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Es lebte einmal vor Zeiten ein König, der war milde und gut zu all seinem Volke, und alle seine Untertanen liebten ihn, Große und Geringe, Arme und Reiche. Seine Hand war immer offen für die Bedürftigen und sein Herz für die Kummervollen. Seine Grenzen waren gesichert, sein Schatz war gefüllt, und wo sein Fuß über eine Schwelle trat, glaubten die Bewohner, daß sie gesegnet sei.
Er hatte drei Söhne, die ihm gleich lieb waren, und er wußte nicht, welchem von ihnen er das Reich hinterlassen sollte. Denn der älteste war ein Sterndeuter und kümmerte sich wenig um das Irdische. Und der zweite war ein Schüler der Magier und suchte nach dem Stein der Weisen und dem Wunschring. Und der dritte war ein Flötenspieler und Liedersänger und sah nur in die Augen der Frauen und Mädchen, welche die schönste von ihnen sei.
Da saß der König manchmal in seinen blühenden Gärten, an dem großen Silberbecken, in dem unter Seerosen die goldenen Fische schwammen, stützte seinen Kopf in die Hand und dachte mit Sorgen an das Kommende.
Und wie er eines Abends so saß, allein und ohne die Großen seines Hofes, kam eine fremde Frau über den Rasen, grüßte ihn und setzte sich auf den Rand des Silberbeckens. »Was ist es wohl, das du deinem Volke am meisten wünschest, wenn du einmal gestorben bist?« fragte sie.
Der König sah sie voller Verwunderung an, dachte nach, ob er sie jemals an den Stufen seines Thrones oder in einer der Hütten seines Landes gesehen hätte, und sagte endlich: »Wenn ich an die vielen Kinder in meinem Reiche denke, dann wünsche ich meinem Volke wohl am meisten, daß es ihm niemals an Brot fehle.«
Die Frau tauchte eine Hand in das Wasser, bewegte sie dort ein bißchen hin und her und sah ihn dann nachdenklich an. »Vielleicht ist das ein guter Wunsch«, sagte sie, »vielleicht gibt es bessere. Aber wie du gesagt hast, so soll es geschehen.«
»Und wer bist du«, fragte der König, »daß du alles geschehen lassen kannst, wie du es willst?«
»Nicht alles«, erwiderte die Frau, »aber ich habe Macht, dir einen Wunsch zu erfüllen, wie du mir einmal einen Wunsch erfüllt hast.«
»Aber ich habe dich nie gesehen in meinem Leben«, sagte der König.
»Erinnere dich nur«, antwortete die Frau. »Vor vielen Jahren warst du einmal auf der Jagd und hattest eine Hinde gejagt, die war müde und zu Tode ermattet an einem Bachufer zusammengebrochen. Und als du die Sehne des Bogens schon zurückzogst, stand eine alte Frau bei dir, die hatte Kräuter gesammelt, und sagte zu dir: ›Töte nicht!‹ Da warst du zuerst unmutig, aber dann ließest du den Bogen sinken und sagtest: ›Du hast recht, töten ist das Amt der Henker und nicht der Könige. Ich danke dir.‹ Diese Frau war ich, und die Hinde war mein Kind.«
Da erinnerte sich der König, und das Herz wurde ihm warm, als er der vergangenen Jugendjahre gedachte. »Damals war ich jung«, sagte er leise, »und bin nun alt. Und damals warst du alt und bist nun jung. Ein buntes Spiel ist das Leben ,...«
Die Frau nickte. »Aber es gibt jedem das Seinige«, sagte sie. »Du wirst nun bald ausruhen, aber vorher will ich dir deinen Wunsch erfüllen. Wenn du morgen erwachst, wirst du auf jenem Hügel eine Windmühle sehen. Dann suche dir drei Müller aus deinem Land und setze sie über die Mühle. Und sieh zu, daß sie stumm sind. Und befiehl deinem Volk, daß es sein Korn nicht zu Hause in der Handmühle mahlt, sondern daß es die Säcke dorthin bringt. Und sage ihm, daß demjenigen, dessen Korn am schwersten und am reinsten ist, unter seinen Säcken mit Mehl ein Sack mit Goldstaub ausgeschüttet werden wird. Das wird einmal im Jahr sein und jedesmal nur einem widerfahren. Und so wird dein Volk darnach trachten, das schwerste und reinste Korn zu bauen, und es wird den Kindern niemals an Brot fehlen.«
Da bedankte sich der König und bat sie, den Abend mit ihm und den Seinen zu verbringen, aber er sah nur eine alte Frau auf dem Rasen, die bückte sich nach Kräutern, und da ließ er sie gehen.
