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15. Kapitel.
Des großen Helden Tod.

Schon aus seinem letzten Feldzug im Polnischen Erbfolgekrieg war Eugenius schwer leidend nach Wien zurückgekehrt. Das Brustübel des greisen Helden quälte ihn mehr denn je, und heftige Hustenanfälle erschütterten seinen altersgebeugten Körper. So mühselig ihm das Reden wurde, er blieb nicht einer Sitzung des Staatsrates fern, und von seinen vielen Ämtern vernachlässigte er keines.

In den Abendstunden pflegte der Prinz noch immer, alter Gewohnheit treu, im gräflich Bathyanyschen Palast anzuklopfen. Die betagte Dame des Hauses hatte schon die Karten vorbereitet, und der alte Herr konnte gleich seine Pikettpartie beginnen. War so ein Erholungsstündchen verbracht und auch angenehm verplaudert, dann fuhr die Karosse Eugens langsam wieder heim. Nur im Schritt zogen die Pferde den prinzlichen Wagen; es waren stets isabellenfarbene Gäule, weil der Feldherr diese Farbe in seinem Marstall besonders bevorzugte. Behutsam schwankte das Gefährt über das holperige Pflaster Wiens, damit der Greis nicht allzu arg gerüttelt wurde. Er trug zur Erinnerung an seine Waffentaten die Narben von achtzehn Wunden, die noch empfindlich genug waren, um bei jedem Stoß heftig zu schmerzen.

Wagen und Pferden sah man ihr Alter an, der Kutscher auf dem Bock und der Bediente auf dem Trittbrett waren nicht minder bejahrt. Das alles paßte so recht zu dem Hochbetagten, dessen kleine Gestalt in dem ungeheuren Wagen fast verschwand. Wie der Prinz von Savoyen so im Schneckengang heimfuhr, fielen ihm die müden Augen zu. Auch der Kutscher und der Lakai machten ihr Nickerchen, selbst die Pferde schienen einzuschlafen.

Ein hübsches Histörchen verbürgt sich dafür, daß die Rößlein Eugens beim Hause der Gräfin von selbst stillstanden, weil ihnen das gewohnte Ziel längst bekannt war. Aber es geschah, daß niemand dem Wagen entstieg und weder auf dem Dienertritt noch auf dem Kutschbock sich etwas regte, denn die greisen Leutchen waren alle sanft eingeschlafen. Ja, Eugenius war recht gebrechlich geworden, und sein Zustand gab denen, die ihn liebten und verehrten, viel zu sorgen.

Das Jahr 1735 schloß mit einem rauhen und harten Winter. Dies untergrub noch mehr die erschütterte Gesundheit unsers Eugenius. So schwer wurde ihm nunmehr das Sprechen, daß jedes Wort seiner wehen Brust Schmerzen verursachte. Er war verurteilt, das Zimmer zu hüten, und verkehrte mit der Außenwelt nur noch auf schriftlichem Wege. Als die Erzherzogin Maria Theresia dem Zuge ihres Herzens folgte und mit Franz von Lothringen Verlobung feierte, war Prinz Eugen außerstande, der Kaisertochter in eigner Person Glück zu wünschen. »Mich trifft es hart,« schreibt der Kaiser, »Euer Liebden nicht sprechen zu können. Allein ich will mich gern auch dieser Freude berauben, um Euer Liebden Gesundheit zu befördern.«

Der Prinz von Savoyen haßte alle Medikamente. Was der Leibarzt des Kaisers verschrieb, wanderte sofort ins Feuer. Karl VI., dem die Abneigung Eugens gegen jegliches Heilmittel große Sorgen machte, bat den päpstlichen Nuntius Passionei, zu dem Eugen seit Jahren bereits freundschaftliche Beziehungen pflegte, um Hilfe. Der Kirchenstaat hatte Domenico Passionei auf Betreiben Eugens zum Gesandten am Wiener Hofe bestellt. Beide sammelten Kunstwerke, und beim Einkauf dieser Schätze holte der Prinz stets den Rat des geistlichen Freundes ein. Der Kirchenfürst gab Eugenius zu bedenken, »daß es eine Gewissenssache sei, dasjenige nicht von der Hand zu weisen, wovon sich Linderung oder Heilung einer Krankheit erwarten lasse«. Das wirkte, denn der Feldmarschall hielt große Stücke auf Passionei, und so gelang es dem Nuntius, den angeborenen Widerwillen Eugens gegen Heilmittel zu überwinden.

