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Das erfrorene Glück

Eine alte Frau hatte eine Tochter, die war schön und lieblich anzusehen, aber ein wenig hoffärtigen Herzens, weil sie ihre Schönheit kannte und der Meinung war, ein Prinz würde wohl gerade genug für sie sein. Die Mutter ermahnte sie oft zur Demut und lehrte sie, daß Schönheit vergehe, nicht nur mit dem Alter, sondern manchmal auch zwischen Morgen und Abend, wenn Unglück oder Krankheit über einen Menschen falle. Aber daß ein freundliches Herz immer Bestand habe und der Welt auf die Dauer wohlgefälliger sei als nur ein liebliches Gesicht.

Die Tochter aber schlug es lachend in den Wind, stand vor ihrem Spiegel, schmückte sich und sang und saß müßig auf der Bank vor der Hütte, um zu sehen, ob am Waldrand nicht der Königssohn erscheine, auf den sie wartete.

So ging es eine lange Zeit, bis die Mutter plötzlich zum Sterben kam. Sie rief die Tochter an ihr Lager, und nachdem sie sie getröstet und noch einmal ermahnt hatte, der Eitelkeit zu entsagen, reichte sie ihr einen Blumentopf, darin blühte aus kleinen grünen Blättern eine einzige scharlachrote Blüte, die war herrlich anzusehen und duftete so süß, daß die ganze Kammer davon erfüllt war.

»Sieh dir dies nun recht an, liebes Kind«, sagte die Mutter. »Das habe ich zu einer Zeit bekommen, als die Feen noch über die Erde gingen und ab und zu in eine arme Hütte traten, um die Menschen zu erfreuen. Dies ist dein Glück, und du mußt es in den Garten pflanzen, wo Sonne und Regen heran können. Und wenn du es recht pflegst, mit Sorgfalt und Bedacht und einem reinen Herzen, dann wird dein Glück blühen wie diese Blume. Wenn sie aber einmal verdorrt, so wird es auch mit deinem Glück zu Ende sein, und nichts wird dir bleiben als bittere Tränen.«

Da weinte die Tochter ein bißchen, aber ihre Augen hingen doch unaufhörlich an der herrlichen Blüte, und sie dachte, daß sie diese Gabe wohl pflegen und hüten würde wie einen Edelstein, damit ihr Glück so leuchten möchte wie dieser Wunderkelch.

Die Mutter las ihr alle Gedanken vom Gesicht, aber es war nun nicht Zeit mehr zu gutem Rat. So wendete sie sich still zur Wand, sprach ein Gebet für ihre Tochter und ihre eigene arme Seele, streckte sich leise aus und starb.

Die Tochter begrub sie, wie es sich gehörte, aber noch bevor sie den Hügel aufgeschüttet hatte, pflanzte sie die Blume aus dem Topf in die dunkle Gartenerde, band sie an einen Stab, begoß sie und wurde nicht müde, tags und nachts davor zu knien und ihr Glück anzuschauen.

Nun gab es um diese Zeit, als der längste Tag und die kürzeste Nacht gekommen waren, wie alljährlich ein ländliches Fest, an dem Reiche und Arme teilnahmen, zu dem man junge Birken aus dem Walde holte und bei dem man unter den Sternen im Reigen ging und über das Sonnwendfeuer sprang.

Zu diesem Fest nun war ein Fremder gekommen, der auf der Reise war, ein schöner Jüngling, edel in Haltung, Rede und Gewand, und das Gerücht ging von ihm, daß er ein Grafensohn sei, von seinen Eltern ausgeschickt, um sich unter den Töchtern des Landes umzuschauen. Der fand Wohlgefallen an der schönen Tochter, und wenn er sich auch nicht einfallen ließ, sie heimzuführen auf sein elterliches Schloß, so meinte er doch, daß die Sommernacht ihm kurzweiliger sein würde, wenn er ein verliebtes Spiel mit ihr triebe, und daß die Blumen am Wegesrand wüchsen, um gepflückt zu werden. Und da sie ihm nicht unwillig entgegenkam, so vergingen die Stunden ihnen mit Scherz und Getändel, und als der frühe Morgen dämmerte, ließ sie sich nach einigem Sträuben von ihm küssen, verwehrte ihm aber alle anderen Wünsche und sah sich schon mit einer Grafenkrone in dem fernen Schloß. Und wenn es auch keine Königskrone war, so war die doch besser als das bunte Tuch, das sie gegen die Sommersonne über ihr Haar zu legen pflegte.

