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6. Kapitel.
Ein Retter in der Türkennot.

Wir haben Ungarn verlassen zu einer Zeit, da Kurfürst Max Emanuel die Tore Belgrads sprengte und von dieser Trutzfeste des Islams die Türkenfahne herabriß. Die kaiserlichen Waffen waren vom Glück gesegnet, Markgraf Ludwig von Baden drang tief in Serbien ein und durchstreifte die Täler Bosniens. Ein Verkünder künftiger Freiheit für die geknechteten Bergvölker des Balkans schien Kaiser Leopold zu werden. Was sein großer Ahnherr Karl V. geträumt hatte: die Mohammedaner über das Meer zurückzuwerfen, sie in ihre alten Wohnsitze nach Asien zu jagen – das hoffte nun der späte Enkel zu vollführen. Und just wie vor zwei Jahrhunderten die Erfüllung dieser Sehnsucht durch die Ränke eines Franzosenkönigs verhindert wurde, so auch jetzt.

Mit tiefem Groll erfüllten Ludwig XIV. die glorreichen Siege Österreichs; ihm waren die Türken lieb und wertvoll als ein Hemmschuh für Deutschlands Größe. Nicht verlöschen sollte der Feuerschein am östlichen Himmel, die Feuersbrunst ewig flackern und flammen, das Abendland stets bedroht bleiben durch die kriegerischen Fremdlinge. Die Waffenerfolge Kaiser Leopolds in Ungarn bereiteten dem König von Frankreich aufrichtige Sorgen. Er zitterte bei dem Gedanken, daß der Kaiser mit den Türken Frieden schließen könnte, um dann sein kriegserfahrenes Heer gegen Frankreich zu verwenden. Wie würden da die gallischen Raufhähne über den Rhein gefegt werden! Das sollte nie geschehen, nie durfte der Kaiser sich mit den Osmanen versöhnen.

Und Ludwig XIV., dessen Größenwahn sogar nach dem deutschen Kaiserthron verlangt hatte, der sich zuzeiten als deutscher Reichsfürst gebärdete, weil ihm der Raub deutschen Bodens gelungen war – Ludwig von Frankreich hatte für die erbittertsten Gegner Deutschlands, für die Moslems, gute Ratschläge bereit. Er munterte sie auf, das Verlorene zurückzuerobern, stachelte ihren erlahmten Widerstand zu neuer Kraftentfaltung, und das Unglaubliche gelang. Schritt für Schritt wurden die Kaiserlichen in Ungarn zurückgedrängt, die Eroberungen in Serbien gingen verloren, und die Festung Belgrad war längst wieder in den Händen der Osmanen. Das konnte auch nicht anders sein, denn die Streitkräfte des Hauses Habsburg waren durch die Kriege am Rhein und den italienischen Feldzug zersplittert.

Gegen drei Fronten zu gleicher Zeit zu kämpfen, ist keine Kleinigkeit, und das mußten die Deutschen damals; darum war in den letzten Jahren der Doppelaar Österreichs an der unteren Donau so arm an Erfolgen. Wirklich hintertrieb der in allen Ränken erfahrene König von Frankreich den Friedensschluß der Pforte mit dem Kaiser. Der Türkenbezwinger Markgraf Ludwig von Baden war in Eilmärschen nach der Pfalz aufgebrochen, Kurfürst Max Emanuel von Bayern stand schon im Norden, und Prinz Eugen von Savoyen hatte im Süden seine Not mit den widerspenstigen Bundesgenossen. Der deutsche Reichsfeldherr aber, Karl von Lothringen, lebte nicht mehr.

Der Tod seines Lehrmeisters hatte unsern Eugenius sehr betrübt, und bis ins Greisenalter bewahrte er diesem großen Manne eine treue und dankbare Erinnerung. Seit jenem denkwürdigen 12. September, wo Prinz Eugen in der Schlacht vor Wien die ehrwürdige Donaustadt befreien half, hegte der Lothringer eine freundschaftliche Gesinnung für den jungen Fremdling. Und da sie beide ähnliche Schicksale erlebt hatten und von Natur gleich heldenhaft und großdenkend waren, sah Eugen in Herzog Karl ein innig verehrtes Vorbild. Auch der Lothringer hatte in seiner Jugendzeit die harte Hand des Franzosenkönigs fühlen müssen, auch er war aus Paris fortgezogen, bitteren Groll im Herzen, und fand an Kaiser Leopold, der ihm die eigne Schwester zur Frau gab, einen aufrichtigen Gönner. Herzog Karl lohnte Güte mit Güte, seinen eignen Vorteil vergaß er ganz und dachte nicht daran, das Erbe der Väter von Frankreich zurückzufordern. In dem großen Gedanken, den Balkan für das Abendland zu gewinnen und dem Hause Österreich das herrliche Ungarn für alle Zeiten zuzuführen, sah er sein höchstes Ziel. Es war, als ob der Lothringer geahnt hätte, daß er der Größe des eignen Hauses diene. Und sonderbar, nicht lange nach seinem Tode verschmolz für immer das Geschlecht der Habsburger mit dem Fürstenstamme Lothringen.

