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Der schwarze Peter

In einem großen finsteren Walde lebten einmal vor langer Zeit ein Köhler und seine Frau, die hatten nur ein einziges Kind, das hieß Peter. Und da es von seiner Arbeit am Meiler immer schwarz im Gesicht war, so nannten die wenigen Leute, die im Walde lebten, es den schwarzen Peter.

Der Köhler und seine Frau waren schweigsam und mürrischen Wesens, denn ihr Verdienst war gering und die Arbeit schwer und der hohe, finstere Wald beschattete nicht nur ihre Hütte, sondern auch ihre Herzen. Auch ihr Sohn war ein stilles Kind geworden, aber wenn er sich am Sonntag in der Frühe den Ruß abgewaschen hatte und auf einer der hohen Lichtungen saß, von denen man weit über die Wälder sehen konnte, hatte er ein schönes, trauriges Gesicht, und seine Gedanken wanderten weit in die Welt hinaus, weil er meinte, überall müßte es schöner sein als in dem dunklen Wald und bei seiner schmutzigen Arbeit. Und er dachte, wenn er nur einmal einen Sommer lang auf der blühenden Heide liegen und ein paar Schafe hüten könnte, so würde er sich nichts mehr auf dieser Erde wünschen und so glücklich sein wie im Paradiese.

So saß er wieder einmal an einem Frühlingssonntag unter den grünen Birken und blickte über die dunklen Täler in die Ferne. Der Kuckuck rief hinter ihm im Walde, die Eidechsen spielten um seine bloßen Füße, und das Herz war ihm so schwer wie ein Stein in der Brust. Und als er so aus Herzensgrund aufseufzte, teilten sich plötzlich die hohen Gräser neben ihm, ein kleines Menschenwesen setzte sich neben ihn ins Moos. Es war gekleidet wie alle anderen Menschen auch, nur daß es eine Zipfelmütze auf dem grauen Haar trug und an seinem Gürtel eine Laterne und einen kleinen silbernen Hammer hatte.

Da wußte der Junge, daß es einer aus dem Zwergengeschlecht war, das hoch oben in dem Walde lebte, wo die grauen Felsen sich aus dem Moos emporhoben. Und er erschrak ein bißchen, denn er hatte noch niemals einen von den kleinen Leuten gesehen.

Der Zwerg aber faltete seine Hände um seine Knie und blickte freundlich vor sich hin, als säße er jeden Sonntag hier oben und als kennte er den schwarzen Peter schon von seiner Geburt an.

»Ich sehe dir nun schon manches Jahr zu«, sagte er endlich, »und ich denke, daß du nicht sehr gern am Meiler arbeitest.«

»Die Arbeit macht es nicht«, erwiderte der Junge, »aber ich möchte dahin, wo die Bäume mir nicht die Brust beengen und wo die Sonne den ganzen Tag scheint.«

»Immer meinen die Menschenkinder«, sagte der Zwerg, »daß die Sonne das Glück sei. Aber das Glück ist hier und nicht am Himmel.« Und er klopfte mit seiner runzligen Hand an seinen Kittel, wo das Herz schlug.

»Wenn ich alt sein werde«, sagte der Junge, »werde ich es vielleicht auch denken. Aber jetzt weiß ich, daß dort kein Glück ist, wo deine Hand hinzeigt.«

Der Zwerg schüttelte bekümmert den Kopf, schlug mit seinem kleinen silbernen Hammer an einen der Steine, die im Moose lagen, daß es einen hellen Glockenton gab, und sagte dann: »Nun, so will ich es mit dir versuchen, weil du ein Sonntagskind bist und jeden Feiertag hier oben still gesessen bist. Sage mir also, was du gern möchtest, und ich will es dir zu erfüllen suchen!«

Da atmete der Knabe tief auf, faltete seine braunen Hände und sagte leise: »So möchte ich auf einer blühenden Heide leben, fern von diesem Wald, und ein paar Schafe hüten, damit ich mein Brot verdiene.«

