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5. Kapitel.
Das erfüllte Gelübde.

Ludwig XIV. ließ sich gern vom Höflingstroß der »Große« nennen. Aber seine Größe war im Grunde nur theatralischer Prunk, der notdürftig die innere Hohlheit dieses eitlen Menschen verhüllte. Alles war Selbstsucht an ihm, für seine Vergnügungen und Festlichkeiten wurden der französischen Nation Millionen erpreßt, und der Monarch duldete auch, daß gewissenlose Leute sein Volk ohne Erbarmen ausbeuteten. Die Hofpoeten feierten den vierzehnten Ludwig als Sonnenkönig, nannten ihn den glorreichen Vater der Wissenschaften und Künste, doch der umschmeichelte Mann auf dem Throne Frankreichs begehrte auch mit dem Kriegsgotte Mars verglichen zu werden. So wurde es dem Minister Louvois leicht, den ehrgeizigen König zum Einfall in das geschwächte Deutschland zu verleiten.

Die Ländergier Ludwigs hat über unser Vaterland viel Jammer gebracht. Straßburg war gefallen, die Pfalz von fremden Räubern verwüstet, und zu Wien mußte der Kaiser machtlos diesem empörenden Treiben der Mordbrenner zusehen. Wie gern hätte Leopold I. den Übermut des gallischen Nachbarn mit dem Schwert gerächt, doch seine eignen Erblande erzitterten vor dem finsteren Osten. Eben war der Halbmond blutigrot aufgegangen, und die Türken rüsteten ein gewaltiges Heer gegen Wien. Wie die alte Kaiserstadt die Osmanen empfing, ist schon erzählt worden; wir wissen auch, daß sich dort Prinz Eugenius seine ersten kriegerischen Erfolge geholt hat. Der junge Held, dessen Kriegsdienste der französische König mit so hochmütiger Gebärde verschmäht hatte, war seitdem von Sieg zu Sieg geeilt. Zu spät erkannten die klugen Herren am Hofe zu Paris, daß sie da wieder einmal einen Juwel für einen wertlosen Kieselstein gehalten hatten. Das erfüllte den Kriegsminister Louvois samt seiner königlichen Majestät mit argem Verdruß. Und noch mehr kränkte sie der Triumph des deutschen Kaisers über die Türken. Die Franzosen hätten sich so sehr über den Zusammenbruch Deutschlands gefreut; daß es statt dessen aus all den schweren Kämpfen mit dem türkischen Großherrn so siegreich hervorging, weckte ihren unverhüllten Neid.

Kaum sechs Jahre brauchte das Haus Habsburg, um den Türken all die Länder abzunehmen, die es im Verlauf von zwei Jahrhunderten an die Moslems eingebüßt hatte. Dieser Kranz von Siegen brachte ganz Europa in Bewegung. Ein starkes Deutschland mußte nun emporblühen, und die Kaiserkrone mußte neue Macht und neues Ansehen gewinnen. Mißgünstig sahen die Franzosen solch einer Zukunft entgegen und fürchteten den Verlust ihres Übergewichts. Ludwig XIV. schäumte vor Zorn bei dem Gedanken, der Glanz seines Namens könnte jählings verblassen. Hatte er vordem die Osmanen gegen Österreich gehetzt und die ungarischen Rebellen zum Widerstand aufgestachelt, jetzt sah er seine Luftschlösser zusammenstürzen. Der schlau eingefädelte Plan war mißlungen, und die Niederlage der Türkei machte dem allerchristlichsten König große Sorgen. Der Halbmond durfte nicht völlig zerschmettert werden, das Deutsche Reich niemals den ersehnten Frieden finden, so beschloß Ludwig in seinem bösen Herzen. Schnell war ein Vorwand gefunden, um den Feinden Österreichs zu Hilfe zu kommen. Ehe man sich's am Wiener Kaiserhofe versah, war ein Streit vom Zaune gebrochen.

