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Vor Menschen und Tieren verborgen, lebte Nahar die Tage der tragenden Mutter. Nach den sechs Bergen der sprießenden Nahrung strömte ihr Blut, als sie gebückt dalag, den langen Hals hingebeugt über den feuchten Schoß. In dunkler Verträumung wogte sie warm. Sonne und Hitze, Kalte und Mond, Regen und die dürre Glut wehten hoch über sie hin. Nichts berührte sie. Wie ein Dach hielt sie sich gebreitet über ihr Herz. Ihr Mund, der blutdürstige, mit scharfen Zähnen reißend bewehrte, war geschlossen, ein Siegel, gesiegelt über der Schrift.
Sie wuchs in der Höhlung ihrer eng aneinandergeschmeichelten Pranken. Der Frieden der ersten Tage ruhte über dem ruhenden Tier.
Wenn der Hunger sie sehr plagte, erhob sie sich langsam, wiegte sich, schwer schreitend, in den Hüften, suchte sich Beute und schlug sie, brachte sie sich selbst zurück in die einsame Höhle, legte das tote Wild auf die Steine vor sich hin, bereitete sich selbst das Mahl.
Kümmerlich war sie genährt. Vom Manne verlassen, von der fünfzackigen Pranke nur mit der letzten Mühe herabgetragen den langen einsamen Weg zum Jagdplatz, aber von sich selbst umschmeichelt, lebte sie. Sie war glücklich, sich zu decken im eigenen Schatten. Süß schlief sie ihren tierseligen Schlaf, denn sie war gelagert auf ihre immer höher quellende Hüfte.
Der Duft ihrer Milch machte sie schlummern, das Rauschen ihres Herzens gab ihr den Frieden.
Immer mühseliger wurde ihr der Jagdgang. Hunger nagte an ihr. Sie fand keine Nahrung durch drei Tage und Nächte.
Am Morgen des vierten wurde ein Kalb blökend vorbeigezerrt an ihrem heimlichen Lager. Leise erhob sie sich und folgte ihm. Es sperrte sich zwischen zwei Menschen mit seinen mageren trotzig auseinandergespreizten Beinen, streckte den dreieckigen Kopf ängstlich empor, riß an dem Halfter. Nahar folgte Schritt für Schritt, aber der Weg war ohne Ende. Weit in eine fremde Gegend, in dicht bevölkerte Triften zog sie die Hoffnung auf Beute. Sie wanderte den ganzen Tag bis zur Nacht. Nachts fand sie das Tier, mit einem Strick an einen Pfahl gebunden, einsam kreiste es auf der kahlen Heide, jammernd klang sein Laut in der Dunkelheit. Eine Stunde lang lauerte Nahar, wartete auf völlige Stille, aber immer noch flüsterte es tückisch aus den Gebüschen, es blinkte metallisch aus den stachligen Gräsern. In ihr wühlte der Hunger. Von Bösem war sie umgeben. Aber es hielt sie nicht mehr. Mit einem Satze sprang sie dem Kalb auf den schwachen knochigen Rücken, sie, die hochtragende Tigerin, zerknickte mit ihrer Last den Kiel des kindlichen Rückgrates. Aber noch hatte sie keinen Tropfen Blut in ihren ausgebürsteten Lippen, als sich ringsum ungeheures Getöse erhob. Ihr Herz stand still. Die Jagd begann.
Tageshelle. Fackeln. Hohe Türme, auf den breiten Nacken von Elefanten gebaut, schwankten heran. Unzählige Elefanten, graue, undurchschreitbare Gebirge, donnerten näher um sie, im grauen Kreise geschlossen, blendend im hinabgegossenen Licht der Fackeln.
Hinter den Riesentieren Musik. Trommler, dumpf dröhnend am Boden hin, Hörner im Trompetenton, ungeheure Glocken erbebten unter der Erde. Längst war Nahar auf der Flucht. Aber wie sie auch raste, in schiefen Sätzen fliegend dahinrauschte über die Ebene, einmal mußte sie stillhalten, zuletzt war ihre Kehle atemlos. Von den schweren Brüsten, von dem fruchtbaren Mutterleib war Nahar an den Boden gekettet. Sie wandte sich um, sie stand, als stünde sie schon in der Rettung. Aber als hätte sie still geruht, statt dahinzurasen, als hätte sie sich nur auf der Erde gewälzt, statt zu fliehen, so furchtbar nahe wogten immer noch hinter ihr die donnernden Türme der Elefanten, es schlugen ihre Rüssel sausenden Wind. In krachendem Sturmlauf hetzten sie hinter ihr her, damit sie weiter renne, die todermüdete, den letzten Atem, die letzte Kraft auf der feigen Flucht zu verspritzen. Ohne Unterlaß schlug die Musik. Nahar schwieg. Es knallten die Peitschen. Sie keuchte. Im Kupferklang dröhnten die Pauken.
Ohne Rast, ohne Richtung, ohne Herz, ohne Atem irrte sie nachts im taghellen Licht durch die weglosen Triften. In Gebüsche zwängte sie ihr großes Haupt. Unter die stachligen Zweige preßte sie flach ihren ungeheuren Mutterleib.