Der Zwerg blickte nachdenklich vor sich nieder. »Weißt du«, sagte er dann, »daß ich eine Höhle habe, die bis an die Decke mit Gold und Edelsteinen gefüllt ist, und daß du davon nehmen kannst, soviel du willst?«

»Behalte nur dein Gold«, erwiderte der Knabe. »Was soll ich damit wohl anfangen? Aber laß die Sonne den ganzen Sommer auf mich scheinen, so will ich es ganz zufrieden sein.«

Da nickte der Zwerg und zog einen kupfernen Ring von seiner Hand. »Weil du so bescheiden bist«, sagte er, »so sollst du noch dieses haben. Und immer, wenn du aufhörst zufrieden zu sein, so drehe diesen Ring einmal um deinen Finger, und ich will neben dir stehen und zusehen, ob ich dir helfen kann. Heute abend aber, sobald die Sonne am Untergehen ist, schnüre dein kleines Bündel und gehe gen Westen, drei Nächte und drei Tage lang, und dort wirst du den Platz finden, wo du meinst glücklich zu sein.«

Da bedankte sich der Knabe sehr, verbarg den Ring an seiner Brust und nahm Abschied, indem er sagte, daß er nun den Zwerg wohl niemals wiedersehen würde, da er den Ring an seinem Finger nicht drehen werde, sobald er auf der Heide sei.

Da lächelte der Zwerg und meinte nur, sie wollten es nicht verreden. Auch Glück sei vielleicht ein kurzlebiges Ding, wenn es auf einer Heide wohne.

Und damit schieden sie.

Am Abend aber, als der Köhler und seine Frau vor der Hütte saßen und mit halb geschlossenen Augen vor sich hin träumten, legte der Junge einen Zettel auf den Herd, daß er in die weite Welt gehe, nahm sein kleines Bündel in die Hand und schlich sich hinter dem Meiler in den dunklen Wald. Und so leicht war ihm ums Herz, als hätte er niemals Eltern gehabt, die er nun verließ, und alle Vögel schienen ihm zuzurufen, daß der dunkle Waldsteig mitten ins Paradies führe.

Und als er so drei Tage und drei Nächte gewandert war, hatte er den großen Wald längst hinter sich gelassen, und der Himmel spannte sich blau und endlos über ihm, und es war ihm, als müßte er unaufhörlich singen vor Fröhlichkeit. Und als er bei Sonnenuntergang auf eine kleine Hütte traf, die zwischen Birken und Wacholder schief und kümmerlich dastand, meinte er, daß auch das herrlichste Feenschloß nicht schöner sein könnte, bat um Arbeit und Unterkunft, wurde freundlich aufgenommen und war nun ein Schafhirte, wie er es sich so lange gewünscht hatte.

Da war es nun wunderbar, von der Frühe bis zum Abend in der Heide zu liegen, den blauen Himmel statt der finsteren Wipfel über sich, die stillen Schafe statt des rauchenden Meilers neben sich, und in der Nacht von seinem Lager aus zu den goldenen Sternen aufzublicken, die wie ein gestickter Mantel über seinem Schlafe hingen. Der Mann und die Frau sahen ihn wohl manchmal von der Seite an, als sei er etwas Besonderes oder doch nicht das, was er vorstelle, aber sie waren freundlich zu ihm, fragten ihn jeden Tag, ob es ihm gefiele, und wenn er erwiderte, daß er sich nichts anderes zu wünschen vermöge, lächelten sie wieder, nickten mit ihren weißen Köpfen und sagten wohl, das meine die Schwalbe auch, wenn sie im Frühjahr einkehre bei ihnen.

