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Noch sah es nicht, das kindheitsblinde Tier. Noch war es getaucht in blauen Morgentraum. Dem feuchten Hauch der mütterlich entgegenstarrenden Brüste entglitt es, über die lau gewärmten Steine des Lagers lief es dahin, geleitet vom Schimmer, herangelockt vom fernen Strahl am Ende des kaltfeuchten Ganges. Die Sonne stieg. Aber unsichtbar, unerreichbar, nicht zu fassen verrann vor ihren Augen das Licht.
Scharfe Halme rissen mit Stacheln an Nahars Hals. Die Glieder hielt sie geklammert um hin und widerschwingende Äste.
Kalter Sturm brach plötzlich von oben, brausender Morgenwind schaukelte die Zweige und das gewichtslose Tier. Vögel kreischten wild. Des Spiegeltieres silbern klingender Laut hauchte kaum noch zu ihr aus der Ferne. In kalte Flut versank Nahar, tauchte in eisiges Wasser, mit Not rettete sie sich, sie zitterte in Angst. Hilflos klebte sie in einer Höhlung der Erde, um sich selbst geringelt, damit sie sich labe an der kärglichen Wärme des eigenen Körpers, an den Blättern züngelte sie, um sich wäßrige Nahrung zu saugen. Nun schrie sie kläglich zurück nach der Mutter.
Vögel flatterten auf in rieselndem Rauschen, schwerer Regen prasselte nieder, über den mageren Hals goß es, schnell erkaltete alles auf der Haut. Je weiter sie wanderte, desto fremder die Welt. Schnellende Zweige, Schläge und Peitschen, Niederkrachen durch tückisch schwankendes Unterholz. Rettungslos die Welt, von allen Seiten versperrt und verkerkert.
Düsterer Kerker, von Dämmerung kaum noch erhellt.
Das Tier allein. Langhin verseufzte die Stimme in Verzweiflung.
Aber jetzt sauste ein Ungeheures durch die Luft, schon warf es sich nieder, krachte im splitternden, regensprühenden Gezweig.
Aber jetzt, im gesegneten Augenblick, erglühte Nahar im blitzenden Licht, hoch rauschte auf der Vorhang der matt gespannten Lider, zum erstenmal sah Nahar:
über sich den großen rettenden Gott, den ungeheuren Pfeil des Leibes noch federnd vom Sprung.
Es kreiste der Mutter ruhiges Haupt mächtig über ihr, ein Himmel schwarz und fahl gestreift, ein Funkeln goldig grün aus Urgrundtiefe: die Tieraugen, runde Sterne, wandelten über ihr.
Wie ein weithin gelagerter Berg kniete die Mutter vor dem Kind. Schon raffte sie es auf, bettete es in ihrem Munde. Zwischen die Flächen der Wangen war es gepreßt, die breite Zunge rollte sich als ein wärmendes Lager unter ihr, Atem Zug um Zug strich über sie hin. Stürmend wurde sie durch Nässe und Fremde zurückgetragen. In sausendem Fluge schwebte sie in der Luft, in gleitender Senkung landete sie im guten, schattigen Lager, auf dem steinernen Boden, in dem festgegründeten Haus. In herrlichster Wiederbegegnung sah sie das Spiegeltier, in ruhender Besänftigung hörte sie es sich entgegensingen.
Zerbrochen die Blindheit, der Kerker frei.
Morgen war es, in der Ferne noch stürmender Regen in donnerndem Guß am Ende des Himmels das fliehende Gewitter.
Sie aber, die von der Mutter gerettet, von Mutter doppelt besonnt dalag, sie, die dem Bruder zugesellt, mit den anderen sich vereinte, sie war zur Freude als Tier unter Tiere gebreitet, versöhnt war sie im Zuhause des fest gegründeten Lagers.
Die Sonne brach mitten durch weißkochende Luft.
Wipfelbäume ragten in fast schwarzem Grün, zart geteilte Blätter, tausendfach verzweigt, breite Flächen, geglättet im Glanze. Licht spannte sich aus, endlich niedergesegnet zu ihr, überschwenglich hingeschüttet, kaum zu fassen, blendende Glut, gierig getrunken, grün siedendes Metall um Himmel, Pflanzen, Tiere, Stein.
Die Mutter, der schützende, rettende Gott, sonnte sich, die sanfte, riesenhafte Gestalt.
Goldleuchtendes Braun, durch schwarze Streifen gegittert, schwarze Ketten, in vielen Reihen gewunden um das herrlich funkelnde Fell, das feuerfarbene: so wand sie sich träg in der brütenden Hitze. Unter dem weißlichen Flaus des noch schleppenden Bauches strotzten ihr sechs Euter. Freudige Rosenfarbe, am Gipfel mit Milch umträufelt, am Grunde von fahlem Teppich dicht umstanden.
Ewig funkelten der Mutter grün-goldene Augen über den Kindern. Weißes Haar an den Wangen, lichtes Gewölk um die Kiefer, ein Nebelhof um den Mond des großen Gesichtes. Langschwankende Haare umzitterten der Mutter blaß gedehnte Lippen, es glimmerte hart das wollüstig in Ruhe knirschende Gebiß.
Tiefer beugte sich dem geretteten Kind das Haupt der Alten, ein sinkendes Gewölbe, eine Welt. Niedergebreiteter Gott.