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Freiherr von Neuhof war Hauptmann der Garde des Bischofs von Münster gewesen, der, wie seine Vorgänger, mit Frankreich verbündet war. Ursprünglich hatte er im Jesuitenkollegium zu Münster und dann zu Köln studiert. Er hatte das Unglück, einen Gegner aus großem Hause zu Köln im Zweikampfe zu töten. Deshalb flüchtig, wandte er sich nach dem Haag. Durch die Vermittlung des dortigen spanischen Gesandten erhielt er eine Leutnantsstelle in einem spanischen Regimente, das gegen die Mohren in Afrika bestimmt war. Er war Hauptmann, als er bei einem Ausfall aus der Festung Oran in die Hände der Mohren geriet, die ihn dem Dey von Algier auslieferten, der ihn 13 Jahre lang als Dolmetsch gebraucht haben soll. Ich bemerke jedoch ausdrücklich, daß die ohnehin verworrenen und schwer zu erlangenden Nachrichten über die Neuhofs hier nicht recht zuverlässig sind, und daß möglicherweise, sintemalen die Darsteller auf Gerüchte und mündliche Überlieferung angewiesen waren, die Erlebnisse von Vater und Sohn zusammengemengt wurden. Genug, wir finden den Vater zuletzt in Metz und dann in Paris. Er heiratete eine sehr wohlhabende Kaufmannstochter aus Lüttich. Der Sohn, Theodor Stephan Freiherr von Neuhof, wurde 1636 in Frankreich geboren. Der junge Theodor ging erst in bayerische Dienste, kam jedoch »wegen Liebesverdruß, Schulden und anderer üblen Entwicklungen« um seinen Abschied ein und wurde französischer Rittmeister. Er fand eine Gönnerin an Liselotte von der Pfalz, der Herzogin von Orleans und wurde deren Page. Durch die Vermittlung dieser bayerischen Prinzessin wurde die Schwester Theodors, ihre Hofdame, Gräfin Trevaux.
Theodor war ein großer Spieler. Nachdem er alles verloren hatte, und sich nur mit Mühe noch seiner Schuldner erwehren konnte, nahm er Dienste unter dem schwedischen Karl XII., bei dem er einen Landsmann, den Freiherrn von Görz, an hervorragender Stelle antraf. Görz war amtlich im Dienste des Herzogs von Holstein, tatsächlich aber die rechte Hand Karls. Neuhof erledigte mit Geschick verschiedene diplomatische Aufträge mit Alberoni, dem vielseitigen, intriganten Leiter der Geschicke Spaniens, mit dem die nordische Großmacht des öfteren zusammenging. Neuhof wurde in eine Verschwörung der schottischen Jakobiten verwickelt und infolgedessen zur Flucht aus dem Haag gezwungen, um dort nicht verhaftet zu werden. Der Freiherr reiste nach Schweden zurück. Zur Unzeit fiel jedoch Karl XII. vor Frederikshall. Abermals reiste Neuhof nach Spanien, wo er durch die Gunst Alberonis eine Oberstenstelle erlangte. Er hatte jedoch wiederum Pech, denn sein Gönner wurde plötzlich gestürzt. Unser Abenteurer geriet nun auch in Ungnade, nebst seiner irischen, einst recht einflußreichen Gattin, die er auf den Rat Alberonis hin geheiratet hatte. Neuhof opferte seine Kostbarkeiten, verließ Madrid und seine Frau und eilte nach Paris. Dort wurde er mit Law (Levi?) bekannt, dem Urbilde aller Gründer und Spekulanten, und gewann und verlor ein Vermögen an den Papieren der Mississippi-Gesellschaft, die Law gestiftet hatte und deren Fallen und Steigen ganz Paris, ja ganz Frankreich in Aufregung setzte. Völlig verarmt, von Schulden erdrückt, von seinen Gläubigern aufs äußerste bedrängt, in Gefahr, in den Schuldturm geworfen zu werden, flüchtete er aus Frankreich, um unstet die Welt zu durchirren. Nach einem kurzen Abstecher nach England machte sich Neuhof nach der Levante auf. Er hatte eben immer das Talent, neue Gönner und Geldgeber zu finden, für das eine Loch ein anderes aufzumachen. Bald erschien er in Holland, bald in Lissabon, bald in Italien, wo immer er nur Kredit finden mochte. Dabei lebte er beständig mit großem Aufwande. Sein Leben erinnert stark an das eines späteren Zeitgenossen, des venezianischen Kavaliers Casanova. Das Jahr 1732 sah ihn auf einmal in Florenz. Aber in welcher Eigenschaft? Als Residenten Kaiser Karl VI. von Österreich! Fürwahr, ein glücklicher Schieber! Lange dauerte jedoch die günstige Brise nicht, da erhebt sich schon wieder ein Sturm, und der Abenteurer strandet als armer Schiffbrüchiger. Er fällt jedoch wie eine Katze immer wieder auf die Füße. In Konstantinopel stößt