Wirklich trat jetzt eine Besserung im Befinden des Kranken ein. Sein Leiden milderte sich, und dazu trug viel der sanfte Lenz bei, der sonnenbeglänzt ins Land gezogen kam. Prinz Eugen ließ wieder seinen Audienzsaal öffnen, empfing Bittsteller und arbeitete stundenlang mit seinen Sekretären. Seine Umgebung freute sich von Herzen und hoffte auf seine völlige Wiedergenesung. Der Genesende nahm die ihm liebgewordenen alten Gewohnheiten wieder auf, er fuhr aus und besuchte die bescheidenen Abendgesellschaften der Gräfin Bathyany.

Eugen pflegte stets zwölf erlesene Gäste an seiner Mittagstafel zu haben. Wieder wurden Gelehrte und Künstler von ihm zu Tisch gebeten. Am 20. April 1736 sah er einen kleinen Kreis von Gästen bei sich, und es wurde freudig bemerkt, daß der alte Herr jedem Ankommenden entgegenging, wie er dies vor seiner Erkrankung stets gehalten. Auch beim Abschied ließ es sich Eugenius nicht nehmen, jeden einzelnen bis zur Tür zu begleiten. An diesem Tage wohnte der Prinz auch einer amtlichen Sitzung bei, und als es dämmerte, fuhr er bei der Gräfin Bathyany vor und spielte bis neun Uhr Pikett. Aber der Feldmarschall war die ganze Zeit über wortkarg, und das Atmen fiel ihm schwerer als sonst. Doch er bezwang die Beschwerden, um kein Aufsehen zu machen. Etwas früher als üblich zog er sich zurück.

Daheim angelangt, gestand Prinz Eugen seinem Kammerdiener, daß er sich unwohl fühle, und befahl, ihn am nächsten Morgen nicht vor der neunten Stunde zu wecken. Ärztliche Hilfe lehnte er ab, und auch Arznei zu nehmen, weigerte er sich. »Es ist noch morgen früh Zeit dazu,« meinte er lächelnd und ging schlafen. Noch einmal vor Mitternacht betrat der Bediente das Gemach, um nach dem Gebieter zu sehen. Der schlief sanft und friedlich unter dem goldbesternten Baldachin des Himmelbettes, und leise schlich der Kammerdiener aus dem Zimmer.

Man war gewohnt, früh den Kranken laut husten zu hören, doch am Morgen des 21. Aprils blieb es unheimlich still dort hinter der Tür. Als die Leute vorsichtig aufschlossen und zögernd die Bettgardinen hoben, fanden sie den Prinzen entseelt. Der feige Tod, dem der Held unzähligemal ins Auge gesehen, hatte sich an den Schlummernden herangeschlichen; nur an den Schläfer hatte sich Hans Klapperbein gewagt, als vermöchte seine Sense den Wachen nicht zu fällen. Nun war der ewige Friede eingezogen in das Herz eines großen Kriegshelden. Prinz Eugenius, der edle Ritter, lebte nicht mehr. Eine Lungenlähmung hatte das Herz des großen Mannes zum Stillstand gebracht.

Die Trauerbotschaft erschütterte ganz Deutschland. Der Kaiser klagte über den unersetzlichen Verlust, und Volk und Herrscher waren einig in dem Schmerz um den verblichenen Helden. »Die Welt soll sehen, daß des Verstorbenen Taten bei mir allzeit unsterblich sein werden,« sagte Karl VI., als er seines Feldmarschalls Leichenfeier anordnete. Und Eugenius wurde wie ein gekröntes Haupt bestattet. Ganz Wien pilgerte nach dem prinzlichen Palast, um den geliebten Toten noch einmal zu sehen. Stumm schritten die Bürger an dem schwarz ausgeschlagenen Paradebett vorbei, auf dem der Prinz von Savoyen ruhte. Im scharlachroten Waffenrock, mit den schwarzen Aufschlägen seines Dragonerregiments, lag der Entschlafene aufgebahrt, und arm und reich, hoch und niedrig neigte sich zum letztenmal vor dem Wohltäter eines ganzen Volkes. Im bleichen Schein unzähliger Kerzen hielten Obristen die Ehrenwache. Eine feierliche Stille herrschte in dem Saale, nur ein mühsam unterdrücktes Schluchzen unterbrach oft das tiefe Schweigen. Da schämten sich selbst im Kriege ergraute Veteranen ihrer Tränen nicht, und rührend war es zu sehen, wenn ein armes Weiblein als letzten Gruß seinen Veilchenstrauß zu Füßen des Toten legte.