Der Knabe aber meinte bei solchen Reden nur, daß alte Leute eben wunderlich seien, und als der Herbst mit seinen Stürmen und der Winter mit seinem Schneetreiben gekommen waren, machte er sich im Hause nützlich, holte Holz aus dem Walde, schnitzte Löffel und Quirle, und wenn ihm so war, als sei das Glück nicht mehr so frisch wie am Anfang, so schalt er sich aus, putzte den Kupferring des Zwerges mit einem wollenen Tuch und verbarg ihn dann wieder an seiner bloßen Brust. Aber wenn er spät am Abend vor dem Torffeuer saß und die beiden alten Leute murmelten im Schlaf und die Schafe atmeten still hinter der geflochtenen Wand, und die ganze Welt war verschneit und pfadlos und totenstill, dann entstanden aus der Glut des Herdfeuers doch seltsame Bilder vor seinen Augen, und bei dem ersten Seufzer, der ihm wider Willen entfuhr, erschrak er und sah sich schnell um, ob nicht der Zwerg hinter ihm stünde und ihn nachdenklich anblickte.

Und obwohl mit dem Frühling alles vorbei war, was ihn im Winter bedrückt hatte, und die Sonne so warm schien wie zuvor und die Vögel so lieblich sangen wie jemals, so war er doch ein bißchen nachdenklicher als früher, und es half nichts, daß er auf seiner Weidenflöte die fröhlichsten Lieder spielte, die er kannte, denn oft war ihm, als klage die Flöte, während sie doch jubeln sollte.

Und als im Herbst um die Tag- und Nachtgleiche die ersten Stürme kamen und der Regen fiel und der Nebel seine Tücher von Busch zu Busch webte, stützte er den Kopf in beide Hände und sprach zu sich selbst: »Es hilft dir nun nichts, schwarzer Peter. Du bist nun groß und stark, und zwölf Eichen zu fällen, würde dir besser anstehen, als zwölf Schafe zu hüten. Du verspielst dein junges Leben hier und solltest doch einen Pflug in den Händen halten oder gar ein Schwert, wie die Kriegsleute es tun, damit du etwas vor dich bringst und es vor dem Kaminfeuer hin und her wenden kannst, um dich an seinem Glanze zu erfreuen.«

Und wie er das gesagt hatte, zog er den Ring heraus, den er an einem Band um den Hals geschlungen trug, steckte ihn an seine Hand, und ehe er sich versah, hatte er ihn um den Finger gedreht, und ein kleiner Mann stand vor ihm, der hatte den Wettermantel tief über die Augen gezogen, aber der Junge erkannte ihn doch wieder und schrie auf vor Freude, als wäre das Liebste auf der Welt zu ihm getreten.

Der Zwerg aber scharrte sich einen trockenen Platz im Sande unter dem Wacholderbusch, kauerte sich da hinein, wischte sich den Regen aus den Augenwimpern, sah den Knaben freundlich an und sagte: »Ja, schwarzer Peter, da wären wir nun soweit, wie ich gedacht habe.«

Und als der Knabe beschämt zu Boden blickte, legte er ihm die nasse Hand auf die Schulter und sagte: »Du brauchst dich nicht zu schämen, Peter, denn wenn es Leute mit weißen Haaren gibt, die nach dem Glück suchen, weshalb solltest du es denn schon gefunden haben beim ersten Versuch? Und nun sage mir, was du möchtest, damit ich sehe, ob ich dir helfen kann.«

Da dachte der Knabe ein Weilchen nach, und dann sagte er, daß er sich hier vertue bei so leichter Arbeit und daß er ganz zu einem Bauern möchte, wo es Saat und Ernte gebe und wo man bei jedem Brot, das man anschneide, wisse, daß man seinen guten Schweiß darum vergossen habe. Denn dem Munde schmecke nur, worum man seine Hände gerührt habe.

Da nickte der Zwerg wieder vor sich hin und fragte nach einer Weile, ob er nun vielleicht einmal in seine Höhle mitkommen möchte, um seine Schätze anzusehen.

Aber der Knabe schüttelte wieder den Kopf.

»Nun so will ich dir noch einmal helfen«, sagte der Zwerg, »weil du nach Arbeit verlangst und nicht nach Nichtstun. Gehe nun von hier wieder drei Tage nach Westen, dann wirst du an einen Hof kommen, der unter sieben alten Eichen liegt, und dort wirst du Arbeit genug finden für deine jungen Glieder.«

Da bedankte sich der Knabe, und der Zwerg ging wieder in den Regen hinaus, und das letzte, was man von ihm sah, war die Kapuze seines Wettermantels, von der die Regentropfen herunterrannen.

