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Die Brüder

Ein Mann und eine Frau lebten an einem großen Moor, das war so groß, daß man sein Ende nicht sehen konnte, und die Leute machten gern einen Bogen herum, weil es das Teufelsmoor hieß und zu keiner Zeit ganz geheuer war. In den Nächten hörte man Hilferufe wie von Versinkenden und sah blaue Flämmchen hinter den Binsen tanzen, und am Tage sah man manchmal eine alte Frau, die stand zwischen den kleinen Birken und warf Altweibersommer in die Luft, und die Kiebitze klagten um sie herum, wie wenn einer ihre Nester berauben wollte.

Aber der Mann und die Frau merkten nicht viel davon. Der Mann stach Torf, solange der Boden nicht gefroren war, und zum Herbst fuhr er seine Arbeit mit seiner Kuh auf einem Leiterwagen in die Stadt. Die Frau aber hatte einen kleinen Gemüseacker und einen Webstuhl, und damit verdienten sie sich ihr Brot und waren es zufrieden.

Sie hatten nur einen Kummer, nämlich daß sie keine Kinder hatten, und obwohl die Frau zu den Unterirdischen betete und auch zu allen weisen Frauen ging, blieb sie unfruchtbar, und manchmal weinte sie still, wenn sie am Herde stand und durch das Fenster die jungen Schwalben zwitschern hörte, die unter dem Rohrdach im Nest saßen.

Einmal aber trug sie an einem heißen Sommertag ihrem Mann das Mittagessen in einem Paartopf auf das Moor, denn er arbeitete weit vom Hause. Und als sie langsam zurückging und den Kiebitzen zusah, die über den Wasserblänken auf- und abflogen, sah sie plötzlich an der Biegung des Pfades unter einer Birke eine Frau sitzen, die war jung und schön und spielte müßig mit einem Halsband von Rubinen, und die Sonne schimmerte in den roten Steinen, daß es herrlich anzusehen war.

Da erschrak die Frau, weil ihr einfiel, daß es dort nicht geheuer um die Mittagsstunde war. Aber die fremde Frau rückte freundlich beiseite und fragte, weshalb sie traurig sei, denn sie hätte doch einen guten Mann und ihr gutes Auskommen.

Da erzählte die Frau ihren Kummer und daß ihr niemand helfen könne.

Die Fremde sah auf das schöne Halsband nieder, das sie immer noch in den Händen hielt, und sagte: »Aber weißt du nun auch wirklich, daß Kinder ein Glück sind?«

Da lächelte die Frau des Torfstechers und erwiderte: »Wenn ich alles so genau wüßte auf der Welt wie dieses, dann würde es gut sein.«

Da bedachte sich die Frau noch eine Weile und sagte dann: »So soll es sein, wie du gebeten hast, und wenn das Glück nicht so wird, wie du es gedacht hast, dann ist es deine eigene Sache. Du wirst drei Söhne haben, und immer wenn sie siebzehn Sommer hinter sich haben, sollen sie in den großen Wald gehen, der hinter dem Moor liegt, und nach mir rufen. Und sie sollen dieses Halsband dabei in der rechten Hand tragen, damit sie nicht in die Irre gehen.«

Und dabei legte sie die Rubinenkette der Frau in den Schoß, nickte ihr zu und ging davon.

Die Frau blieb ganz betäubt sitzen, die kühlen Steine in den Händen, aber sie dachte nicht an den kostbaren Schmuck, sondern an das Versprechen, das die Fremde ihr gegeben hatte, und ihr war so glückselig ums Herz, als trüge sie darunter schon ihr erstes Kind.

Sie bewahrte alles für sich, was ihr widerfahren war, und nur manchmal nahm sie in einer heimlichen Stunde das Halsband aus ihrer Truhe, wischte es mit einem weichen Tuche vorsichtig ab und ließ die Sonne darauf spielen. Aber sie legte es sich niemals um den Hals, weil sie meinte, daß es nur ihren Söhnen gehöre.

Im nächsten Frühjahr gebar sie dann ihr erstes Kind und so drei Jahre hintereinander, bis ihr drei gesunde Söhne aufwuchsen und sie nun nicht mehr den jungen Schwalben wehmütig zu lauschen hatte. Der Vater verwunderte sich wohl, aber da er bei seiner schweren Arbeit ein schweigsamer Mann geworden war, so fragte er nicht und nahm den Segen hin, wie er vom Himmel fiel.

