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Eine Frau hatte eine Tochter, die war ein schönes Kind, aber sie hatte von ihrer Geburt an eine verrenkte Hüfte, und die anderen Kinder riefen sie »Hinkebein«. Und wenn sie weinend zu ihrer Mutter kam, schalt diese sie aus und fragte sie höhnisch, ob die Kinder sie vielleicht »Schwanenschwinge« nennen sollten. Denn sie war eine stolze Frau und schämte sich, ein Kind mit einem Gebrechen zu haben.
»Und daran ist nur der Moorteufel schuld« sagte sie böse. »Als ich dich trug, ging ich bei Nacht übers Moor, denn eine der Ziegen hatte sich verlaufen, und da standen rechts und links die Irrlichter auf, um mich in den Sumpf zu locken. Ich aber nahm einen Stein und warf ihn unter die blaue Flamme. Da schrie etwas wie ein Kind, und die Stimme des Moormannes rief aus der Ferne: ›Nun hast du eines meiner Kinder an der Hüfte getroffen. Nun hüte dich wohl, mit dem Kind, das du trägst!‹«
»Und wer ist der Moormann?« fragte das Kind.
»Das weiß keiner«, erwiderte die Mutter verdrossen. »Es heißt, daß er tief im Moor eine Hütte hat und Torf macht und daß er aussieht wie ein ungeschlachter Mensch. Aber keiner von uns hat ihn gesehen, denn der Sumpf ist tief, wo er wohnt und die Leute glauben, daß die Irrlichter die Seelen der Kinder sind, die er in den Sumpf gelockt und aufgegessen hat.«
»Vielleicht ist er ein armer Mann«, sagte die Tochter leise.
Aber die Mutter war zornig. »Du kannst ja hingehen und ihm die Binsenhaare kämmen«, sagte sie. »Denn er hat sicherlich nicht Haare wie ein gewöhnlicher Mensch.«
Das Kind aber bewahrte diese Worte im Herzen, und da es immer allein blieb, um nicht verspottet zu werden, dachte es Tag und Nacht an den Moormann und wie eines seiner Kinder wahrscheinlich dieselbe Not tragen mußte und daß es eigentlich schuld daran sei. Und es sann, so oft es konnte, darüber nach, ob ihm nicht zu helfen sei, und ebenso dem Kinde, das von dem Steinwurf elend geworden war.
Und als der Frühling gekommen war, ließ das Kind die Ziegen, die es hütete, oft am Moorrand und wagte sich auf die braune Öde, die nun auch grün wurde wie das übrige Land, auf der unbekannte Blumen blühten und über der der Kiebitz traurig sang. Und langsam begann es, mit Weidenruten den sicheren Pfad abzustecken, den es sich täglich ertastete und so kam es langsam immer tiefer in die Öde hinein, und zu Beginn des Sommers war es schon so weit gekommen, daß niemand es vom Rande des Moores mehr hinter den hohen Binsen und den kleinen Birken erblicken konnte.
Da war das Mädchen froh, weit von den Menschen zu sein und daß niemand da war, der es verspotten und »Hinkebein« rufen konnte. Und oft saß es lange auf einem der trockenen und verfallenen Torfhügel und sah über das Moor hinaus und wünschte sich, daß der Moormann kommen würde. Und es fürchtete sich ein bißchen, weil es nicht wußte, ob er wie ein Mensch oder wie ein Wolf aussehen würde.
Aber es sah ihn nicht, und nur manchmal, am frühen Morgen oder am späten Abend, hörte es eine unbekannte und ferne Stimme, die rief so dumpf und klagend über das Moor wie die Rohrdommel, und es schauerte das Kind, wenn es die Stimme vernahm. Aber es verstand nicht, was die Stimme rief oder begehrte.
Und da es nun am Tage nicht vermochte, den Moormann oder eines der blauen Irrlichter zu erblicken, so faßte es sich eines Nachts ein Herz, als der volle Mond auf seine Bettdecke schien, zog sich leise an, öffnete mit zitternden Fingern den Holzriegel an der Tür und schlich sich lautlos aus dem verfallenen Tor.
