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Wilhelm Graf zur Lippe.

Die Schwester Schulenburgs, Irmengard Melusine, war die Geliebte des Königs und wurde von ihm zur Herzogin von Kendal erhoben und auf dessen Wunsch vom Kaiser zur Reichsfürstin Eberstein. Übrigens sind die Schulenburg Uradel; ihr Ahnherr fiel bei einem Kreuzzuge 1119 bei der Eroberung von Akkon. Eine Verwandtin Schulenburgs, die ebenfalls Melusine hieß und ebenfalls, wegen gewisser Familienzwistigkeiten, in London lebte, wurde die Mutter des Grafen Wilhelm zur Lippe, und zwar im Jahre 1724. Wilhelm studierte zuerst in Genf, dann in Leiden und Montpellier, wurde dann Fähnrich in England und machte 1743 die Schlacht bei Dettingen mit. Er diente als Freiwilliger in Italien unter dem kaiserlichen General von Lobkowitz. Er stürzte sich aber so tollkühn in Gefahren, daß ihn sein Verwandter Schulenburg aus dem Heere entfernte. Auch sonst erregte er durch seinen tollkühnen Streiche Aufmerksamkeit. Als Gast Friedrichs des Großen setzte er zum Schrecken der Anwesenden bei Charlottenburg über einen breiten Graben, den der König eigens hatte anlegen lassen, auf daß seine Reiter ihm nicht entwischten. Als man ihm bei Regensburg auf eine besonders gefährliche Donaustelle hinwies, stürzte er sich ohne Bedenken in den Strom, um hinüberzuschwimmen, und wurde nur mit knapper Not gerettet. Der Graf machte jetzt verschiedene Reisen und übernahm, da sein älterer Bruder starb, die Regierung von Lippe-Schaumburg 1743, und regierte mit sparsamer Strenge. Er führte die allgemeine Wehrpflicht ein – sechs bis acht Prozent der Bevölkerung wurden Soldaten. Er schuf eine treffliche Artillerie. Er schloß in der Folge einen Staatsvertrag mit Großbritannien, vermöge dessen er seine Truppen im Siebenjährigen Kriege den Briten gegen die Franzosen zur Verfügung stellte. Die Truppen, für die er Hilfsgelder bezog, wurden hannöverschen Verbänden angegliedert. Am Siege bei Minden hatte der Graf großen Anteil. Er belagerte Münster und hielt seine Stellung gegen den heraneilenden Armentières. Er schlug ihn, ohne daß die Belagerten etwas merkten, und erstürmte hierauf die Stadt. Durch die Vermittlung von Lord Bute wurde er Oberbefehlshaber der verbündeten englisch-portugiesischen Truppen in Portugal. Man wird sich erinnern, daß Spanien damals zu den Gegnern Friedrichs des Großen gehörte. Das benutzten die Engländer, um sich auf der iberischen Halbinsel einzunisten. In Portugal fand Graf Wilhelm alles in der größten Verwirrung und in Pombal, dem allmächtigen Minister, einen lauen Helfer, wenn nicht gar einen stillen Feind. Der Graf erneuerte das portugiesische Heer vollständig. Er setzte die zerfallenen Festungen wieder instand. Gar bald erschollen Klagen über seine Härte und Strenge. Auch führte er den Zweikampf unter den verrotteten einheimischen Offizieren, die sich jede Beleidigung gefallen ließen, wieder ein. Mit bloß 10 000 Mann hielt er sich gegen 42 000 unter dem Prinzen von Beauveau. Durch geschickte Manöver brachte er einen Teil seiner Truppen plötzlich in den Rücken der Feinde. Ein langwieriger Guerillakrieg folgte, mit tollen Überfällen und kleinen Gefechten. Alle Hilfsmittel der Klugheit, der Vorsicht und des Mutes standen dem Grafen bei den unaufhörlichen Gefahren zu Gebote. Zuletzt bezog er ein befestigtes Lager bei Abrantes. Der Feldzug ging im Herbst 1762 günstig für Lippe und den englischen General Townshend aus. Der Graf wurde höchlichst geehrt und zur Altezza (Hoheit) ernannt. Auch Pombal wurde freundlicher. Der König von Portugal überschüttete ihn mit Gnadenbeweisen. In großzügiger Weise organisierte er hierauf neuerdings das portugiesische Kriegswesen und erbaute oder verstärkte wichtige Festungen. Man kann den Grafen zur Lippe als den Erfinder der Volksbewaffnung, wie sie Carnot 1792 und Gneisenau 1813 durchführte, als den Schöpfer von Landwehr und Landsturm ansehen. Eine Denkschrift, die der Graf nach Lissabon sandte, und die der Verteidigung Portugals gewidmet war, enthielt Zug um Zug auf das genaueste alle Maßregeln, die später Wellington gegen die Generäle Napoleons dort unternommen hat. Gneisenau, der seinem Vorgänger, dem Erneuerer der Kriegskunst, ungemeines Lob spendete, meinte zusammenfassend: »Denken Sie nun, was das für ein Mann war, aus dessen Geiste die großen Kriegsgedanken sich entwickelten, an deren späterer Verwirklichung zuletzt die ganze Macht Napoleons eigentlich zusammengebrochen ist.« In seine kleine lippische Herrschaft zurückgekehrt, baute Graf Wilhelm eine künstliche Insel im Steinhuder Meer bei Hannover und errichtete dort eine Kriegsakademie, die er sich führend und richtunggebend für ganz Deutschland dachte. Noch einmal kehrte er 1767 nach Portugal zurück. In der Folge schickte er sechzehn lippische Offiziere nach Lissabon. Laut Thomas Abbt, Professor zu Rinteln, einem unserer Klassiker, hegte Graf Wilhelm den Gedanken, die Landenge zu durchgraben, die das Mittelländische Meer vom Roten Meer trennt, war also ein Vorläufer von Lesseps. Er wollte »dadurch ohne Schwertschlag die Handlung und folglich die Lage aller vier Weltteile verändern«.

Zeit seines Lebens hatte Graf Wilhelm zur Lippe viel Freude an dem Verkehr mit Gelehrten und Philosophen. Er berief Herder nach Bückeburg. Dieser Dichtertheolog mit seiner Unbefriedigtheit und Unruhe stand jedoch im scharfen Gegensatz zu dem ernsten, nachdenkenden, wortkargen, würdevollen und gebietenden Wesen des Grafen. Wilhelm liebte einst eine portugiesische Nonne; sie gebar eine Tochter. Diese wurde vornehm erzogen, wohnte in Lissabon und rühmte sich bei deutschen Bekannten oft ihrer hohen Abkunft.


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