Wie die Jahre nun dahingingen und die Söhne schön und gesund waren, zumal die beiden ältesten, wurde das Herz der Frau stolz und zuweilen etwas hoffärtig, denn sie meinte, daß die fremde Frau wohl noch größere Dinge mit ihnen vorhaben könnte. Nur auf den jüngsten ihrer Söhne sah sie mitunter mit etwas Mitleid herab, und auch die beiden Brüder trieben gern ihren Spott mit ihm, denn er war ein scheues Kind, den Träumen zugeneigt, und nahm nicht gerne teil an ihren Spielen, weil sein Körper zart war und alles Laute und Wilde ihm keine Freunde machte.

So ging er gern mit dem Vater mit, saß auf den trockenen Torfhügeln und sah seiner Arbeit zu, und alle Tiere des Moores kamen gern zu ihm, von den Igeln bis zu den Eidechsen, ließen sich von ihm streicheln und nahmen Futter aus seiner Hand.

Dann verwunderte sich der Vater, strich ihm mit der rauhen Hand über das schlichte blonde Haar und sagte wohl in seiner ungelenken Weise: »Die Tiere wissen, zu wem sie gehen, denn sie schmecken das Herz.«

Den beiden älteren Brüdern aber gefiel es nicht bei der schmutzigen und schweren Torfarbeit, und sie verdingten sich bald in der Nähe des Elternhauses, der eine als Holzknecht, der andere als Fischer. Doch meinten sie, daß sie nicht lange dabei bleiben würden, weil ihre Mutter sie mit vielen geheimnisvollen Andeutungen auf ihren siebzehnten Geburtstag warten hieß, so daß sie bald meinten, es werde ihnen an diesem Tage ein großer Schatz oder gar eine Königskrone zufallen. Und so taten sie ihre Arbeit zwar fleißig und ordentlich, hielten sich aber hochmütig fern von ihren Gefährten und ließen es auch selbst nicht an dunklen Worten fehlen. Daß man bald etwas erleben werde und daß ein Knecht nicht immer ein Knecht zu bleiben brauche, solange die Unterirdischen sich ihrer Auserwählten annähmen.

Als nun der Geburtstag des ältesten gekommen war und die siebzehn Sommer hinter ihm lagen, trat die Mutter in der Frühe an sein Lager, küßte ihn und legte das Rubinhalsband auf seine Decke. Und sie erzählte ihm, was ihr damals widerfahren war, hieß ihn sich sorgfältig waschen und kleiden und dann in den großen Wald gehen, um ihrer aller Glück endlich heimzuholen.

Der Knabe tat alles, was ihm befohlen wurde, aber hastig und mit leuchtenden Augen, und als er endlich fertig war, lief er so eilig über das Moor bis zu dem großen Walde, daß der Vater und der jüngste Bruder ihm verwundert nachsahen. »Seinem Glück muß man langsam nachgehen«, sagte der Vater, »denn wer läuft, bricht leicht ein Bein.«

Der Knabe nun, als er in den dunklen Wald gekommen war, blieb eine Weile verwirrt und atemlos stehen, denn er wußte nicht, wie es weitergehen sollte. Endlich hielt er das rote Halsband vor sich her in der geöffneten Hand, ging langsam in die grünen Schatten hinein und rief von Zeit zu Zeit: »Gib mir nun das Meinige!«

Aber nur das Echo gab ihm Antwort und ab und zu der Schrei eines Schwarzspechtes, der klang böse und gellend wie das Lachen eines Verzauberten.

So ging der Knabe immer tiefer in den Wald hinein, der Arm wurde ihm müde und seine Stimme heiser vom vielen Rufen, und als die Sonne immer höher stieg, wurde er ungeduldig und meinte endlich, ein herzhafter Fluch wäre gar nicht das Schlechteste in dieser dunklen Einöde.

Aber als er gerade die durstigen Lippen öffnen wollte, sah er es plötzlich golden durch die Äste schimmern, und gleich darauf lag ein großes, leuchtendes Schloß vor seinen Blicken, dessen Fenster funkelten in der Sonne, und Springbrunnen warfen ihre silbernen Strahlen über die weiten blühenden Gärten.

»Das ist das Rechte für mich«, sagte er leise, »und es hat mir immer geahnt, daß es einmal so kommen werde.«

Langsam stieg er die Marmorstufen hinauf und wunderte sich nur, daß alles so schweigend und verlassen war. Bis von einer Schwelle ein alter Mann sich erhob, der hatte einen langen weißen Bart und fragte ihn höflich nach seinem Begehr.