In Köln sollte eben der erzbischöfliche Stuhl besetzt werden, aber die Domherren konnten sich über ihren künftigen Kirchenfürsten nicht einigen. Ein Teil der Wähler gab dem Prinzen Josef Klemens von Bayern die Stimme, ebenso viele waren für den bisherigen Verweser des Kölner Erzstiftes, den Fürsten von Fürstenberg. Er war ein Liebling Ludwigs XIV., hatte die Sache der Franzosen zu der seinen gemacht und sollte als Lohn dafür den Kurhut erlangen, damit auch Stimme und Sitz bei der deutschen Kaiserwahl. Aber der landesverräterische Fürstenberg fiel schmählich durch, denn der Papst entschied zugunsten des Bayernprinzen Josef Klemens. Dieses Ereignis benutzten die Franzosen, um in Deutschland unvermutet einzubrechen. Gegen Treu und Glauben und ohne Kriegserklärung überschwemmte ein Franzosenheer wieder einmal die Rheinlande, und so geriet Kaiser Leopold plötzlich zwischen zwei Feuer. Schnelle Entscheidung war da von höchster Wichtigkeit, nur ein rasches Vorgehen konnte aus dieser neuen Bedrängnis retten.

Die Wege der Politik sind oft dunkel, und darum begreift es bis heute niemand, warum damals die Räte ihrem Herrscher nicht den Frieden mit der Türkei anempfahlen. Die Osmanen waren durch den Verlust von Belgrad, die Waffenerfolge des Prinzen Eugen und der andern österreichischen Feldherren so in die Enge getrieben, daß sie dringend um Schonung baten. Sonderbarerweise lehnte Kaiser Leopold das Ansuchen der Pforte ab. So mußte die Heeresmacht Habsburgs geteilt werden, um den beiden Feinden trotzen zu können; das war eine gefährliche Zersplitterung der eignen Kraft, die nichts Gutes erwarten ließ. Warnend erhob Prinz Eugenius die Stimme, sein klarer Blick sagte ihm, was zu tun sei. Den Friedensschluß mit der Türkei wollte er und die verworrenen Verhältnisse in Ungarn schlichten, um dann schnell alle Kräfte gegen den schlimmsten Feind Deutschlands, gegen Frankreich zu werfen. Dem frommen Sinn des Kaisers fiel es schwer, den heiligen Krieg wider den Islam aufzugeben; darum schwankte er lange unentschlossen und gab in Ungarn die Waffe nicht aus der Hand. Der Prinz von Savoyen hatte vergeblich die Führung zweier Kriege zu gleicher Zeit für höchst verhängnisvoll erklärt; laut warnte er den Kaiser vor den falschen Ratgebern, aber seine Stimme verhallte ungehört.

Bald zeigten sich die üblen Folgen.

Ungarn, das die Kaiserlichen so sieghaft gesehen, geriet schnell wieder in eine traurige Lage. Das österreichische Heer war geschwächt, weil seine Hilfsvölker nach dem Rhein hatten eilen müssen, um die schöne Pfalz den Klauen der gallischen Wüteriche zu entreißen. Der Kriegsminister Louvois hatte in Paris den verbrecherischen Befehl erwirkt, die blühenden Gefilde am Rhein in eine Wüstenei zu verwandeln. Das sollte das vorsichtige Frankreich für alle Zukunft vor einem Einfall der Deutschen schützen. Seit dem März 1689 hausten die Franzosen im Namen ihres Königs wie die ärgsten Barbaren in der Pfalz und verübten scheußliche Gewalttaten. Heute noch erinnert die Ruine des Heidelberger Schlosses an die grausamen Verheerungen des Generals Melac und ist ein Denkmal der Schmach für den Sonnenkönig.

Eben war das herrliche Schloß zu Heidelberg in Flammen aufgegangen, als die Frevler auch schon Mannheim an allen Ecken anzündeten. Am 27. Mai verkündete Trommelwirbel den entsetzten Bürgern von Speier, daß der Wille Ludwigs die ehrwürdige Kaiserstadt dem Erdboden gleichmachen werde. Aus besonderer Gnade gestatte den Bewohnern die allerchristlichste Majestät, ihren besten Besitz an beweglichen Gütern mitzunehmen und in Frankreich ein neues Vaterland zu suchen. Als dieser furchtbare Beschluß verkündigt war, stürzten sich die Mordbrenner gleich wilden Tieren auf die unglückselige Stadt, befleckten in roher Weise den wunderschönen Dom, erbrachen die Grüfte unsrer Kaiser und verschonten nicht einmal ihre Gebeine, indem sie diese aus den Gräbern rissen und mit den Schädeln Kegel spielten. Die Bürger hatten weinend ihr bestes Gut auf vierhundert Wagen geladen und wollten »laut gnädiger Erlaubnis« den Rest ihrer Habe fortführen, als ihnen das fremde Gesindel unter Hohngelächter auch noch das Allerletzte wegnahm.