Die Hoffnung des Kaisers, den Türken sein schönes Ungarland dauernd zu verleiden, hatte sich als trügerisch erwiesen. Schnell war dem Friedenstraum ein schreckliches Erwachen gefolgt. Ein paar Jahre hatten die Türken mit sich selbst zu tun. Der Sultan mußte seine unbotmäßigen Soldaten mit bewaffneter Hand zur Ruhe zwingen und war durch diese inneren Zerwürfnisse von den Nachbarn abgelenkt. Die Janitscharen murrten und schoben die ungarischen Mißerfolge dem Sultan zu. Mit der Geistlichkeit verbunden, stürzte die empörte Soldateska Mohammed vom Thron und setzte seinen Bruder Suleiman III. zum Herrscher ein. Aber es dauerte noch Jahre, bis der neue Großwesir Mustafa Koeprili den Janitscharen die Köpfe zurechtgesetzt hatte. Es gelang ihm noch einmal, den soldatischen Sinn der Osmanen zu beleben, und alle glühten vor Eifer, die erlittenen Niederlagen zu rächen. Schon waren die Kaiserlichen aus Serbien zurückgedrängt, und in den bosnischen Bergen verschwanden die Wahrzeichen Österreichs. Immer weitere Gebiete kehrten unter die Oberhoheit der Pforte zurück.

Der alte Liebling der Türken, Graf Emmerich Tököly, kam nun wieder aus seinem Versteck hervor. Der Sultan schickte ihn über das Gebirge nach Kronstadt hinüber und gab ihm eine stattliche Schar von Reitern mit. Tököly war trotz seinem Unglück nicht gebessert. Einst hatte der Ehrgeiz dieses unruhigen Menschen nach der Krone des heiligen Stephan, nach dem Zepter Ungarns verlangt, jetzt wollte er Fürst von Siebenbürgen werden. Und er wurde es, wenigstens erhob ihn der Sultan zu dieser Würde, und der Landtag von Hermannsstadt bestätigte in feierlicher Sitzung mit sklavischer Eilfertigkeit den Befehl Suleimans. Lange währte allerdings die Herrlichkeit des neugebackenen Fürsten nicht, ein paar Wochen später wurde Tököly von den Kaiserlichen aus Siebenbürgen wieder hinausgeworfen. Aber inzwischen war auch Belgrad gefallen, völlig zerstört durch die emporgeflogenen Pulvermagazine. Damit ging dem Kaiser Leopold der ganze Süden Ungarns verloren.

Es wurde schon berichtet, daß Markgraf Ludwig von Baden nach Westen hatte eilen müssen, um dort gegen Frankreich zu kämpfen. Der Oberbefehl am Rhein war ihm zugefallen, und später ergriff als sein Nachfolger auf dem ungarischen Kriegsschauplatz Friedrich August der Starke den Kommandostab über die Kaiserlichen. Die Armee hatte kein besonderes Vertrauen zu dem als Feldherrn noch unerprobten jungen Kurfürsten von Sachsen, auch verstand er es nicht, sich die Zuneigung der Offiziere zu erwerben. Längst war die Manneszucht erschlafft, und unter den Soldaten schwand der Kriegseifer von Tag zu Tag. Doch auch im Lager des Halbmondes war man lässig geworden. Der Großwesir Mustafa Koeprili fiel in einer noch unter Markgraf Ludwig geschlagenen Schlacht. Nach dem Tode des Führers schwand schnell wieder die von ihm neu entfachte Tatkraft der Türken und wurde nicht gehoben durch den schwachen Ahmed, der jetzt fünf Jahre hindurch auf dem Throne des Osmanenreiches saß.

Erst sein Erbe, Sultan Mustafa II., wird ein gefährlicher Gegner für die Deutschen. Tatendurstig und voll Begier, der Pforte die alte Machtfülle zurückzuerobern, weiß er nichts von der Verweichlichung seiner Vorgänger; er scheut sich nicht vor den Anstrengungen eines Feldzuges und nimmt die Fahne des Propheten selbst in die Hand. So besiegt Sultan Mustafa II. im Herbst 1695 einen österreichischen General in Siebenbürgen, und im darauffolgenden Sommer erringt er einen schönen Erfolg nahe bei Temesvár über die Waffen des Kaisers.

Das waren keine frohen Nachrichten für den apostolischen König von Ungarn, für Leopold I. Eiligst wurde in Wien der Hofkriegsrat einberufen, und der Kaiser setzte sich mit an den Beratungstisch. Die Armee, die gegen die Türken im Felde lag, brauchte einen neuen Führer. Man hatte so lange gezögert, den Wechsel im Oberkommando durchzuführen, um den jungen Kurfürsten Friedrich August nicht zu verletzen. Jetzt hatte der sächsische Fürst die Wahl zum König von Polen angenommen und zog nach Krakau, sich die fremde Krone aufs Haupt zu setzen. Wer würde für ihn nun in Ungarn den Feldherrnstab ergreifen, wer die Kraft haben und den eisernen Willen, das geschwächte Heer neu zu ordnen? Eine schwere Aufgabe harrte ihrer Lösung, und der Mann, der sich ihr unterzog, mußte die trefflichsten Gaben besitzen, durfte vor den härtesten Opfern nicht zurückschrecken. Selbstlos mußte er sein, ein rechter Held und nur in dem großen Ziel aufgehen, die Türken für immer aus dem Lande zu treiben.

Graf Rüdiger von Starhemberg, der greise Präsident des Hofkriegsrates, wußte, wer jener schweren Aufgabe gewachsen war. Mit den Worten höchster Wertschätzung empfahl er dem Kaiser unsern Eugenius, und der Prinz von Savoyen nahm freudig die verantwortungsvolle Pflicht auf sich.