Aber als die Sonne nun aufging und die Tanzenden sich müde zerstreuten, ließ auch der Grafensohn sein Pferd kommen, schwang sich in den Sattel, winkte ihr freundlich mit dem Handschuh und ritt über die Heide dahin, als sei alles nur ein kindlicher Traum gewesen, der mit dem Morgennebel verfliegen müsse.

Da nahm die Tochter den verwelkten Kranz aus ihrem Haar, weinte ein bißchen, tröstete sich aber bald, daß ein Prinz doch besser sei als ein Grafensohn, und ging ganz munter und ohne viel Bedauern ihrer Hütte zu. Unterwegs aber fiel ihr plötzlich ein, daß sie ihre Blüte für viele, viele Stunden vergessen hatte, ein großer Schrecken erfüllte ihr Herz, und sie lief, so schnell sie konnte, um zu ihrem kleinen Garten zu kommen.

Da sank sie nun in die Knie und starrte mit tränenlosen Augen auf ihr verdorbenes Glück. Die rote Wunderblüte hing schlaff herunter, und die kleinen grünen Blätter waren schwarz und aufgerollt, als hätte ein Nachtfrost sie zerstört. Kein Duft erhob sich mehr aus dem verwelkten Kelch als der nach Friedhof und Verwesung, und so sehr sie mit ihrem jungen Atem die Blüte zu erwärmen versuchte, sie blieb welk und tot und würde so bleiben für alle Zeit.

Da erinnerte die Tochter sich aller Worte ihrer Mutter, weinte nun bitterlich und rang die Hände, aber nicht Reue noch Gebete halfen, und sie saß bis zum Abend in ihrer Kammer, verhüllte ihr Gesicht und wünschte sich den Tod.

In der Nacht aber träumte ihr ein seltsamer Traum. Ihre tote Mutter ging vor ihr her, eine lange, lange Straße entlang, und rechts und links der Straße standen viele kleine ärmliche Hütten. Die Mutter war in ein schwarzes Umschlagtuch gehüllt, das reichte ihr bis an die Fersen, und an ihre Brust hielt sie etwas gedrückt, das die Tochter nicht erkennen konnte. Doch ahnte ihr, daß es der Topf mit der verwelkten Blume war. Die Mutter ging langsam und gebückt, und sie war wohl sehr müde. Aber immer wenn sie an eine der Hütten kam, ging sie bis zur Schwelle, klopfte leise an die Tür und wartete. Und wenn die Tür sich dann öffnete, nahm sie vorn ihr Tuch auseinander und zeigte, was sie verborgen gehalten hatte. Dann schüttelten alle, die in die Türen getreten waren, bekümmert den Kopf, und die Mutter ging wieder weiter, zur nächsten Tür. Niemand sprach ein Wort, alles war so lautlos wie in einem Totenreich, und auch das Licht, das aus den Wolken fiel, war gedämpft und ohne Glanz wie Licht in einem tiefen Keller.

Die Tochter stand und sah ihrer Mutter nach, die wurde immer kleiner und kleiner, und auch die Hütten wurden kleiner, und das Licht wurde immer matter, bis alles in der Ferne in einer dunklen Dämmerung sich auflöste und verging.

Da erwachte die Tochter mit klopfendem Herzen. Eine Weile blieb sie noch still liegen und bedachte den Traum. Dann packte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, band ein Tuch um ihr schönes Haar, nahm den Topf mit der verwelkten Blume an ihre Brust, schloß ihre Hütte zu und machte sich auf den Weg. Und sie wußte, daß er so lang sein würde wie der, den sie im Traum gesehen hatte.

So wanderte sie hügelauf und hügelab, und wo sie eine Hütte oder ein Schloß rechts oder links des Weges sah, ging sie hin, klopfte bescheiden an die Tür und fragte, ob man ihr verdorbenes Glück wieder zum Blühen bringen könne. Aber die Menschen schüttelten bekümmert den Kopf, luden sie mitleidig zu einem Mittagessen oder zu einem Nachtlager ein und sahen ihr lange nach, wie sie wieder von dannen ging, in ein großes Tuch gehüllt und die Hände vor ihrer Brust um den Blumentopf gefaltet.