Am Morgen aber, als er erwachte, ging er sogleich zum Fenster und sah die Mühle auf dem Hügel stehen, und ihre Flügel drehten sich schnell und leicht, und das Volk stand am Fuße des Hügels und blickte schweigend auf das Wunder, das dem Lande geschehen war.
Der König aber rief seine Söhne und die Großen des Reiches zusammen und erzählte ihnen, was es mit der Mühle für eine Bewandtnis habe. Ließ auch nach drei stummen Müllern forschen und dann dem Volke auftragen, daß es sein Korn fortan dorthin zu bringen habe.
Seit jenem Abend aber fühlte der König, daß seine Zeit gekommen war. Er bestellte sein Haus, und da keiner der drei Söhne nach dem Throne verlangte, bestimmte er, daß alle drei gemeinsam das Reich regieren sollten, empfahl ihnen Einigkeit, Milde und Gerechtigkeit, und starb.
Die Mühle aber mahlte Tag und Nacht, die stummen Müller schütteten das Korn auf, und nach Jahresfrist bliesen die Trompeten von der Zinne des Palastes, und alles Volk drängte sich jubelnd in den Straßen, denn unter allen Säcken, die an diesem Tage sich mit weißem Mehl gefüllt hatten, war einer, in dem reiner Goldstaub funkelte. Es war ein armer Häusler, auf den das Glück gefallen war, und sie bekränzten seinen Wagen und sein altes Pferd und führten ihn mit Jubelrufen durch die Straßen. Und auch die jungen Könige und die Großen des Reiches traten hinzu, wünschten ihm Glück und ließen den Goldstaub einmal durch ihre Finger rinnen.
So ging es Jahr für Jahr, und die Mühle drehte sich Tag und Nacht. Einmal fiel das goldene Los auf einen der großen Grundherren, einmal auf einen kleinen Kätner und einmal auf eine arme Witwe. Und das Volk sah, daß keine Willkür die Mahlsteine drehte, sondern eine große unbekannte, gerechte Hand, und es sah die Glücklichen ohne Neid davonziehen. Und da jeder sich nun mit allen Kräften um sein Korn mühte, blühte das Reich, und alle Kinder hatten rote Wangen und segneten das Andenken des toten Königs.
Nur unter den alten Kriegsknechten waren viele, die mitunter den Kopf schüttelten. Denn da jeder zu essen hatte und in Freuden sein Tagewerk trieb, wollte niemand unter die Waffen treten. Hier gab es keinen Sack mit Goldstaub zu erwerben, der doch sonst jedem zufallen konnte, wenn er sich auf seinem Acker mühte. Und auch der älteste der drei königlichen Brüder stieg an jedem Morgen mit sorgenvoller Stirn von seiner Sternwarte herunter, denn in den Häusern des Himmels glaubte er Unheil und Tod täglich näher herankommen zu sehen.
Nur der jüngste der Brüder gab Fest auf Fest in seinen blühenden Gärten, und jedermann war geladen, ob arm oder reich, wenn er nur schön von Gestalt und Angesicht und fröhlichen Gemütes war.