An tausend deutsche Ortschaften fielen so französischer Bosheit zum Opfer. Über Nacht wurden blühende Städte und Dörfer in Asche gelegt und kein Stein auf dem andern gelassen. Obstbäume und Weinstöcke rissen die Vandalen mit den Wurzeln aus der Erde, ja selbst Saatfelder mußten umgeackert werden. Da die verzweifelten Pfälzer um Gnade baten und auf den Knien vom Oberfeldherrn Schonung für ihr unglückliches Land erflehten, hatte er nur die kalten Worte für sie: »Der König will es.«

Ganz Deutschland war entsetzt ob dieser Verbrechen, die zum Himmel um Rache schrien, und der Kaiser mußte einen großen Teil seiner Reichsarmee, die in Ungarn gegen die Türken focht, schleunigst an den Rhein senden. Der tapfere Kurfürst von Brandenburg und der alte Derfflinger kämpften dort bereits wacker gegen die Söldner Ludwigs, und auch die andern deutschen Reichsfürsten hatten ihre Soldaten längst heimberufen, denn die französischen Marschälle planten, ihre Raubzüge recht weit in die Gaue Deutschlands auszudehnen. Unterdessen gewannen die Türken langsam aber stetig in Ungarn an Boden und drängten die schwarzgelben Fahnen von Stellung zu Stellung zurück. Jetzt, wo es Leopold I. so sehr an hinreichenden Streitkräften fehlte, und er gezwungen war, seine Waffenmacht zu zersplittern, kamen auch noch aus Italien schlimme Nachrichten. Überall war die Kriegsfackel entzündet, überall loderte der Haß der Feinde, die auf das Verderben Deutschlands sannen; aber ohne zu wanken vertraute Deutschland selbst in dieser jammervollen Zeit seiner Zukunft, unverbrüchlich glaubte es an die künftigen Siege und an den Stern des Hauses Habsburg. Von Hand zu Hand gingen die Flugblätter, die frohgemut den Krieg predigten und in begeisterten Versen zum Widerstand gegen die Erbfeinde riefen:

Auf, der Fürst des Heers des Herrn
lässet zu dem Aufbruch blasen,
weil er siehet weit und fern
die verdammten Mörder rasen;
er kann ihre Wütereien
in der Länge nicht ersehn,
er will uns davon befreien,
balde, balde soll's geschehn!

Es waren nun schon einige Jahre dahingegangen, seit unser Prinz Eugen mit Ehren den Rock des Kaisers trug. Nie brauchte es der Monarch zu bereuen, daß er dem fremden Fürstensohn sein ganzes Vertrauen geschenkt, daß er ihm mit so viel Huld den Weg zum heißersehnten Waffenhandwerk erschlossen hatte. Allerdings, als jene denkwürdige Audienz in der Wiener Hofburg stattgefunden hatte, wo Eugenius zum erstenmal vor dem Kaiser erschien, konnte der Monarch nicht wissen, welch ein Heldengeist in dem schwachen Körper des Bittstellers verborgen war. Es wird Leopold wohl vor allem darum zu tun gewesen sein, sich dem nahen Verwandten des so einflußreichen Herzogs von Savoyen gefällig zu erweisen. Gewiß, auch das entschiedene und zielbewußte Wesen des Jünglings hatte damals dem Kaiser gefallen, und er stieß sich nicht an dem unschönen Antlitz Eugens; doch daß der Prinz aus dem Hause Savoyen stammte, war sicher mit ein Hauptgrund des so ungewöhnlich gnädigen Empfanges. Jetzt sollte Eugenius seinem Monarchen die wertvolle Freundschaft des Vetters sichern, jetzt sollte Herzog Viktor Amadeus ein Bundesgenosse des deutschen Kaisers werden.