Noch niemals hatte es die Welt unter solchem Silberlicht gesehen, und am Rande des Moores stand es erst eine Weile still, faltete die Hände über dem klopfenden Herzen und blickte sich um. Die alten Tannen standen schwarz wie aus Metall, aber von ihren Zweigen schienen Silbertropfen lautlos in das Moor zu fallen. Die Nebel über dem Moor glänzten, und die Eule, die nach Mäusen suchte, warf einen schwarzen Schatten auf das betaute Gras.
Am schönsten aber waren die Sterne, die über dem Kinde zu Tausenden glänzten, und es stand lange da, weil es nicht gewußt hatte, wie schön die Erde war, wenn die Menschen schliefen.
Dann ging es langsam den Pfad in das Moor hinein, den es mit Weidenruten abgesteckt hatte.
Es war nun alles anders als bei Tage. Die kleinen Torfhügel standen wie dunkle Gebirge da, die Wasserblänken waren wie große Seen, und die Binsen, aus denen sie Kränze geflochten hatte, ragten wie schimmernde Lanzen im Mondlicht.
Endlich aber, als das Mädchen schon tief im Moore war, erblickte es zu seiner Linken die blauen Flämmchen, nach denen sein Herz so verlangt hatte. Sie leuchteten unweit des Pfades, und sie sahen aus, als schlängen sie einen Reigen. Aber kein fröhliches Lied erklang dazu, und alles war lautlos und stumm wie ein Totentanz.
Da faßte das Kind sich wieder ein Herz und ging ein paar Schritte vom Pfade ab. Aber da seufzte der Boden unheimlich unter seinen Füßen, und es sah im Mondlicht, wie dunkle Blasen mit silbernen Rändern aus der Tiefe aufstiegen.
Da verzagte es, blieb stehen, fühlte, wie seine Füße naß wurden und rief leise: »Welches ist mein Schwesterkind, daß ich seine Hüfte umfange und es um Vergebung bitte?«
Und wie es das gesagt hatte, stockte der Tanz der Irrlichter, und jede der blauen Flammen brannte still wie eine verzauberte Kerze unter den Gräsern und Halmen.
Noch einmal rief das Kind: »Welches ist mein Schwesterkind?«
Und da hörte es eine ferne, traurige Stimme sagen: »Komm zu mir, daß du mich tröstest, und wir wollen dich anrühren, daß du gesund wirst wie andere Kinder.«
»Aber welchen Pfad soll ich gehen?« fragte das Kind.
Da war die Stimme nun viel näher, ganz nahe zwischen den Schilfhalmen, und sie sagte: »Geh nur geradeaus, und ich will meine Arme ausbreiten, um dich zu halten.«
Aber wie das Kind nun auf die Stimme zuging, wich der schwankende Boden unter ihm, und es warf sich zurück und schrie laut auf vor Entsetzen.
Da erloschen alle die blauen Flammen mit einem Schlag, und nur die silbernen Nebel wogten leise und gespenstisch hin und her. Aber als das Kind schon bis zu Hüften versunken war und die Hände zum Todesgebet faltete, stand ein großer, dunkler Mann in den Binsen, der streckte seine gewaltige Hand aus, faßte es damit um den Leib und bettete es an seiner breiten Brust.
»Was suchst du hier unter den Meinigen?« fragte er, und seine Stimme war rauh wie die eines Wolfes, aber nicht unfreundlich.
Da erzählte das Kind, wie es ausgezogen sei, um sein Schwesterkind um Vergebung zu bitten, und wie es auch im stillen gehofft habe, den Moormann zu treffen.
»Und weshalb wolltest du ihn treffen?« fragte der Mann.
»Weil ich denke, daß er ein armer Mann ist, da seine Stimme so traurig ruft am Morgen und am Abend.«
»Und was geht dich seine Traurigkeit an?« fragte der Mann.