Aber dann kamen eines Tages die Bauern und Hirten von der südlichen Grenze in die Königsstadt, blutig und erschöpft, mit dem Rest ihrer Lieben und ihrer Herden. Und sie berichteten, daß ein Fremder mit seinen Kriegsscharen die Grenzen überfallen habe und daß Tod und Verderben hinter ihm bleibe. Und was ihn am schrecklichsten mache, das seien drei Wölfe, die ihm zur Seite trabten, überlebensgroße Tiere, schwarz und mit blutigen Augen, die zerrissen Menschen und Vieh, tränken ihr Blut und ließen die Leichen im Grase liegen. Und keine Lanze und kein Pfeil vermöchten ihrem Körper Schaden zu tun.
Da traten die jungen Könige zusammen und riefen das Volk zu den Waffen, und es war niemand, der sich dem Ruf entzog. Und als sie nun am Fuße des Mühlenhügels standen und der jüngste der Könige fröhlich durch ihre Reihen ritt und mitunter seine Flöte an die Lippen hob, jubelten sie ihm zu und waren guter Dinge und riefen, daß die Mühle nun bald das Blut der Feinde mahlen sollte statt ihres Korns.
Aber als in der Ferne nun die Staubwolke sich über den fremden Eroberern erhob; als die Sonne in ihren Waffen funkelte, von einem Ende der Heide bis zum anderen; als sie so schweigend und drohend gleich einer Meereswoge sich heranwälzten und ihnen weit voraus ein schwarz gewappneter Mann auf einem riesigen Streitroß ritt, von niemandem begleitet als von drei schwarzen Wölfen auf hohen, mageren Läufen; als der Mann die Hand schweigend hob und die drei Tiere sich heulend voranstürzten und man den Schaum um ihre Lefzen sah: da erbebten die Herzen des königlichen Volkes, und was dem Befehl willig gefolgt war, stürzte nun in wilder Flucht Hals über Kopf davon, und niemand blieb auf seinem Posten stehen als die drei jungen Könige mit ihren Großen und den alten Kriegsleuten.
Da wußten sie wohl, daß sie verloren waren und das Reich mit ihnen, aber ihre Schwerter blitzten wie in alter Zeit, und wenn sie einmal im Kampfe zur Seite blickten, so sahen sie die Flügel der Mühle still durch das Abendrot kreisen, und es war ihnen, als mahle sie nicht mehr Korn oder Gold, sondern Blut, und sie wußten, daß es ihr eigenes Blut war.
So unterlagen sie einer nach dem andern und zuletzt die drei jungen Königssöhne, die wurden von den Wölfen zerrissen. Und als die Sonne im Untergehen war, da lagen sie alle stumm auf der Heide, und das letzte Licht schimmerte traurig in ihren gebrochenen Augen. Die Eroberer hielten auf dem blutigen Feld, wischten das Blut von ihren Waffen und blickten finster auf die schweigende Stadt, über der die Flügel der Mühle sich lautlos drehten.
Dann zogen sie ein in den verlassenen Palast, ließen sich von den verstörten Dienern ein Siegesmahl rüsten und lärmten bis zum Morgenrot. Sie waren nun die Herren und blieben es.
In derselben Nacht aber ging eine alte Frau heimlich und gebückt über das Schlachtfeld. Im fahlen Mondlicht ging sie von einem Toten zum anderen, bis sie die drei Königssöhne gefunden hatte. Sie lagen eng beieinander, wie sie zusammen gefochten hatten. Da kniete sie nieder, wischte ihnen das Blut von den Lippen und deckte die Gewänder wieder über die von den Wölfen zerrissenen Leiber. Und dann saß sie zwischen ihnen nieder, zog die blassen Häupter in ihren Schoß und betaute die kalten Stirnen mit ihren Tränen. Und während sie die Flügel der Mühle wie durch einen Schleier sich vor der Mondscheibe drehen sah, murmelte sie den Toten dunkle Sprüche zu, und jeder von ihnen endete mit dem Wort: »Heute Brot und morgen Blut ,... heute Brot und morgen Blut ,...«
Am Morgen aber ließ der Fremde die drei toten Königssöhne zur Mühle schleppen und sie dort in die Mahlsteine stoßen. Das Volk aber zwang er, weiter sein Korn zur Mühle zu bringen, und weinend sah es zu, wie in jeden Sack mit weißem Mehl drei rote Blutstropfen fielen, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Da wußten sie, daß es die drei Königssöhne waren, und von der Zeit ab hieß die Mühle bei ihnen die Königsmühle.