Die Ernennung Eugens wurde vom Heere, das gegen die Türken im Felde stand, mit Begeisterung begrüßt. Jetzt mußte alles anders werden, Prinz Eugen kam ja, und der hatte ein Herz für seine Soldaten, einen menschenfreundlichen Sinn! Der seit Monaten rückständige Sold würde nun sicher ausgezahlt, die schäbigen und zerfetzten Uniformen durch eine neue schmucke Bekleidung ersetzt werden, und der Mangel am Allernotwendigsten würde nicht mehr die ermüdeten Mannschaften bedrücken. Eugen war ein Soldatenfreund, mit begeisterter Hingebung dienten sie ihm und hatten ein unerschütterliches Vertrauen zu seiner Führung; jetzt würden sie nicht mehr hungern und in den zerfetzten Uniformen frieren, wie die schier endlosen letzten zehn Jahre hindurch. Alle kannten die Sorgfalt des Prinzen für seine Leute, alle wußten, mit welchem Nachdruck er die Abhilfe gerechtfertigter Beschwerden in Wien durchzusetzen verstand. Und alle erwarteten eine ganz andre, flotte und soldatisch frische Kriegsführung von dem geliebten Feldmarschall.

Prinz Eugen nahm nach der Abreise des Kurfürsten von Sachsen eine große Musterung der Truppen vor. Er war betrübt über den wahrhaft jämmerlichen Zustand der Regimenter. Schlecht genährt und schlecht gekleidet, machten sie keinen sehr kriegerischen Eindruck, und der militärische Gehorsam war längst in Vergessenheit geraten. Die Unzufriedenen zu beruhigen, ihnen neue Freude an dem schweren Beruf zu schenken, hielt der Prinz für seine erste Aufgabe. Schnell brachte er in die murrenden Reihen wieder Ordnung, war streng, wo dies nötig wurde, und ließ Milde walten, wo Milde erforderlich schien.

Mit der Übernahme des Marschallstabes in Ungarn beginnt so recht erst die Siegeslaufbahn unsers Helden. Bisher mußte der Prinz von Savoyen bescheiden und urteilslos die Befehle Höhergestellter ausführen. In untergeordneter Stellung war er genötigt, fremden, oft tadelnswerten Anordnungen zu gehorchen. Nun endlich, ganz auf seine eigne Kraft gestellt, war er einzig auf sich selbst angewiesen. Dem Stern vertrauend, der ihn zu Höherem erkoren, sah er dem Augenblick entgegen, da er Unsterbliches leisten sollte. Es war aber auch die höchste Zeit, daß ein starker Arm die dringend nötige Ordnung schuf und mit wuchtigem Schwerte schnell entschlossen den gordischen Knoten durchhieb.

Ganz nahe der Stelle, wo die Drau in die Donau mündet, am linken Ufer des Stromes, hatte der neue Generalissimus den größten Teil seines Heeres angetroffen. Fern von diesem Lager durchstreiften zahlreiche Abteilungen das Land: in Oberungarn machte ein Korps den Anhängern Tökölys den Boden streitig, Siebenbürgen besaß eine starke Besatzung, und gegen Kroatien führte ein Unterfeldherr eben einige Regimenter. Prinz Eugen wußte, daß etwas Bedeutendes nur mit der Einsetzung aller Kräfte erzielt werden kann, und er beschloß, zunächst die zerstreuten Glieder der Kaiserlichen zu sammeln.

Das Hauptheer war durch die Entsendung nach allen bedrohten Punkten auf kaum dreißigtausend Mann zusammengeschrumpft. Jetzt erwartete Eugenius ungeduldig das Eintreffen der Verstärkungen. Er sparte nicht mit Briefen und Eingaben nach Wien, um den hilflosen Zustand der Soldaten zu ändern und sie gut auszurüsten. Am Kaiserhofe war das Geld rar geworden, Millionen von Talern verschlangen die endlosen Kriege. Die Hilfstruppen wollten neben der eignen Armee auch noch verköstigt sein, und es erhielt, um nur ein Beispiel zu nennen, Kursachsen für jeden Reiter, den es dem Kaiser lieh, fünfundsechzig Taler, für jeden Musketier vierundzwanzig Taler und für jedes Gewehr eine Vergütung von fünf Gulden. Daß dann der gemeine Mann oft vergebens auf seinen Sold warten mußte, ist begreiflich bei den ungeheuren Opfern, die der Krieg gebieterisch forderte. Da hieß es für die Bürger, brav Steuern zahlen, denn zum Kriegführen brauchte man vor allem drei Dinge: Geld, Geld und wiederum Geld. Das hat schon der alte Haudegen Montecuccoli erkannt, und auch heute noch hat diese ehrwürdige Wahrheit Geltung.

Die sonderbarsten Abgaben wurden ausgeschrieben, sogar eine allgemeine Haubensteuer ersann der Schatzmeister des Reiches. Doch ließ er den Bürgersfrauen diese Abgabe nach, wenn ihre »schopfeten Hauben nicht mit Spitzen gezieret« waren. Dafür mußte jeder, dem es danach gelüstete, Goldschmuck und Silberketten zu tragen, eine Steuer von hundert Gulden erlegen. Die Deutschen zögerten nicht, ihr letztes Scherflein herzugeben, damit das Gespenst der Türkennot von den Grenzen des Reiches verscheucht werde.

Mahnend erhoben einflußreiche Männer ihre Stimme, den Opfermut aller anzuspornen. Der Kaiser wandte sich mit ernster Miene an das Volk, und von seinem Staatsminister, dem Kardinal Kollonitsch, rühren diese Worte her: »Man darf den Kelch und die Monstranz selbst nicht schonen, sondern muß sie einschmelzen oder versetzen, damit nicht mit dem Reiche die ganze Christenheit zugrunde gehe.« Es ist der nämliche Kollonitsch, den wir schon in Wien als einen Wohltäter der Leidenden schätzen gelernt haben, zu einer Zeit, da die Türken mit Ungestüm die Kaiserstadt belagerten. Wer kennt nicht das schöne Gedicht von Johann Nepomuk Vogel, das an die Türkennot gemahnt und dem Erzbischof Kollonitsch ein so schönes Denkmal setzt:

Die Sieger.