»Ich will nicht, daß andere traurig sind«, sagte das Kind, »weil ich weiß, wie weh das tut.«
Da sah der Mann es eine Weile an, aber es konnte sein Gesicht nicht erkennen, weil sein dunkler Bart ihm bis unter die Augen wuchs. »Du hast ein reines Herz«, sagte er endlich, »anders als die andern Menschenkinder, und wenn du mir dienen willst und demütig sein, so kannst du bei mir bleiben.«
Das wollte das Kind gerne. »Aber du darfst mich nicht ›Hinkebein‹ rufen«, sagte es, »und du mußt mir sagen, was ›demütig‹ ist.«
»Ich will dich nicht ›Hinkebein‹ sondern ›Menschenkind‹ rufen«, sagte der Mann, »und demütig ist alles, was deine Mutter nicht ist. Zu keiner Arbeit zu stolz sein und zu keinem Leiden zu stolz sein. Und nicht denken, daß du mehr bist als der Grashalm, der den Tautropfen trägt.«
Das versprach das Kind, und der Moormann trug es quer über das Moor zu einer Schilfhütte, die stand zwischen ein paar niedrigen Birken und Wacholdern, und auf dem First des schiefen Daches saß eine große Eule. »Menschenkinder schmecken gut«, krächzte sie heiser und bewegte ihre Federohren.
Da zitterte das Kind und erinnerte sich an das, was die Leute vom Moormann erzählten.
Aber er scheuchte den Vogel mit seiner großen Hand fort und tröstete das Kind. »Tue nur deine Pflicht«, sagte er, »und höre nicht auf das Nachtgetier.«
»Aber wer recht demütig sein will«, fragte das Kind, »muß der sich nicht auch essen lassen?«
»Ja, das müßte er wohl«, sagte der Mann.
In der Hütte brannte ein Kienspan über dem Herd, und der Mann schüttelte ein Lager von Laubstreu auf, trocknete und rieb dem Kind die Füße und deckte es dann mit Lammfellen zu. »Schlafe nur ruhig«, sagte er, »und fürchte dich nicht, wenn meine Gäste kommen.«
Da lag das Kind noch eine Weile wach und wunderte sich, was für Gäste der Mann wohl bei Nacht im Moor erwarten könnte, aber dann schloß es doch die Augen, schmiegte sich unter die warmen Felle und schlief ein.
Es erwachte von einem kühlen Luftzug, sah die Tür offen stehen und dahinter den Nebel und die Sterne. Auf der Schwelle aber saß die Eule, die legte ein Rebhuhn auf den Lehmboden, verneigte sich und sagte: »Für den Herrn der Lebendigen.«
Der Moormann saß am Feuer, rauchte aus einer kurzen Pfeife und nickte nur.
»Das ist ein mächtiger Mann«, dachte das Kind und schlief wieder ein.
Wieder erwachte es von einem kühlen Luftzug, sah die Tür offen stehen und dahinter Nebel und Sterne, aber die Sterne waren schon weiter nach Westen gesunken. Auf der Schwelle aber stand ein Fuchs, der legte einen Hasen auf den Fußboden, verneigte sich und sagte: »Für den Herrn der Toten.«
Der Moormann saß immer noch am Feuer, rauchte und nickte nur.
»Das ist ein gewaltiger Mann«, dachte das Kind, fürchtete sich ein wenig, schlief aber wieder ein.
Und wieder erwachte es von einem kühlen Luftzug, sah die Tür offen stehen und dahinter Nebel und Sterne, aber die Sterne waren schon blaß, und hinter dem Nebel stand ein rötlicher Schein. Auf der Schwelle aber stand ein Wolf, der legte ein junges Reh auf den Lehmboden, verneigte sich und sagte: »Für den Herrn derer, die nicht tot und nicht lebendig sind.«
Der Mann am Feuer nickte nur.
»Das ist ein furchtbarer Mann«, dachte das Kind, zitterte vor Angst, schlief aber zuletzt wieder ein.