»Du hättest mir auch ruhig ein bißchen entgegenkommen können«, sagte der Knabe und hielt das Halsband hoch. »Ich denke, daß das Meinige schon auf mich warten wird.«

»Das wird es wohl«, erwiderte der alte Mann ruhig und ging ihm voran.

Und als sie viele Säle durchschritten hatten, kamen sie endlich in eine große Halle, die leuchtete von Gold und Edelsteinen, und an der hinteren Wand saß auf einem Throne von Rubin die Frau, von der die Mutter ihm erzählt hatte, hatte eine Wange in die Hand gestützt und sah ihm ernst und schweigend entgegen.

Der Knabe grüßte höflich, und seine Augen konnten sich nicht satt sehen an dem Überfluß der Schätze, der ihn umgab.

Eine Weile sah die Frau ihm schweigend zu, dann fragte sie ihn nach seiner Mutter und auch wie es dem Vater gehe. Aber von diesem wußte der Knabe nur zu berichten, daß er Tag für Tag im schmutzigen Moorwasser stehe und Torf steche.

»Und das möchtest du wohl nicht tun?« fragte die Frau.

Nein, das wollte der Knabe allerdings nicht tun, und er lächelte heimlich über die seltsamen Fragen.

Da seufzte die Frau ein bißchen, und schließlich fragte sie, ob er gekommen sei, um etwas zu bringen oder etwas zu holen.

»Zu holen!« erwiderte der Knabe schnell, denn so habe er seine Mutter verstanden.

Da seufzte die Frau noch einmal, erhob sich von ihrem Thron und führte den Knaben in eine große Halle, die war erfüllt mit den herrlichsten Dingen, die ein Menschenherz sich nur ausdenken konnte. Da standen schimmernde Lanzen an der Wand, die niemals ihr Ziel verfehlten und immer in die Hand des Schleudernden zurückkehrten. Und Schwerter hingen da, die jeden Amboß spalteten und jedes Heer vernichteten. Kronen und Stirnbinden lagen auf silbernen Tischen, Kampfwagen und Rüstungen standen an den Wänden, und durch die tiefen Fenster sah der Knabe die edelsten Pferde weiden, die waren so schnell, daß kein Wind sie einholen und kein feindliches Heer ihnen entgehen konnte.

Da atmete er tief auf, preßte die Hände fest zusammen und verschlang mit seinen Blicken alles, was ihm dargeboten wurde.

»Eines von diesen Dingen kannst du dir aussuchen«, sagte die Frau, »aber vorher mußt du dir noch diese Kammer ansehen.« Und sie führte ihn in einen kleinen Raum, darin lag das wundervollste Spielzeug aufgehäuft, das Menschensinn sich nur ausdenken konnte. Vögel, die über alle Maßen lieblich sangen, wenn man eine kleine Kurbel drehte, Kreisel aus Edelgestein, die sich zu einer süßen Melodie drehten. Spinnrocken, die von selbst ihre Räder schnurren ließen und goldene Fäden spannen. Flöten und Harfen, die ertönten, sobald der Wind sie berührte, und tausend andere Dinge.

»Höre nun zu«, sagte die Frau und drehte mit ihren weißen Fingern die Kurbel eines kleinen grünen Vogels, der aus einem einzigen Smaragd geschnitten war. Und wie ihre Hände sich bewegten, öffnete der kleine Vogel seine goldene Kehle, und ein Lied so voll Süße und Zauber erklang, daß selbst die Pferde auf der Weide ihre Köpfe hoben und den Atem anhielten. »Dieses Lied«, sagte die Frau, »bezwingt jedes lebende Herz auf dieser Erde, ob es nun das Herz eines Menschen oder eines Tieres oder eines Unterirdischen ist. Möchtest du das nicht haben?«

Aber der Knabe lächelte nachsichtig und erwiderte: »Ich bin nicht gekommen, um ein Spielzeug zu holen, sondern etwas, das mir Ruhm und Macht und Ehre zubringen soll.«

Da seufzte die Frau zum drittenmal, führte ihn in die große Halle zurück und war es zufrieden, daß er eines der edlen Pferde wählte, die vor den Fenstern weideten. »Wer auf diesem Pferde sitzt«, sagte sie, »hält den Sieg in der Hand, und wenn dich nach Siegesruhm verlangt, so wird es dir nicht fehlen.«

Und sie warf noch eine goldene Decke über den Rücken des Pferdes und hieß den Knaben dann heimwärts reiten. »Was dir zusteht, hast du bekommen«, sagte sie, »und mit dem Wünschen hat es nun ein Ende.«

Aber der Knabe winkte nur mit der Hand und ritt in den Wald hinein.