Es sitzen zu Wien im Kaisersaal
die Fürsten und Helden in reicher Zahl.
Sie haben entsetzet die bange Stadt,
nach der so gelüstet den Heiden hat.
Und als nun geendet das reiche Mahl
und freudig geleert der Siegespokal,
spricht einer: »Genug nun mit Sang und Klang!
Nun sagt, wer die beste Beute errang!«
Ein Pole entgegnet: »Des Sultans Gold
hab' ich mir aus seinem Zelte geholt.«
Ein Lothringer drauf: »Sein stolzes Panier
erkämpft ich mit blutigem Degen mir.«
Ein Wiener sodann: »Manch reiches Gewand
entriß ich den Flücht'gen mit dieser Hand.«
Ein andrer: »Ich wählt' in aller Eil'
Kamel' und Pferde zu meinem Teil.«
So wußte ein jeder nach seiner Art
zu sagen, was ihm für Beute ward.
Nur einer im Kreise der Sieger saß,
der über die andern das Wort vergaß.
»Wie stumm doch, Herr Bischof! Bekennet auch Ihr,
mich dünkt, Ihr errangt das Geringste schier.«
Herr Kollonitsch, also der Bischof hieß,
entgegnet mit Lächeln: »Eins ist gewiß,
was ihr auch erlangt durch der Heiden Flucht,
nach meiner Beute hat keiner gesucht.
Und doch ist's das Köstlichste in der Tat,
was man erobert vom Schlachtfeld hat.«
Drauf winkt er den Dienern, auf tut sich das Tor,
da dränget ein Heer sich von Kindern hervor,
von Knaben und Mägdlein, so zart und hold,
die Wangen wie Röslein, die Locken wie Gold.
Die sinken aufs Knie vor dem Gottesmann
und schmiegen mit Weinen an ihn sich an.
»Das ist meine Beute,« der Bischof sagt,
»nach der hat nicht einer von euch gefragt.
Ich fand sie verlassen in Harm und Not,
erwürgt ihre Mütter, die Väter tot.
Da führt' ich sie alle nach Wien herein
und will den Verwaisten ein Vater sein.«
Und als er zu ihnen gesagt das Wort,
gestanden beschämt die andern dort,
was alle sie auch nach Hause gebracht,
nichts gleiche der Beute, die er gemacht.

Wie hatte das Deutsche Reich aufgeatmet, als der Lothringer 1683 das bedrängte Wien aus den Klauen der Türken erlöste! Für ewige Zeiten glaubte man sich befreit von den entfesselten Horden Asiens, und nun drohten erneut verheerende Blitze aus finsterem, unheilvollem Gewölk. Wieder zogen die wilden Janitscharen durch kaiserliches Gebiet, und ihr Begleiter war namenloser Jammer.

Doch kehren wir zu Eugenius zurück und zu seinem kampfbereiten Heere!

Eugen von Savoyen hatte seine Armee durch die herbeigerufenen Truppen fast verdoppelt und fühlte sich nun stark genug, einen entscheidenden Schlag zu wagen. Kundschafter, die den Türken aufgespürt, hatten die Nachricht gebracht, daß ein gewaltiges und wohlgeordnetes Heer die Donau heraufgerückt käme. Der Großherr, Sultan Mustafa II. selbst, hieß es, sei der Führer seiner Krieger. In Belgrad hatte er geweilt und dort Brücken über die Donau und Save schlagen lassen. In dichten Massen wälzte sich jetzt die endlose Heeresschlange stromaufwärts, und siegestrunken spornten die Paschas und Beis ihre Scharen zu wilder Eile.

Unter den Offizieren Eugens glaubte man, der Großtürke werde sein Heer über die Save führen und das feste Peterwardein angreifen. Doch der Prinz hatte einen schärferen Blick, er erriet, welche Absicht die Feinde so flink in Bewegung brachte. Auf den Prinzen und seine braven Soldaten hatten es die Türken nicht abgesehen, ihr Kriegszug galt dem General Rabutin, der mit acht Regimentern aus dem fernen Siebenbürgen zur Hauptmacht des Prinzen von Savoyen stoßen wollte. Sperrten ihm die Osmanen den Weg, so mußte er von ihrer furchtbaren Überzahl zermalmt werden, denn an hunderttausend Waffenträger zählten die Moslems.

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Schlacht bei Chiari am 1. September 1701. Nach einem Kupferstich von Huchtenburg.

Besorgt um das Schicksal des heranrückenden Korps, eilte ihm Eugenius in langen Tagesmärschen entgegen; doch vergaß der umsichtige Generalissimus nicht, den Feind durch eine hinreichend starke Abteilung in Schach zu halten. So war der Rücken Eugens gedeckt, und die Vereinigung mit dem säumigen Rabutin gelang, noch ehe der Sultan diesen über den Haufen gerannt hatte. Jetzt marschierte unser Prinz nach Peterwardein zurück, fest entschlossen, dem Halbmond diesen wichtigen Platz streitig zu machen. Ein verschanztes Lager wurde in der Nähe der Stadt bezogen und so verhindert, daß die umherschwärmenden Janitscharen die hölzernen Stege, die die Sümpfe bei St. Thomas-Syreck wegbar machten, vernichteten.