Als es erwachte, stand die Tür wieder offen, aber die Sonne stand schon rot über dem Moor, hatte die Nebel verscheucht und blitzte in allen Tautropfen. Der Moormann stand vor dem Lager, stützte sich auf einen schweren Torfspaten und sah das Kind an. »Es ist Zeit«, sagte er freundlich. »Mache nun die Hütte sauber, setze Wasser auf und koche uns eine Suppe. Und wenn du fertig bist, so rufe mich.«
Sie tat, wie er geheißen hatte, und als sie fertig war, sah sie ihn unweit der Hütte Torf stechen. Da rief sie ihm zu, und sie saßen beide vor der Tür, hatten ihre Schüssel auf den Knien und aßen. In der Ferne sah das Kind den hohen Tannenwald, wo es gelebt hatte, und fragte, was die Mutter nun wohl tun werde, wenn sie das kleine Bett leer finden werde.
»Wahrscheinlich wird sie ins Moor gehen und mit Steinen werfen«, sagte der Mann nur. »Das ist ja so ihre Art.« Und er wies sie an, das Rebhuhn und den Hasen zum Mittagessen zu bereiten und niemanden in die Hütte zu lassen, solange er bei der Arbeit sei.
Das Kind gehorchte, war fleißig und fröhlich, und ab und zu ging es vor die Hütte hinaus und sah voll Staunen, wie schön das Moor war, wenn die Sonne schien und die Kiebitze riefen. Und niemand war da, der es verspotten konnte oder es schalt oder schlug.
Wie es nun einmal so draußen stand und nach dem Mann ausschaute, der in der Ferne Torf stach, sah es plötzlich, wie die Binsen sich bewegten und ein Kind zwischen den Stengeln stand, das war so schön und lieblich von Angesicht, aber so durchsichtig, daß man durch seinen Körper hindurch die Binsen und die Wacholderbüsche sah.
Das Kind hob seine weiße Hand und winkte und sagte, als das Mädchen näher gekommen war: »Was tust du hier in unsrem Reich?«
Das Mädchen erzählte seine Geschichte.
Das Kind lächelte auf einer verstohlene Weise und sagte: »Glaube ihm nicht. Heute abend wird er sein Messer schleifen und dich schlachten. Auch uns hat er geschlachtet und gegessen, und du siehst, daß wir keinen Körper mehr haben.«
Da war das Mädchen voller Angst, aber es schalt das Kind aus. »Das ist nicht wahr«, sagte es. »Er ist gut, und er hat meine Füße getrocknet, und niemals wird er mir etwas Böses tun.«
Das Kind lächelte noch verstohlener und sagte: »Verstecke das Messer! Es liegt hinter dem Herd auf dem Fußboden.«
Dann winkte es mit der Hand und verschwand in den Binsen, und dabei sah das Mädchen, daß es hinkte und daß seine linke Hüfte verrenkt war.
Da stand es ganz ratlos und verstört und wußte nicht, was es denken sollte. Und war wie im Traum bis zum Abend, und wie im Traum nahm es das Messer und verbarg es unter den Lammfellen.
Am Morgen machte der Moormann sich am Herde zu schaffen und saß dann still am Tisch, und es schien dem Kind, als wären seine Augen noch trauriger als sonst.
»Fehlt dir etwas?« fragte es scheu.
Da sah er sie bekümmert an und sagte nur: »Menschenkind ,... Menschenkind ,...«
Und da weinte das Kind laut auf, lief nach seinem Lager, zog das Messer unter den Lammfellen hervor und legte es auf den Tisch. »Tue nun mit mir, was du willst!« sagte es weinend. »Wenn du nur nicht traurig bist.«
Da legte der Mann seine grobe Hand auf ihr Haar und sagte: »Weshalb fürchtest du dich denn vor mir? Und weshalb hörst du auf das, was die Unirdischen zu dir sprechen? Schlafe nun ruhig und wundere dich nicht über die Gäste, die zu mir kommen.«
Da schluchzte das Kind noch eine Weile auf seinem Lager, aber dann hüllte es sich in seine Lammfelle, faltete die Hände und schlief ein.
Es erwachte von einem kühlen Luftzug, sah Nebel und Sterne in der offenen Tür und auf der Schwelle eine alte, gekrümmte und verwachsene Frau, die legte ein langes Messer auf den Lehmboden und sagte: »Damit es tiefer schneidet.«
Der Moormann saß am Feuer, rauchte und nickte nur.
