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Schildtberger.

War da ein muntrer Edelknab' in bayrischen Landen, genannt Schildtberger, ein Sohn der schönen Stadt München, war kaum sechzehn Jahr alt, da ließ es ihn nicht mehr daheim, sondern wollte hinaus in die Welt, hinaus zu Abenteuer und Krieg. Damals drohte der Christenheit Gefahr von Osten, wie ein gewaltiger Wirbelsturm nahten die Türken von Kleinasien her, schlugen die Serben und die mit ihnen verbündeten Rumänen auf dem Amselfelde aufs Haupt, und schickten sich schon an, über die Donau vorzudringen, und so auch uns Deutschen, deren äußerste Vorposten seit zwei Jahrhunderten in Siebenbürgen standen, gefährlich zu werden. Ein Fürst, der Ungarns Krone trug und später deutscher Kaiser wurde, der unruhige, wagemutige Siegmund und mit ihm der Papst und die Venezianer, sie beriefen die Ritterschaft des ganzen Abendlands zum Kreuzzug. Auf gegen die Ungläubigen, gegen die Jünger des Propheten, auf gegen die wild heranbrausende, alle Dämme überwogende Flut der Osmanen. Unser junger Münchener schließt sich als Schildknapp einem bewährten Ritter an und zieht mit dem Heere Siegmunds die Donau hinab, bis in die Walachei.

Schildtberger, dessen ritterliche Ahnen bis 1190 nachweisbar sind und von dem Nachfahren oder sonstige Anverwandte noch heute in München leben, »kam uß der haydenschafft wieder nach der haymat, als man zalt 1427 jare. Und was ich die zit in dem land der haydenschafft strites und wunders erfaren und och was ich hoptstett und wassers gesehen und gemerken mügen hab, davon vindent ir hienach geschriben, villicht nicht gar volkomenlich, dorumb daß ich ein gefangener man und nicht min selbs was«.

Die Schlacht bei Nikopolis ging durch die Franzosen verloren.

»Kunig Sigmund – nam das volk zu ym und zoch zu dem Ysuin tor (dem eisernen Tor bei Orsova) das da schydet vngern und pulgery (Bulgarei) und die Walachy. Und da fur er über die tunow (Donau) in die pulgary und zoch für ein stat, genannt Pudem (heute Widin) und zoch für ein ander stat, die heißet Schiltau; man nennt sie aber in haydnischer Sprach Nicopolis. Da lag er zu wasser und zu land 16 tag – da kam der hertzog der Walachy gennant Wertherwaywod (Mircea, der Woiwode) und begert an den kunig, daß er ihm die vint schowen (daß er ihn die Feinde beschauen, d. h. auskundschaften) ließ. Des gewärt im der kunig. – und sie hetten zwenitzig paner (20 Banner) und unter yeglichem paner waren zehntusend man – da bat der Hertzog us der Walachy, daß er ihm das erst anryten ließ (anreiten, angreifen). Das wolt im der kunig erlopt haben. Das erhort der hertzog von burguny (Burgund), der wolt im der eren nicht gunnen noch nyeman anders. – bat er den kunig, daß er im das erst anryten lies tun. Dorumb als man schatzt, das er wol mit Sechs tusend mannen so verr (ferne des) landes dahin was gezogen und so gros gut verzert hett. Sie hetten vor (früher) och mit den turcken gevochten und westen ir gevert das dann die andern. Des wolt er den vngern och nit gunnen. Und nam sin volk zu im und reit die vind an, und reyt durch zwein Huffen. Von da er an den dritten kam, da kert er sich vmb und wolt wieder hinder sich sin. da hetten in die vind umbzogen. vnd sin volk was mer denn halb von den Pferden komen, wenn (da) die Turcken nur in die pfert hetten schossen; vnd er mocht nit davon und ward gefangen. Vnd da kunig erhort, das der hertzog von burguny die vind hetten geritten an, da nam er das ander volk zu im, vnd rait über zwölf tusend fußgenger an, die ruecken vor an hin hetten geschickt. Die wurden all von im erschlagen und ertretten. Und in dem strit ward min herr Richartinger von sinem pfurt geschossen. Und ich hanns schildtberger sin renner ersach das und rait zu im in das heer vnd bracht in uff min Pferd. Vnd ich kam uff ain anders. Das was ains turcken gewesen. Vnd da die fußgenger all erschlagen wurden, da zoch der kunig vff einen andern Heer uffen, die waren ze roß. Und do das der turkische kunig sach, da wolt er die flucht haben geben. Das ersach der hertzog uß Serbien, genannt despot, vnd kam dem turckischen kunig zu hilff.« Es ist die alte Geschichte: die Christenheit selbst ist nicht einig. Namentlich durch den Verrat slavischer Fürsten sind die Osmanen groß geworden. Der Serbe kam mit 15 000 Mann und »zoch vff des kunigs paner und legt es nider und da das der kunig sach, daß im das paner was under gegangen und das er nicht bleiben mocht, da gab er die flucht«.