Aber sie starrte in namenlosem Entsetzen, sie hob sich krachend auf durch das dichteste Stachelgebüsch, denn die rettende Finsternis rettete sie nicht mehr. Niedrig über den Rohrwald sausten große Feuerraketen, krachend im Fluge, über ihren goldig aufgleißenden Kopf. Feuerstrahlen in Gezisch und Gebrause brachen aus wie Blitz aus grünem Düstergewölk, in Millionen Funken zerstäubend, immer von neuem geboren, feurige Drachen entflohen einem finsteren Kerker, um mit breiten Flügeln grauenhaft die Luft zu durchfurchen, Nahar zu suchen. Nahar konnte nicht ruhen, sie konnte nicht bleiben, sie faßte sich zur letzten Flucht. Von der Marschmusik wurden ihre schwachen Glieder aufgeschnellt, im Takt mit dem furchtbaren Takt setzte sie auf und dahin, sie, ein fliehendes, ruhelos gejagtes Wild. Ruhegierig schwoll ihr Herz, der schwere lastende Leib. Außen von Dornen zerstochen, ohne Erbarmen über Bäume und Steine mußte sie sich schleudern, und innen war ihr Leib durchblutet von den Kindern, ihre Seele gesegnet in Hoffnung.
In Verfluchung, in Feuer und Flamme, vor ihr und hinter ihr, raste die Jagd.
Elefanten donnerten, unentrinnbar, graue Berge. Schüsse knallten in die sternbesäte Nachtluft. Es regnete Donnergetöse auf von der bebenden Erde.
Es funkelte Angstglanz in den Augen der Tiere, die neben Nahar dahineilten in weißem Schrecken, in stummer Betäubung schossen sie bergaufwärts, keuchten, um in die letzte Rettung sich zu retten. An ihrer Spitze Nahar, sie hob den Kopf, atmete tief in schief springendem Flug, fliehend in die letzte Zuflucht. Aber wohin sie auch schlich, wie nahe dem feuchten Boden sie sich schmiegte, durch bebende Schmerzen gehemmt, schleppte sie nur träge ihre hohen Brüste über den Pfad, sie trug kaum mehr die Last der Berge der sprießenden Nahrung. Neben ihr schlüpften die Tiere vorbei, sie blieb zurück.
Überallhin weinte das unselige Tier seine mondweißen Tränen aus seinem Herzen. Hyänen setzten mit ihrem buschigen Leib hoch über sie hinweg. Mit wischenden Schwänzen rannten die Füchse vorbei. Der Wildbüffel, schwarz in der schwarzen Dunkelheit, breit, goldüberströmt im prasselnden Raketenlicht, jagte in dröhnendem Galopp, unwiderstehlich stampfte er weit vorne am Anfang des Auges, kaum mehr sichtbar in Nahars müde lechzenden Augen. Die Pfauenhähne flatterten in der Luft, und ihre ausgebreiteten Fächer streiften eiligst vorbei an Nahars Rachen, an dem müde auskeuchenden Schlund. Selbst die kleinen Ratten, graue fette Rücken, winzig am Boden, trippelten schneller als sie, im Eidechsenglanz zuckten sie durch das Gewirr, Nahar blieb allein zurück. Ihr Herz wurde übergroß vor Angst. Jetzt ging sie nur in hinkendem Schritt, als letzte der Herde.
Von den Menschen gejagt, von den Tieren verlassen, starr erhoben das riesige Tierhaupt, so stand sie still.
In der Ferne sprühten die feurigen Gewitter.
Hier spiegelte sich der Himmel unendlicher Sterne glitzernd in den breiten gefächerten Blättern. Von Nacht war das Geriesel der Quellen getränkt.
Schon streckte sich ihr Leib, ausgegossen in Müdigkeit. Schon schloß sich das Gezweig um ihr angsttriefendes Haupt, nur noch einen Schritt wollte sie weiter in den Wald, um weicher ihren armen Leib zu lagern und ihre ungeborene Brut. Aber die Welt war zu Ende. Der Wald war versperrt, die Bäume tückisch mit Stricken und Netzen umsponnen, immer näher blitzte das Gewitter heran, lichter erhoben sich die eisig grauen Riesenrücken der Elefanten. Im Wirbelwind rasten die Rüssel, heller paukte die Musik, Nahar aber war in Dunkel verfangen, die Stricke streichelten tückisch ihre schlagenden Lider, die Netze bogen sich unter ihren letzten wütenden Sprüngen, es stockte ihr Herz, ihr Atem verrann. Langhin verseufzte die Stimme des Tieres in Verzweiflung.
Sie gab sich hin, sie wehrte sich nicht mehr. Sie löste die scharfen Kiefer ab vom Gefängnis. Sie breitete den Mund noch einmal über ihren Schoß, ein letztes Dach über die ungeborene Brut.
Mit großen runden Augen empfing sie das wie Sonnen aufrauschende Licht der ungeheuren Jagd.
Ihr Rücken lehnte in weichem Netz. Ihr weitschlotterndes Fell, grau von Krankheit und Kummer, war von den Stricken wie von einem Kleide bedeckt.
Alle anderen Tiere waren zwischen den Bäumen verronnen. Die Tiere waren gerettet. Sie lag allein.
Die Raketen krachten ohne Unterlaß. Jetzt waren sie über ihr. Niedrig flatterten sie über den Wald, langsam sausende Drachen, Feuer und Flammen in den breiten Flügeln.