So nahm dann der Knabe Abschied, und die alten Leute segneten ihn, und die Frau sagte: »Wohin du auch gehst, immer kehrst du zuletzt bei dir selbst ein. Das vergiß nur nicht.«

Darüber dachte der Knabe nun viel nach, als er über die Heide nach Westen ging, aber er verstand es nicht und meinte wieder, alte Leute seien eben wunderlich.

Als er nach drei Tagen den Hof fand, stand er zuerst eine Weile still und blickte zu den alten Eichen hinauf, in denen die Eichelhäher die Früchte sammelten. Das Haus war so groß, wie er noch keines gesehen hatte, und er kam sich ganz klein und fremd vor, wie er vor dem festen Tor stand und auf den Hofplatz blickte.

Aber wie er so dastand und nicht wußte, ob er den Riegel zurückschieben sollte, kam ein Mädchen von der Schwelle her über den Hof zu ihm, das war wohl in seinem Alter und hatte ein sanftes Gesicht und war lieblich anzusehen. Und es öffnete den Riegel, reichte ihm zutraulich die Hand und sagte: »Sei willkommen, denn mir hat heute geträumt, daß jemand kommen werde, der ›Leid und Freude‹ heiße. Heißt du so?«

Da war der Knabe verwirrt und sagte nur, daß er der schwarze Peter sei und daß er um Arbeit bitte. Und als der Mann und die Frau dazu kamen, wiederholte er seine Bitte, und der Mann war es wohl zufrieden, denn die Arbeit auf den Feldern wuchs ihm über den Kopf, und er sah, daß der Knabe jung und stark war.

So hatte der Junge nun wieder ein Dach über sich, und das Dach war so fest und schwer, daß er meinte, hier werde er für immer bleiben. Und als das Frühjahr gekommen war und er zum erstenmal in seinem Leben einen Pflug in den Händen halten durfte, sagte er am Abend zu dem Mädchen, daß er nun endlich wisse, wo das Glück wohne, und daß er es behüten wolle wie seinen Augapfel.

Das Mädchen aber, das gerade einen Anemonenstrauß in einen Krug mit Wasser stellte, sah ihn mit seinen stillen Augen an und sagte: »Weißt du schon so früh, was das Glück ist? Und nicht einmal meine Muhme weiß es, und sie ist doch schon achtzig Jahre alt!«

Da lachte der Knabe und erwiderte, wie lustig es sei, daß man immer bei alten Leuten nach dem Glück frage, und nur die Jungen wüßten es doch, wenn sie recht aufmerkten.

»Dann merke nur recht auf«, sagte das Mädchen, »daß es dir nicht aus den Händen fällt wie Glas.«

Der Knabe aber war glücklich auf dem fruchtbaren Acker, und als die Saat wie ein grüner Teppich aus der Erde kam, kniete er manchmal am Rande des Feldes nieder und ließ seine Hände zärtlich über die jungen Blätter gleiten. Der Mann und die Frau aber sahen ihm aus der Ferne zu und schüttelten den Kopf, und der Bauer sagte: »Auch zuviel Liebe tut nicht gut, und mir ist, als wird es ihn bald wieder davontreiben. So heißes Blut wird nicht still auf einem kleinen Acker.«

Aber es dauerte doch drei Jahre, bis der Knabe eines Abends vor dem Acker stand, den er eben gepflügt hatte, und auf die Stoppeln blickte, die noch hier und da aus der schwarzen Erde herausblickten. »So wird es also nun Jahr für Jahr sein,«, sagte er leise zu sich selbst, »und was du aus der Erde gehoben hast, pflügst du wieder in sie hinein. Kann das aber das Glück sein, was wir mit eigenen Händen begraben?« Und er blickte über das neblige Feld, wo die Hecken von allen Vögeln verlassen dalagen, und es fröstelte ihn, und seine Augen waren traurig wie ehemals am Meiler.