Als er an das Moor kam, erblickte er schon von weitem Vater und Bruder, und sie sahen ihm wie zwei Käfer aus, die im Schlamm wühlten. Da klopfte er dem Pferde auf den Hals, und wie ein Windstoß brausten sie durch Schilf und Ried, daß die Torfhügel hinter ihm zusammenstürzten.

Der Vater sah das Pferd ruhig an und sagte: »Das ist ein schönes Tier, und wenn es mehr kann als Torfhügel zerstören, die ich aufgesetzt habe, so wird es das Richtige für dich sein.«

Der Knabe aber lächelte nur hochmütig, zog die Zügel an und sagte: »In einem Jahr werden wir sehen, was es gekonnt hat.«

Und nachdem er seiner Mutter und dem zweiten Bruder alles erzählt hatte, nahm er Abschied und ritt in die Königsstadt, und als er nach einem Jahr wiederkehrte, um zu sehen, was sein Bruder aus dem goldenen Schloß mitbringen würde, war er der oberste Kriegsmann des Königs, trug eine goldene Rüstung und meinte, der Vater könne nun ruhig aufhören mit seinem schmutzigen Tagwerk, und er wolle ihm ein schönes Haus bauen lassen, wo ein Dutzend Diener seinen Befehlen zu folgen hätten.

Der Vater aber stützte sich auf seinen Spaten, denn er war eben vom Moor heimgekommen und sagte: »Wenn einer sein Leben lang Torf macht, damit die Armen es warm haben zur Winterszeit, so ist das in meinen Augen kein schmutziges Handwerk. Aber wenn einer sein Leben lang Menschen erschlägt, um groß und reich zu werden, so ruht kein Segen darauf, lieber Sohn, und es wäre dir besser, du schlügest Holz wie vor Zeiten und lebtest in einer ärmlichen Hütte mit einem Rohrdach.«

Die Mutter aber schalt ihn aus als einen dummen Toren, dem das Moorwasser ins Hirn gestiegen sei, und kochte und briet für den ältesten Sohn, als wäre er schon ein König, und wußte sich vor Stolz und Hoffart kaum zu lassen. Und der Gefeierte lächelte nur herablassend und prahlte den ganzen Abend von seinem Kriegsleben, so daß der zweite Bruder kaum den Morgen erwarten konnte, an dem er sein Taufgeschenk holen sollte.

Der Jüngste aber saß still in der Herdecke, und nur wenn der Vater ihm heimlich zunickte, wurde sein Herz froh, und er meinte, daß es ein schöner Tag sein würde, wenn die lauten Brüder wieder in die Welt gezogen wären und er mit dem Vater zu ihrer stillen Arbeit auf das Moor gehen könnte.

Am nächsten Morgen nun machte der zweite Sohn sich auf, um sein Taufgeschenk zu holen, und er lief so schnell über das Moor, daß die Kiebitze ihn verstört umflatterten und der Vater den Kopf schüttelte, als er ihm nachsah. »Auch er wird eine große Sache heimbringen«, sagte er, »und in ein paar Jahren wird die große Sache eine kleine Sache geworden sein, und er wird ein Tor werden wie sein Bruder und sich unserer schmutzigen Hände schämen.«

Der Knabe aber hatte Vater und Bruder längst vergessen, und als er in den dunklen Wald gekommen war, mußte er zuerst stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen. Und dann hielt er das rote Halsband vor sich hin, und da er es noch besser machen wollte als sein Bruder, verlangte er nicht nach dem Seinigen, sondern rief nur von Zeit zu Zeit: »Heraus mit meinem Schatz! Heraus mit meinem Schatz!«

Und der Schwarzspecht lachte noch höhnischer, und die Sonne stach noch heißer, und seine Lippen waren noch durstiger, als die seines Bruders es gewesen waren.

Aber endlich kam er doch an das goldene Schloß, und es erging ihm so, wie es seinem Bruder ergangen war. Nur daß er noch ein bißchen unfreundlicher zu dem Alten war und die Frau auf dem Thron noch flüchtiger grüßte, weil ihm nach nichts anderem verlangte, als in der Halle zu stehen und die Hand nach dem Schönsten auszustrecken. Und als die Frau ihn traurig ansah und endlich nach Vater und Bruder fragte, lachte er nur höhnisch und erwiderte, daß sie ihr Leben lang im Dreck ständen, und so sei es ihnen wohl auch bestimmt.

