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Erster Teil

Erstes Kapitel

Gefangen in der Raserei der letzten Stunde, endete Olga, der tierverwandelte Mensch: Nahar erstand, das menschverwandelte Tier. Wiedergeboren, verjüngt, gerettet an den Anfang der Welt: aufgenommen von Gottes Hand aus der Verzweiflung, ausgehoben aus dem mit Wolken der Verwesung drohenden Schacht in neues Leben. Mit zarten Fingern wurde sie eingekleidet in einen neuen Tag.

Olga, die auf der Flucht erschossene, leidenverwüstete, tobende, mordende Dirne wurde verwandelt in die nackte, goldflaumige Gestalt eines eben geworfenen Tigers auf tropischer Insel.

Olga erstand neu, geschöpft aus dem zahllosen Myriadenschoß lebendig beseelter Kreaturen. Ein Mensch kehrte zurück, im wandelnden Kreise der ewigen Wanderung eine gute Wiederkehr.

Olga, zertreten am Boden des Kerkers, in der Nässe der Tränen wie eine Kröte, im sumpfigen Unrat ein armes elendes Herz, sterbend fiel sie in Traum: das Daheim, das niedrige, das immer geliebte, das nievergessene Haus, rot im Baldachin der Laterne, gezeichnet mit heiliger Zahl.

Der Korridor, der langwierige Gang, eng ummauert zog er sich hin, mit kalten Steinen war er gepflastert, von bitter erkalteten Männern durchwandert. Wie Zigaretten waren alle zertreten, erloschen.

Verschollen war der geliebte Mann, in den Winkeln verstreut das aufgeraffte Geld. Wie heimlicher Unrat war alles verscharrt, zurückgeglitten in den sterbenden Tag.

Ferne war die Stadt, hochragend in heiligem Blau die mächtige Kirche.

Von gutem Gebet in der Stunde des Scheidens erhoben.

Niedergedrückt von böser Litanei.

Alles erschütterte die brausend schwingende Glocke.

In der Stunde des Scheidens die Sonne, wie glitzerte sie hoch, wie blendete sie eisig.

Winter und Mond, weißgezirkelt und leer.

Ihre Hände, klein und weiß, kreuzte sie nun, in der Stunde des Sterbens, in der entsetzlichen Sekunde schwärzester Angst um den Leib. Einmal noch sich eingraben in die Grube des bewaldeten Schoßes, der von der Flintenkugel durchschossen ringsum sich bäumte. Ihr Haupt darüber, ein Siegel gesiegelt über die Schrift; das schwarze kahle Haupt schlug in wildester Krümmung nieder auf ihren Schoß: Mund an Blut, Lust an Schmerz.

Die unteren Zähne über die oberen gerafft, die Zunge in wütenden Stößen von einem Winkel zum anderen. Kein Wort mehr, kein Stöhnen.

Schweigen und Nacht. Die Zunge heraus über die eisige Stufe der schon erkalteten Lippen, nieder zur Wunde, zur tödlichen Leere. Leerer Raum wurde sie ganz.

Dunkel umrauschte sie in weichenden Grenzen.

Niedersinkende Wände, verklingender Ruf, verrinnendes Licht.

Aber jetzt, mit dem letzten Schlag des verrinnenden Herzens, mit ungeheurer Flamme der todesvergleitenden Augen, im letzten Krampf des sich lösenden Körpers: hoch erstand sie über sich selbst.

Glühend die Augen, starrend die berstenden Brüste, den runden Kopf gehüllt in ihres schwarz glänzenden Haares metallenen Helm, in den schmalen, dunkel himbeerfarbenen Lippen den letzten Kuß, so lebte sie auf.

Der Geliebte, tief versunken unter ihr, ein kalter Teppich unter ihren Füßen, ein staubig vertrockneter Winter, hingebreitet in die kahle Ebene. Wortlos sein Mund, namenlos die Erscheinung.

Ihre eigene Stimme hörte Olga in gellendem Ruf, er aber schwieg. Ihre eigene Gestalt sah Olga zuletzt in unverwundeter Gestalt, er aber verrann, den anderen Namenlosen zugesellt, wie Wasser unter ihr, wie Wolkenregen von oben, wie Tränen aus ihr selbst, die verging.

Aller Schmerz verschwand in heiligem Brausen, gerne ging sie ein in flache Ohnmacht. Schon wallte zauberhaft die Vernichtung, da zwang sie ihr ganzes Leben zurück: die Lippen beide in einem, zueinandergewandert, aneinandergebettet, aufgerichtet hoch im kühlen Todeswind: ein Kuß sich selbst.

Süß war sie überträufelt von Wein.

Starr lag Olga da, ausgebreitet auf kahlem Stein, nun selbst ein Stein. Mit metallenem Laut dröhnend fiel ihr Haupt auf die schwarz-weiß gewürfelten Fliesen des Zuchthauses, als die Soldaten sie anfaßten. Schwarz fielen ihre Lider nieder in die weißen Schluchten des ausgebluteten Gesichtes. Leblos, keine Labung mehr, rann der Wein, den ein Weib hilfreich gebracht hatte, ihr über die nun starr verlöteten, innig gesiegelten Lippen hinter das Ohr, über den mädchenhaften Hals rieselte er zu den schweren Brüsten, deren Spitzen noch zitterten vom Fall.

Den nackten Leib vom Pulver körnig geschwärzt, von Wolken des Rauches in Streifen umringt, so war Olga ganz umschattet. Naß von der Nässe des bösen Kerkers, schwarzen Schaum über den weißgewölbten Hüften, nirgends ein Tropfen Blut. Denn ihre Haut, jungfräulich hart, hatte sich über die Wunde gespannt, nichts entsickerte dem nackten Gebilde, dem weiß gepanzerten Leichnam.

Sie, ein ruhendes Mädchen, trug der Soldat auf seinen Armen. Des Mädchens Füße, weiß gegliedert und fein, noch warm vom niedergesunkenen Blut, blieben aneinandergebreitet. Lau schmiegten sie sich in den rauhen Ärmel seiner Strafuniform.

Durch die Reihen der lebenden Sträflinge trug man die Tote. Über die Welt der Sträflinge, der erdengefangenen, lebenslänglich vergitterten, wurde sie getragen, Olga nicht mehr: Nahar, ein ruhendes, kleines, eben erst atmendes Tier.

Um ihre Lippen war nichts Böses.

 


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