Und als er abends vor dem Torffeuer saß, den Kopf in beide Hände gestützt, und schweigend in die Flammen blickte, setzte das Mädchen sich zu ihm, ließ die Stricknadeln für eine Weile ruhn und sagte dann: »So ist es nun also Zeit mit dir, und du wirst wieder suchen gehen, was du schon gefunden zu haben meintest.« Und ihre Tränen tropften langsam auf die weiße Wolle, die sie in den Händen hielt.

»Tut es dir denn leid?« fragte der Knabe erstaunt.

Da trocknete das Mädchen seine Tränen, blickte gleich ihm in das erlöschende Herdfeuer und sagte nur leise: »Du armer Blinder, wer wird dich deine Straße führen?«

In den nächsten Tagen war der Knabe unschlüssig, was er nun tun sollte, aber da fuhr er einmal in den Wald, um Laubstreu für den Winter zu holen, und da traf er auf seinem Wege einen Reiter, der trug blitzende Waffen und hatte ein kühnes, junges Gesicht und fragte ihn, ob es einem so jungen Blut denn Freude mache, wie ein Maulwurf in der Erde zu wühlen.

Er habe gehört, erwiderte der Knabe trotzig, daß mancher Kriegsmann schneller unter die Erde komme als ein Maulwurf.

»Aber mit Ehren!« erwiderte der Reiter stolz. »Und nun, da der König ein Heer rüstet, um im Frühling gegen die Feinde zu ziehen, sollte ein Junge wie du nicht hinter dem Pfluge hergehen, sondern das Schwert tragen, das tiefer pflügt als der beste Pflug.«

Einen Winter lang trug der Knabe diese Worte in seinem Herzen, aber als die Anemonen wieder blühten und er in der Sonntagsfrühe am Ackerrain unter der Schlehdornhecke saß, zog er den kupfernen Ring wieder heraus, steckte ihn an seine Hand und drehte ihn einmal um seinen Finger. Und ehe er sich versah, saß der Zwerg neben ihm, lächelte freundlich und sagte: »Nun, schwarzer Peter, wo soll denn dieses Mal die Reise hingehen? Immer noch nach dem Glück?«

Da erzählte der Knabe, wie es ihm ergangen war und daß es ihn nun nach dem Schwerte mehr verlange als nach dem Pflug. »Denn ich weiß nun«, sagte er, »daß ein junger Mensch nicht satt wird vom Brote allein, wenn er nicht Ehre dazu gewinnt.«

»Ehre ist ein schönes Wort«, erwiderte der Zwerg, »wenn mir altem Mann auch scheint, als ob keine höhere Ehre auf dieser Erde sei als die Ehre des Pfluges. Aber ich weiß, daß du nicht gern auf alte Leute hörst, und so will ich dir noch einmal helfen. Ein Beil will spalten, sonst rostet es, und so mache dich nun wieder auf und gehe wieder drei Tage gen Westen, bis du in die Königsstadt kommst, und dort wirst du nicht viel zu fragen brauchen, bis du das Deinige findest. Denn so wie die Jugend nach Kronen verlangt, so verlangen die Kronen nach Jugend, weil fremdes Blut sich immer leichter vergießt als eigenes.«

Da bedankte der Knabe sich, und ehe er zu Ende gesprochen hatte, war der Zwerg wieder verschwunden.