So kam sie einmal in einen großen Wald und fand auf einer Lichtung eine alte Hütte, vor der saß eine Frau mit weißen Haaren und spann. Da trat sie bescheiden näher, bat, sich etwas auf die Bank setzen zu dürfen, da sie so müde sei, sah der Frau zu und trug dann ihre Bitte vor.

Die Frau sah sie von der Seite an, spann aber noch eine Weile weiter und sagte dann: »Liebe Tochter, helfen kann ich dir nicht, außer mit einem guten Rat. Uns Frauen ist zweierlei bestimmt auf dieser Erde: ein bißchen Glück und viele Tränen. Denn auch der beste Mann denkt zumeist an sich, und auch das beste Kind kann seine Mutter über einem Spielzeug vergessen. Könntest du nun dich dahin bringen, daß du dein Glück vergißt und nur an das Glück eines anderen denkst, so könnte es sein, daß diese Blüte wieder zu knospen beginnt. Denn du weißt sehr wohl, daß du bisher dein Leben lang an nichts als an dein eigenes Glück gedacht hast ,...«

»Liebe Muhme«, erwiderte die Tochter, »was ist das doch für ein seltsamer Rat! Ist es nicht dasselbe, als wenn ich beim Gehen nicht an meine schmerzenden Füße, sondern an die Füße eines anderen denken sollte?«

»Ja, genau das ist es, liebe Tochter«, sagte die alte Frau, »und dies und nichts anderes ist nämlich das Glück.«

Da lächelte die Tochter, und es klang ein bißchen wie Spott, als sie antwortete: »So will ich nach fünfzig Jahren wiederkommen, Frau Muhme, und dann bin ich vielleicht so alt, daß ich an die Füße eines anderen denken kann statt an meine eigenen.«

»Vielleicht«, sagte die Frau. »Vielleicht aber wird es auch noch zu früh sein. Die Menschen lernen langsam, und meistens haben sie noch nicht ausgelernt, wenn der Tod sie holen kommt.«

Da stand die Tochter unmutig auf und sagte schon im Fortgehen: »Und an wessen Füße sollte ich zum Beispiel denken?«

Da ließ die Frau die Hände mit dem Faden sinken, blickte traurig in die Ferne und sagte dann leise: »An die Füße deiner Mutter könntest du wohl ein wenig denken, liebes Kind.«

In dieser Nacht konnte die Tochter nicht einschlafen, so müde sie auch war. Sie mußte immerzu an die Worte der alten Frau denken, aber sie verstand nicht, wie man jemals aufhören konnte, an sein eigenes Glück zu denken, um dessentwillen sie doch nun schon Monat um Monat durch die Welt wanderte.

Und als sie endlich eingeschlafen war, träumte ihr wieder ein seltsamer Traum. Es war alles so wie beim vorigen Mal, die lange, lange Straße und die kleinen, ärmlichen Hütten, das große Schweigen und das gedämpfte Licht wie in einem tiefen Keller. Auch die Mutter war wieder da, ganz gebeugt und alt, aber sie klopfte nicht mehr an die Türen, sondern saß still auf einem Stein an der Straße. Sie hatte die Schuhe ausgezogen, und von ihren wunden Füßen tropfte das Blut. Aber es tropfte nicht in den Staub des Weges, sondern in einen kleinen Blumentopf, den sie vor sich hingestellt hatte, und die Träumende erkannte im Traum, daß es derselbe Topf war, den sie selbst an ihrem Herzen hielt. Und sie sah, daß statt der verwelkten Blüte eine kleine rote Knospe sich aus der Blumenerde hob, aber sie konnte nicht erkennen, ob die Knospe nur rot aussah, weil das Blut auf sie herniedertropfte, oder ob es der Anfang einer neuen Blüte war.

Da weinte sie im Traum bitterlich, und als sie erwachte, war das Tuch ganz feucht, auf dem ihre Wange geruht hatte.

Sie klopfte nun noch stiller als sonst an die Türen, und die Menschen sahen ihr noch länger nach, wenn sie müde und mutlos sich wieder abwendete. Aber niemand wußte, wie die verwelkte Blume wieder zum Blühen gebracht werden könnte.

So ging sie wieder Monat für Monat hügelauf und hügelab, und wenn sie nachrechnete, waren schon drei Jahre vergangen, seit sie sich aufgemacht hatte. Da wollte sie manchmal verzagen, und manchmal hielt sie den kümmerlichen Topf in der erhobenen Hand, um ihn in einen Brunnen oder in einen Strom zu werfen und des Leidens ledig zu sein. Aber dann erinnerte sie sich ihrer Träume und sah die Mutter wandern oder auf dem Stein sitzen, und dann seufzte sie tief auf und machte sich von neuem auf den Weg.