In Turin, wo der Herzog residierte, war man nicht sehr kriegerisch gestimmt. Die Piemontesen und Savoyarden hatten weder für Frankreich noch Österreich eine besondere Neigung, und ihr Herrscher stellte sich so, als ob ihn die Streitigkeiten seiner beiden Nachbarn nichts angingen. Aber das half dem zögernden Herzog wenig. Von Ludwig XIV. bedrängt, vom Kaiser ermuntert, mußte er bald Farbe bekennen und seine Stellung als stiller Zuschauer beim Streite aufgeben. Die Wahl wurde Viktor Amadeus schwer. Ging er mit dem Kaiser, so machte er sich die mächtigen Franzosen zu Feinden; hielt er es aber mit Frankreich, dann drohte Deutschlands Zorn seinem kleinen Lande. So schwankte der Herzog von Savoyen, und er hätte in Ewigkeit keinen festen Entschluß gefaßt, wäre nicht Eugens Beredsamkeit seinem Wankelmut zu Hilfe geeilt.

Unser Prinz sah sehnsüchtig nach Norden, wo der Reichsfeldherr Karl von Lothringen mit brandenburgischen, sächsischen und süddeutschen Truppen gegen die Festung Mainz vorrückte, um die übermütigen Franzosen für alle Freveltaten zu bestrafen. Dort oben wurde gefochten – und er sollte fern vom edlen Waffenspiel schöne Redensarten im Munde führen? Doch der Kaiser hatte gesprochen, Eugen mußte als braver Soldat dem Befehl des obersten Kriegsherrn gehorchen. Ein neues Feld der Tätigkeit bestimmte Leopold I. für den Prinzen. Auf ein Gebiet, unserm Helden bisher völlig fremd und fernab vom Getöse der Schlacht, verwies ihn der Wille des deutschen Kaisers. Nicht Festungen zu erstürmen galt es jetzt, sondern auf dem glatten Boden des Verhandlungssaales sich staatsmännisch und gewandt zu benehmen.

Kaiser Leopold hatte mit Recht eine große Meinung von der Klugheit seines jungen Feldmarschall-Leutnants. Und so zog dieser nach dem alten Stammland des Hauses Savoyen, um den Herzog Viktor Amadeus für den Kaiser und das Reich zu gewinnen. Dort hatten die Franzosen schon fleißig die Werbetrommel gerührt. Der vierzehnte Ludwig hielt den Herzog für einen zuverlässigen Anhänger Frankreichs, flatterte doch über zwei Festungen mitten im Lande der Savoyarden das Dreililienbanner. Just diese fremden Besatzungen im eignen Lande verdrossen den ehrgeizigen Viktor Amadeus, der es als eine quälende Fessel empfand, daß die Franzosen in seinem Reiche herrschen wollten. Der Wiener Hof hatte die ausgesuchtesten Höflichkeiten für den eitlen Mann, selbst einige Reichslehen hatte ihm der deutsche Kaiser in Italien bereitwillig verliehen, und nun kam Vetter Eugen, um den Herzog zu einem Kriegsbund gegen die verhaßten Gallier zu drängen.

Die Franzosen wußten genau, zu welcher heiklen Aufgabe Eugen von seinem Herrscher ausersehen war. Sie neideten dem Kaiser diesen treuesten Diener, und am liebsten hätte König Ludwig den Mut und die Tapferkeit des Prinzen nun für sich in Anspruch genommen. In Turin umschlichen Geheimagenten den Prinzen von Savoyen, die im Auftrage Ludwigs die verlockendsten Versprechungen für ihn bereithielten. Wurde Eugen wortbrüchig, so waren ihm Reichtum und die größten Ehren in seinem Geburtslande sicher. Doch die ehrlosen Versucher bemühten sich vergebens: Eugen von Savoyen war die Treue selbst. Wie hätte da der Edelmütige Verrat üben können!