Um besser fortzukommen, hatten die Türken diese Brücken über die vielen Moräste selbst angelegt, aber leichtsinnigerweise stehengelassen, denn sie hielten es für ausgeschlossen, daß ihnen Eugenius bis hierher folgen könnte. An sechshundert osmanische Reiter wollten nun den Fehler wieder gutmachen, doch sie wurden bis auf einen einzigen, der Fersengeld gab, in die Pfanne gehauen. Der brachte atemlos dem Großwesir die Hiobspost, daß der Prinz Eugen mit einem gewaltigen Heer angerückt käme. Zum Lohn dafür ließ der Großwesir den Unglücklichen sofort köpfen, denn der türkische Reichskanzler hatte der stehengelassenen Brücken wegen ein schlechtes Gewissen und wollte dem Sultan den Fehler verheimlichen. Er log seinem Gebieter vor, nur ein paar Spahis – so hieß bei den Osmanen die leichte Kavallerie – seien von einem ganz unbedeutenden Fähnlein Kaiserlicher in die Flucht gejagt worden. Denn ihm bangte davor, das gleiche Schicksal zu erfahren wie sein Vorgänger Kara Mustafa. So fürchtete im türkischen Heer ein jeder den Höhergestellten, und keinem saß der Kopf sicher zwischen den Schultern.

Dagegen beseelte einen jeden einzelnen Mann im Heere Eugens, von den höchsten Offizieren bis zum letzten Troßjungen, mutige Zuversicht und das Vertrauen zu seinem siegerprobten Führer. Wie zu einem Festtag rüsteten sich die Soldaten, eine freudige Bewegung ging durch die ganze Armee. Die Musketiere hielten ihr Pulver trocken, die Dragoner schliffen die schweren Reitersäbel, und die geringste Nachricht über die Bewegungen des Feindes wurden im Lager mit Eifer besprochen. Ein guter Kundschafterdienst gilt noch heute als eine der wichtigsten Forderungen der Kriegskunst. Nur wenn der Feldherr die Absichten des Feindes rechtzeitig erfährt, vermag er erfolgreiche Gegenmaßregeln zu treffen. So ist das Spionenwesen ein unvermeidliches Übel, auf das selbst der ritterlichste Kriegsmann nicht verzichten darf. Auch Prinz Eugenius hatte vorzügliche Aufpasser, und ihm wurde schnell die Botschaft: Sultan Mustafa II. folgt jetzt dem Lauf der Theiß, rückt gegen Szegedin vor, will diese Stadt mit seiner Heersäule überrennen und dann ins Siebenbürgische einfallen.

Das sollte nicht geschehen. Der türkische Großherr mußte den Weg versperrt finden. Eugen gab das Zeichen zum Aufbruch. Dem Feinde nach! war seine Parole, und die fünfzigtausend Mann des Prinzen von Savoyen marschierten nun Tag und Nacht nordwärts, bereit, den zweifach überlegenen Gegner zu stellen. Von Peterwardein zogen die Scharen Eugens fast gleichlaufend mit den Türken, die am rechten Ufer der Theiß ebenso hastig Szegedin zustrebten. Es war ein Wettrennen der beiden feindlichen Heere, nur mit dem Unterschied, daß der Sultan keine Ahnung davon hatte, wer hinter ihm her sei, verschwieg doch der feige Großwesir immer noch seine gefährliche Wissenschaft. Unterdessen war es Mustafa II. gelungen, Szegedins Lage auszuforschen, und weil er diese Stadt gegen eine Überrumpelung hinreichend gesichert fand, beschloß er, sich nicht weiter aufzuhalten und schnurstracks in Siebenbürgen einzufallen. Aber schon am 11. September 1697 holten die Kaiserlichen, mit ihnen wie immer die braven Brandenburger und Sachsen, den Großherrn ein, und am frühen Morgen schleppten streifende Husaren im Triumph einen gefangenen Pascha vor Eugen.

Ohne sich im Weitermarsch auch nur einen Augenblick aufhalten zu lassen, nahm der Prinz den Türken sofort scharf ins Gebet. Dschafer Pascha, so hieß der Aufgegriffene, schlotterte vor Angst, und weil ihm die Enthauptung angedroht wurde, rückte er haarklein mit der Wahrheit heraus: der Angriff auf Szegedin ist aufgegeben, eine neue Wendung wieder nach Osten gegen Siebenbürgen beschlossen und der Sultan steht jetzt bei Zenta. Da wußte Eugenius, daß ihn kaum eine Meile mehr vom Feinde trennte; eifrig setzte er das Examen mit dem Gefangenen fort.

Zähneklappernd verriet der gefesselte Pascha die wichtigsten Kriegsgeheimnisse. »Eben geht die gesamte türkische Reiterei mit dem Sultan in der Mitte über die Theiß,« erzählte er unter tausend Bücklingen. »Von unsern französischen Baumeistern wurde in der verflossenen Nacht eine Schiffsbrücke über den Strom geschlagen, und jetzt arbeitet das Fußvolk daran, den Übergang zu decken, indem es am Ufer eine Schanze errichtet.«

Das Feldherrngenie Eugens erkannte: jetzt ist die Gelegenheit da, den Gegner, während er über den Fluß setzt, mit eisernen Klammern zu fassen, jetzt oder nie muß der Feind gepackt werden! Den Regimentern wurde anbefohlen, sofort die Schlachtordnung zu bilden. Zur größten Eile angetrieben, sahen die Kaiserlichen, als die Sonne am höchsten stand, den Riesenhalbkreis der außerordentlich starken Verschanzungen vor sich. Ehe Eugenius seine letzten Vorbereitungen getroffen hatte, war es längst Nachmittag geworden, und man durfte keine Zeit mehr verlieren, um nicht von dem hereinbrechenden Nachtdunkel überrascht zu werden. Eugen hatte sich alles so klug ausgedacht und die kleinste Einzelheit so zweckmäßig ersonnen, daß die Kriegsgöttin selbst den Ausgang des Tages in seine Hand legte. Zwei Stunden vor Sonnenuntergang bliesen die Trompeter zum Angriff, aber schon war die türkische Reiterei an die Kaiserlichen herangefegt, Krummsäbel kreuzte sich mit Pallasch, und Roß stieß gegen Roß.