Der Fremde aber beugte sie, daß ihre Stirnen im Staube lagen, und niemand war da, der ihm wehren konnte. Vor den drei Toren des Palastes aber, hoch über der breiten Treppe, lagen bei Tage und bei Nacht die drei Wölfe und holten sich ihre Speise unter den Unschuldigen, so daß hinter jedem von ihnen ein weißes Grabmal aus Knochen und Schädeln sich türmte, und jeden Morgen kam der Henker des Fremden mit einem Stab und maß die Höhe des Mals und ritzte mit einem Messer ein Zeichen in die goldenen Tore.
Da starben Lachen und Frohsinn in Stadt und Land. Die Greise starben, und die Kinder wurden nicht mehr geboren, weil niemand wollte, daß die Wölfe sich an ihnen sättigten. Die Brunnen trockneten aus, und die Quellen versiegten. Nur die Tränenkrüge waren gefüllt und liefen über. Und die Mühle drehte Tag und Nacht ihre Flügel, und die stummen Mühlknechte schütteten das Korn in die Steine und sahen schweigend zu, wie die drei roten Blutstropfen in jeden der Säcke fielen.
Mitunter machten sich Jünglinge auf, die adeligen Sinnes waren, und griffen die Wölfe an, um zu dem Fremden zu gelangen und ihn zu töten. Aber nachdem alle Waffen an ihnen abgeglitten waren, selbst Steine aus einer geweihten Hirtenschleuder oder die bloße Faust, sank auch dem Tapfersten der Mut, und schweigend ergab sich das Volk in sein dunkles Los.
Da beschlossen viele, lieber zu sterben als Schmach und Knechtschaft weiter zu tragen, und Tag und Nacht hörte man nun die Webstühle gehen, auf denen die Sterbehemden gewebt wurden. Und eines Abends nahm der Älteste des Volkes alles Linnen, das er gewebt hatte, und ging über die Heide zu dem Bach, der in einem Eichenwalde floß, um es zu spülen und zu bleichen. Er hatte den alten König schon gekannt, als er noch nicht die Krone getragen hatte, und viele Geschlechter waren unter seinen Augen fröhlich aufgewachsen und still dahingegangen. Nun saß er am Bachufer, müde von Alter, Arbeit und Weg, sah das Wasser still vorüberziehen, die Fische spielen und die Steine im sandigen Grunde schimmern. Und das ganze Leben der Menschen und Völker schien ihm eine Torheit und ein sinnloses Spiel, so als ob Kinder Disteln abschlügen oder Feuer in die trockene Heide würfen.
Da seufzte er und gedachte wehmütig seiner Jugendtage und wie jeder Kranz verwelkt und alles Linnen verblichen war. Und seine alten, halbblinden Augen weinten leise vor sich hin.
Aber wie seine Tränen nun in den Bach zu seinen Füßen fielen, da saß eine alte Frau neben ihm, die hatte trockenes Holz gesammelt und hielt nun die Hände im Schoß gefaltet. Und als der alte Mann sich seiner Tränen schämte und sie heimlich mit dem Ärmel abwischte, sprach sie zu ihm: »Ihr werdet nun noch drei Jahre weinen und Leid tragen. Am Ende des ersten Jahres wird die Mühle nicht einen Sack voll Goldstaub, sondern voll Asche mahlen, und diese Asche sollt ihr euch aufs Haupt streuen.