So kam sie einmal um die Abendzeit an einem Friedhof vorbei, der war von einer niedrigen Mauer umgeben, und die Fliederbüsche blühten über den eingesunkenen Gräbern. Da setzte sie sich auf die Mauer, hörte den Nachtigallen zu und dachte, daß es schön sein müsse, so still zu liegen, die müden Glieder auszustrecken und weder von Lust noch von Leid mehr zu wissen.

Und als sie so saß, kam eine Frau über die Heide gegangen, die hatte ein schwarzes Tuch als Zeichen der Trauer umgeschlagen, und ihr Gesicht war ganz versteint vor Schmerz. Sie kam langsam zwischen den Gräbern heran und blieb zwischen drei frischen Hügeln stehen, die Hände gefaltet, und die Hügel lagen gerade unter der Mauer, wo die Tochter saß.

»Weshalb bist du so traurig?« fragte diese nach einer Weile.

Die Frau erschrak nicht, sie blickte nicht einmal auf und sagte nur: »Hier liegen meine drei Söhne, und sie waren das einzige Glück, das ich besaß. Der König hat sie genommen, und sie fielen alle drei in derselben Stunde auf dem Schlachtfeld.«

»So passen wir gut zusammen«, sagte die Tochter, »denn auch mein Glück ist mir erfroren.« Und sie erzählte der Frau ihre Geschichte.

Da trat die Frau dicht an die Mauer heran und legte ihre Hand leise um die erfrorene Blüte. »Aber weißt du auch den Unterschied?« fragte sie. »Dir ist erfroren, was noch nicht da war, denn dein Glück lag noch in der Ferne. Mir aber ist dahingegangen, was ich besaß und wovon mein Herz sich nährte. Und was ich besaß, war Blut von meinem Blut und Leben von meinem Leben. Möchtest du mir wohl diese Blume schenken, damit ich sie mit meinen Tränen wieder zum Leben erwecke und ein klein bißchen Glück habe?«

Da war die Tochter einen Augenblick bestürzt, aber dann legte sie beide Hände schützend um den kleinen Topf und sagte: »Das kann wohl nicht sein, daß ich mein Glück um einer Fremden willen abgebe, nachdem ich drei Jahre gewandert bin, und dann glücklos bleibe für den langen Rest meines Lebens.«

Da sah die Frau sie traurig an und sagte nur: »Ach du armes Kind, was weißt du wohl vom Glück?«

Und dann strich sie mit ihrer Hand einmal über jedes der Gräber und ging still davon.

Die Tochter aber blieb noch lange sitzen und hörte den Nachtigallen zu, aber sie hatte nun keine rechte Freude mehr daran, denn sie mußte immerzu an die Frau denken, wie sie nun in ihre verlassene Hütte trat, und das Feuer im Herde war erloschen, und die drei Betten standen leer und kalt an der dunklen Wand.

In dieser Nacht aber träumte sie zum drittenmal einen seltsamen Traum. Es war alles so wie beim vorigen Male, nur die Straße war noch länger geworden, und die kleinen Hütten noch ärmlicher, und das Schweigen noch tiefer, und das Licht noch fahler und trauriger. Auch die Mutter war wieder da, ganz alt und klein, mit weißen Haaren, aber sie klopfte nun nicht mehr an die Hütten, und sie saß auch nicht auf einem Stein an der Straße. Sondern sie lag zusammengesunken im Staube, und ihr Kleid war über der Brust geöffnet, und eine große, herrlich gefärbte Schlange lag neben ihr und tränkte sich von ihrem Blut. Sie trug eine schimmernde Krone auf dem flachen Haupt, und mit jedem Blutstropfen, den sie aus dem Herzen der Mutter trank, wurde sie größer und strahlender und hochmütiger, und mit jedem Blutstropfen, den die Mutter verlor, wurde diese blasser und kleiner und sterbensmatter. Und um dieses schreckliche Bild herum standen schweigend viele Kinder, Mädchen und Knaben, und viele Frauen, die waren alle ärmlich gekleidet und krank und elend und hatten alle eine kleine Schale in den Händen und sahen zu, wie die Schlange das Blut trank und wie nichts in ihre leere Schale fiel.

