarz gekleidet,
Gar ein ritterliches Ansehn.
Gegenüber seinem Gaste
An dem weinbesetzten Tische
Saß der Wirth im runden Sessel,
Welchen der gedrungne Körper
Wuchtig und behäbig füllte.
Denn an breite Schultern schloß sich
Des Herrn Wichard kräft'ger Nacken,
Drauf ein stattlich Haupt sich wiegte.
Aus dem farbevollen Antlitz
Blickte eine heitre Würde,
Und um Mund und Augenwinkel
Spielte oft ein schalkhaft Lächeln.
An den beiden treuen Alten,
Unbeugsam und zäh wie Eichen,
Brauste manch ein Sturm vorüber;
In der Jugend hatten Beide
Tapfer ihren Mann gestanden,
Und auch jetzt im wicht'gen Amte
Saß ein jeder fest im Sattel.
Unbestechlich war der Schultheiß,
Wo es galt, das Recht zu finden,
Und das blanke Schwert der Rüge
Lag bei ihm in sichern Händen.
Auch der Bürgermeister herrschte
Streng und weise, doch es neigte
Gern sein Herz zu Mild' und Güte.
Bei der Bürgerschaft in Achtung
Stand er, und nicht leicht vergab er
Eins von den verbrieften Rechten
Seiner Stadt, die reich und mächtig
Wie ein eigner Staat im Reiche
Nach der Väter Brauch und Sitte
Frei und stolz sich selbst regierte.
Ein erinnrungsreiches Leben
Hatten Beide in Gemeinschaft
Schon mit Lust und Leid genossen,
Und es brauchte keines Schwures,
Sich der Treu noch zu versichern;
Doch in ihren alten Tagen
Wollten sie ein Band nun schlingen.
Das zwar um zwei andre Herzen
Unzerreißbar bald sich legen,
Aber auch die eignen fester
Noch zusammenknüpfen sollte.
Sohn und Tochter zu vermählen
War ein Wunsch, der längstens Beiden
Heimlich in der Seele keimte,
Daß sie später selbst nicht wußten,
Wer zuerst ihn ausgesprochen.
Jetzt nun saßen sie zusammen,
Sprachen von der Kinder Zukunft
Und von ihrer eignen Jugend,
Und manch fröhlicher Genosse,
Manche blühend schöne Jungfrau
Alter Zeit ward da erwähnt,
Die vielleicht schon lange ruhten,
Und doch klangen hier die Gläser
Überlebender Gefährten
Jenen noch ein treu Gedenken.
Sprachen auch von Landes Wohlfahrt,
Von dem großen Hansabunde,
Von der Stadt und von dem Stifte
Und vom Schwalenberger Grafen,
Den zuwider aller Satzung
Albrecht nach den Ebersteinern
Über die Vogtei gestellet,
Schieden dann als Freund' und Brüder.
Langsam und bedächtig schenkte
Nun den Rest des Bacharachers
Sich Herr Gruwelholt in's Spitzglas:
»Wieder einen Pakt geschlossen!
Erst die Ratten, dann die Tochter«,
Sprach er für sich, hob das Glas dann
Vor die Augen gegen's Fenster:
»Bacharacher! schaust ja trübe,
Hast bedenklich abgelagert, –
Das hat etwas zu bedeuten,
Würde Dorothea sagen –
Wenn nur Alles glücklich abläuft!
's ist, als ob mir Unheil schwante.«
Sprach's und trank die letzten Tropfen
Sammt dem trüben Bodensatze.
Unterm hohen Lehnstuhl aber
Lugt' hervor ein graues Mäuschen,
Saß da auf den Hinterpfoten,
Putzte sich und machte Männlein;
»Kschksch!« rief der Bürgermeister,
Und husch! – weg war's kleine Grauchen. |