Und am Ende des zweiten Jahres wird sie nicht einen Sack voll Goldstaub, sondern einen Sack voll Tränen mahlen, und damit sollt ihr euern Kindern die Augen befeuchten.
Und am Ende des dritten Jahres wird sie nicht einen Sack voll Goldstaub, sondern einen Sack voll Blut mahlen, und damit sollt ihr euer Brot backen.
Und in diesen drei Jahren sollt ihr unter euren Kindern diejenigen aussuchen und erproben, die reinen Herzens sind. Die sollt ihr gegen die Wölfe schicken, und es ist gleich, ob sie ein Schwert in den Händen tragen oder eine blühende Lilie. Denn das letzte Böse auf dieser Erde wird nicht durch das Schwert bezwungen, sondern durch das reine Herz.«
»Aber du weißt wohl«, sagte der alte Mann, »daß tausend furchtlose Schwerter leichter zu finden sind als ein einziges reines Herz?«
»Und deshalb sollt ihr auch drei Jahre suchen«, antwortete die Frau. »Und wenn ihr in drei Jahren nicht fertig werdet, so sollt ihr dreißig Jahre suchen, und wenn ihr in dreißig Jahren nicht gefunden habt, so sollt ihr dreihundert Jahre suchen.«
Da bedankte sich der alte Mann, und als er sein Linnen gespült hatte, war die Frau verschwunden.
Das Volk aber hob die Stirnen zum ersten Male wieder aus dem Staub und begann, unter seinen Kindern nach einem reinen Herzen zu suchen.
Am Ende des ersten Jahres nun stand der Fremde mit seinen Helfern und Henkern in der Mühle, weil ihn nach dem Goldstaub gelüstete, von dem eine dunkle Kunde zu ihm gedrungen war. Er stand vom Morgen bis zum Abend da, und erst als das Abendrot durch die blinden Fenster fiel, strömte ein Strom von Gold in den ausgespannten Sack eines Bauernknechtes.
Da seufzte das Volk auf, aber als die Hand des Fremden nach dem Golde griff, verwandelte es sich in Asche, und er zog eine graue Hand zurück. Er sagte nichts, er gab nur seinen Henkern einen Wink, und sie banden den armen Knecht und hingen ihn an einem Mühlenflügel auf.
Jeder aus dem Volke aber nahm von der Asche zwischen die Fingerspitzen und trug sie sorgsam heim und tat mit ihr, wie die alte Frau befohlen hatte.
Und wieder nach einem Jahr stand der Fremde wieder in der Mühle und wartete finster bis zum Abendrot, und als seine Hand nach dem Golde griff, verwandelte es sich in bittere Tränen, die tropften aus dem Sack auf die Dielen, und er zog eine feuchte Hand zurück.
Da banden die Henker die arme Häuslerfrau und hingen sie an dem zweiten Mühlenflügel auf.
Jeder aus dem Volke aber nahm eine der Tränen in seinen Becher und trug sie sorgsam heim und tat mit ihr so, wie die alte Frau befohlen hatte.
Und wieder nach einem Jahr stand der Fremde wieder in der Mühle und wartete schweigend bis zum Abendrot, und als seine Hand nach dem Gold griff, verwandelte es sich in Blut, das tropfte aus dem Sack auf die Dielen, und er zog eine blutige Hand zurück.
Da banden die Henker den armen Hirtenknaben und hingen ihn an dem dritten Mühlenflügel auf.
Jeder aus dem Volke aber nahm von dem Blut in seine hohle Hand und trug es sorgsam heim, und in der Nacht buken sie das Brot und aßen es heimlich um die Morgenstunde, und für einen der Jünglinge war es die letzte Speise. Denn drei von ihnen hatte das Volk für reinen Herzens befunden, und der erste von ihnen stieg in der nächsten Nacht mit einem nackten Schwert die Treppen zum Palast empor.