Und als der Tag zu Ende ging, nahm der Knabe Abschied. Der Mann und die Frau dankten ihm für seine Arbeit, und das Mädchen ging mit ihm ein Stück an den Äckern entlang und über die Heide. Und wo die Buchen am Waldrand mit ihren ersten hellen Blättern still und feierlich dastanden, pflückte das Mädchen einen Strauß Anemonen und reichte ihn dem Knaben. »Denke daran, wenn dir das Herz einmal schwer ist«, sagte es und vergaß seine Tränen zu trocknen. »Denn wenn es dir leicht ist, wirst du nicht daran denken.« Und es legte die Arme um seinen Hals und küßte ihn, und darauf wandte es sich und ging langsam über die Heide zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Der Knabe aber stand verwirrt auf seinem Platz, und sein Herz schlug ihm viel schwerer, als es jemals am Meiler getan hatte. Aber als er dann langsam weiterging und an seine Zukunft dachte und wie er nun bald ein Schwert tragen würde, verblaßte das Bild der sieben Eichen und das Mädchen immer mehr, und als er an einen Fluß kam und das dunkle Wasser auf einem schmalen Brettersteig überquerte, ließ er die Anemonen in die Flut fallen, weil er sich schämte, als ein künftiger Krieger Blumen zu tragen, und sah ihnen eine Weile nach, wie das Wasser sie davontrug und sie immer kleiner wurden, bis sie im Abendrot zu ertrinken schienen. Und wie er so dastand und die Arme auf das hölzerne Geländer legte, setzte sich ein Vogel neben ihn auf das Holz, den hatte er noch nie gesehen, und der begann mit so trauriger Stimme zu singen, daß ihm die Augen feucht wurden und daß er eine Weile lang meinte, das Mädchen habe sich verwandelt und rufe nun seine Klage in das Abendrot hinaus.

»Weshalb singst du so traurig, und es ist doch Sonntagabend heute?« fragte er endlich, als ob der Vogel ihn verstehen könnte.

Und wie der Vogel von neuem zu singen anhob, meinte er wirklich eine Menschenstimme zu hören, und dies waren die Worte, die er vernahm:

»Umweg ist der längste Weg,
Abweg ist der schwerste Weg,
wer ein treues Herz verlor,
ist der allergrößte Tor.«

Da lächelte der Knabe in seiner alten Weise und sagte: »Was du doch für ein kluger Vogel bist! Aber ich will dir sagen, wie es richtig heißt, was du da singst: ›Wer ein tapferes Herze trägt, niemanden nach Liebe frägt.‹ So heißt es, und so soll es bleiben.«

Aber wie er nun weiterging und die Brücke hinter sich ließ, hörte er immer noch den Vogel singen in seiner alten Weise, und noch als die Sterne schon aufgezogen waren und es ganz still war über der dunklen Erde, meinte er die klagende Weise zu hören: »Wer ein treues Herz verlor ,...«

Als er nun nach drei Tagen in der Königsstadt ankam, war es so, wie der Zwerg gesagt hatte, daß er nämlich nicht lange zu fragen hatte, bis er das Seinige gefunden hatte. Denn schon am nächsten Morgen saß er auf einem Pferde und trug ein Schwert und eine Lanze und übte sich mit tausend anderen, die sahen so aus wie er und wollten gleich ihm Ruhm und Ehre gewinnen.

Aber sie waren nun doch nicht wie er, denn als sie nach Jahresfrist von ihrem Kriegszug zurückkehrten, war der Knabe schon ein berühmter Hauptmann und trug eine schwarze Rüstung, und der Spottname des schwarzen Peters war nun ein Ehrenname geworden, so groß, daß der König ihn an seine Tafel lud und ihm eine goldene Kette um den Hals legte.

Und als wieder drei Jahre vergangen waren, saß der schwarze Peter wieder an der Königstafel als der erste Marschall des Reiches, und des Königs Tochter saß neben ihm und war ihm eben unter dem Schall der Pauken und Trompeten anverlobt worden, und nach drei Tagen sollte die Hochzeit sein.

Aber während alle Gäste in Glanz und Fröhlichkeit um die schimmernde Tafel saßen und der Wein in den goldenen Bechern leuchtete, saß der Marschall still auf seinem Sessel, spielte mit der linken Hand an einem blauen Bande, das er um den Hals geschlungen trug, und blickte, als ob er in einen tiefen Traum versunken wäre, auf eine silberne Schale, die unter hundert anderen blumengefüllten Schalen stand und in der ein großer Strauß von Anemonen seine blassen Sterne unter das Licht der Kerzen breitete.

»Was träumst du?« fragte die Königstochter spottend. »Und es ist doch noch nicht Träumenszeit?« Denn sie war hochmütig, und es war ihr nicht ganz recht, daß sie einem Niedriggeborenen angetraut werden sollte.