»Wir wollen sehen«, sagte die Frau nachdenklich, »wir wollen sehen.«

Und dann führte sie ihn in die Halle und zeigte ihm alles, und er griff ohne Besinnen nach der goldenen Lanze, die nie ihr Ziel verfehlte und immer in die Hand des Schleudernden zurückkehrte. »Wer dies hat, hat alles«, sagte er, »und Könige werden vor mir knien, um mich um meine Dienste zu bitten.«

Die Frau führte ihn noch in die Kammer mit Spielzeug und ließ den smaragdenen Vogel singen, aber er zuckte nur die Achseln, und so ließ sie ihn wieder heimwärts ziehen.

Als er auf dem Moor neben Vater und Bruder stand, ließ er die Lanze in seiner Hand schweben und schleuderte sie dann nach einem der Kiebitze, die über ihnen kreisten. Und der Vogel fiel tot zu Boden, und die Lanze kehrte gehorsam in seine Hand zurück.

Der jüngste Bruder hob den Vogel auf und strich traurig über die blutbeperlten Federn, der Vater aber sagte auf seine stille Art: »Ein Leben, an dessen Anfang der Tod steht, ist kein gutes Leben, mein Sohn.«

Der Knabe aber lächelte hochmütig und sagte: »In einem Jahr werden wir sehen, was ein gutes Leben ist.«

Die Mutter aber konnte sich gar nicht fassen vor Stolz über ihre beiden Söhne, trug ihnen auf, was Keller und Kammer bargen, und sagte: »Eßt und trinkt nur, bevor die beiden Schlammgräber kommen, denn sie brauchen nicht mehr als ihre Buchweizengrütze.«

Am nächsten Morgen aber machten sie sich auf in die Königsstadt, und das Gerücht von ihren großen Taten drang bis in die Einöde, so daß die Leute um das Moor sich verwunderten und mitleidig auf den jüngsten Bruder blickten, der immer noch mit seinem Vater Torf stach und es zu nichts weiter gebracht hatte.

Und als die Brüder nach einem Jahr zurückkehrten, trugen sie jeder eine goldene Rüstung und waren nicht mehr Diener des Königs, sondern Fürsten zweier kleiner Reiche, und sie erzählten, daß sie bald aufhören würden, kleine Reiche zu beherrschen, und daß alle Länder rings umher vor ihnen zitterten, denn niemand besäße ein solches Pferd und eine solche Lanze, und es gäbe keine Gewalt auf Erden, die diesen Besitztümern gleichkäme.

»Und meinet ihr nun, daß es gut ist«, fragte der Vater, »daß die Leute vor euch zittern? Meint ihr, daß es gut ist, wenn ein Hund vor uns zittert, den wir besitzen? Oder eine Kuh, die in unserem Stalle steht? Oder ein Kind, das an unserem Herde aufwächst?«

Da lachten die Brüder und meinten, daß die Welt draußen etwas anders aussehe als hier am Moor. Und vielleicht, setzten sie spöttisch hinzu, bringe der Jüngste morgen aus dem goldenen Schlosse etwas mit, daß die Leute nicht mehr zu zittern brauchten.

Die Mutter aber fragte den Jüngsten, ob er wirklich sein Taufgeschenk holen wolle? Oder ob es nicht besser sei, wenn seine Brüder statt seiner hingingen? Da er doch ungeschickt zu solchen Dingen sei und sein Leben lang nur im Moorwasser gestanden habe?

Aber der Jüngste erwiderte still, daß er die Frau auf dem Thron gern sehen möchte und daß auch sie vielleicht Verlangen trage, ihn zu sehen, da sie ja jedesmal nach ihm gefragt habe.

Da lächelten die Mutter und die beiden Brüder, und der älteste meinte, so solle es also sein, und wahrscheinlich werde die Frau es gar nicht erwarten können, den Bravsten von ihnen zu erblicken.

Am nächsten Morgen aber machte der Knabe sich so früh auf, daß die anderen noch schliefen. Nur der Vater begleitete ihn über das Moor, segnete ihn und sprach: »Sei nur guten Mutes, liebes Kind, und wähle, wonach dein Herz verlangt.«

Als der Knabe nun in den dunklen Wald kam, schauerte es ihn in der Stille und Einsamkeit, und er hielt das Halsband vor sich hin und sagte leise: »Führe mich zum Guten, auch wenn ich es nicht verdiene!«

Da kam der Schwarzspecht von dem Gipfel der alten Eiche heruntergeflogen und flog vor ihm her von Ast zu Ast, und sein roter Schopf leuchtete so herrlich wie das Halsband, und nach einer Weile saß der alte Mann auf einem Baumstumpf am Wege, grüßte ihn freundlich, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Schloß bis vor den Thron der fremden Frau.