Das Reitergefecht war begleitet von einem heftigen Geschützfeuer. Aus den Verschanzungen der Türken fuhr Blitz auf Blitz, doch auch Eugens Artillerie blieb die Antwort nicht schuldig. Hüben wie drüben schlugen die schweren Kugeln ein, und in dicken Schwaden stieg Staub und Pulverdampf zum Himmel. Eugen von Savoyen führte, unbekümmert um das Brummen der Kanonen, seine Getreuen an den Feind heran, er kommandierte in der Mitte der weitgedehnten Front. Die osmanische Reiterei war zersprengt, nun begann der Kampf auf allen Punkten der Schanzwerke.

Immer mächtigere Wogen warf der Kampf, immer wilder schlugen die Männer gegeneinander los. Um dem Heer ein leuchtendes Beispiel zu geben und die Kühnheit der Leute noch zu steigern, hatte der Prinz, die Reiterstandarte in der Hand, das schöne Kürassierregiment Styrum selbst ins Feuer geführt. Man war dem Feinde schon so dicht an den Leib gerückt, daß der Kavallerie kein Raum zum Attackieren blieb. Allein die Reiter sprangen, ohne erst einen Befehl abzuwarten, freiwillig von den Pferden und mischten sich unter das Fußvolk, denn sie hätten sich geschämt, müßig zuzusehen.

Gleich bei Beginn der Schlacht erspähte das Adlerauge Eugens, daß unweit des türkischen Lagers gegen Norden zu aus der Theiß ein paar angeschwemmte Sandbänke hervorragten. Dort mußte der Strom sehr seicht sein und den Kaiserlichen die Möglichkeit bieten, unbemerkt hinüberzukommen. Sofort beschied der Prinz den Kommandanten des linken Flügels, den wagemutigen General-Feldzeugmeister Guido Starhemberg, zu sich und gab ihm den Befehl, eine Abteilung an der bezeichneten Stelle über den Fluß zu senden. So wurden die Osmanen plötzlich auch im Rücken angegriffen, was ihre Verwirrung noch steigerte.

Die Janitscharen, von allen Seiten eingeschlossen, gerieten in Unordnung. Den Führern gelang es nicht mehr, sie im Gliede zu halten, ein panischer Schrecken trieb alle zur Flucht, und in dichten Scharen drängten sie aus dem Lager heraus der Brücke zu. Nun war durch die Truppen Starhembergs die feindliche Wagenburg im Sturm erobert worden, und die schweren Geschütze sandten Schuß auf Schuß in das Holzwerk der Brücke. Wie eine Herde wilder Büffel stürzten die geängstigten Türken der Schiffsbrücke zu; als sie den Weg stark besetzt fanden, stieg ihre Verzweiflung ins Ungemessene. Jetzt fing ein grausiges Gemetzel an. Die Kaiserlichen, durch die jahrelangen fruchtlosen Kämpfe erbittert, hörten nicht mehr auf die Kommandoworte ihrer Offiziere und hieben nieder, was ihnen in den Weg kam.

Die Schiffsbrücke brach in Trümmer, als die Sonne eben unterging. Das brennende Dorf Zenta beleuchtete mit grausigem Feuerschein ein entsetzliches und blutiges Schauspiel. Die Türken sahen keinen Ausweg mehr, aus der eisernen Umklammerung zu entkommen. An die Theiß gedrängt, stürzten sie von den felsigen Ufern in den Strom hinab und wurden von den Fluten verschlungen. Der Fluß war angefüllt mit wehklagenden Menschen, die dem nassen Grab zu entrinnen suchten. Wer sich durch Schwimmen retten wollte, wurde von den andern mit in die gurgelnde Tiefe gerissen.

Erbarmungslos strafte das Schwert der Sieger. Wer von den Türken dem Tode in der Theiß entgangen war, fiel unter den Streichen der Deutschen. Nur das nackte Leben wollten die Moslems retten, aber die höchsten Lösegelder wurden zurückgewiesen und kein Pardon gegeben. So geschah es, daß wenige von den Feinden in Gefangenschaft gerieten und alle türkischen Heeresfürsten ihre Eroberungssucht mit dem Tode büßten. Den Großwesir hatten die eignen Leute, als sie sich verloren sahen, in Stücke gehauen; nicht besser erging es vielen andern Wesiren, Beglerbegs (Obergeneralen) und Paschas, die von den empörten Janitscharen selbst niedergemacht wurden. Mehr als zwanzigtausend Erschlagene lagen auf dem Felde, das Würgen hörte nicht auf, bis der letzte zu Boden sank. Zehntausend Leichen schwammen die Theiß abwärts, und kaum ein paar hundert Menschen waren im Schutze der Nacht über das Wasser entkommen.

Auch er floh, der »Fürst der Fürsten, der Stellvertreter des Propheten auf Erden, die Hand Gottes«, wie er sich stolz nennen ließ, der Großsultan Mustafa II. Machtlos hatte er die Vernichtung seines herrlichen Heeres mit ansehen müssen und damit den Zusammenbruch aller Hoffnungen. Schmählich geschlagen, spornte er den arabischen Renner; die Angst beflügelte seinen Ritt, die zitternde Angst, den Heimweg abgeschnitten zu finden. So jagte der Sultan, nur von den Gardereitern gedeckt, zunächst nach Temesvar und dann weiter in blindem, ohnmächtigem Zorn unaufhaltsam bis nach Belgrad.

