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Ein deutscher Maharadscha.

Johann Georg Wüst, ein feuriger Sohn Frankens aus Rheinfeld, schlug sich vier Jahre auf der unteren Schule zu Würzburg bis zur Rhetorik durch. 18jährig, ließ er sich für das Bastheimsche Regiment anwerben, das 1739 zu den Streitkräften des Kaisers stieß, um die Türken zu dämpfen. Der Krieg war bald aus. Wüst, der am Soldatenleben Gefallen fand, trat in das Banater Regiment zu Temesvar, das unter dem General Engelshoffen stand und verlegte sich vornehmlich aufs »Partisan-Metier«. Als junger Fähnrich drang er 1744 mit nur zwölf Husaren in Prag ein, das von tausend Mann Friedrichs des Großen besetzt war und behauptete sich dort, bis Hilfsvölker eintrafen und die Preußen warfen. für das »bezeugte Wohlverhalten« ward er von Maria Theresia mit ihrem eigenen Porträt begnadet und einige Zeit darauf zum Rittmeister ernannt. Spielschulden veranlaßten ihn, nachdem er beständig Dienst und Garnison gewechselt hatte, 1752 sich dem König von Frankreich zur Verfügung zu stellen. Er bekam sofort ein Husarenkorps und wurde hierauf nach Ostindien entsandt. Lord Clive hatte sich dort eine mächtige Stellung erworben und hatte den Franzosen beinahe den Garaus gemacht. Wüst griff das Glück an der Stirnlocke und ward in der Folge zum Chef der versprengten französischen Truppen und wirklichen Generalissimus ernannt. »Die höchste Vorsehung wollte mich noch glücklicher wissen: da demnach es sich bald fügte, daß der indianische Kaiser oder Großmogul von Delhi mich endlich sogar mit Diplomatie als ostindischer König gesetzt und ernannt hat, auch einhellig von jedermann darzu auserwählt und anerkannt worden«, berichtet er selbst in seiner kürzlich aufgefundenen Selbstbiographie. Der Titularkaiser Indiens, der Großmogul von Delhi, das geschichtlich den ersten Rang unter den Städten Indiens einnimmt und erst am 30. Dezember 1803 an die Engländer abgetreten wurde, ernannte den deutschen General in französischen Diensten sogar zum König Ostindiens. Der erste große Vorkämpfer der französischen Vorherrschaft in Vorderindien, Josef Francois Dupleix, der selber ein Vermögen von mehreren Millionen erworben hatte, war am 10. November 1763 in der Heimat im größten Elend gestorben, nachdem ihm die Kompagnie des Indes unter dem Vorwand der Vergeudung und Unterschlagung die Rückzahlung der ihm schuldigen Gelder verweigert hatte. Sein Nachfolger, der Marquis de Lallay Tollendal, sollte noch schlimmer enden. Er ward in die Bastille geworfen und enthauptet, weil er die Interessen des Königs und der indischen Kompagnie verraten habe. Seine Güter wurden eingezogen. Wüst wurde nun als Gesandter nach Paris abgeordnet, um »von seiten ihrer ostindischen Staaten und von drei an Frankreich bestalliert gewesenen Königen Ihrer Majestät vorzustellen, wie der General Lallay den Engländern alle ostindischen Städte und Plätze übergeben unter dem fälschlichen Vorwand, daß er zu schwach sei, sie länger zu verteidigen. Mittels aber vieler gemachter Proben seine verdiente Strafe erhalten«. Lallay Tollendals Sohn erwirkte, besonders von Voltaire unterstützt, zehn Jahre später die Wiederaufnahme des Prozesses. Jenes Urteil wurde kassiert, und die Ehre des verurteilten für makellos erklärt. Wüst scheint hierbei gerade keine schöne Rolle gespielt zu haben. Sein Geschichtsschreiber, der Münchner Stadtarchivar Fridolin Solleder Der Sammler 20. April 1922. behauptet jedoch, daß der deutsche Maharadscha in gutem Glauben gehandelt habe. Übrigens sind ja weder Lord Clive noch Warren Hastings derartigen Prozessen entronnen. Clive hat durch Selbstmord geendet. Wüst kehrte nach Indien zurück mit dem Befehl des Königs »die französische Nation wieder zu établieren«. Er wählte »wegen geheimster Staatsabsichten« den Landweg. Näheres erfahren wir leider nicht darüber; der Weg muß äußerst schwierig gewesen sein, wenn man sich vorstellt, daß er über das von Thronwirren zerrissene Persien und entweder über Belutschistan oder Afghanistan führte. Auf der Reise wurde er plötzlich durch einen Schlagfluß auf der ganzen Seite gelähmt. Ein Jahr lang konnte er kein Wort reden, noch konnte er einen Menschen erkennen, so daß er siebenmal für tot gehalten wurde. Wieder genesen, entsagte er in feierlichem Gelübde der Welt und ihren Freuden und wanderte zu Fuß in hartem Büßerleben als einfacher Pilger zweimal nach Loretto und Rom. Getreu seinem Gelübde, als armer Büßer von Gnade und Almosen zu leben und zu sterben, pochte er im Mai 1776 an die Pforten des Juliusspitals in Würzburg und bat als fränkisches Landeskind um Aufnahme. Er unterbreitete dem Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim eine knappe Selbstbiographie, »seine in seinem Leben gehabten Seltenheiten«. Der Bischof forderte über ihn noch selbigentags ein Gutachten ein. Zwar schüttelte man verwundert das Haupt, daß der ehemalige Generalchef von seiten Frankreichs in Ostindien der Welt entsagen wolle. Doch wenn auch der »geschwinde Absprung eines weltkundigen Generals vom langgeübten Partisan-Métier höchlich in Verwunderung setzte«, so hieß man doch seine Aufnahme gut. Da saß er nun in dem Spital als Ehrenpfründner mit adligen Damen, Präzeptoren, Chirurgen, Barbieren und Apothekern. Die innere Unrast trieb aber wiederum bald den gealterten Wüst auf die Wanderschaft. Mehrmals kehrte er zurück. Einmal aber entwand ihm Freund Hein den Wanderstab. An unbekanntem Ort ist er zur ewigen Ruhe gebettet. Viele Einzelheiten seines wechselreichen Lebens sind uns noch verborgen. Erst wenn wir im » Archive de la guerre« in Paris wieder studieren können, wird man völlig überschauen, mit welchem Erfolg einst ein Franke den Franzosen gegen die Engländer in Indien half.


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