Das Kind seufzte ein bißchen, aber dann dachte es: »Das ist nicht für mich«, und schlief wieder ein.
Wieder erwachte es von einem kühlen Luftzug und sah einen Zwerg mit einer spitzen Mütze auf der Schwelle stehen, der legte einen Schleifstein auf den Fußboden und sagte: »Damit es schärfer schneidet.«
Der Mann nickte nur.
Das Kind seufzte noch tiefer, aber dann schlief es wieder ein.
Aber ein drittes Mal erwachte es von dem kühlen Luftzug und sah einen Wassermann auf der Schwelle knien, der setzte eine silberne Schale auf den Fußboden und sagte: »Damit das Blut nicht überfließt.«
Der Moormann nickte nur.
Da seufzte das Kind so tief auf, daß der Moormann den Kopf zum Lager wendete, aber da war es schon eingeschlafen.
Am nächsten Vormittag, als das Kind vor der Schwelle stand, rührte es sich wieder in den Binsen, und das Gesicht mit dem verstohlenen Lächeln war wieder da. »Es war noch nicht das richtige Messer«, sagte es, »aber heute nacht ist das richtige gekommen und auch die Schale, um das Blut aufzufangen. Nun sei nur bereit, kleines Hinkebein!«
»Das ist nicht wahr«, sagte das Mädchen, »und du sollst mich nicht so nennen, wie die Menschen es tun.«
Da lächelte das Kind wieder, winkte mit der weißen Hand und tauchte in den Binsen unter.
Das Mädchen aber pflückte einen ganzen Arm voll Vergißmeinnicht, setzte die blauen Blüten in die silberne Schale und schmückte damit den Abendbrottisch.
Der Moormann, als er heimkam, wunderte sich ein bißchen, aber er sagte nichts. Nach dem Essen aber setzte er sich ans Feuer, nahm den Schleifstein in die Hand und begann, das große Messer zu schleifen, das die verwachsene Frau in der Nacht gebracht hatte. Und nach einer Weile drehte er sich um und sagte: »Du kannst mich ein bißchen kämmen, Menschenkind. Es kümmert sich niemand um mein Haar.« Und er reichte dem Kind einen großen Kamm aus Horn, der war so groß und schwer wie ein eiserner Gartenrechen.
Da war es dem Kinde bange ums Herz, aber plötzlich sagte es: »Und du hast ja richtiges Haar und keine Binsen!«
Da drehte der Moormann sich um und sagte: »Weshalb sollte ich Binsen statt der Haare haben?«
»Meine Mutter hat es so gesagt.«
»Deine Mutter ist eine kluge Frau«, sagte der Moormann, »nur hat sie keinen Verstand, und das ist meistens so bei den Menschen.« Und er schliff weiter an der Schneide seines Messers.
Als das Mädchen das Haar ein bißchen in Ordnung gebracht hatte, nahm es seinen eigenen leichten Kamm und fuhr damit sanft über den Scheitel des Moormannes.
»So gut habe ich es lange nicht gehabt«, sagte dieser und legte das Messer beiseite. »Du hast eine gute Hand, Menschenkind.«
Und darnach gingen sie zur Ruhe.
In der Nacht aber kamen die Gäste wieder, eine Schlange mit einem gelben Fleck an der Kehle, eine Kröte und ein Salamander. Und sie legten einen langen eisernen Nagel, einen Hammer und ein Schweißtuch auf den Boden. Und sie sagten alle drei nur dieses: »Für das letzte Stündlein.«
Das Kind zitterte vor Angst, aber der Moormann nickte nur, und da schlief es wieder ein.