Der glorreichste Sieg über den Halbmond war errungen, die Schlacht bei Zenta war geschlagen. Diesen Triumph der kaiserlichen Waffen hatte der Prinz mit erstaunlich geringen Opfern erkauft; nur achtundzwanzig Offiziere und vierhundert Soldaten verloren die Deutschen durch den Tod, und etwa sechzehnhundert Mann waren durch Verwundung kampfunfähig geworden. Auf dem Schlachtfeld, inmitten der gefallenen Feinde, brachten die Sieger die Nacht zu, nachdem Eugen vorher einen feierlichen Dankgottesdienst angeordnet hatte. Am nächsten Morgen führte der Prinz sein Heer in das eroberte Lager, die Beute zu besichtigen.

Drei Millionen Golddukaten enthielt die türkische Kriegskasse, auch fanden sich Waffen und Munition in schwerer Menge. Hunderte von Geschützen und ein reiches Gepäck gab es da, ferner die edelsten Pferde, buntbeschirrte Kamele und fette Mastochsen. Fahnen, Roßschweife und Standarten wurden an hundert gezählt, aber das große Siegel, das der Staatskanzler des Sultans als Zeichen seiner Machtvollkommenheit am Halse getragen, galt dem Prinzen Eugen als das köstlichste Beutestück. Dieses Reichssiegel der Pforte war vordem noch nie in Feindeshände gefallen. Unser Prinz beschloß, es dem Kaiser in Wien persönlich zu überreichen; die andern eroberten Feldzeichen sollte dagegen der Dragonerobrist Graf Dietrichstein jetzt schon in die Hofburg bringen, dazu auch den ausführlichen Bericht seines Feldherrn.

Dieser Bericht Eugens ist der Nachwelt erhalten geblieben als ein rührendes Zeichen der Bescheidenheit unsers Helden. Es heißt darin: »Die Sonne wollte nicht eher weichen, bis sie mit ihrem glänzenden Auge den völligen Triumph der kaiserlichen Waffen gesehen … Nächst Gottes Hilfe ist dem nicht genug zu lobenden Heldengeist der gesammten Generale, Ober- und Unteroffiziere wie der gemeinen Soldaten der Sieg bei Zenta zuzuschreiben. Nicht genugsam preisen und schildern kann die schwache Feder diese Bravour. Ich als das geringe Haupt muß es zu ihrem unsterblichen Ruhme bekennen. Es ist das keine gewöhnliche Schmeichelei, sondern Gerechtigkeit; denn es hatten wohl einige Gelegenheit gehabt, sich auszuzeichnen, aber es ist nicht ein einziger, der mehr getan als seine Schuldigkeit …« So schrieb der Generalissimus, aber kein Wort von seinem eignen Verdienst. Von sich selbst erwähnt Eugenius keine Silbe, von seinen unvergleichlichen Leistungen steht nichts in dem Kriegsbericht an den Kaiser.

Ungeheurer Jubel durchbrauste die Regimenter, als ihr allverehrter Führer die Siegesparade abnahm. Das Hurrageschrei auf den edlen Ritter Eugenius wollte kein Ende nehmen. Einen seiner glücklichsten Tage feierte der Prinz und zugleich die Erinnerung an seine Feuertaufe. Denn just vor vierzehn Jahren, genau an dem nämlichen Tage, hatte er als Freiwilliger bei der Befreiung Wiens zum erstenmal gegen die Ungläubigen gefochten. Der große Tag von Zenta war also ein doppelter Jubeltag für unsern Helden.

Jetzt hätte der Prinz am liebsten den Osmanen gleich wieder Belgrad abgenommen. Aber die Truppen waren von den langen Gewaltmärschen und dem schweren Gefechtstag so erschöpft, daß an eine vollkommene Ausnutzung des herrlichen Sieges nicht gedacht werden konnte. Zudem hatte der endlose Regen weite Länderstriche überschwemmt, die Gegenden waren morastig geworden, atmeten den Hauch des Todes aus, und der gewissenhafte Feldherr schickte daher die Soldaten ins Winterquartier, um ihre Gesundheit nicht leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Er selbst freilich gönnte sich keine Ruhe, sondern unternahm für den Rest des Jahres mit einer ausgewählten Mannschaft einen Streifzug nach Bosnien und drang bis tief in das Herz des schönen Berglandes.

Gegen Ende des Monats Oktober standen die Deutschen vor Serajewo. Die prächtige Stadt war nicht befestigt, und die Kuppeln und Minarette von weit über hundert Moscheen ragten malerisch in den blauen Himmel. Die Türken hatten das Weite gesucht, und die christliche Bevölkerung strömte in das Lager Eugens, dem Prinzen zu huldigen. Seine Hilfe flehten die Bedauernswerten an, und der Menschenfreundliche hätte gern die Unterdrückten von dem Türkenjoch befreit. Damals schrieb er in sein Tagebuch: »Unter den Osmanen herrscht fürchterliche Verwirrung, wären nur ein wenig mehr Anstalten dafür getroffen, so könnte das ganze Königreich eingenommen und behauptet werden.«

Eugen von Savoyen hatte für die bittenden Bauern nur den einen Trost: »Ich hoffe, alle Christen, die es hier gibt, über die Save zu bringen.« Als die Kaiserlichen wieder abzogen, schlossen sich ihnen in endlosen Wagenreihen die Auswanderer an. In Kroatien, das durch die Jahrhunderte währenden Kriege entvölkert und verwüstet war, siedelte der Prinz die Rajas an. Die serbische Urbevölkerung wurde so von den Türken genannt, und das Wort bedeutet Schafherde. Doch diese erniedrigten Menschen erwiesen sich als vorzügliche Kolonisten, und so hat der Kriegsheld Eugenius mit deren Ansiedlung ein segensreiches Friedenswerk geleistet. Bosnien und die Herzegowina aber sollten erst in unsrer Zeit dem Hause Habsburg zufallen.