Ganz ferne aber, wo die dunklen Wolken an die dunkle Erde stießen, sah die Träumende etwas, das war aufgerichtet wie ein großes Kreuz, und daran hing etwas, das sah aus wie ein Mensch, und aus seinem weißen Gesicht fiel Träne auf Träne an seinen Wangen herab und auf die Erde.

Da schrie die Träumende auf im Traum und erwachte und sah, daß der Regen auf die Blätter tropfte und daß das wahrscheinlich die Tränen waren, von denen sie geträumt hatte. Aber sie blieb liegen, wie sie war, und ließ den Regen auf ihre Kleider fallen und in den Blumentopf mit der verwelkten Blüte und sah nur immer ihre alte Mutter im Staube liegen, und das Herz war ihr mit einem Male so, als müßte es ihr in der Brust zerspringen.

Und dann sprang sie auf, ohne sich viel zu besinnen, schüttelte den Regen aus ihrem Haar und ihren Kleidern, nahm die Blume an ihre Brust und lief, so schnell sie konnte, dorthin, wo die Frau vom Friedhof im Walde verschwunden war. Und nachdem sie lange umhergeirrt war und die Tropfen von den Büschen sie ganz und gar durchnäßt hatten, sah sie eine Hütte im Walde liegen, die sah so aus wie die Hütten in ihrem Traum. Da öffnete sie, ohne anzuklopfen, die Tür und trat über die Schwelle.

Drinnen war es noch dämmrig, und das Licht war ebenso fahl und gedämpft wie in ihren Träumen. Und an der Wand neben dem Herde hing dasselbe, was sie an dem Rande der Wolken gesehen hatte, und auch ein Menschenbild hing daran, und sie fürchtete sich, hinzusehen, um nicht die Tränen zu erblicken, die vielleicht von dem weißen Gesicht herabfallen könnten.

Die Frau aber lag vor dem kalten Herd, so wie die Mutter im Staube gelegen hatte, und sie hatte auf dem Lehmfußboden allerlei Spielzeug ausgebreitet, abgegriffen und alt. Einen kleinen Esel aus Holz und ein paar Ochsen, klein und ungeschickt gemacht, und einen Stern, der war mit Goldpapier beklebt, aber das Papier war nun schwärzlich geworden und hing an den Ecken traurig herab.

Diese Dinge rückte die Frau mit ihren Händen hin und her und streichelte sie, und die Tränen fielen von ihren Wangen schwer und einzeln auf die Erde und mischten sich mit der Torfasche, die vor dem Feuerloch lag.

Zuerst stand die Tochter da und sah ihr eine Weile zu, und das Herz wurde ihr groß und weit von Mitleid. Aber dann kniete sie neben ihr nieder, schob ihr den kleinen Blumentopf zwischen die spielenden Hände und sagte: »Nimm das nun, damit du wieder ein bißchen Glück hast!«

Da hielt die Frau mit ihrem Spiel inne, sah die Tochter an und dann die verwelkte Blüte und legte sie dann an ihre Brust. Und als ihre Tränen auf die dunkle Gartenerde fielen, ja, da rollten sich die erfrorenen Blätter auf und wurden grün und voller Leben. Und die erfrorene Blüte fiel ab, und statt ihrer hoben sich zwei Knospen aus den Blattwinkeln auf, die wurden größer und größer und entfalteten sich, und ehe die Tochter wieder Atem schöpfen konnte, leuchteten zwei scharlachrote, herrliche Blüten unter den Händen der Frau, und ein süßer Duft erfüllte die Kammer, der war süßer als ein ganzes Lilienfeld.

Da zog die Frau das Mädchen in ihre Arme, küßte es und sagte: »Liebe Tochter, weißt du nun, was das Glück ist?«

Und das Mädchen hielt ganz still, blickte auf die beiden Blüten nieder und fragte: »Glaubst du, daß ihre Füße nun nicht mehr bluten?«

Und die Frau streichelte ihr regenfeuchtes Haar und sagte: »Alle Füße hören auf zu bluten, wenn unsere bluten. Und alle Tränen hören auf zu fließen, wenn unsere fließen. Und das, liebe Tochter, ist das Glück. Gehe nun heim, und auf deiner Schwelle wird es sitzen und dich erwarten.«

Da tat die Tochter, wie die Frau ihr befohlen hatte.

* * *


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