Anstatt dem Kaiser abtrünnig zu werden, wandte Eugen seine ganze Überredungskunst auf, um den unschlüssigen Verwandten dem Hause Habsburg zuzuführen. Herzog Viktor Amadeus war endlich gewonnen; einen tiefen Eindruck hatten auf den Wankelmütigen die Beweggründe Eugens gemacht, der den Vetter mit feurigen Worten davor warnte, ein Vasall des Hofes von Paris zu werden. »Erinnert Euch, Hoheit,« sprach er, und seine Stimme zitterte in verhaltenem Grimm, »erinnert Euch an die unwürdige Behandlung, die unsre erlauchte Familie durch Ludwig erduldet. Gedenket auch der Schmach, die Frankreich über das Geschlecht der Grafen Soissons gebracht; wie mein Herr Vater grundlos, um einer Königslaune willen, in die Verbannung mußte und meine Frau Mutter unter furchtbarem Verdacht, aber unschuldig aus dem Lande floh.«

Diese Rede entschied. Prinz Eugen wurde mit der Führung der kaiserlichen Truppen in Italien betraut und sollte gemeinsam mit den Piemontesen unter dem Oberbefehl des Herzogs Viktor Amadeus II. die geplanten kriegerischen Unternehmungen durchführen. Bald nachdem die fünftausend Mann Eugens, vom General Caprara kommandiert, in Savoyen einmarschierten, stießen zu dem bescheidenen Heer auch ein paar spanische Regimenter, so daß man nun hoffen durfte, den Franzosen hier im Süden erfolgreich entgegentreten zu können.

Jetzt begann für Eugen eine neue, ganz ungewohnte Schule. Sein vorwärtsstürmender Genius war gefesselt, eine ewige Rücksichtnahme auf die Wünsche andrer zwang den ungestümen Helden zu einem lästigen Geduldspiel. Hart war es für den Prinzen von Savoyen, im Kriegsrate gegen sein besseres Wissen sich dem Oberbefehl des herzoglichen Vetters zu unterwerfen. Immer stritten mehrere Meinungen im gespaltenen Hauptquartier der Verbündeten. Seine ganze Kraft mußte Eugen aufbieten, um Ruhe zu bewahren, seine ganze Klugheit, seine beharrliche Ausdauer verschwenden, um zu einem Ziel zu gelangen. Der Soldat wandelte sich zum Staatsmann, der frische Reiteroffizier in einen bedächtigen Diplomaten.

Das waren bittere Erfahrungen, die der Zug nach Italien unserm Prinzen bescherte. Die Bundesgenossen im Süden zeigten keine große Begeisterung für den Krieg, der Herzog wünschte sein armes Land zu schonen, und auch die Spanier waren nicht mit ganzem Herzen bei der Sache. Jeder wollte die Blutsteuer auf den Waffenbruder wälzen, Mißtrauen beseelte alle, und ihr Eigensinn bereitete Eugenius viele böse Stunden. Dennoch blieb er unermüdlich, und seine Geduld war nicht zu erschüttern. Wenn die andern schwankten und hundert Ausreden fanden für ihren mangelnden Eifer, dann ging der Prinz mit seinen Truppen für sie ins Feuer und zog die widerstrebenden Bundesglieder nach, so sehr sie sich auch dagegen stemmten.

Der Herzog bereute schon, der Überredungskunst Eugens nachgegeben zu haben. Am Kaiserhofe trafen listige Klagen über den Prinzen ein, daß er aus persönlicher Ruhmsucht immer nach Kämpfen trachte, schonungslos gegen die Armee und ohne ihr Blut zu sparen. Man warnte ihn von Wien her, aber er hatte nur die Antwort: »Sie sollen reden, wie es ihnen gelüstet, keine Verleumdung kann mich von meiner Pflicht abbringen.«

Das falsche Spiel ging weiter. Treue hatte nie den Herzog Viktor Amadeus geziert, und so tief er sich vor des Kaisers Majestät verbeugte, sein Gewissen war weit genug, um heimlich mit den Franzosen anzubandeln. Er ließ sich von Ludwig XIV. bestechen und teilte ihm insgeheim dafür die Pläne des kaiserlichen Feldherrn mit.

Daran nicht genug, duldete der Herzog von Savoyen, daß seine Bauern einen tückischen Kleinkrieg gegen die Deutschen begannen, denn die österreichischen Soldaten waren ihnen ein Dorn im Auge. Sie verkauften den Ahnungslosen vergiftete Speisen, und wo ein Kaiserlicher in irgendeinem Gebirgsdorf erschöpft um einen Trunk Wasser bat, reichte man ihm vergiftete Milch. Allein durfte sich kein Österreicher im Lande zeigen, sonst wurde er sicher von den Banditen ermordet. Selbst kleinere Kriegshaufen überfielen die gefährlichen Wegelagerer.