Wie ein gekröntes Haupt wurde Eugen in Wien vom Kaiser empfangen. Der Monarch umarmte und küßte ihn und reichte dem Sieger von Zenta einen goldenen, reich mit Edelsteinen gezierten Ehrendegen, der dem Kaiser an zehntausend Reichstaler gekostet hatte. Die Legende will wissen, daß unserm Helden in der Hofburg eine schimpfliche Aufnahme zuteil geworden sei. Man munkelte von einem Brief des deutschen Kaisers, den der Prinz vor Beginn der Schlacht bei Zenta einem Kurier abnahm und achtlos in die Tasche schob, ohne ihn zu lesen. Dieser Brief soll das Verbot des Monarchen enthalten haben, die Türken anzugreifen, weil die Armee dem Feinde gegenüber in bedeutender Minderzahl gewesen. Doch die Geschichte mit dem Brief ist eine Lüge und nur von des Prinzen Neidern, ihm zu schaden, aufgebracht. Eugenius durfte sich mit einem Schreiben des Kaisers ausweisen, in dem er mit gnädigen Worten zum Losschlagen aufgefordert wurde. Allerdings, diese allerhöchste Ermächtigung erhielt er erst zwei Tage nach der Schlacht, und man kann sich denken, wie erfreut er war, den Befehl seines verehrten Kaisers erfüllt zu haben, ohne von ihm zu wissen.

Auch sonst ward der Prinz von Savoyen mit huldreichen Aufmerksamkeiten überschüttet, und weil Leopold I. wohl wußte, daß der Prinz nicht allzu begütert war, schenkte er ihm große Ländereien in Südungarn. Dieser Grundbesitz allein wurde auf hunderttausend Gulden geschätzt. Hierzu kaufte der Prinz um geringes Geld gleichfalls in Ungarn einige Herrschaften, so daß er nun wohl für alle Zeiten wohl versorgt war und von jetzt ab ein glänzendes Einkommen besaß. Da war es nun des ehrenhaften Prinzen würdig, daß er zu allererst an die Schulden dachte, die er jung an Jahren in Paris hatte zurücklassen müssen; auf Heller und Pfennig bekam jeder Gläubiger sein Geld zurück. Auch die Verpflichtungen seiner Mutter beglich er. Nachdem er so die äußeren Angelegenheiten geordnet hatte, ging der Prinz daran, sich ein Haus in der Stadt Wien zu bauen, die seine zweite Heimat geworden war. Auch in der Nähe der Stadt entstand bald sein Lustschloß Belvedere, das heute noch ein Schmuck Wiens ist und jetzt vom österreichischen Thronfolger bewohnt wird.

Seit dem ewig ruhmreichen Tag von Zenta galt Eugenius bei seinen Zeitgenossen als der größte Kriegsheld Deutschlands. Den »Befreier aus der Türkennot« nannte ihn das Volk, und hoch und gering ehrte ihn und seine Waffentaten. Allein der Prinz hatte den Ehrgeiz, nicht nur ein großer Soldat, sondern auch ein edler Mensch zu sein, und so nutzte er die Friedensjahre, die jetzt dem Reiche beschieden waren, um sich zu bilden, seine Güter zu bewirtschaften, Blumen zu züchten und den Künsten und Wissenschaften zu dienen. Von diesem beschaulichen Leben des Prinzen soll später einiges erzählt werden.

Hier sei nur noch des Friedens von Karlowitz gedacht, den der Kaiser Anno 1699 mit den Türken schloß.

Vordem hatten schon die Waffen geruht, denn der neue Großwesir Koeprili Hussein war ein Greis an Jahren und friedlich gestimmt. Nun fanden sich im dörfischen Städtchen Karlowitz, das zwischen Peterwardein und Belgrad liegt, die Abgesandten der streitenden Mächte ein, um die Friedensakte zu unterzeichnen. Alles kam zur Sprache, selbst an den alten Rebellen Tököly erinnerte man sich wieder, und es ist für die Türken ein ehrenhaftes Zeugnis, daß sie ihren treuen Bundesgenossen nicht an den Kaiser ausgeliefert haben. Der Sultan schenkte dem Grafen Tököly ein bescheidenes Landgütchen. Seine Gemahlin wurde in Wien freigelassen und kehrte nach jahrelanger Trennung zu dem Gatten zurück. Tököly überlebte nicht lange die Vernichtung seiner ehrgeizigen Pläne und starb bald darauf an gebrochenem Herzen.

Fünfundzwanzig Jahre hatte das erbitterte Ringen Deutschlands gegen die Eroberungssucht des Halbmondes gewährt; jetzt endlich war die Hochflut eingedämmt. Das Schwert des edlen Ritters Eugen von Savoyen hat die ärgste Bedrängnis in einen herrlichen Erfolg verwandelt. Ein gewaltiger Ländergewinn war dem Hause Habsburg zugefallen, denn ganz Ungarn (ausgenommen die Gegend um Temesvar), Kroatien, Slavonien und Siebenbürgen wurden für immer zu Erbländern des Kaisers. So ging aus diesem blutigen Wettstreit eine neue Weltstellung für Österreich hervor, die Monarchie war noch einmal so groß an Umfang geworden. Es ist ein unsterbliches Verdienst unsers Helden, daß er Österreich-Ungarn zu einer europäischen Großmacht emporhob. Aber auch ganz Deutschland muß ihm Dank wissen, denn er hat allen Nationen die Hochachtung für das deutsche Schwert abgezwungen, nicht zuletzt dem neidischen Frankreich.

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