Dann trug man den Einzigen zu Grabe. Das Herz des Prinzen, das so oft geglüht in hoher Begeisterung für alles Erhabene und Große, das Heldenherz wanderte den weiten Weg nach Turin, wo es in der Ahnengruft derer von Savoyen beigesetzt wurde. Dort, wo die sardinischen Könige die letzte Ruhestätte finden, ruht auch das Herz ihres edelsten Sprosses. Was aber sonst sterblich war an Eugenius, das wurde im Stephansdom zu Wien gebettet. In der Kreuzkapelle des Domes ist heute noch das Grabdenkmal zu sehen: ein steinerner Sarg und über ihm in halberhabener Arbeit das Abbild der Schlacht bei Belgrad. Von einer stattlichen Pyramide überragt, birgt diese Gruft den größten Kriegshelden Österreichs und den Stolz des deutschen Volkes.

Noch nie hatte Wien eine so prunkvolle Leichenfeier erlebt. Der Hof, die Hauptstadt und das ganze Reich betrauerten in Eugenius den ersten Staatsmann und den bedeutendsten Feldherrn seiner Zeit. Drei Herrschern hatte er gedient, allein aus dem Diener war stets ein inniger Freund fürs Leben geworden. So hat es einen tiefen Sinn, wenn Prinz Eugenius Kaiser Leopold seinen Vater, Kaiser Joseph seinen Bruder und Kaiser Karl seinen Sohn nennt.

Der Prinz von Savoyen war die Verkörperung des deutschen Staatsgedankens, und wenn auch die Erfüllung seiner Ideale erst einem späteren Geschlechte beschieden war, der trauernde Kaiser ließ dem edlen Ritter ein Begräbnis rüsten, wie es seitdem keinem zuteil geworden ist. Am 26. April 1736 senkten sie den deutschen Helden in die Gruft. Vierzehn Hauptschlachten hatte er geschlagen, und vierzehn kaiserliche Feldmarschall-Leutnants trugen seinen Sarg. Unmittelbar hinter dem Totenschrein schritt der ergriffene Kaiser, und aus aller Herren Ländern waren Trauergäste erschienen, um den edlen Ritter zum letztenmal zu ehren. Aus dem Buch der kühnen Makkabäer wählte der Prediger den Bibeltext für seine Leichenrede: »Er hat ein tröstlich Exempel hinter sich gelassen, das nicht allein die Jugend, sondern jedermann zur Tugend ermahnen soll.«

Wie wahr sind doch diese Worte! Prinz Eugenius schenkte uns mit seinem Leben ein wundervolles Beispiel. Herrlich und harmonisch blieb allzeit dies heroische Menschendasein. Mehr als ein genialer Feldherr war der Prinz, mehr als ein weitblickender Staatslenker. Das Wort Selbstzucht hatte er auf seine Fahne geschrieben, und wahrlich, es war nicht wenig, was er von sich selbst verlangte. Der Versuchung wie den Gefahren trotzte er mit eherner Stirn. Unbestochen und unbesiegt ging er in den Tod. Gleißendes Gold hatte für ihn keinen Wert, denn die Franzosen hätten gern Millionen geopfert, um sich seine Gunst zu sichern. Die Offiziersehre in ihrer edelsten und ritterlichsten Bedeutung war sein schönster Stern, Arbeit und Treue blieben die unverrückbaren Grundsäulen seiner Sinnesart. Nach erreichtem Erfolg auszuruhen, galt ihm gering, immer neue Ziele, immer neue Pflichten stellte sich dies rastlose Herz, und sie treu zu erfüllen, schätzte es als erhabensten Lohn.

Nie hat es Prinz Eugen den Deutschen vergessen, daß sie dem Heimatlosen eine zweite Heimat gaben. Sein Dank war groß, geringer nicht seine Liebe zum neuen Vaterlande. Er hat für das Deutsche Reich oft geblutet und viele Nächte seines langen Lebens verwacht. Er hat welschen Neid und gallischen Stolz gebrochen, und zu einer Zeit, da der Übermut Frankreichs und der Haß des Halbmondes vereint unser Vaterland bedrohten, hat es Eugen von Savoyen vor dem sicheren Untergang bewahrt. Er hat das Verräterspiel seines Vetters Viktor Amadeus mit würdevoller Ruhe durchkreuzt und hispanischer Ränkesucht frei die Stirn geboten. Ein Retter war er in den Tagen tiefster Schmach, und seine Waffentaten stehen mit goldenen Lettern in der Geschichte des Deutschen Reiches. Im Rate der Kaiser hatte Eugens Wort nicht geringere Geltung als sein Schwert in der Schlacht.