Einmal – es war schon fast um die Mitternachtsstunde – saß Prinz Eugen noch immer über die Landkarten gebeugt in seinem Zelte, als gegen das Lager eine tausendköpfige Bauernhorde vordrang. Das Blut Eugens sollte fließen, so hatten die unvernünftigen, von blindem Fremdenhaß verleiteten Leute beschlossen. Daß der Prinz ihrem eignen Lande entstammte, daß er ja selbst ein Savoyarde war, focht die Irregeführten nicht an, für sie blieb er ein Deutscher und sollte sterben. Die Bauern bekamen die verdiente Zurechtweisung: vom wackeren Regiment Taaffe wurden sie schimpflich in die Flucht gejagt, und Eugenius hatte von da ab Ruhe. Aber beliebter wurden die Österreicher in dem fremden Lande darum nicht. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben, und die Italiener blieben falsche Freunde.

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Der große Kurfürst. Original, von einem unbekannten Maler des 17. Jahrhunderts, im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin.

Den scharfen Augen Eugens entging dies nicht. Die Untreue seines Vetters schmerzte den rechtlichen Mann sehr, er hatte Viktor Amadeus ehrlich geschätzt und an den guten Willen des Herzogs geglaubt. Nun mehrten sich die Zeichen, daß der Prinz von dem Blutsverwandten belogen wurde, und dies ertrug er nicht. Offen trat er vor den doppelzüngigen Herzog und warf ihm mit derben Worten sein ungerades Verhalten vor. Er bat ihn, die Sache des Kaisers nicht zu verlassen, und warnte Viktor Amadeus vor Frankreichs Niedertracht.

Der Herzog ließ mit verlegener Miene die Vorwürfe über sich ergehen. Er war kein schlechter Mensch, aber schwach von Charakter und hätte am liebsten zu gleicher Zeit Österreich und Frankreich, diese beiden erbitterten Feinde, zu Verbündeten gehabt. Ländersüchtig und auf seinen eignen Vorteil bedacht, mühte er sich, es mit keinem zu verderben. Doch da er heimlich mit Ludwig in Verbindung blieb, schädigte er den deutschen Kaiser. Angewidert von dieser Heuchelei, denn lange war der scharfe Blick Eugens nicht zu täuschen, gab der kaisertreue Prinz seinem Herrscher den wohlgemeinten Rat, über den verräterischen Bundesgenossen herzufallen. Gezüchtigt sollte der Herzog werden für das Doppelspiel. Doch am Wiener Hofe siegte eine friedliche Stimmung, und so ging Viktor Amadeus straflos aus.

Es war unedel vom Herzog von Savoyen, daß er unserm Eugenius solche Kränkungen bereitete. Zwar hatten die kaiserlichen Truppen, die gleich zu Beginn des Streites nach Italien geeilt waren, Viktor Amadeus vor einer schmählichen Niederlage durch die Franzosen nicht mehr beschützen können; aber Prinz Eugen kam doch noch zur rechten Zeit, um wenigstens den Rückzug der Piemontesen nach der Schlacht bei der Abtei Staffarda (18. August 1690) zu decken. Von diesem unheilvollen Anfang an blieb Viktor Amadeus kampfesmüde. Als ihm die Franzosen auch noch das blühende Nizza wegnahmen, begann er heimlich mit ihnen zu verhandeln. Unter solchen Umständen konnte Eugen im Süden nicht mit Erfolg fechten. Was er glücklich in Angriff nahm, verdarben die widerstrebenden Waffenbrüder. Auch die spanischen Hilfstruppen leisteten nichts, ihre Regimenter waren mangelhaft bewaffnet, und die Manneszucht war gelockert. Am liebsten hätte der Prinz die Spanier nach Hause geschickt, sie standen ihm nur im Wege und hemmten gleich den Savoyarden nur seinen frischen Tatendrang. Das wurde dem Prinzen traurig klar in der Schlacht vor Marsaglia (4. Oktober 1693), wo die Bundesgenossen seinen trefflichen Plan über den Haufen warfen und so den Feldherrn um die sicheren Siegeslorbeeren betrogen.