Aber da er bei allem edlen Sinn ganz schnell daran dachte, daß er nun Ruhm gewinnen werde vor allem Volke, fiel die Reinheit von ihm ab, und die Wölfe zerrissen ihn.
Da stieg in der zweiten Nacht der nächste von ihnen die Stufen hinauf, und er trug eine schimmernde Lanze in der Hand. Aber da er bei allem edlen Sinn ganz schnell daran dachte, daß in dieser Stunde seine Liebste einen Kranz für seine Stirn flechte, fiel die Reinheit von ihm ab, und die Wölfe zerrissen ihn.
Da stieg in der dritten Nacht der jüngste und ärmste von ihnen die Stufen hinauf, der war eines Hirten Sohn und trug eine Schleuder in der Hand. Aber da er in seiner Jugend und Armut ganz schnell daran dachte, daß seine Eltern nun jeden Tag Weizenbrot essen würden, fiel die Reinheit von ihm ab, und die Wölfe zerrissen ihn.
Da wandte das Volk sich traurig von dem weiten Platz, auf dem es lautlos gestanden hatte, und kehrte verwirrt und ohne Hoffnung zu seinen Herdfeuern zurück.
Nun lebte aber in der Heide hinter der Königsmühle eine arme Witwe, die hatte eine Tochter, und sie war fast noch ein Kind. Und da die Mutter sich von der Frühe bis zum Abend plagen mußte, damit sie nicht Hungers litten, so hatte sie keine Zeit gehabt, zu denken, ob ihr Kind reinen Herzens sei, und sie wußte wohl gar nicht, was das war. Denn sie taten beide kein Unrecht und wußten gar nicht, daß man auch anders leben könnte.
Diesem Kind nun träumte in den drei Nächten, als die Jünglinge fielen, jede Nacht derselbe Traum. Es stand in seinem Garten und pflegte und behütete eine weiße Rose, die war über alle Maßen lieblich und war in ihrem Kelch mit Tautropfen gefüllt, die hatten eine seltsame gelbliche Farbe. Und eine große schwarze Schlange kam durch das Gras und trank von dem gelben Tau und wand sich in Krämpfen und starb.
Und wieder stand das Kind in seinem Garten und behütete die weiße Rose, und die Tautropfen waren hell wie Wasser oder wie Tränen. Und eine zweite schwarze Schlange kam durch das Gras und trank von dem weißen Tau und wand sich in Krämpfen und starb.
Und zum dritten Mal stand das Kind in seinem Garten und behütete die weiße Rose, und die Tautropfen waren rot wie Blut. Und eine dritte schwarze Schlange kam durch das Gras und trank von dem roten Tau und wand sich in Krämpfen und starb.
Da ging die Tochter am Morgen zu ihrer Mutter und sprach: »Liebe Mutter, mir hat dreimal etwas Seltsames geträumt. Backe mir nun ein kleines Brot von unserem letzten Mehl und backe das Letzte von der Asche, den Tränen und dem Blut aus der Mühle hinein. Und dann laß mich zu dem Königsschloß gehen und vor die drei Wölfe treten.«
Da rang die Mutter die Hände und kniete vor ihrem Kinde nieder und beschwor es, doch davon abzustehen als von dem sicheren Tode.
Aber die Tochter küßte sie, umfing sie mit den Armen und bat sie, ihr doch nicht entgegen zu sein, da doch ihr Herz ihr anbefehle, diesen schweren Gang zu tun.
Und als die Mutter sie unter bitteren Tränen fragte, ob sie denn auch reinen Herzens sei, wie die Weissagung befohlen habe, da schüttelte das Kind lächelnd den Kopf und sagte: »Mich hat niemand gelehrt, was das sein mag, ein reines Herz, und ich weiß nur, daß es so ruhig klopft, als wenn du mich in deinen Armen hieltest.«
In der Nacht aber stieg sie die Stufen zum Palast in die Höhe und hielt das kleine gebackene Brot fest in den Händen. Das Volk aber stand schweigend und sah ihr mit schwerem Herzen zu, wie sie Stufe auf Stufe hinaufstieg, und das Mondlicht glänzte auf ihren bloßen Füßen.