Am nächsten Vormittag war das Kind unter den Binsen nicht da, aber eine Elster saß vom frühen Morgen an auf dem Schornstein der Hütte, und sobald das Mädchen sich am Herde zu schaffen machte, sprach sie durch den Schornstein zu ihm: »Deine Schwester kann nicht mehr kommen«, sagte sie, »denn letzte Nacht hat er sie geschlachtet und gegessen, und heute kommst du daran.«
»Ich lüge nie«, erwiderte die Elster. »Alle Tiere im Moor haben es gesagt, der Wolf und die Eule, der Fuchs und die Schlange. Und vor ihrem Tode hat die Schwester noch an dich gedacht und dir den Nagel und den Hammer und das Tuch geschickt. Heute abend sollst du ihn fragen, ob du ihn wieder kämmen sollst, und dann sollst du ihm mit dem Hammer den Nagel in den Kopf treiben. Nur dort ist er sterblich. Und du sollst sein Blut mit dem Schweißtuch auffangen und es dann auf deine Hüfte legen. Dann wirst du geheilt sein, und alle Irrlichter werden erlöst werden, und das Moor wird eintrocknen und fruchtbar werden und Korn für alle Armen geben. Wenn du es aber nicht tust, wird er dich schlachten, und das Moor wird wachsen und alle Hütten ringsum verschlingen, und dein Name wird verflucht sein bei den Menschen in Ewigkeit.«
Da warf das Kind die Klappe des Schornsteins zu und kniete am Herde nieder in großer Not und wußte nicht, was beginnen, und betete, bis seine gerungenen Hände schmerzten.
Die Elster aber flog hin und wieder, blickte durch das Fenster der Hütte hinein und klopfte mit dem Schnabel an die Tür. »Nagel und Hammer!« krächzte sie. »Nagel und Hammer, und zuletzt das Tuch!«
Aber als der Moormann am Abend müde heimkam, flog sie davon, so niedrig zwischen Büschen und Binsen, daß niemand sie sehen konnte.
»Ist etwas geschehen, Menschenkind?« fragte der Moormann und sah das Kind aufmerksam an.
Aber das Mädchen schüttelte den Kopf, und sie aßen still ihre Buchweizengrütze.
Nach dem Essen saß der Moormann am Feuer und schärfte wieder das Messer am Schleifstein. Und das Kind fragte leise, ob es ihm wieder die Haare kämmen solle.
Der Moormann nickte, und das Mädchen stand hinter ihm und glitt mit dem leichten Kamm sanft durch sein wildes Haar.
»Weshalb zittert deine Hand, Menschenkind?« fragte der Mann.
»Es friert mich«, sagte das Kind leise.
»So mußt du an etwas Gutes denken«, sagte der Mann, »dann wird dein Herz wieder warm werden.«
Das Kind aber sah nur auf den Nagel und den Hammer, und es war ihm, als zöge eine große Gewalt seine Hände nach diesen beiden Dingen.
»Weshalb läßt du deinen Kamm sinken?« fragte der Moormann.
»Weil meine Hände müde sind«, sagte das Kind leise.
»So mußt du sie um ein Gebet falten und nicht um einen Hammerstiel«, sagte der Mann. »Dann werden sie wieder Kraft bekommen.«
Da fiel das Mädchen vor ihm nieder, umfing seine Knie und weinte bitterlich. »Ich kann es nicht, und ich will es nicht!« schluchzte es, »und wenn ich auch diese Nacht sterben muß.«
Da legte der Moormann seine harte Hand auf ihr Haar und sagte: »Sei nur demütig, kleines Menschenkind, so wie ich es dir zu Anfang gesagt habe. Nur demütig, nichts weiter, was auch in der Nacht geschehen mag.«
Und er hüllte das Kind selbst in die Lammfelle und fragte, ob es auch warm habe.
Und dann saß er wieder still am Torffeuer, stützte den schweren Kopf in die Hände und rauchte.
In dieser Nacht kamen keine Gäste, aber ein unruhiger Wind ging über das Moor, bewegte die Binsenhalme und klagte im Schornstein der Hütte. Das Kind hörte lange zu, und als seine Tränen getrocknet waren, befahl es sein Herz allen guten Geistern und schlief ruhig ein.
Es erwachte von einem kühlen Luftzug, aber es war nicht die offene Tür, die es geweckt hatte, sondern der Moormann stand am Lager, hatte die Lammfelle zur Seite getan und hielt das Messer und die silberne Schale in den Händen.
»Wenn du nun ganz demütig bist, kann ich es tun«, sagte er.
»Tue nur alles, was du willst«, sagte das Kind mit vergehender Stimme.