Auf einen schlimmen Posten hatte der Kaiser seinen edlen Ritter gestellt. Sechs Jahre dauerte nun schon dieser fruchtlose Krieg, und in keinem Lager war ein besonderer Erfolg zu merken. Auch die Briten und Holländer hatten in den Streit eingegriffen und standen auf der Seite Deutschlands. Nun wandten sich aller Augen dem Norden zu, und der Kriegsschauplatz in Italien verlor an Bedeutung. Die englische Flotte hatte über die Dreimaster der Franzosen einen großen Seesieg gewonnen, und am Rhein, wo Ludwigs Söldner sich wie Rasende gebärdet hatten, wurde es für eine Zeit still. Um so heftiger tobte der Kampf in den Niederlanden. Der Sonnenkönig wollte in gewohnter Wichtigtuerei die Haltung eines Helden zur Schau stellen und ging in eigner Person ins Hauptquartier seiner Armee. Vor den Augen Ludwigs XIV. war den Holländern die wichtige Festung Mons weggenommen worden, aber nun standen die Franzosen dem Heere Wilhelms III. bei Löwen gegenüber. Das war ein gefährlicher Gegner. Obwohl in dreifacher Übermacht, fürchtete der große Ludwig doch die Gefahren einer offenen Feldschlacht. Hastig übergab er den Oberbefehl seinem Marschall, der dann einen bitter erkauften Sieg erfocht, ohne ihn ausnützen zu können. Ludwig XIV. aber kehrte, noch ehe sich die Schwerter der beiden Heere kreuzten, ruhmlos in sein Prunkschloß Versailles zurück. Ihm hatte der Mut gefehlt, dem Feinde ins Auge zu sehen.

Allerdings, daheim ließ sich der Franzosenkönig als einen gewaltigen Helden feiern und ersetzte den Mangel an wirklichen Erfolgen durch laute Marktschreierei. So wurde auf Befehl Ludwigs eine prachtvolle Denkmünze geschlagen, als Heidelberg durch schmählichen Verrat abermals in die Hände der Franzosen fiel. Da ist die Schandtat in Gold geprägt, und man sieht auf der Münze die herrliche deutsche Stadt in Flammen aufgehen. Darunter stehen die prahlerischen Worte: Rex dixit er factum est. So rühmten sich die Franzosen noch ihrer Barbarei. Aber weit gebracht haben sie es in diesem Kriege nicht, weder im Norden noch im Süden.

Ewig schwankte das Waffenglück, keiner von den Gegnern wollte alles auf eine Karte setzen. Nur Prinz Eugen hatte allen Hemmnissen, allen Widerlichkeiten zum Trotz sein fröhliches Reiterherz behalten. Er ließ sich nicht von Viktor Amadeus irreführen und brachte die Piemontesen sogar zu einem Angriff auf eine französische Grenzfestung. Unser Held selbst war aber vordem schon vom savoyischen Gebirge her in die Ebene Südfrankreichs gestiegen. Bis in die Provence führte er seine Soldaten und erfüllte so das Gelübde, Frankreich nur mit den Waffen in der Hand wiederzusehen. Nur an der Spitze eines Heeres in das Land seiner Geburt zurückzukehren, hatte der Prinz geschworen, jetzt war das gegebene Wort eingelöst. Zahlreiche Städte eroberte dort Eugen in raschem Siegeslauf, und in achtzig Ortschaften wurde zur Strafe für die Verwüstungen in der Pfalz der rote Hahn auf die Dächer gesetzt.

Zornbebend empfing Ludwig XIV. die Nachricht von dem Besuche des Prinzen Eugen. Der Franzosenkönig zürnte sich und seinem Unstern. Als die Kaiserstadt an der Donau, als Wien von der gefährlichen Türkenbelagerung befreit worden war, hatte Ludwig getrauert und sich drei Tage in seine Gemächer eingeschlossen. Nicht minder erbitterte ihn jetzt der Einfall des Prinzen in Frankreich. Lange traute sich kein Höfling vor das Antlitz der erzürnten Majestät, alle schlichen mit gebücktem Rücken umher. Und auch dem Kriegsminister Louvois war schlimm zumute: »Dieser Mensch darf mir nie wieder Frankreich betreten,« hatte er ausgerufen, da die Botschaft der glorreichen Türkensiege Eugens bis nach Paris gedrungen war. Und nun stand der Verhaßte als ein Sieger auf französischem Boden, dem König und seinen falschen Ratgebern zum Tort. Ludwig hatte allen Grund, ungehalten zu sein. Eine bange Ahnung stieg in ihm auf, eine Sorge, daß Eugen von Savoyen ihn noch oft demütigen werde.