»Da nun die ritter und knecht sahen, daß der kunig was geflohen, fluhen sie och vnd ir vil geflohen zu der tünow vnd do kamen etlich under innen uff die scheffer (Schiffe). Do warent die scheffer so vol worden, daß sie nit daruf mochten bliben. Und wann andere noch daruf wolten, so schlugen sie inen die hend ab. Die ertruncken denn in dem wasser.« Schildtberger beschreibt dann, wer in der Schlacht fiel und wer gefangen und geköpft wurde. »Do nam man min gesellen und schlug in die Köpf ab und do es an miech ging, da ersach mich den kunigs (Sultans) sun und schuff (schaffte an, wie man noch heute in München sagt, befahl) das man mich leben lies. Da führt man mich zu den andern knaben; wann (dieweil) man nyemant tötet vnder 20 jaren. Do was ich kom sechszehn jaren alt. Und das plut vergießen weret von morgen bis uff vesper (Abend).« Schildtberger bleibt nun sechs Jahre im Gefolge Bajazids und nimmt an seinen Kriegszügen, namentlich in Kleinasien, teil. Der tatarische Welteneroberer schreibt ihm: wie kannst du Blattlaus dich erkühnen, gegen mich Elefanten anzugehen? Es kommt zur Schlacht bei Angora. »Da hetten sie ein vermessen strit miteinander.« Tamerlan führte 32 Elefanten in den Kampf. Er gewann. Bajazid ward gefangen und starb unterwegs. Der Münchner ward ebenfalls gefangen und »rait dornach mit im«, schloß sich als Söldner gezwungenermaßen dem Timur an und kriegte mit ihm in Ägypten und Persien. Er sieht zu, wie der Eroberer aus Tausenden von abgehauenen Köpfen Schädeltürme errichtet, wie er bei Isphahan seine Reiter über Tausende von unmündigen Kindern führte und die Kinder zertrat. Für den Tod Timurs gibt er als Ursache eine Haremsgeschichte an. Der Eroberer hatte drei Weiber und besondere Liebe zur jüngsten. Wie er nun auf der Heerfahrt war, hatte sich gerade diese mit einem großen Vasallen »vermischet«. Als Timur zurückkehrte, verriet ihm die älteste Frau, wie die jüngste »ihren Kranz zerbrochen hätte«. Er wollte es nicht glauben. Die Angeberin sprach jedoch: Gehe zu ihr und heiß sie ihre Truhe öffnen. Dort findest du einen Ring mit Edelstein und Briefe, die er ihr geschickt hat. So geschah es. Die Ungetreue bat um Gnade. Er befahl jedoch zur Stunde, daß man sie köpfe. Dann schickte er fünftausend Reiter, um den Vasallen zu bringen. Dieser aber floh nach Masenderan am Südufer des Kaspisees. Da konnte ihn Timur nicht fassen. Dies wurmte ihn, wie auch die Hinrichtung seiner Lieblingsfrau. Vor Kummer starb er, gerade als er sich aufgemacht hatte, China zu erobern.

Zuletzt kam der Münchner nach mannigfachen Kreuz- und Querfahrten im Kaukasus und dem Gebiet der Goldenen Horde gar bis Sibirien im Gefolge des edlen Nogaiers Edigi. Zum Lande Ibissibur (Sibirien, das hier zum erstenmal in der Weltgeschichte erwähnt wird) reisten sie zwei Monate. »In dem land ist ein pirg, das ist zwo und drißig tagweid lang (der Ural). Danach komt eine Wüste, das Ende des Erdreichs. Im Gebirge leben wilde Leute, die am ganzen Leibe über und über behaart sind (vielleicht die Ainu in Japan oder Verwandte). Die Rosse sind nur so groß wie die Esel. Es gibt dort Hunde, die ziehen Larren und Schlitten. Sie essen auch die Hunde (stimmt alles noch heute). Viele Einwohner sind Christen (seit dem achten Jahrhundert war in der Tat das Christentum bei türkischen Stämmen Mittelasiens verbreitet, war jedoch längst wieder verblaßt, höchstens daß einige Nestorianer noch vorhanden waren. Auf diese Tatsache geht die mittelalterliche Kunde von dem Königreich des Priesters Johannes zurück). Besonders merkwürdig ist noch eine Nachricht Schildtbergers von Amazonen, die da beweist, daß es diese wirklich gegeben hat. Auch bei den Esthen gab es vor alters Amazonen. Möller van den Bruck, Der preußische Stil, im Anfang. Kerenski, der russische Revolutionär, rüstete zwei Weiberregimenter aus. Schildtberger war Augenzeuge, als die Tatarenfrau Sadur Melik mit viertausend Jungfrauen und Frauen zum Edigi kamen. Wann diese in die Schlacht ritten, banden sie sich auf eine Seite ein Schwert, auf die andere einen »hantbogen« (Armbrust). Die Rückreise geschieht durch den Kaukasus und über Kaffa auf der Krim, wo er sechs Religionen antrifft (vermutlich katholische und orthodoxe Christen, Mohammedaner, Talmudjuden und Karaitische Juden, endlich buddhistische Kalmücken). Er vereinbart mit fünf Christen, heimlich zu entweichen. In der Nähe von Poti, an den Westhängen des Kaukasus, flohen sie auf ein Schiff, wurden noch von türkischen Seeräubern gejagt, kamen aber durch nach Sinope und dann nach Konstantinopel, wo sie dem Kaiser selbst vorgeführt wurden und all ihre Schicksale erzählen mußten, und ebenso dem Patriarchen. Nach drei Monaten Aufenthalts zu Konstantinopel reist Schildtberger über Akerman an der Mündung des Dnjestr, dann den Fluß aufwärts durch die Moldau nach Lemberg und Krakau. Von hier ging es dann mühelos über Eger nach Regensburg und Freising. In seiner Heimat wurde der Rückkehrer freundlich aufgenommen und ward Kämmerer des leutseligen Herzogs Albrecht III.


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