Da kniete der Knabe nieder, nahm die Hand der guten Fee und sagte: »Gib mir nicht, was du meinen Brüdern gegeben hast, denn es ist ihnen nicht zum Segen geworden.«

Da lächelte die Frau zum erstenmal, sah ihn liebreich an und fragte nach seinem Vater. Und da erzählte der Knabe alles, was er von seinem Vater wußte, daß er gut und fleißig sei, aber daß die anderen ihn verlachten und daß er nun wohl wisse, was er sich erbitten möchte: einen Spaten für seinen Vater, der so leicht wäre, daß alle Arbeit ihm fröhlich von der Hand ginge und daß er sich nicht mehr so zu quälen brauchte.

Wieder lächelte die Frau, aber dann sagte sie, daß nur er ein Geschenk frei habe, und vielleicht werde er etwas finden, was ihnen beiden zum Segen werden könnte. Und damit nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in die große Halle.

Da stand der Knabe nun und blickte mit klopfendem Herzen auf alle die Schwerter, Lanzen, Rüstungen und Pferde, auf alles, was dem Kriege und was der Macht diente, auf Kronen und Zepter, auf Gold und Edelgestein.

»Wähle nun«, sagte die Frau.

Aber der Knabe schüttelte den Kopf.

Da führte sie ihn weiter, wo die Schätze des Friedens lagen, Weizen, der tausendfältige Frucht trug, Brot, das sich immer erneuerte, goldene Kräuter, die Speise und Gesundheit gaben, Salben, die schön und liebreich vor den Menschen machten. Aber obwohl er lange stehen blieb und hier und da die Hand ausstreckte, schüttelte er doch zuletzt den Kopf, bis er in die Kammer mit dem Spielzeug trat.

Da aber gingen ihm wohl die Augen über, als die Flöten und Harfen erklangen, die goldenen Rocken schnurrten und der diamantene Kreisel sich singend zu drehen begann. »Der Vater«, sagte er leise und ganz verzaubert, »wenn er so etwas hätte ,... für den Abend am Feuer ,...«

Aber als die Frau nun den kleinen Smaragdvogel in die Hand nahm und die Kurbel zu drehen begann, wollte der Knabe nicht mehr weitergehen. »Jedes lebendige Herz?« fragte er leise. »Ja«, sagte die Frau, »nichts Lebendiges gibt es, das ihm zu widerstehen vermöchte.«

Da streckte der Knabe zaghaft seine Hand aus und sagte: »Willst du mir also etwas schenken, so schenke mir dieses.«

Da küßte sie ihn, legte die Gabe in ein goldenes Netz, behielt ihn noch bis zum Abend bei sich, bewirtete ihn mit Speise und Trank und entließ ihn dann. »Keiner deiner Brüder«, sagte sie zum Abschied, »kann noch einmal den Weg zu mir finden. Du aber kannst jederzeit zu mir kommen, wenn dein Herz darnach verlangt. Denn mir ist, als hätte ich selbst dich geboren und du wärest mein eigenes Kind.«

Da ging der Knabe nun wie im Traum den Weg zurück. Die Abendwolken hingen schon rot über dem Moor, aber der Vater wartete immer noch auf ihn, und schon von ferne sah er seine gebeugte Gestalt, auf den schweren Spaten gestützt. Da nahm er leise den Vogel aus dem Netz und drehte an der goldenen Kurbel, und das ganze Moor schien widerzuklingen von der Süße der leisen Töne. Alle Vögel kreisten lautlos über ihm und lauschten, alle Eidechsen sammelten sich in seiner Spur, und selbst die Schilfhalme schienen sich melodisch zu wiegen, wenn er an ihnen vorüberkam.