»Ich träume nicht«, erwiderte der Marschall ernst. »Ich erinnere mich nur.«

»Erinnerst du dich an deinen Meiler?« fragte die Königstochter.

»Nein«, erwiderte er, »ich erinnere mich nur an ein Vogellied:

›Umweg ist der längste Weg,
Abweg ist der schwerste Weg,
wer ein treues Herz verlor,
ist der allergrößte Tor.‹«

Und er bedeckte seine Augen mit der Hand, als wollte er eine Träne verbergen.

Da lachte die Königstochter und sagte: »Wenn ihr solche Vögel am Meiler hattet, ist es kein Wunder, daß ihr auch solche Menschen da hattet.«

Aber der Marschall erwiderte nichts auf ihren Spott, und als das Fest zu Ende war, nahm er die Schale mit den Anemonen in die Hand und trug sie vor sich her in seinen Palast, und die Edelknaben mußten ihm mit ihren Fackeln leuchten, daß nicht eine einzige Blume verloren ging.

Zu Hause aber saß er lange vor dem Feuer, das in einem Marmorkamin brannte, und seine Gedanken gingen einen weiten Weg zurück, und sein Herz war ihm schwer und freudelos. Und er dachte aller derer, die sein Schwert erschlagen hatte und die er durch andere Schwerter hatte erschlagen lassen. »Das Beil will spalten, sonst rostet es«, sprach er leise vor sich hin. »Aber er hat das andere vergessen, daß es ruhen will, wenn es gespalten hat, und daß des Pfluges Ehre größer ist als des Schwertes Ehre. ›Der Pflug will pflügen‹, das ist ein besseres Wort.«

Und er stützte den Kopf wieder in beide Hände und starrte in die Flammen, und das Herz tat ihm so weh, als lägen tausend Tote darauf.

Und als er lange so gesessen hatte, zog er den kupfernen Ring an dem blauen Bande aus seinem Kleide heraus, knüpfte das Band ab, ließ den Ring leise in die Glut fallen und sah zu, wie er zu glühen und zu schmelzen begann, bis nichts von ihm übrig war als ein schwerer roter Tropfen, der auf die Marmorplatten fiel und wie ein Stern zersprang.

Und tief in der Nacht zog er sein altes, dürftiges Wanderkleid an, gürtete sein Schwert um die Hüften, ging leise zu den Ställen und zäumte sein Lieblingspferd, und als die ersten Lerchen über den Feldern aufstiegen, war er schon weit von der Stadt und ritt langsam wie ein Pilger nach dem Hof mit den sieben Eichen, und es war ihm, als wäre er den Weg erst gestern geritten. Und an Hab und Gut trug er nichts bei sich als das Schwert an seiner Seite und in der rechten Hand die Silberschale mit den Anemonensternen.

So ritt er nach drei Tagen durch das offene Tor, bis vor die Schwelle des alten Hauses, und als das Mädchen und die Eltern in die Tür traten und kein Wort zu sprechen vermochten, stieg er ab, reichte dem Mädchen die Schale und sagte: »Nimm sie nun wieder und nimm mit ihr mein Herz, denn es war dein eigen, seit meine Augen dich erblickt haben.«

Und so feierten sie eine stille Hochzeit, und darauf ging der Marschall hinter dem Pfluge her, Tag für Tag und Jahr für Jahr, und seine Kinder spielten unter der Schlehdornhecke, und manchmal saß ein kleiner Mann unter ihnen, dessen Haar war nun schlohweiß, und der mußte, so oft ihn die Kinder baten, mit seinem kleinen silbernen Hammer an die Steine des Ackers klopfen, daß es einen hellen Glockenton gab, und dazu sangen sie ein Kinderlied, und dann hörte der Mann hinter dem Pfluge mit Pflügen auf und lauschte, daß ihm keines der Worte verloren ging:

»Anemone, Anemone
flechten wir zur Frühlingskrone,
scheint die Sonne abends rot,
fällt der Regen, wächst das Brot.
Anemone, Anemone,
wer kriegt deine Frühlingskrone?«

* * *


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