Eugens scharfer Angriffszug auf französisches Gebiet machte ihn glücklich, seine Augen leuchteten auf in gerechtem Stolze, da er das verpfändete Wort aus trauriger Jugendzeit nun endlich eingelöst hatte. Immer seinen braven Soldaten voran, wäre so am liebsten unser Held geritten bis in das Herz Frankreichs, bis nach Paris. Da setzte der Herzog Viktor Amadeus, um Frankreich zu gefallen, die Rückberufung Eugens durch. Überall lauerte Verrat; schon begann das Landvolk die Gebirgspässe im Rücken Eugens durch gefällte Bäume und Felsstücke zu versperren. Der Triumphzug des Helden mußte jäh unterbrochen werden; das war im Jahre 1691. Kriegsmüde lechzten die Piemontesen danach, diesen unerwünschten Feldzug aufzugeben. Ihnen lag daran, Italien von allen Mächten als parteilosen Boden anerkannt zu sehen. Dieses Ziel zu erreichen, galt dem Herzog von Savoyen jedes Mittel recht, und als endlich die Schlacht von Marsaglia die Hoffnungen Eugens durch die Unlust der Mitstreiter vernichtet hatte, warf Viktor Amadeus seine Maske ab. Ohne Scheu erklärte er sich jetzt für Frankreich. Da blieb Eugen nichts andres übrig, als dem treulosen Verbündeten den Rücken zu kehren. Auf Befehl des Kaisers ging unser Feldherr mit seiner kleinen Armee nach der Gegend von Mailand. Der Prinz von Savoyen hatte getan, was in eines Menschen Macht steht, mit ruhigem Gewissen durfte er vor seinen Kaiser hintreten. Nicht Heimtücke noch Verrat hatten dieses fleckenlose Herz von dem rechten Weg abzubringen vermocht; aber gegen Meuchelmord und Hinterlist kämpft selbst der beste, der lauterste Mann vergebens.

In der Wiener Hofburg empfing der Kaiser huldreich den heimberufenen Prinzen. Mit Ludwig XIV. wurde ein matter Friede geschlossen, denn der König von Frankreich war nicht gerade besiegt, doch die Lust am Vordringen schien ihm arg verleidet. Niemand am Kaiserhofe fiel es ein, Eugen den halben Mißerfolg im Süden zum Vorwurf zu machen. Die Ehre seines Schwertes hatte er gewahrt, ein heiliges Gelübde erfüllt und für den Dienst des Kaisers, für die deutsche Sache treu gefochten.

Ein volles Jahrzehnt diente der Prinz nun schon unter Österreichs Fahnen; dreißig Jahre zählte er jetzt, und in diesem jugendlichen Alter hatte er wahrhaft Großes geleistet. Nun lohnte Leopold I. den Eifer des Vielbewährten mit dem höchsten Rang, den die österreichische Armee zu vergeben hat: Eugenius wurde Feldmarschall. Das war eine gerechte Auszeichnung für den Wert des Prinzen, für seine trefflichen Eigenschaften als Mensch und Soldat und ein Beweis, wie glänzend der Kaiser zu belohnen verstand.

»Niemand weiß ich,« schrieb damals der alte Starhemberg, »niemand, der mehr Verstand, Erfahrung, Fleiß und Eifer in des Kaisers Dienst hat, der eine großmütigere und uneigennützigere Gesinnung hegt und dabei die Liebe der Soldaten in höherem Grade besitzt, als Prinz Eugen von Savoyen.«

So dachte der Präsident des Hofkriegsrates, der Leiter der obersten Militärbehörde, so dachte Graf Rüdiger von Starhemberg über Eugenius.

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