er auf den ungarischen Rebellen Rakoczy, der dort in glänzender Verbannung lebte, und den Franzosen Bonneval, der vorübergehend österreichischer Diplomat gewesen, aber im Zorn ausgeschieden und nach Konstantinopel gewandert und dort als Achmet Pascha bekannt war. Neuhof entdeckte gar bald die Leier, auf der die beiden Verbannten am liebsten spielten: es war der Haß gegen das Haus Habsburg. In diese Leier griff seine meisterliche Hand und er heckte zusammen mit seinen neuen Freunden einen ungeheuerlichen Plan aus, um das Haus Habsburg zu erschüttern und womöglich zu vernichten. Ein türkisches Heer sollte durch Ungarn vordringen, daneben sollte eine Flankenbewegung über Korsika gemacht werden. Das Eiland liegt etwas weit weg von der Türkei, allein die Weisheit der Indianer: die kürzeste Verbindung zwischen zwei Geraden ist eine krumme Linie! sie wird auch in Europa geübt. Im übrigen ist schon einmal im 16. Jahrhundert die türkische Flotte, auf Veranlassung des korsischen Führers Sampiero, nach Korsika und sogar bis Toulon vorgedrungen. Von der Insel aus sollte Italien, wo ja die Österreicher seit Jahrhunderten standen, gewonnen und von Italien aus durch die Isonzopässe gegen Mitteleuropa marschiert werden. Die Verschwörer erlangten Gehör bei der Hohen Pforte. Neuhof wurde mit reichlichen Mitteln ausgestattet und nach Algier geschickt, um dort die Entsendung einer Flotte gegen Korsika zu betreiben. Der Abenteurer wurde zwar dort, entsprechend den Weisungen der Hohen Pforte, mit gebührenden Ehren aufgenommen, allein in seinen Plänen nicht entfernt so schnell gefördert, als er gedacht hatte. Es verflossen zwei Jahre, bevor es zu einem ernstlichen Unternehmen kam. Dann aber ging alles über Erwarten schnell und gut. Nach geringfügigen Kämpfen gegen die Genuesen, die damaligen Herren der Insel, wurde Theodor als König von Korsika ausgerufen. Er konnte sich mehrfach englischer Hilfe erfreuen. Durch die Genuesen vertrieben, verkehrte er denn auch in London und Edinburg. Als er nach Korsika zurückkehrte, stießen zu ihm Hauptmann Drewitz mit vierzehn deutschen Offizieren, die über Livorno fuhren. Außerdem warb er an tausend deutsche Mannschaften an. Früher einmal hatte sich aus Jux der Freiherr mit einem deutschen Fürsten durch England durchgebettelt. Es scheint, daß derartige Verbindungen ihm jetzt zugute kamen; ohnehin war ja die englische Unterstützung für die Werbung maßgebend. In Italien kämpfte Neuhof gegen Banditen. Die Zahl seiner Abenteuer ist unübersehbar und nur zu oft ohne erkennbaren Zusammenhang. In Amsterdam besprach er sich mit Juden und vermochte sie dazu, ihm fünf Millionen Gulden, eine höchst beträchtliche Summe für damalige Zeiten, für seine korsischen Zwecke vorzustrecken; dafür mußte er ihnen ein Monopol für allerlei gute Dinge, so für den vorteilhaften Handel mit Olivenöl versprechen. Die Politik Frankreichs machte jedoch alle Pläne zunichte und zerstörte die Hoffnungen, die Neuhof auf seine dritte Expedition nach Korsika gesetzt hatte. Die Franzosen unterwarfen Korsika für Genua. Auch nachdem sie abgezogen waren, 1741 konnte sich Neuhof nicht halten; er flüchtete nach England. Seine weiteren Schicksale sind dunkel. Nur weniges ist davon durchgesickert. Von seinen Lieferanten verfolgt, wurde er in das Schuldgefängnis geworfen, dessen Unannehmlichkeiten, bis tief ins 19. Jahrhundert andauernd, Thackeray so beredt geschildert hat. Allein noch einmal zu guter Letzt lächelte dem Abenteurer das Glück. Er gewann die Protektion des hochmögenden Ministers Walpole. Dieser veranlaßte 1756 eine Subskription, um Neuhof auszulösen, wie es aber zu geschehen pflegt: Kaum ist einer auf dem Gipfel, da stürzt er ab. Gerade frei geworden, befriedigte Neuhof seine Gläubiger, jedoch nur teilweise im Akkorde – soviel hatte er, scheint es, von seinen guten Freunden, den Juden, gelernt –, und starb im Dezember desselbigen Jahres. Seine Freunde setzten ihm ein Denkmal mit der Inschrift: »Das Glück brachte dem Manne ein Königreich und versagte ihm im Alter Brot.« Neuhof hinterließ einen Sohn, der in England lebte und sich in einem Anfall von Schwermut erschoß. Ein Sohn von diesem wurde englischer Leutnant und starb in Gibraltar.