Des Vaters Antlitz aber leuchtete, und er konnte nicht satt werden zu lauschen und mit den harten Fingern über das grüne Edelsteingefieder zu streicheln. »Das Paradies«, sagte er leise, »das ist das Paradies, und du hast es gebracht.«

Zu Hause aber gab es Spott und Gelächter, und die Mutter war zornig, daß der letzte Weg nun so vertan worden war. »Zwei meiner Söhne werden Könige sein«, sagte sie, »und der dritte wird wie ein Gaukler über die Märkte ziehen, damit die Kinder und Toren ihm folgen.«

Am nächsten Morgen zogen die beiden Brüder lachend fort und versprachen dem Jüngsten, ihn zu ihrem Hofnarren zu machen, sobald sie jeder ein großes Reich erworben hätten.

Da blieben sie nun wieder allein in ihrer Hütte. Der Vater ging am Morgen auf das Moor, die Mutter spann an ihren Träumen, und der Knabe saß beim Vater oder er ging über Land, überallhin, wo er von Krankheit oder Leid gehört hatte. Da saß er bei den Traurigen, und sobald er die goldene Kurbel zu drehen begann und der Vogel seine kleine Kehle öffnete, verschwanden Leid und Traurigkeit, und die Seufzer hörten auf, und die Tränen trockneten, und es war, als sei das Paradies wiedergekommen auf die arme Menschenerde. Da war der Knabe seines Geschenkes froh und wünschte sich nichts anderes, als sein Leben lang so bei den Traurigen zu sein und alle dunklen Augen hell zu machen.

Über ein Jahr aber geschah es plötzlich, daß die Mutter sehr krank wurde. Das Tuch, das sie vor dem Mund hielt, wurde rot, wenn sie hustete, und als der Sommer zu Ende ging, stand sie nicht mehr von ihrem Lager auf.

Da rief sie eines Abends ihren jüngsten Sohn zu sich und sagte: »Liebes Kind, du warst zwar wenig nütze in der Welt bis auf diesen Tag, aber eines könntest du nun wohl tun für mich. Jeden Abend, wenn der Kauz in der Ulme ruft, sehe ich den Tod am Gartenzaun stehen, und ich möchte doch noch solange leben, bis deine Brüder die Krone tragen. Nun weißt du, daß sie die Mächtigsten auf Erden sind, mit ihrem Pferd und der goldenen Lanze, und es könnte sein, daß sie auch mächtiger sind als der Tod. Mache dich also auf, so schnell du kannst, und rufe sie zu mir, damit sie mir das Leben wiedergeben.«

Der Knabe versprach es, aber bevor er aus der Kammer trat, sagte er leise: »Möchtest du es nicht vorher noch einmal mit meinem Smaragdvogel versuchen, liebe Mutter? Sie hat doch gesagt, daß er jedes lebendige Herz bezwingt?«

Aber die Mutter lächelte nachsichtig, als wäre er erst drei Jahre alt und sagte: »Immer warst du ein kleiner Narr, willst du dich nun mit deinen beiden Brüdern messen, die stark und gewaltig sind?«

Da schloß der Knabe leise die Kammertür, nahm Abschied von seinem Vater und lief Tag und Nacht, bis er den ältesten Bruder fand.

Der lächelte zwar ein bißchen spöttisch, wie es seine Art war, zeigte sich aber gleich bereit, nahm ihn vor sich auf sein Zauberpferd und ritt mit ihm zu dem zweiten Bruder. Der nahm seine goldene Lanze, stieg hinter ihnen auf das Pferd, und ehe der Knabe sich versah, waren sie wieder vor der Hütte am Moor.

»So«, sagte der Älteste, als sie in der Kammer standen, »nun wollen wir einmal sehen, was der Herr Tod zu unseren Taufgeschenken sagt. Fürchte dich nicht, liebe Mutter, und sobald du ihn am Fenster siehst, brauchst du nur zu rufen.«

Die Freude aber hatte der kranken Mutter nicht gut getan, und als das Käuzchen in der Ulme rief, schrie sie auf, denn sie sah das Antlitz des Todes im Kammerfenster, und seinen breiten Hut hatte er tief in die weiße Stirn gezogen. Da schrie sie laut auf, und der älteste Sohn kam in die Kammer gelaufen, hob die Mutter auf seine starken Arme und trug sie vor die Tür. Dort setzte er sie vor sich auf sein Zauberpferd, und mit einem einzigen langen Sprung waren sie über den Gartenzaun hinweg.

»Nun sieh zu, Meister Tod, wer von uns der schnellere ist!« rief der Knabe fröhlich.

Aber kaum hatte er es gesagt, da drehte der Tod sein Stundenglas um, und wie der Sand zu rinnen begann, stürzte das Pferd in die Knie, warf seine beiden Reiter ab, streckte sich und war tot.