Was liegt daran, daß der Prinz von Geburt ein Fremder war und nie recht die deutsche Sprache zu beherrschen lernte! Im Herzen ist er unser geworden, denn sein ganzes Leben war dem Ruhme Deutschlands geweiht. Eugenius hat deutsch, immer nur deutsch gefühlt, trotzdem er aus Italien stammte und in Paris seine Wiege gestanden hat. Um der erste Soldat seines Kaisers zu bleiben, lehnte Prinz Eugen die Krone Polens ab. Aber mit dem letzten und geringsten Krieger im Heere teilte er sein Brot, wie er oft in den eignen Geldbeutel griff, um für die Armee zu sorgen, wenn die Herren der Hofkammer nichts übrig hatten für das Heer. Er war von rührender Bescheidenheit, und in keiner Denkschrift hat er mit einem Worte nur seiner Verdienste und Leistungen gedacht. Er war ein Freund der Wissenschaften und hat die Künste bewundert. Er war ein frommer Mann und hat den fremden Glauben geehrt. Er hat Kühnheit mit Klugheit gepaart und hat den Krieg nur dann geschätzt, wenn es galt, mit dem Schwerte den Frieden zu erzwingen. Er hat den Bauernstand geachtet und für seine Soldaten wie ein Vater gesorgt. Er war ein guter Mensch, wie es alle wahrhaft treuen Seelen sind.

Solange das Volk zu singen weiß, wird Prinz Eugenius im Liede weiterleben. Auch die Geschichtsforschung wird stets seine Größe anerkennen, hat sie ihm doch zwischen Friedrich dem Großen und Gustav Adolf den Ehrenplatz angewiesen. Selbst der erste Napoleon nennt Eugenius unter den sieben Feldherren, deren Kriegszüge er studierte, und die er sich zu bewunderten Vorbildern erkor. Wir aber achten an dem Helden Eugen von Savoyen die unverbrüchliche Treue am höchsten, denn sie war des edlen Ritters edelster Zug.

Zweihundertfünfzig Jahre sind seit der Geburt dieses seltenen Mannes verflossen. Ein viertel Jahrtausend ist in der Weltgeschichte eine kurze Spanne Zeit, aber im Leben eines Volkes wiegt oft eine viel geringere Zeitspanne Unendlichkeiten auf. Was hat sich seitdem nicht alles in Deutschland begeben: gewachsen und erstarkt ist das Volk, dem Prinz Eugenius seine besten Kräfte lieh, und die Träume von einst sind eine herrliche Wahrheit geworden. Solche Kultursiege kann eine Nation nicht von heute auf morgen erringen; jahrhundertelang muß sie vorbauen, und wer ihr dabei treue Hilfe geleistet hat, dem soll sie dankbar bleiben. Eugenius von Savoyen ist solch einer, dem unsre Dankbarkeit gebührt, und wie er die Großmachtstellung Österreichs begründete, so hat der Niebesiegte Deutschlands Ruhm in ferne Zeiten und Länder getragen.

Es ist merkwürdig, wieviel Ähnlichkeiten in seinem Wesen und auch im äußeren Leben Prinz Eugen mit Hellmuth von Moltke hat. Der rauhe Soldatenberuf hat das Herz der beiden großen Heerführer den Künsten und Wissenschaften nicht entfremdet. Wir wissen, daß Moltke als junger Offizier poesievolle Novellen schrieb und zeitlebens ein Freund der Musik war, und wir kennen Eugens Liebe zu den schönen Künsten. Beide waren schweigsam und schätzten die Einsamkeit. Aber auch sonst begegnet sich das Schicksal beider mannigfaltig. Es ist, als ob Heinrich Seidel sein Gedicht auf den Tod des Feldmarschalls Moltke auch für den Helden unsers Buches, für den edlen Ritter Eugenius von Savoyen, geschrieben hätte:

Es war sein Tag zu jeder Zeit
der Arbeit und der Pflicht geweiht.
Des Abends dann an trautem Ort
ein Spiel, Musik, ein heit'res Wort.
So lebte er schon manches Jahr,
der Deutschlands größter Sieger war.
Ihn liebte Mann und Weib und Kind,
der Tod selbst war ihm wohlgesinnt,
ließ ihn sein letztes Tagwerk tun
und winkte dann: »Nun komm, zu ruhn!«

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Er, der sich ganz der Pflicht geweiht,
verlor mit Sterben keine Zeit.
Es ging der alte Siegesheld
gar kurz und knapp aus dieser Welt,
treu auf dem Posten bis zum Schluß,
wie das ein echter Krieger muß.

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