Da schob der Moormann das grobe Hemd beiseite und zog mit dem Messer einen tiefen Schnitt über die kranke Hüfte des Kindes, und als das warme Blut zu strömen begann, hielt er die silberne Schale unter und fing es darin auf.
Das Kind lag ganz still und gab keinen Laut von sich.
Dann tauchte der Mann das Schweißtuch in die Schale und legte es behutsam über die kranke Hüfte, und auf das Tuch träufelte er ein paar Tropfen aus einer kleinen Flasche, die er aus seinem Gewande zog. Dann deckte er die Lammfelle wieder darüber, strich dem Kinde über das Haar und ging zu seinem Feuer zurück.
Das Kind aber atmete tief auf, und eine große Seligkeit begann langsam sein Herz zu erfüllen. Es versuchte noch, seinen Kopf nach dem Feuer zu wenden, aber da war es schon eingeschlafen und schlief, bis die Sonne in das kleine Fenster schien.
Der Moormann war nicht zur Arbeit gegangen, aber er hielt die Schleuder noch in der Hand, und vor ihm auf dem Fußboden lag die Elster und war tot.
Da sprang das Kind von seinem Lager auf, denn die Morgensuppe war noch nicht gekocht, aber wie es auf seinen Füßen stand, schrie es laut auf, denn die verrenkte Hüfte war gerade und so gesund wie die andere. Und es kniete vor dem Moormann nieder, umfing ihn mit den Armen und sagte: »Moormann, lieber Moormann, du hast mich nicht geschlachtet, sondern gesund gemacht, und du sollst mein lieber Vater sein.«
Da lächelte der Moormann und zog sie liebreich an sich. »Du hast mir vertraut«, sagte er »auch wenn sie alle versuchten, dein Herz mit Mißtrauen zu erfüllen. Ich mußte dich prüfen, aber du warst gut und demütig, und so ist alles gut geworden.«
»Aber meine Schwester?« fragte das Kind. »Was ist mit ihr?«
»Sie ist nicht deine Schwester, Menschenkind. Sie sind meine Kinder, alle blauen Flammen, aber ihre Mutter war böse, und auch sie sind böse von Jugend auf. Heute nacht aber, als du sagtest: ›Tue nur alles mit mir‹, sind sie erloschen und versunken im Mooresgrund. Denn du warst demütig, und die Demütigen erlösen die Welt.«
Und als sie ihre Morgensuppe gegessen hatten, nahm der Mann das Kind bei der Hand und führte es über das Moor zurück. »Du mußt nun wieder zu deiner Mutter gehen«, sagte er, »weil sie Leid um dich trägt, und sie wird nun gut zu dir sein, da du wieder gesund bist.«
Aber das Kind weinte und wollte nicht von ihm gehen.
Da schüttelte der Moormann den Kopf und sagte: »Vertraue nun auch weiter auf mich, Menschenkind! Einmal wird ein Prinz dich holen in einem goldenen Wagen, und bis dahin darfst du nicht an einem Torffeuer leben. Aber jedesmal wenn der Vollmond scheint, sollst du mich besuchen und eine Nacht und einen Tag bei mir bleiben. Und wenn du eine Prinzessin bist, will ich zu dir kommen und über deine Gärten und Wälder und Moore wachen. So mußt du zufrieden sein.«
Und er zog den langen Nagel aus seinem Kleid, den das Kind in seinen Scheitel hatte treiben sollen, und als er mit der Hand darüber strich, verwandelte er sich in einen schweren goldenen Haarpfeil. Den steckte er behutsam in das Haar des Kindes und sagte: »Nimm das zum Angedenken, es wird dich behüten vor allem Leid. Und wenn du ihn in den Händen hältst, denke immer daran, daß es leichter ist, Unrecht zu tun als Unrecht zu leiden, aber wer heilen will in der Welt, soll zuerst leiden, viel leiden, damit er weiß, wie es den Armen zumute ist, denen man Tag für Tag einen Nagel durch das Herz treibt.«
Und dann winkte er dem Kinde zu und ging langsam über das Moor zurück.
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