Da trug der Sohn seine Mutter wieder auf das Lager zurück, fluchte der fremden Frau und stand ingrimmig neben seinem toten Taufgeschenk.

Und wieder schrie die Mutter auf, als das Käuzchen zum zweiten Male rief und der Tod in die Kammer blickte.

Da nahm der zweite Sohn seine goldene Lanze, trat vor die Tür und hob die Waffe gegen den Tod. »Nun sieh zu, Meister Tod«, rief er, »wer von uns der Stärkere ist!«

Und er schleuderte die niemals fehlende Lanze gegen den dunklen Gast und sah das schimmernde Eisen in die Brust des Todes fahren und sah es zersplittern in tausend Stücke und den Tod seinen Fuß darauf setzen.

Da fluchte er der fremden Frau und kehrte um und saß machtlos und gebrochen auf der Schwelle der Hütte.

Die Mutter aber schrie zum drittenmal auf, denn das Käuzchen rief, und der Tod hob seine weiße Hand an den Fensterriegel.

Da nahm der jüngste Sohn seinen Vogel aus Smaragd, ging aus der Hütte, bis er neben dem Tode stand, und begann die goldene Kurbel zu drehen. Und wie der Vogel die kleine Kehle öffnete und sein zartes Lied voller Süße und Wohllaut in die Nacht drang, ließ der Tod seine Hand sinken, stützte seine Stirn an die Sense und hörte zu.

Der Knabe drehte die Kurbel, bis seine Hand müde war, aber der Tod bat ihn weiterzuspielen, denn noch niemals hätte er so etwas Süßes gehört, seit der Mensch aus dem Paradiese gegangen sei.

Die Sterne zogen auf, der Tau fiel vom Monde, aber immer noch drehte der Knabe die Kurbel, und wenn er meinte, daß der Arm ihm erstorben sei und herabfallen würde, sagte der Tod: »Ja, nun muß ich wohl hineingehen zu deiner Mutter ,...«

Dann begann der Knabe von neuem, und der Tod stützte seine Stirn wieder an die Sense und hörte wieder zu. Und wenn der Vogel schwieg, atmete der Tod tief auf und sagte leise: »Ja, nun muß ich wohl hineingehen zu deiner Mutter ,...«

Und dann begann der Knabe von neuem.

So ging es bis zum Morgenrot und bis die Hähne krähten. Da sank der Knabe vor Erschöpfung in die Knie, aber der Tod strich ihm mit der kalten Hand über die Stirn und sagte: »Laß es nun gut sein, denn du hast mein Herz bezwungen, obwohl es kein lebendiges Herz ist. Die Liebe wiegt mehr als Schnelligkeit und Kraft, und so will ich das Glas nicht umwenden, dir zuliebe, weil dein Herz gesungen hat durch des Vogels Mund.«

Und er verhüllte sich und ging langsam davon, und wo er vorüberkam, verstummten die Vögel und die Blätter welkten an den noch grünen Bäumen.

Da wollten die beiden Brüder wieder mit Spott und Neid über den Jüngsten herfallen, aber der Vater hob die Hand, wies sie aus dem Hause und hieß sie wieder zu ihren Königreichen zurückkehren, wenn sie meinten, daß sie noch da wären.

Da machten sie sich denn auf, armselig und zu Fuß, aber bald kam es ans Tageslicht, daß sie ihre Zauberkraft verloren hatten, und da sie hart und stolz zu ihren Untertanen gewesen waren, so wurden sie in Schanden vertrieben und standen zu Beginn des Winters wieder vor der Tür der Hütte, und der älteste wurde wieder ein Holzknecht und der zweite ein Fischer, aber der Vater nahm sie nicht mehr auf, und sie mußten sich selbst ihre Hütten bauen, und das taten sie weit von allen Menschen fort, denn sie konnten nicht vertragen, daß man sie spöttisch nach ihren Kronen fragte.

Der Jüngste aber blieb daheim, fuhr fort, zu den Kranken und Elenden zu gehen und bei seinem Vater auf dem Moor zu sitzen, und wenn der kalte Regen auf sie niederfiel bei der schweren Arbeit, drehte der Knabe die goldene Kurbel, und alles war ihnen dann so leicht wie ein Spiel.

Dann strich der Vater mit seiner schwieligen Hand über das Gefieder aus grünem Edelgestein und sagte: »Es wird wohl doch ein Engel sein, der dort verborgen sitzt und singt, und ich denke, daß es der Engel des reinen Herzens ist.«

* * *


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