Da richtete der erste der Wölfe sich knurrend auf und fragte: »Was trägst du da in deiner Hand?«
»Ich trage eine Speise für euch«, erwiderte das Mädchen, »die ist aus Asche, Tränen und Blut gebacken.«
»Das ist die rechte Vorspeise, bevor ich dich fresse«, sagte der Wolf und kam ihr entgegen.
»Aber tue mir noch etwas Gutes vorher«, bat das Mädchen. »Auf meiner Stirne steht der Schweiß, weil ich mich so fürchte. Wische ihn mir ab, damit ich ohne Furcht bin.«
Da leckte der Wolf mit seiner heißen, roten Zunge den Schweiß von ihrer Stirn, und als er ihr Gesicht berührt hatte, sank er zu Boden, wand sich in Krämpfen und starb.
Da sagte der zweite Wolf: »Unser Bruder ist müde, und so will ich von deiner Speise kosten.«
»Aber tue mir noch etwas Gutes vorher«, bat das Mädchen. »Auf meinen Wangen liegen Tränen, weil ich so traurig bin. Wische sie mir ab, damit ich fröhlich werde.«
Da leckte der Wolf mit seiner heißen Zunge die Tränen von ihren Wangen, und als er ihr Gesicht berührt hatte, sank er zu Boden, wand sich in Krämpfen und starb.
Da sagte der dritte Wolf: »Meine Brüder sind müde, und so will ich von deiner Speise kosten.«
»Aber tue mir noch etwas Gutes vorher«, bat das Mädchen und stach sich mit einer Nadel heimlich in den Finger. »An meiner Hand ist Blut, weil ich durch einen Dornenwald gegangen bin. Wische es mir ab, damit ich ohne Fehl für dich bin.«
»Blut ist eine gute Speise«, sagte der Wolf und leckte mit seiner heißen Zunge das Blut von ihrer Hand. Aber wie er es berührt hatte, sank er zu Boden, wand sich in Krämpfen und starb.
Da schrie das Volk vor Jubel auf und stürmte die Treppen hinauf in die Königshalle. Da saß der Fremde auf dem Thron und sah ihnen wie ein Sterbender entgegen. Auf seiner Stirn und seinen Wangen perlte der Todesschweiß, und seine Hände waren wie in Blut getaucht.
Da erschlugen sie ihn und alle seine Leute und trugen die Leichen auf die Heide und verbrannten sie bis zum Morgenrot.
Und als sie das Kind suchten, um es auf einen erzenen Schild zu heben und durch die Stadt zu tragen, fanden sie es schlafend auf der Schwelle der Mühle, und eine alte Frau hielt es in ihrem Schoß und hatte ihre Hände um seine Augen gelegt, daß es den Brand nicht sehe.
Und als sie die Frau baten, es zu wecken, damit sie die alte Krone auf seine Stirn setzten, hob die Frau nur die Hand gegen sie und sagte: »Ein reines Herz bedarf keiner Krone.«
Da wichen sie zurück, und später sahen sie, wie die Frau mit dem Kinde dem Walde zuschritt, und das Kind hatte die Frau bei der Hand gefaßt, und mit der anderen pflückte es Blumen.
Die Mühle aber mahlte keinen Goldstaub mehr, und das Volk pflanzte einen weißen Rosenstock neben die Schwelle. Der wuchs immer höher und höher, bis zu den Flügeln empor, und wenn diese sich drehten, streiften sie manchmal eine weiße Knospe ab. Die hoben die Kinder dann auf, stellten sie in einen Krug mit Wasser, und wenn sie aufgeblüht war, sagten sie: »Ein reines Herz ist aufgeblüht.« Denn so nannten sie die Rosenart.
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